Türkischer Befreiungskrieg
Der Türkische Befreiungskrieg (türk. Kurtuluş Savaşı) ist der Kampf der in Entstehung begriffenen türkischen Nation von 1919 bis 1923 unter der Führung von Mustafa Kemal gegen die europäischen Besatzungsmächte Großbritannien, Frankreich, Italien und Griechenland. Er richtete sich auch gegen die Gründung eines armenischen Staates auf dem Gebiet der heutigen Türkei. Der Führung Mustafa Kemals schlossen sich verschiedene Ethnien, wie z.B. die Tscherkessen, Lasen und Teile der kurdischen Stämme an.
Der Kampf hatte die Gründung eines souveränen und selbstbestimmten türkischen Staates ohne politische, rechtliche und wirtschaftliche Bevormundung durch andere Staaten zum Ziel. Zudem sollte ein gemeinsames Nationalbewusstsein als Türke unter den weit über 40 ethnischen Gruppen begründet werden (Siehe auch: Minderheitenpolitik der Türkei).
Der Befreiungskrieg gipfelte im griechisch-türkischen Krieg, in dessen Folge die griechische Bevölkerung aus Kleinasien vertrieben wurde. Damit endete die annähernd dreitausend Jahre alte griechische Besiedlungsgeschichte Kleinasiens.
Ausgangssituation
Das Osmanische Reich, die einstige Weltmacht, war am Vorabend des Ersten Weltkrieges längst zum Spielball der internationalen Politik geworden. Es betrachtete den Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Chance, seine alte Macht wiederzuerlangen, und schloss sich den Mittelmächten an. Nach der Niederlage und Kapitulation unterzeichnete die Hohe Pforte am 30. Oktober 1918 das Waffenstillstandsabkommen von Mudros (Moudros auf Limnos) mit den Siegermächten. Kapitel 7 des Vertrages gestattete den Siegermächten, jederzeit jede Region des Reiches zu besetzen. Auf Grundlage dieses Abkommens wurden nahezu alle Gebiete der Türkei durch Großbritannien, Frankreich, Italien und Griechenland besetzt.
Griechenland hatte sich im Ersten Weltkrieg der Entente angeschlossen und sah nach der Niederlage und Schwächung des Osmanischen Reiches die Megali Idea, die Vision, alle Griechen in einem Staat zu vereinen, in greifbare Nähe. Mit der Unterstützung der Großmächte Großbritannien und Frankreich startete Griechenland einen Feldzug gegen das kriegsgeschwächte Osmanische Reich.
Die Anfänge des Widerstandes
Reaktion auf die Besatzung
In vielen Landesteilen organisierte sich Widerstand gegen die Besatzung. Die Kuvvayi Milliye waren Freikorps, die dezentral organisiert die Kämpfe gegen die Besatzungsmächte aufnahmen. Die Mitglieder der Freikorps setzen sich meistens aus desertierten Soldaten der Osmanischen Armee und Freiwilligen, meistens Bauern, zusammen.
Den Beginn des Widerstands markiert der erste Schuss gegen die Besatzungsmächte in İzmir (Smyrna) durch Hasan Tahsin. Die Kuvvayi Milliye wurden dabei nicht nur durch die Besatzer bekämpft, sondern auch durch die Regierung des Osmanischen Reichs.
Mustafa Kemals Ankunft in Samsun
Mustafa Kemal kam - wie viele Offiziere - zum Schluss, dass der Widerstand nur aus Anatolien und nicht von Istanbul aus geleitet werden könne.
1919 erhielt er die Chance, auf die er und andere Offiziere gewartet hatten. Wachsender Widerstand und Unruhe in Zentralanatolien (Siehe auch: Pontische Republik) beunruhigten Großbritannien. Es drohte der Hohen Pforte mit der Besetzung der Region, falls es dem Reich nicht gelänge, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Der Sultan beauftragte daraufhin Mustafa Kemal mit der Demobilisierung der 9. Armee und entsandte ihn an die Schwarzmeerküste.
Seine Ankunft in Samsun am 19. Mai 1919 markiert den Beginn des Befreiungskrieges und wird heute noch in der Türkei als Nationalfeiertag gefeiert.
Nach seiner Ankunft forderte Kemal in einem Schreiben (Havza Genelgesi) andere Offiziere auf, überall im Land Versammlungen abzuhalten, die Bevölkerung über das Vorhaben der Besatzungsmächte aufzuklären und Widerstand zu organisieren. Die erste Versammlung solcher Art fand am 30. Mai 1919 in Havza statt.
Landesweite Kongresse
Die abgehaltenen Kongresse dienten dazu, eine einheitliche nationale Widerstandsbewegung zu gründen und ihr neben einem Programm auch eine nationale Legitimation zu geben. Ziel war es, die dezentral und unabhängig voneinander agierenden Kräfte zu vereinigen. Auf den Kongressen in Erzurum (23. Juli bis 7. August 1919) und Sivas (4. bis 11. September 1919) wurden Strategien zur Befreiung der Türkei in einem Nationalpakt (türk. Misâk-i millî) festgelegt. Als Ziel wurde darin die Unteilbarkeit aller Gebiete, die größtenteils von „Türken“ bewohnt waren, definiert. Er gilt noch heute als das Gründungsdokument der Republik.
Kongress von Erzurum
In der Zwischenzeit wurden überall im Land patriotische Gesellschaften gegründet, die sich „Gesellschaft zur Verteidigung der Rechte“ (Müdafaa-i Hukuk Cemiyeti) nannten. Mustafa Kemal rief in seinem „Amasya-Rundschreiben“ („Die Unabhängigkeit des Volkes wird durch die Entschlossenheit und Entscheidung des Volkes wieder gewonnen“) alle lokalen Gesellschaften dazu auf, sich zu einem Nationalkongress zusammenzuschließen. Dieser sollte die politische Bewegung und die späteren militärischen Maßnahmen durch das Volk legitimieren.
Den ersten Kongress hielt Mustafa Kemal vom 23. Juli bis 7. August 1919 in Erzurum ab. Zuvor trat er am 8. Juli von seinem Rang als General (Pascha) zurück und verließ damit die Osmanische Armee. Am nächsten Tag wurde er in Erzurum zum Vorsitzenden des Kongresses gewählt.
Unter seinem Vorsitz trafen sich 56 Delegierte aus den Städten Erzurum, Sivas, Bitlis, Van und Trabzon. Die Delegierten waren Mitglieder der Sancaks, der alten Osmanischen Verwaltungseinheiten. Am 23. Juli verabschiedete der Kongress eine 10-Punkte-Resolution. Darin wurde die Wiedereinsetzung des Osmanischen Parlaments sowie die Unabhängigkeit, Souveränität und Unteilbarkeit des türkischen Staates gefordert. Auch die Vertreter der sechs östlichen Provinzen stimmten für das Verbleiben im Reich. Dieser Beschluss richtete sich gegen die Gründung eines armenischen Staates.
Kongress von Sivas
Am 4. September 1919 fand der zweite Kongress in Sivas statt. Auf dem Kongress trafen sich die Delegierten und bestätigten die Beschlüsse von Erzurum. Daneben wurde auch festgelegt, dass alle Müdafaa-i Hukuk-Gesellschaften sich zur „Gesellschaft zur Verteidigung der Rechte von Anatolien und Thrakien“ (Anadolu ve Rumeli Müdafaa-i Hukuk Cemiyeti) zusammenschließen sollten. Der Kongress wählte ein 15-köpfiges Repräsentativkomitee (Heyet-i Temsiliye), zu dessen Vorsitzenden Mustafa Kemal gewählt wurde. Dieses Gremium wurde mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet, um die Nation zu vertreten.
Das Amasya-Treffen
Als Vorsitzender des Komitees stellte Mustafa Kemal am 20. Oktober folgende Forderungen an die Osmanische Regierung: Die Regierung solle sich an die gefassten Beschlüsse von Erzurum und Sivas halten, sie solle keine weitreichenden Entscheidungen fällen, bevor das Osmanische Parlament (Mecilis-i Mebusan) sich wieder konstituiert habe, und bei Regierungsentscheidungen solle das 15-köpfige Repräsentativkomitee konsultiert werden.
Die Osmanische Regierung schickte einen Vertreter, um mit Mustafa Kemal eine Einigung zu erzielen. Auf dem Treffen in Amasya einigten sich die beiden Parteien auf folgende Beschlüsse:
- Die Regierung von Istanbul wird sich an die Beschlüsse von Erzurum und Sivas halten, falls das neue Parlament den Beschlüssen zustimmt.
- Die „Gesellschaft zur Verteidigung der Rechte von Anatolien und Thrakien“ wird als Organisation von der Regierung rechtlich anerkannt.
- In Regionen mit mehrheitlich türkischer Bevölkerung wird eine fremde Besatzung nicht akzeptiert.
- Allen nicht muslimischen Bevölkerungsteilen werden keine Sonderrechte eingeräumt, die den gesellschaftlichen Frieden stören könnten.
- Aus Sicherheitsgründen ist eine Versammlung des Parlaments in Istanbul nicht akzeptabel.
- Bei den Friedensverhandlungen wird das Repräsentativkomitee an der Auswahl der Delegierten beteiligt.
Gründung des Türkischen Parlaments
Die Forderungen des Repräsentativkomitees nach einer neuen patriotischen Regierung und einem neuen Parlament wurden im Dezember 1919 vom Sultan umgesetzt, als er neue Wahlen ansetzte. Aus den Wahlen gingen Nationalisten und Anhänger Mustafa Kemals als Sieger hervor. Die "Gruppe zur Rettung des Vaterlandes“ (Felâh-i vatan grubu) gewann die die Mehrheit der Sitze im neuen Parlament.
Am 12. Januar 1920 traf sich das Osmanische Parlament zum letzten Mal und stimmte den Forderungen von Amasya zu und machte sich den „Nationalpakt“ des anatolischen Widerstand zu eigen.
Der Nationalpakt ist auch insofern wichtig, da der die Staatsgrenzen eines zukünftigen Staates festschrieb. Sie sollten innerhalb der Friedensvertragslinien von Mudros liegen. Damit gab das Parlament alle imperialen Gebietsansprüche in Arabien, im Kaukasus und auf dem Balkan auf.
Die Widerstandsbewegung definierte den Staat nicht nur geographisch, sondern auch ethnisch neu. Er definierte Anatolien und die mehrheitlich muslimisch bewohnten Gebiete als sein Staatsteritorium. Das Osmanische Parlament sprach sich selbst auch für die Verlegung des Parlaments in das zentral gelegene Ankara in Anatolien aus.
Am 16. März 1920 besetzte Großbritannien Istanbul, um die nationalen Aktivitäten zu unterbinden. Sie verhaftete führende Parteimitglieder von „Rettung des Vaterlandes“. Daraufhin löste der Sultan das Parlament auf. Zeitgleich begannen griechische Truppen damit, tiefer ins anatolische Landesinnere vorzudringen.
Nach dem Ende des Osmanischen Parlaments lud Mustafa Kemal die Parlamentarier nach Ankara ein. Am 23. April 1920 wurde die neue türkische Nationalversammlung Türkiye Büyük Millet Meclisi (TBMM) mit 338 Parlamentariern konstituiert und das Repräsentativkomitee (Heyet-i Temsiliye) aufgelöst. Mustafa Kemal wurde zum Parlamentspräsidenten gewählt, am 2. Mai 1920 wurde die erste republikanische türkische Regierung gebildet.
Im August 1920 erreichte die Nationalversammlung die Nachricht, dass der Sultan den Vertrag von Sêvres unterschrieben und damit der Zerstückelung des Reiches zugestimmt hatte. Die Nationalversammlung lehnte den Vertrag ab und erklärte die Regierungsvertreter zu Hochverrätern. Am 20. Januar 1921 wurde das neue türkische Grundgesetz verabschiedet.
Besatzung nach dem Vertrag von Sèvres
Die Alliierten besetzten die Türkei nach den Bestimmungen des Mudros-Waffenstillstandsabkommens. Die Griechen landeten bereits im Mai 1919 in Smyrna (heute İzmir) und okkupierten im Laufe des Sommers 1920 die kleinasiatische Marmara-Region und drangen ins anatolische Festland ein. Auch die übrigen Besatzungsmächte Großbritannien, Frankreich und Italien hatten ihre Claims bereits abgesteckt.
Vor diesem Hintergrund bildete der am 10. August 1920 unterzeichnete Friedensvertrag von Sèvres nur noch eine formelle Bestätigung der weitreichenden Verluste des Osmanischen Reiches.
Mit diesem Vertrag stimmte die Hohe Pforte der weitgehenden Aufteilung der heutigen Türkei zu. Der Türkei sollte ein inneranatolischer Rumpfstaat mit der Hauptstadt Istanbul überlassen werden.
Die Meerengen sollten internationalisiert werden. Griechenland wurden die damals vorwiegend griechische Stadt Smyrna und weite teilweise griechisch besiedelte Teile Westanatoliens und Ostthrakiens zugesprochen.
Die Region um Antalya sollte an Italien gehen. Der französische Besitz sollte die Region Kilikien umfassen, die an Syrien grenzt. Syrien und der Libanon standen unter französischem Völkerbundmandat.
Die östlichen Landesteile der heutigen Türkei, mit den Städten Kars, Ardahan und Erzurum sowie einem Schwarzmeerzugang bei Trabzon sollten der im Mai 1918 gegründeten Republik Armenien zugeschlagen werden. Die Festlegung der Grenzen Armeniens hatte der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson übernommen. Es kam jedoch nicht mehr zur Übernahme eines Mandats für Armenien seitens der USA.
Südlich davon und östlich des Euphrat wurde den Kurden eine autonome Region zugesprochen und die Möglichkeit einer späteren Abspaltung zugesagt. Die Türkei sollte lediglich ein Gebiet um Ankara in Zentralanatolien umfassen, das zudem unter fremder finanzieller und militärischer Kontrolle bleiben sollte.
- Zone 1: Meerengen-Zone (unter der Verwaltung von Großbritannien und Frankreich)
- Zone 2: Griechische Zone
- Zone 3: Italienische Zone
- Zone 4: Französische Zone
- Zone 5: Armenische Zone
- Zone 6: Britische Zone
Der Befreiungskrieg
Der Krieg gegen die Besatzer wurde zunächst durch Milizkräfte der Kuvvayi Milliye durchgeführt. Diese Streitkräfte vereinigten sich mit der regulären türkischen Armee, die auf Beschluss der Großen Nationalversammlung der Türkei gebildet wurde.
Aufstände
Im Verlauf des Unabhängigkeitskrieges kam es immer wieder zu Aufständen. Sie waren ethnisch und religiös motiviert. Letzteres wurde von der Regierung des Sultans unterstützt und richtete sich gegen die neue Regierung in Ankara.
Die ersten Maßnahmen der Regierung unter Mustafa Kemal betrafen die Niederschlagung der diversen Aufstände. Mit englischer Unterstützung bildete das Osmanische Reich eine neue Kalifatsarmee (Kuva-i Inzibatiye oder Halifelik ordusu). Diese wurde trotz guter Ausrüstung durch die Truppen Mustafa Kemals geschlagen. Aufstände fanden u.a. in Konya und Urfa (Milli Aşiret Ayaklanması) statt.
Die Ostfront
Bereits am 28. Mai 1918 war im Südkaukasus auf einem Gebiet, das zum Zarenreich gehört hatte, die Demokratische Republik Armenien mit Eriwan als Hauptstadt gegründet worden. Hierzu gehörten auch die noch von Russland eroberten Teile der armenischen Provinzen im Nordosten des Osmanischen Reichs. Die Parlamentsregierung unter Mustafa Kemal beauftragte Kazim Karabekir mit der Rückeroberung der Region. Kazim Karabekir stieß mit seinen Einheiten Richtung Kaukasus vor. Die Städte Sivas, Erzurum, Kars und Ardahan wurden erobert und die armenischen Truppen zurückgedrängt, die den Sturm auf Eriwan allerdings trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit in der Schlacht von Sardarapat aufhalten konnten.
Nach den türkischen Siegen wurde am 18. November 1920 ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen. In einem weiteren Abkommen mit der Sowjetunion, der die Armenische Republik inzwischen einverleibt worden war, erreichte das türkische Parlament die Anerkennung der Ostgrenze. Dieses Abkommen von Gümrü am 2. Dezember 1920 war nicht nur wichtig, weil so der Friede an der Ostfront gewährleistet wurde, sondern auch weil die Regierung in Ankara zum ersten Mal als Vertragspartner von einer ausländischen Regierung anerkannt wurde.
Im Freundschaftsvertrag von Kars vom 23. Oktober 1921 akzeptierten dann unter starkem Druck aus Moskau auch die Armenische SSR, die Aserbaidschanische SSR und die Georgische SSR die Ostgrenze der Türkei, die im März 1921 im Moskauer Vertrag endgültig gezeichnet wurde.
Die Südfront
Im Süden Anatoliens teilten Frankreich und Großbritannien Teile des Osmanischen Reiches unter sich auf. Die Briten besetzten Mosul, Iskenderun, Kilis, Antep, Maraş und Urfa. Die Franzosen Adana, Mersin und Osmaniye. Die Franzosen setzten armenische und tunesische Hilftruppen aus Syrien, Ägypten und Tunesien in den türkischen Besatzungszonen ein, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
Auf dem Sivas-Kongress beschlossen die Delegierten in der französischen Zone Kuvvayi Milliye zu gründen. Auch sollte die Bevölkerung gegen die französischen Besatzer mobilisiert werden. Am 12. Februar 1920 wurde Maraş unter der Leitung von Sütçü İmam befreit. Am 11. April 1920 führte Ali Saip den Widerstand in Urfa erfolgreich.
Der Aufstand in Antep verlief nach einem Jahr und 6.000 Toten erfolglos. Am 9. Februar 1921 mussten sich die Aufständischen geschlagen geben. Die Franzosen gaben schließlich ihre Besetzung mit dem Ankara-Abkommen auf und verließen die türkischen Regionen im Süden der heutigen Türkei. Dies hatte auch mit den Siegen der neuen türkischen Armee an der Westfront gegen die Griechen zu tun. Gegen die Italiener wurde keine Front eröffnet, die Italiener verließen nach den Franzosen ebenfalls die Türkei.
Mit den Siegen im Osten und Süden stieg die Popularität der neuen Regierung in Ankara bei der Bevölkerung.
Die Westfront
Nach Beendigung des Ersten Weltkrieges erhielt Griechenland im Friedensvertrag von Sèvres (1920) Ost-Thrakien (damit verlief seine nordöstliche Grenze wenige Kilometer von Istanbul entfernt) und ein großes Gebiet der kleinasiatischen Küste um Smyrna (heute İzmir) vom Osmanischen Reich, wo viele Griechen siedelten.
Schon vor der Unterschrift des Friedensvertrag von Sèvres besetzten am 15. Mai 1919 griechische Truppen Smyrna, große Gebiete im ägäischen Raum und Teile von Ost-Thrakien. 1921 begann das griechische Militär mit einer Großoffensive in Anatolien. Sie stieß am 6. Januar 1921 von Bursa und Uşak aus Richtung Eskişehir und Afyon. Eskişehir war ein strategischer Punkt, mit dem die Griechen die Eisenbahnlinie unter Kontrolle bringen konnten. Die griechische Armee wurde mit Waffen und Material durch Großbritannien unterstützt und war dem türkischen Militär bezüglich der Ausstattung überlegen.
Nach der Eroberung von Eskişehir wurden die griechischen Soldaten Richtung Ankara in Marsch gesetzt, um die Nationale Regierung zu zerschlagen. Bei der kleinen Stadt Inönü stellten die türkischen Soldaten unter der Führung von Ismet Pascha die griechische Armee. Der türkischen Armee gelang am 10. Januar 1921 der Sieg gegen die Griechen (Erste Schlacht von Inönü).
Mustafa Kemal nutzte diesen Sieg und setzte am 20. Januar 1921 die neue Verfassung durch, in der es hieß: "Alle Gewalt geht vom Volke aus". Die neue Verfassung stellte somit die Autorität des Sultans in Frage. Zum ersten Mal emanzipierte sich die Regierung in Ankara damit offiziell von der alten Osmanischen Ordnung und der Monarchie.
In der zweiten Schlacht bei Inönü drangen die Griechen wieder Richtung Zentralanatolien vor und besetzten, diesmal erfolgreich, am 23. März 1921, Bilecik, Uşak und bei Inönü die Metris-Anhöhen. Danach gingen die türkischen Truppen unter Ismet Pascha in die Offensive und besiegten zum zweiten Mal die griechischen Soldaten. Die Griechen mussten sich am 1. April bis nach Bursa zurückziehen. Damit gelang es Ismet Inönü in den beiden Schlachten von Januar und April 1921, den griechischen Vorstoß aufzuhalten. Ismet Pascha erhielt später den Familiennamen Inönü, als Ehrung für seine Siege bei der gleichnamigen Stadt.
Im Juli 1921 ging die griechische Armee wieder in die Offensive. Die türkischen Truppen mussten sich in der Schlacht von Kütahya und Eskişehir zurückziehen. Nach der türkischen Niederlage wurde Mustafa Kemal zum Oberkommandierenden der türkischen Armee ernannt. Am 7. und 8. August 1921 wurde die nationale Mobilmachung (Tekalif-i Milliye) ausgerufen. Die Bevölkerung war damit verpflichtet, dem Militär alle benötigten Materialien und Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Die Truppen unter Mustafa Kemal errangen am 23. August in der Schlacht von Sakarya einen wichtigen Sieg, bei dem die Griechen 30.000 Tote zu beklagen hatten. Nach diesem Sieg zogen sich die französischen Truppen aus der Türkei zurück und gaben 1921 mit der Unterzeichnung der Franklin-Boullon-Abkommen ihre Gebietsansprüche gegenüber der Türkei auf. Daraufhin verließen auch die Italiener und schließlich auch die Briten das Land.
Ein Jahr nach der Sakarya-Schlacht, das zur Vorbereitung für den weiteren Krieg genutzt wurde, ging die türkische Armee am 26. August 1922 unter der Leitung von Mustafa Kemal in die Offensive. Am 26. und 27. August wurden die Verteidigungslinien der Griechen durchbrochen, und die Armee marschierte in Afyon ein. Am 30. August wurden weite Teile der griechischen Armee vernichtend geschlagen. Der Oberkommandierende der griechischen Armee, General Trikopis, wurde gefangengenommen. Seit diesem Sieg wird der 30. August in der Türkei als „Zafer Bayrami“ (Tag des Sieges) gefeiert. Die sich auflösende griechische Armee zog sich ungeordnet Richtung Smyrna zurück. Die griechischen Soldaten wurden unter chaotischen Bedingungen teilweise von britischen und französischen Schiffen evakuiert.
Der Krieg endete am 9. September 1922 mit der Einnahme der damals mehrheitlich griechisch besiedelten Großstadt Smyrna (heute İzmir) durch türkische Truppen. Neumann (S. 299f.) schreibt dazu
- "Die griechischen Truppen hatten einen Tag vorher die Stadt verlassen, einen Tag später besuchte sie Mustafa Kemal Paşa. Für İzmir ging der Krieg noch etwas weiter. Der türkische Gouverneur Nur üd-Din Paşa ließ den griechischen Metropoliten Chrystostomos lynchen. Armenische Verbände kämpften weiter gegen die türkischen Truppen. Zugleich begannen türkische Bewohner der Stadt, Rache für die oft entwürdigende Behandlung während der Besetzung zu nehmen. Die Geschichte des kosmopolitischen İzmir [...] ging blutig zu Ende. Am 13. November brach in den armenischen Vierteln an mehreren Stellen Feuer aus. Daß es gelegt wurde, ist so gut wie sicher, umstritten ist, wer es getan hat - Rache suchende Türken oder Armenier, die eine Politik der verbrannten Stadt verfolgten. Die unteren, meist von Nicht-Muslimen bewohnten Stadtviertel, aber auch der Bazar brannten ab. Der größte Teil der türkischen Viertel wie einige Teile des heute noch vornehmen Alsancak blieben verschont."
Am 11. Oktober 1922 schlossen die Besatzungsmächte ohne die Beteiligung der Regierung des Sultans Mehmed VI. das Waffenstillstandsabkommen von Mudanya. Damit kam auch Istanbul wieder in türkischen Besitz.
Folgen des Krieges
Gründung der Republik Türkei
Am 11. Oktober 1922 verhandelten die Alliierten in Mudanya über ein Waffenstillstandsabkommen mit der türkischen Regierung ohne die Beteiligung der Griechen. Am 1. November stimmte die Nationalversammlung für die Trennung von Sultanat und Kalifat und für die Aufhebung des Sultanats. Mitte November musste der letzte osmanische Sultan Mehmed VI. das Land verlassen. Sein Neffe Abdülmecid II. übernahm das Amt des Kalifen.
Im Vertrag von Lausanne wurden am 24. Juli 1923 die Bestimmungen aus dem Vertrag von Sèvres revidiert und so der Verlust großer Teile des heutigen Staatsgebiets der Türkei verhindert und die neuen Grenzen völkerrechtlich anerkannt. Griechenland erkannte seine Verpflichtung zu Reparationen an und die Türkei verzichtete ihrerseits endgültig auf alle Reparationsansprüche gegenüber der griechischen Regierung. Der Vertrag legte die Zwangsumsiedlung der Griechen aus der Türkei und die Zwangsumsiedlung von fast einer halben Million Türken aus Griechenland in die Türkei fest.
Nachdem alle ausländischen Kräfte aus Anatolien vertrieben wurden rief Mustafa Kemal am 29. Oktober 1923 die Republik aus. Später erhielt er den Nachnamen Atatürk („Vater der Türken“) und wurde der erste Präsident der Republik. Durch den Vertrag von Montreux vom 20. Juli 1936 bekam die Türkei die volle Souveränität über die Meerengen zurück. 1939 wurde der Sandschak von Alexandretta Hatay der Türkei angegliedert.
Andererseits wurden 500.000 Türken zumeist aus Nord-Griechenland, Makedonien und von den ägäischen Inseln zwangsumgesiedelt. Ausnahmen wurden nur für die Türken im westlichen Thrakien und für die Griechen in Istanbul und auf den vorgelagerten Inseln Imbros und Tenedos gemacht.
Viele der verbliebenen Menschen folgten jedoch später mehr oder weniger freiwillig (besonders nach Pogromen gegen die jeweiligen Minderheiten) ihren zuvor vertriebenen Landsleuten, so dass die griechische Gemeinde in Istanbul heute auf wenige tausend Mitglieder geschrumpft ist; auch die türkische Gemeinde in Thrakien hat sich stark verkleinert.
Die damaligen Ereignisse bedeuten für viele Griechen und Türken ein Trauma und sind eine von vielen Ursachen für die teils bis heute schwelenden Ressentiments zwischen beiden Völkern, etwa auf Zypern.
Literatur
Der griechisch-türkische Krieg und das mit ihm verbundene Trauma hat zusammen mit der anschließenden Konstitution der modernen Türkei (von vielen Türken als Befreiung, von vielen Griechen als Kleinasiatische Katastrophe empfunden) bzw. der hunderttausendfachen Zwangsumsiedlung der Griechen und der Türken (mit folgender Verarmung und Flüchtlingsstatus) die Schreibtätigkeit von Generationen türkischer und griechischer Dichter und Schriftsteller in ihrem Werk beeinflusst. So wurde der von Turgut Özakman geschriebene Roman Şu Çılgın Türkler (deutsch: Diese verrückten Türken) millionenfach in der Türkei verkauft.
- Turgut Özakman: Şu Çılgın Türkler (deutsch: Diese verrückten Türken), ISBN 975-22-0127-X
- Louis de Bernières: "Traum aus Stein und Federn", Frankfurt am Main 2005. ISBN 3-10-007125-5
- Marjorie Housepian Dobkin: "Smyrna 1922: The Destruction of a City", New York (Kent State University Press), 1988 (Neuausgabe). ISBN 0-571-10108-9
- Garabed Hatscherian: Smyrna 1922, hrsg. v. Dora Sakayan, Klagenfurt-Wien, Kitab, 2006, ISBN 3-902005-87-4
- Bülent Şenocak, Levant'ın yıldızı Izmir, 2003, ISBN 975-288-064-9
Quellen
- Christoph K. Neumann u. Michael Neumann-Adrian: Die Türkei. Ein Land und seine 9000 Jahre Geschichte. München 1993
- Udo Steinbach: Die Türkei im 20. Jahrhundert. Bergisch Gladbach 1996
- Fischer Weltgeschichte, Der Islam II. Die islamischen Reiche nach dem Fall von Konstantinopel. Frankfurt am Main 1984
- Klaus Kreiser: Kleine Geschichte der Türkei. Stuttgart 2003