Homo oeconomicus

theoretisches Modell einer Person, die mit ihrem Handeln den größtmöglichen Nutzen für sich erreicht
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Homo oeconomicus in den heutigen Wirtschaftswissenschaften

Der Begriff homo oeconomicus (lat. der wirtschaftliche Mensch) beschreibt den Menschen als wirtschaftlich handelndes und denkendes Wesen. Die Formulierung ist eine humoristische Anspielung auf das biologische Taxon Homo sapiens, beschreibt also keine neue Art im wissenschaftlichen Sinn.

Grundproblem ist die Abwägung des persönlichen Nutzens durch Entscheidung für bestimmte Handlungen oder Güter.

Ziel ist die Maximierung des persönlichen Nutzens anhand rationaler Überlegungen, was auf Grund der begrenzten Rationalität des Menschen nur eingeschränkt möglich ist. Gründe hierfür können sein

Der homo oeconomicus entscheidet nach rationalen Gesichtspunkten, soweit man die Dominanz des Egoismus als "rational" bezeichnen kann. Man unterscheidet dabei grundsätzlich zwischen Minimal-, Maximal-, und Optimumsprinzip. Beim Minimalprinzip versucht der Entscheider ein gegebenes Output(Ziel) mit minimalem Input(Aufwand) zu erreichen. Beim Maximalprinzip wird mit gegebenem Input das bestmögliche Output erreicht. Beim Optimumsprinzip wird Input und Output so aufeinander abgestimmt, dass der grösstmögliche Nutzen erzielt wird (beste Preis-Leistung).

In der Soziologie (und anderen Sozialwissenschaften) werden Ansätze, die in ihren Grundannahmen auf das Menschenbild des homo oeconomicus aufbauen als Rational Choice-Ansätze bezeichnet. Ralf Dahrendorf hat analog dazu für seine Rollentheorie den Begriff homo sociologicus geprägt und verwandt.

Ein weiteres wichtiges Merkmal des homo oeconomicus ist, dass er die Schädigung anderer billigend in Kauf nimmt, sofern sie der Maximierung seines eigenen Nutzens zuträglich ist. Der homo oeconomicus ist ein rücksichtsloser Opportunist. Sofern er mit Kooperation nicht schneller an sein Ziel kommt, sind seine Taktiken Täuschung und Betrug.

Bedeutung des homo oeconomicus bei Smith

Während Adam Smith noch ein sehr differenzeirtes Menschenbild hatte, war im Lauf der Zeit durch die Neoklassik der Homo oeconomicus als Extremegoist zum Leitbild für die Volkswirtschaftslehre geworden.

Der streng liberalistische Ansatz des Staatstheoretikers und Philosophen Adam Smith erkennt im homo oeconomicus die Basis für die Wohlfahrt der Nationen. Der enthemmte Egoismus des Einzelnen würde, so die Theorie, als unvermeidlichen Nebeneffekt mit sich bringen, dass sich jeder doch einigermaßen um soziales Verhalten bemüht, da dieses in einer Gesellschaft auf Dauer vorteilhafter sei (also schneller zum maximalen Nutzen führte). Diesen Nebeneffekt bezeichnet Smith als unsichtbare Hand.

Die Theorie wird bis heute in der Politik und im Management kontrovers diskutiert.

Homo oeconomicus nach Eduard Spranger

Der Ausdruck homo oeconomicus, geprägt von Eduard Spranger in seinem Buch Lebensformen (1914), bezeichnet die behauptete Grundtendenz von Menschen, das Leben nach rein wirtschaftlichen Kriterien auszurichten. Spranger beschreibt mehrere Grundtypen, von denen der homo oeconomicus eine ist: der theoretische Mensch, der ökonomische Mensch, der ästhetische Mensch, der soziale Mensch, der Machtmensch und der religiöse Mensch.

Begriff und Kennzeichnung

Der ökonomische Mensch im allgemeinsten Sinne ist also derjenige, der in allen Lebensbeziehungen den Nützlichkeitswert voranstellt. Alles wird für ihn zu Mitteln der Lebenserhaltung, des naturhaften Kampfes ums Dasein und der angenehmen Lebensgestaltung. (S. 148). [...] Reichtum ist Macht. Der ökonomische Mensch entfaltet zunächst Macht über die Natur, ihre Stoffe, Kräfte, Räume und die technischen Mittel zu ihrer Bewältigung. [...] Mehr haben wollen als der andere, ist eine in der gesellschaftlichen Wirtschaft sich immer wieder von selbst bildende Willensrichtung. Wirtschaftliches Machtstreben erscheint also in der Form der Konkurrenz; sie herrscht von den einfachsten Stufen an und kann nur mit dem wirtschaftlichen Motiv selbst ausgerottet werden. (S. 153/154) Die Macht des Geldes beruht auf seiner Motivationskraft für Menschen; sie setzt also wieder ökonomisch gerichtete Naturen voraus. Und gleich als ob man beflissen wäre, dies schon im voraus anzuerkennen, gibt Geld heute auch dann Ansehen, wenn man es nicht selbst erworben hat und weder durch seinen Fleiß noch durch seine Klugheit daran beteiligt ist. [...] Der wirtschaftliche Wert ist für diese Art von Menschen selbst schon der höchste Wert. (S. 155).

Der homo oeconomicus um die Jahrtausendwende

Obwohl Spranger die erste Auflage 1914 in 14 Tagen schrieb und das Buch nun auf die 100 Jahre zugeht, ist der homo oeconomicus nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus aktueller denn je, denn, wie es scheint, waren die westlichen Gesellschaften unter Führung der USA nie stärker und vollständiger unter der Vorherrschaft des homo oeconomicus gestanden. Wirtschaft, Wachstum, Konsum und Geld bestimmen die gesamte Gesellschaft und ihre Werte - nicht nur in den USA!

Mit der Etablierung der experimentellen Wirtschaftsforschung wurde das Konzept des homo oeconomicus in den vergangen Jahren immer häufiger einer experimentellen Überprüfung unterzogen. Dabei zeigte sich, dass unter bestimmten Laborbedingungen dieses Konzept als eine geeignete Prognose für tatsächliches menschlichens Verhalten herangezogen werden kann. In zahlreichen anderen Versuchen konnte diese Verhaltenshypothese jedoch nicht bestätigt werden. Zur Erklärung des beobachten Laborverhaltens werden in diesen Fällen häufig Erweiterung des homo oeconomicus-Modells vorgenommen. Diese beziehen sich dabei häufig auf Erweiterungen der Nutzenfunktion, welche z.B. das Verhalten anderen Akteure mitberücksichtigt. Der homo oeconomicus reciprocans stellt eine solche Modellerweiterung dar.