Semantik

Lehre von der Bedeutung von Zeichen (Wörter, Phrasen, Sätze oder Symbole)
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Die Semantik (Bedeutungslehre aus gr. σημαίνειν sēmainein bezeichnen, anzeigen) ist das Teilgebiet der Sprachwissenschaft (Linguistik), das sich mit der Bedeutung sprachlicher Zeichen befasst. Als sprachliche Zeichen gelten alle Ausdrücke, die eine lautliche oder schriftliche (oder andere) Form mit einer Bedeutung verbinden. Die kleinsten Zeichen sind in diesem Sinne die Morpheme, die nächstgrößeren die Wörter bzw. Lexeme; es folgen die Satzglieder, Teilsätze, Sätze und Texte. Alle diese Einheiten erfüllen die Bedingungen für "Zeichen". Traditionell sind aber Morpheme und Wörter die Hauptgegenstände der linguistischen Semantik. Erst später ist etwa eine Satzsemantik dazu gekommen[1].

Gegenstand der Semantik ist eine Fülle unterschiedlicher Aspekte:

Sinn und Bedeutung

Die Unterscheidung zwischen "Sinn" und "Bedeutung" verdankt die Linguistik der Sprachphilosophie Gottlob Freges (1892). Hierbei bezeichnet nach Gottlob Frege

  • Sinn (bedeutungsähnlich mit Intension) den Inhalt, der sich aus den Relationen der Zeichen, Wörter, Sätze usw. untereinander im System der Sprache ergibt,
  • Bedeutung (bedeutungsähnlich mit Extension) den Inhalt, der sich aus der Relation zwischen Zeichen und Welt ergibt (Frege 1892).

Frege verdeutlicht die Unterscheidung am Beispiel des Begriffspaares Morgenstern und Abendstern, die beide dieselbe Bedeutung haben, da sie den Planeten Venus bezeichnen. Der Sinn der Ausdrücke sei jedoch offensichtlich unterschiedlich. Da diese Differenzierung nach heutigem Wortgebrauch nicht mehr leicht nachvollziehbar ist, wird inzwischen anstelle der Fregeschen Terminologie vorwiegend das Begriffspaar Bedeutung (Sinn) - Bezeichnetes verwendet, Sinn und Bedeutung also als synonym angesehen. Innerhalb der Semantik ist die Semasiologie die Lehre von den Wortbedeutungen. Die Bezeichnungslehre wird Onomasiologie genannt.

Freges Differenzierungen haben in der linguistischen Semantik eine große Resonanz gefunden. [2].

Formale Semantik

Hauptartikel: Formale Semantik

Eine wichtige, traditionelle Aufgabe in der Semantik ist es, Äußerungen in natürlicher Sprache in logische Formeln umzusetzen. Das bekannteste Verfahren stammt von Richard Montague. Kritikpunkt dabei aber ist, dass Bedeutungsnuancen verlorengehen können.

Ebenen

Die Semantik unterscheidet zwischen verschiedenen, aufeinander aufbauenden Ebenen:

  • Die lexikalische Semantik beschäftigt sich mit der Bedeutung von Wörtern wie auch der inneren Strukturierung des Wortschatzes insgesamt.
  • Die Satzsemantik untersucht, wie aus der Bedeutung einzelner Wörter durch ein festes Inventar an Verknüpfungsregeln die Bedeutung von größeren syntaktischen Einheiten Phrasen, Satzgliedern, Teilsätzen und ganzen Sätzen hervorgeht. Die Interpretation eines Satzes muss dabei auf einer Analyse seiner syntaktischen Struktur aufgebaut werden.
  • Die Textsemantik konzentriert sich auf die Analyse der Kombination von Sätzen als reeller oder hypothetischer Sachverhalte zu Erzählungs-, Beschreibungs- oder Argumentationszusammenhängen.
  • Die Diskurssemantik arbeitet auf der Ebene von Texten verschiedener Personen, die miteinander in Beziehung stehen (Diskussion, Unterhaltung, Lehrveranstaltung, Stammtisch).

Die Vermittlung zwischen den Ebenen der Semantik erfolgt bei Frege über das Fregesche Prinzip: Der Sinn eines komplexen Zeichens ist eine Funktion der Sinne seiner Bestandteile. Die Definition der verknüpfenden Funktionen ist eine der Hauptaufgaben der Semantik.

SINN(der Apfel ist rot) = f(SINN(der), SINN(Apfel), SINN(ist), SINN(rot))

Lexikalische Semantik

Hauptartikel: Lexikalische Semantik

Die Erforschung der Bedeutung von Wörtern ist traditionell das Hauptthema der linguistischen Semantik. Die Untersuchungen erfolgen unter verschiedenen Aspekten:

  • Aufbau der Bedeutung eines einfachen Wortes aus elementaren Bedeutungselementen (Semen); die Bedeutung eines Wortes lässt sich dann als eine bestimmte Konfiguration seiner Seme darstellen, die zusammen sein Semem bilden (Komponentenanalyse). Das Semem ist eine hierarchisch geordnete Struktur, bestehend aus den Semen des Wortes. Es sollte sich von dem eines bedeutungsverwandten Wortes in wenigstens einem Sem unterscheiden. Für das Wort "Truhe" hat Hundsnurscher (1970: 43) ein Analysebeispiel vorgeschlagen. [3]
  • Beitrag der Morpheme zur Bedeutung eines komplexen Wortes. Die Gesamtbedeutung einer Flexionsform eines Wortes, einer Ableitung oder eines Kompositums lässt sich oft nur z.T. aus der Bedeutung seiner morphologischen Bestandteile herleiten. Besonders bei älteren Bildungen spielen Lexikalisierungen eine große Rolle.
  • Die Stellung eines Wortes in einem Wortfeld. Hierbei geht es darum herauszufinden, worin genau ein bestimmtes Wort sich in seiner Bedeutung von anderen, bedeutungsähnlichen Wörtern unterscheidet.[4]
  • Die Bedeutungsbeziehungen, -relationen, die zwischen Wörtern bestehen: Antonymie, Homonymie, Hyponymie, Hyperonymie, Polysemie und Synonymie.

Funktionale Klassifizierung der Semantikbereiche

Die Bereiche der Semantik können weiterhin nicht nur nach verschiedenen Ebenen der Sprachstruktur klassifiziert werden, sondern auch nach dem Typ der Beziehung zwischen Sprache und Denken bzw. Sprache und Welt. Danach unterscheidet man drei Signifikanzaspekte der semantischen Theorie: kognitive Signifikanz, informationelle Signifikanz und pragmatische Signifikanz.

Der Begriff der kognitiven Signifikanz (engl. cognitive significance) bezieht sich auf die Beziehung zwischen Sprache und Denken. Demnach kann man eine sprachliche Mitteilung nur dann verstehen, wenn man durch sie auf die Rekonstruktion gedanklicher Strukturen ihres Senders kommt.

Semantische Theorien der informationellen Signifikanz (engl. informational significance) werden auch als referenzielle Theorien bezeichnet. In Anlehnung an Ferdinand de Saussure spielt hier die Beziehung zwischen dem sprachlichen Zeichen und seinem Referenten in einer möglichen Welt die Hauptrolle.

Die semantische Untersuchung der pragmatischen Signifikanz bezieht sich auf die Beziehung zwischen der linguistischen Bedeutung einer Äußerung und deren Bedeutung in einem bestimmten situativen Kontext. Dies ist auch der Untersuchungsgegenstand der Pragmatik.

Historische Semantik

Die Historische Semantik befasst sich mit Bedeutungswandel. Es lässt sich beobachten, dass die Bedeutung eines Wortes sich im Lauf der Zeit ändert. Zu den Formen des Bedeutungswandels gehören Bedeutungserweiterung und Bedeutungsverengung, Bedeutungsverbesserung und Bedeutungsverschlechterung.[5] Ein wesentlicher Forschungsansatz zur historischen Semantik ist ferner die Etymologie, die sich neben der Lautentwicklung auch mit der Bedeutungsentwicklung von Morphemen und Wörtern befasst.[6]

Die frühesten Arbeiten zur historischen Semantik stammen von Antoine Meillet, Wilhelm Wundt, Léonce Roudet und Jost Trier. Seit den 1950er Jahren galten Stephen Ullmanns Arbeiten als maßgeblich, bis Ende der 1990er Jahre und Anfang des 21. Jahrhunderts Andreas Blank, Peter Koch und Joachim Grzega die Historische Semantik aus der Sicht der Kognitiven Linguistik umfassend neu aufzustellen suchten[7].

Semantik in verschiedenen Disziplinen

Außer in der Sprachwissenschaft hat die Semantik auch in anderen Wissenschaftsbereichen einen festen Platz:

  • Die Semantik-Ebene der Semiotik baut auf der Sigmatik auf, indem Daten eine Bedeutung erhalten und dann als Nachricht bezeichnet werden. Im Unterschied zur linguistischen Semantik, die sich mit sprachlichen Zeichen befasst, werden hier auch natürliche oder technische Prozesse in ihrer Zeichenhaftigkeit und Interaktion analysiert.
  • In der Informationstheorie versteht man unter der Semantik einer Informationsfolge die Bedeutung dieser Informationsfolge. Eine reine Zufallsfolge hat keine Semantik (jedoch einen sehr hohen Informationsgehalt).
  • In der Logik und Informatik wird die Semantik als Bedeutungsaspekt von formalen Systemen und Sprachen verwendet. Diese Fachrichtung wird als Formale Semantik bezeichnet. Sie ist insbesondere in der Berechenbarkeitstheorie, der Komplexitätstheorie und zur Verifikation der Korrektheit von Computerprogrammen entscheidend.
  • Die soziologische Systemtheorie versteht unter Semantik den gesamten Wissensvorrat (das offizielle Gedächtnis bzw. grundlegende kulturelle Erbe) des Gesellschaftsystems, der dauerhaft, wiederverwendbar und sozial übergreifend zur Verfügung steht. Dabei beinhalten systemspezifische Semantiken jeweils sozial bedeutsame und bewahrenswerte Leitvorstellungen, die sich aus Standardisierungen des Empfindens, Denkens, Handelns und Redens ergeben haben.
  • Die Sprachphilosophie wurde lange Zeit nur als Semantik verstanden. Erst durch Wittgensteins Wirken im 20. Jahrhundert wurde die Pragmatik zu einem ebenso wichtigen Teil der Sprachphilosophie.

Literatur

  • Kurt Baldinger: Vers une sémantique moderne. Paris 1984.
  • Norbert Bischof: Struktur und Bedeutung, 1998, S.314-364: "Ultimate Systemanalyse II: Semantik", ISBN 3456830807 (Eine Einführung in die proximate und die ultimate Systemtheorie für Psychologen)
  • Andreas Blank: Prinzipien des lexikalischen Bedeutungswandels am Beispiel der romanischen Sprachen, Niemeyer, Tübingen 1997.
  • Gennaro Chierchia, Sally McConnell-Ginet: Meaning and Grammar. An Introduction to Semantics. Cambridge, Mass 2000
  • Eugenio Coseriu: Probleme der strukturellen Semantik. Tübingen 1975
  • Gottlob Frege: "Sinn und Bedeutung." In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, NF 100, 1892, S. 25-50. Auch in: Gottlob Frege: Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien. Herausgegeben und eingeleitet von Günther Patzig. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1962. S. 38-63.
  • Joachim Grzega: "Historical Semantics in the Light of Cognitive Linguistics: Some Aspects of a New Reference Book Reviewed", In: Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik 25 (2000): 233-244.
  • Joachim Grzega: Bezeichnungswandel: Wie, Warum, Wozu? Ein Beitrag zur englischen und allgemeinen Onomasiologie. Winter, Heidelberg 2004.
  • Peter Koch: "Lexical Typology from a Cognitive and Linguistic Point of View", in: D. Alan Cruse: Lexicology, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2002, vol. 1, 1142-1178.
  • Sebastian Löbner: Semantik: Eine Einführung. de Gruyter, Berlin 2003, ISBN 3-11-015674-1
  • John Lyons: Linguistic Semantics. Cambridge 1995 (1977)
  • John Lyons: Semantik. Band I. Beck, München 1980. ISBN 3-406-05272-X
  • John I. Saeed: Semantics. Blackwell Publishing, 2003, ISBN 0-631-22693-1
  • Arnim von Stechow, Dieter Wunderlich (Hrsg.): Semantik. Ein Internationales Handbuch. de Gruyter, Berlin 1991
  • Dieter Wunderlich: Arbeitsbuch Semantik. Athenäum, Königstein 1980
  • Michael Metzeltin: Theoretische und angewandte Semantik. Vom Begriff zum Text. Praesens Verlag, Wien 2007

Anmerkungen

  1. Peter von Polenz: Deutsche Satzsemantik. Grundbegriffe des Zwischen-den-Zeilen-Lesens. de Gruyter, Berlin/ New York 1985. ISBN 3-11-010209-9
  2. John Lyons: Semantik. Bd. I. Beck, München 1980, S. 187ff. ISBN 3-406-05272-X
  3. Franz Hundsnurscher: Neuere Methoden der Semantik. Eine Einführung anhand deutscher Beispiele. Niemeyer, Tübingen 1970. ISBN 3-484-25001-1
  4. Mehrere Beispiele dazu in: Gustav H. Blanke: Einführung in die semantische Analyse. Hueber, München 1973. S. 67ff.
  5. Harro Gross: Einführung in die germanistische Linguistik. 3., überarb. u. erw. Aufl. neu bearb. v. Klaus Fischer. Iudicium, München 1998. S. 111. ISBN 3-89129-240-6
  6. Elmar Seebold: Etymologie. Eine Einführung am Beispiel der deutschen Sprache. Beck, München 1981. ISBN 3-406-08037-5
  7. Vgl. dazu Blank 1998 (der auch einen umfassenden Forschungsüberblick gibt), Koch 2001, Grzega 2000 & 2004.

Siehe auch