Wahrscheinlichkeitstheorie

Teilgebiet der Mathematik
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Die Wahrscheinlichkeitstheorie ist das Gebiet der Mathematik, das vom Rechnen mit Wahrscheinlichkeiten handelt.

Axiomatischer Aufbau

Wie jedes Teilgebiet der modernen Mathematik wird auch die Wahrscheinlichkeitstheorie mengentheoretisch formuliert und auf axiomatische Vorgaben aufgebaut. Ausgangspunkt der Wahrscheinlichkeitstheorie sind Ereignisse, die als Mengen aufgefasst werden und denen Wahrscheinlichkeiten zugeordnet sind; Wahrscheinlichkeiten sind reelle Zahlen zwischen 0 und 1; die Zuordnung von Wahrscheinlichkeiten zu Ereignissen muss gewissen Mindestanforderungen genügen.

Diese Definitionen geben keinen Hinweis, wie man die Wahrscheinlichkeiten einzelner Ereignisse ermitteln kann; sie sagen auch nichts darüber aus, was Zufall und was Wahrscheinlichkeit eigentlich sind. Die mathematische Formulierung der Wahrscheinlichkeitstheorie ist somit für verschiedene Interpretationen offen. Siehe dazu die Artikel Wahrscheinlichkeit, Bayesscher Wahrscheinlichkeitsbegriff, Frequentistischer Wahrscheinlichkeitsbegriff, Quantenlogik.

Definitionen

Konzeptionell wird ausgegangen von einem Zufallsvorgang oder Zufallsexperiment. Alle möglichen Ergebnisse dieses Zufallsvorgang fasst man in der Ergebnismenge Ω zusammen. Wenn ein bestimmtes Ergebnis eintritt, spricht man von einem Ereignis. Das Ereignis ist als Teilmenge von Ω definiert. Umfasst das Ereignis nur ein Element der Ergebnismenge, handelt es sich um ein Elementarereignis. Zusammengesetzte Ereignisse beinhalten mehrere Ergebnisse. Das Ergebnis ist also ein Element der Ergebnismenge, das Ereignis jedoch eine Teilmenge, wobei diese Unterscheidung häufig vernachlässigt wird. Damit man den Ereignissen in sinnvoller Weise Wahrscheinlichkeiten zuordnen kann, werden sie in einem Mengensystem aufgeführt, der Ereignisalgebra oder dem Ereignisraum Σ, eine Menge von Teilmengen von Ω. Die Wahrscheinlichkeiten ergeben sich dann als Abbildung P des Ereignisraums auf das Intervall [0,1] als Wahrscheinlichkeitsmaß. Das Wahrscheinlichkeitsmaß ist ein Maß P: Σ →[0,1] im Sinne der Maßtheorie mit P(Ω)=1.

 
Beispiel: Zwei Glücksräder und ihre Wahrscheinlichkeitsräume

Das Tripel (Ω, Σ, P ) wird als Wahrscheinlichkeitsraum bezeichnet.

Bezüglich der Zuordnung der Wahrscheinlichkeiten zu den Ereignissen muss dabei zunächst zwischen einer abzählbaren und überabzählbaren Ergebnismenge unterschieden werden.

Bei einer abzählbaren Ergebnismenge kann einem Elementarereignis grundsätzlich eine positive Wahrscheinlichkeit zugewiesen werden. Wenn Ω abzählbar und endlich ist, kann man Σ als die Potenzmenge (die Menge aller Teilmengen) von Ω wählen. Damit auch der Fall einer abzählbar unendlichen Ergebnismenge abgedeckt ist, muss jedenfalls Σ eine σ-Algebra sein (eine bezüglich der abzählbaren Vereinigung abgeschlossene Menge von Teilmengen, die die Grundmenge und mit jeder Menge auch deren Komplement enthält). Die Summe der Wahrscheinlichkeiten aller Elementarereignisse aus Ω ist hier 1.
Bei einer überabzählbaren Ergebnismenge setzt man zweckmäßigerweise die Wahrscheinlichkeit für ein Elementarereignis gleich Null. Man kann diesem Ereignis gegebenenfalls eine Wahrscheinlichkeitsdichte zuschreiben, die aber keine Wahrscheinlichkeit darstellt, sondern lediglich die erste Ableitung der Verteilungsfunktion ist. Das Ereignissystem ist hier die Borelsche Algebra, ein Spezialfall der σ-Algebra, die Intervalle der reellen Zahlen als Elemente enthält.

Axiome von Kolmogorow

Die axiomatische Begründung der Wahrscheinlichkeitstheorie wurde in den 1930er Jahren von Andrej Kolmogorow entwickelt. Ohne explizite Berufung auf die Axiome der Maßtheorie lässt sich ein Wahrscheinlichkeitsmaß mit den folgenden drei Kolmogorow-Axiomen einführen:

(1) Für jedes Ereignis A aus Ω ist die Wahrscheinlichkeit eine reelle Zahl zwischen 0 und 1: 0≤P(A)≤1.
(2) Das sichere Ereignis hat die Wahrscheinlichkeit 1: P(Ω)=1.
(3) Die Wahrscheinlichkeit einer Vereinigung abzählbar vieler inkompatibler Ereignisse entspricht der Summe der Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Ereignisse. Inkompatible Ereignisse sind disjunkte Mengen A1, A2 ...; es muss gelten:  . Diese Eigenschaft wird auch σ-Additivität genannt.

Beispiel: Münzwurf

Die Ereignisse beim Münzwurf mögen Zahl oder Adler lauten.

  • Dann ist die Ergebnismenge Ω={Zahl,Adler}.
  • Die Ereignismenge ist die Potenzmenge Π(Ω), also Σ={{},{Zahl},{Adler},Ω}.
  • Für das Wahrscheinlichkeitsmaß P steht aufgrund der Axiome fest:
    •  ;
    •  ;
    •  .
 
Ergebnismenge und Teilmengen bei einem (nicht idealen) Münzwurf

Zusätzliches (außermathematisches) Wissen ist erfordert, um   anzusetzen. Dies kann ja durchaus von der Beschaffenheit der Münze abhängen.

Folgerungen

Aus den Axiomen ergeben sich unmittelbar einige Folgerungen:

1. Aus der Additivität der Wahrscheinlichkeit disjunkter Ereignisse folgt, dass komplementäre Ereignisse komplementäre Wahrscheinlichkeiten haben: P(Ω\A) = 1-P(A).

Beweis: Es ist   sowie  . Folglich nach Axiom (3):   und dann nach Axiom (2):  . Umgestellt ergibt sich:  , wie behauptet.

2. Daraus folgt unmittelbar, dass das unmögliche Ereignis, die leere Menge, die Wahrscheinlichkeit Null hat: P({})=0.

Beweis: Es ist   und  , also nach Axiom (3):  , d.h. nach Axiom (2):  . Hieraus folgt  , wie behauptet.

3. Für die Vereinigung nicht notwendig disjunkter Ereignissen folgt:  .

 
Beweis: Die für den Beweis erforderlichen Mengen sind im obigen Bild dargestllt. Die Menge   kann danach als Vereinigung von drei disjunkten Mengen dargestellt werden:
 
Hieraus folgt nach (3):  .
Andererseits ist nach (3) sowohl
  als auch
 .
Addition liefert:
 
 .
Umstellen ergibt  , wie behauptet.

Bedingte Wahrscheinlichkeit

Verbundwahrscheinlichkeit (Schnittmengen von Ereignissen):

 

Bayes-Theorem:

 

wobei P(B) die totale Wahrscheinlichkeit von B ist.

siehe auch Bedingte Wahrscheinlichkeit

Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik

Wahrscheinlichkeitstheorie und Induktive Statistik werden zusammenfassend auch als Stochastik bezeichnet. Beide Gebiete stehen in enger wechselseitiger Beziehung:

  • Statistische Verteilungen werden regelmäßig unter der Annahme modelliert, dass sie das Resultat zufälliger Prozesse sind.
  • Umgekehrt liefern statistische Daten über eingetretene Ereignisse Anhaltspunkte (in frequentistischer Interpretation sogar die einzigen akzeptablen Anhaltspunkte) für die Wahrscheinlichkeit künftiger Ereignisse.

Anwendungsgebiete

Die Wahrscheinlichkeitstheorie entstand aus dem Problem der gerechten Verteilung des Einsatzes bei abgebrochenen Glücksspielen. Auch andere frühe Anwendungen stammen aus dem Bereich des Glücksspiels.

Heute ist die Wahrscheinlichkeitstheorie eine Grundlage der schließenden Statistik. Die angewandte Statistik nutzt Ergebnisse der Wahrscheinlichkeitstheorie, etwa um Umfrageergebnisse zu interpretieren oder Wirtschaftsprognosen zu erstellen.

Daneben kommt sie außer in der Physik unter anderem auch in der Zuverlässigkeitstheorie zum Einsatz.

Stichworte

Folgende Stichworte müssen noch eingearbeitet werden: