Ein Carillon ist ein großes Turm-Glockenspiel, d. h. es besteht aus chromatisch oder diatonisch gestimmten Glocken, die mittels einer Klaviatur oder/und mechanisch (z. B. mittels einer Walze) gespielt werden können (vgl. Glockenspiel (Spieluhr)). Die World Carillon Federation (WCF) verlangt von einem Carillon, dass es über mindestens 23 Glocken (zwei Oktaven) verfügt und die Glocken direkt von einem Spieltisch mittels Seilzügen angeschlagen werden können.
Aufbau
Die Klöppel der Glocken oder außerhalb der Glocke angeordnete federnd gelagerte Hämmer sind mittels Zugdrähten und Kipphebel mit den Tasten des Spieltisches verbunden und werden mechanisch von dem Carilloneur gespielt. Der Spieltisch eines Carillons ist dem einer Orgel ähnlich. Er besteht aus einem Rahmenwerk, in dem die Stöcke für das Manual und die Tasten des Pedals eingebaut sind. Die Stöcke des Manuals sind wie Klaviertasten angeordnet, die Abstände zwischen den einzelnen Stöcken sind jedoch wesentlich größer als bei einem Klavier.
Spielweise
Da für das Anschlagen der Glocken eine große Kraft erforderlich ist, wird das Manual eines Carillons mit der Faust gespielt, die größeren Glocken können zudem nicht nur per Manual, sondern zusätzlich mit den Füßen per Pedal gespielt werden. Manchmal gibt es jedoch auch größere Glocken, die nur über das Pedal, nicht über das Manual erreicht werden können.
Differenzierung der Spielweise
Aufgrund der Spielweise können pro Hand nur ein bis maximal drei Tönen mit Intervallen bis zu einer Quinte gespielt werden. Um z. B. zwei Töne gleichzeitig mit einer Hand zu spielen unterscheidet sich die Spielweise von der oben genannten, indem die Hand geöffnet wird und die Stöcke mit Daumen und Zeigefinger herunter gedrückt werden.
Die Glocken beim Carillon sind nicht mit einer Dämpfung versehen, so dass vor allem die tiefen Glocken sehr lange nachklingen. Somit ist es auch nicht mehr möglich, den Klang einer einmal angeschlagenen Glocke noch zu beeinflussen bis diese ausgeklungen ist. Des weiteren klingen die großen Glocken wesentlich lauter und länger als die kleineren Glocken. Zudem ist der Teilton der kleinen Terz deutlich hörbar, was bei lang nachschwingenden Tönen schnell zu Dissonanzen führen kann. Somit erfordert das Carillonspiel eine sehr stark wechselnde Dynamik, die durch die Anschlagstärke der Stöcke reguliert wird, um Dissonanzen zu minimieren.
Etymologie
Der Name Carillon ist von „quatrillionem“ abgeleitet, dem rhythmischen Anschlag von vier Glocken, wie er im 14. Jahrhundert vom Turmwächter angewandt wurde. In den Niederlanden gibt es den größten Bestand an Glockenspielen weltweit (insgesamt 806 Glockenspiele, davon 158 Carillons nach WCF-Standard), in Deutschland sind es 41 Carillons.
Bekannte Carillon-Komponisten
Ausgewählte Carillons
Deutschland
Die größten Carillons in Deutschland nach Zahl der Glocken sortiert:
- Glockenspiel des Roten Turmes in Halle (Saale), 76 Glocken (54.980 kg), 1993
- Carillon im Tiergarten in Berlin, 68 Glocken, 1987
- Carillon im Französischen Dom in Berlin, 60 Glocken, 1987
- Carillon des Bartholomäusturmes in Erfurt, 60 Glocken (ca. 40 t), 1979/1992
- Carillon der St.-Nikolai-Kirche (Hamburg), 51 Glocken, 1993
- Carillon der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 51 Glocken, 2005
- Carillon im Olympiapark München, 50 Glocken, 1972
- Carillon im Turm der St-Martins-Kirche in Illertissen, 49 Glocken, 2006
- Carillon im Glockenturm der Gustav-Adolf-Kirche Hahnenklee, 49 Glocken, 2002/2005
- Carillon in der Wiesbadener Marktkirche, 49 Glocken (2,2 Tonnen - 13kg), 31. Oktober 1986
- Carillon Krankenhaus Henriettenstiftung Hannover, 49 Glocken, 1960, von Schilling, Heidelberg
- Carillon auf der Stadtpfarrkirche in Geisa, 48 Glocken, 2002
- Das Carillon im Turm des Neuen Rathauses der Stadt Chemnitz (Sachsen), 48 Glocken, 1978
- Carillon in Schloss Johannisburg (Aschaffenburg), 48 Glocken, 1969
- Glockenspiel am Magdeburger Rathaus, 47 Glocken 1974
- Carillon in Kassel, Karlskirche, 47 Glocken, 1957/1989
- Carillon im Kieler Kloster, 45 Glocken, 1999
- Glockenspiel der Christianskirche in Hamburg-Ottensen, 42 Glocken
- Carillon in der Nikolaikirche (Berlin), 41 Glocken, von Schilling, Waren
- mobiles Carillon in Rostock, 37 Glocken, 2004
- Carillon des Marktes Weilbach, 34 Glocken, 2006
- Glockenspiel am Fünfgiebelhaus am Universitätsplatz in Rostock, 32 Glocken, 1986
- Glockenspiel am Rathaus in Heidelberg, 26 Glocken, 1961
- Glockenspiel im Turm der St. Johannis-Kirche in Lößnitz im Erzgebirge, 23 Glocken, 1939, von Schilling in Apolda, Rollenspielapparat von M. Welte & Söhne
übriges Europa
- Glockenspiel der Kunstuhr im Straßburger Münster, 1382
- Das Salzburger Glockenspiel in Salzburg, 35 Glocken, 1702
- Glockenspiel am Innsbrucker Dom, 48 Glocken
- Glockenspiel im frei stehenden Turm in Lügumkloster, 49 Glocken, 1973
- Glockenspiel im Zisterzienser-Stift Heiligenkreuz, 37 Glocken, 1982
- Carillon in Loughborough (England), 47 Glocken, 1923
andere
- New York, Riverside Kirche: 74 Glocken (18.500 Kg) 1925-1930, Basisglockenton c
- Chicago, Universitätskapelle: 72 Glocken (17.300 Kg) 1932, Basisglockenton cis
- Washington, D.C.: Peter-Pauls-Kathedrale: 53 Glocken (10.900 Kg) 1963, Basisglockenton es
- Ottawa, Parlament, Friedensturm: 53 Glocken (10.150 Kg) 1927, Basisglockenton e
- Glockenspiel des Tower of the Apostles Kirk in Bloomfield Hills, Michigan, USA, 77 Glocken
Siehe auch
Literatur
- Buchner, Alexander: Vom Glockenspiel zum Pianola. Prag 1959
- Ellerhorst, Winfred: Das Glockenspiel. Kassel [1939]
- Price, Frank Percival: The Carillon. London 1933
- Schilling, Margarete: Glocken und Glockenspiele. Rudolstadt 1985
- Schilling, Margarete: Das Magdeburger Glockenspiel. Magdeburg 1979
Weblinks
- World Carillon Federation
- Deutsche Glockenspielvereinigung
- www.carillon-museum.nl
- klicksensitive Deutschlandkarte mit mehreren Glockenspielen
- Das Carillon der Stadtpfarrkirche Geisa
- Das Carillon im Olympiapark München
- Carillon Marktkirche Wiesbaden
- Glockenläuten und Totenglocken in der traditionellen Musik der Grafschaft von Nizza, Frankreich.
- http://www.henriettenstiftung.de/stiftung/carillon/car_unser.php Das Carillon der Henriettenstiftung Hannover
- http://www.architekt-hauck.de/inhalt/referenzen/carillon.php Entstehung des Carillons des Marktes Weilbach
- Karlskirche Kassel
- Deutschlands einziges transportables Glockenspiel befindet sich in Rostock.