Çatal Hüyük, korrekt Çatal Höyük (türk.: çatal = Gabel, Gabelung; höyük = Hügel), ist eine in der Türkei ausgegrabene Siedlung aus der Jungsteinzeit. Sie liegt knapp 40 km südöstlich der Stadt Konya auf der Hochebene Anatoliens und hatte etwa 5.000 bis 6.000 Einwohner.
Forschungsgeschichte
Entdeckt wurde die Siedlung in den späten 1950er Jahren. Zwischen 1961 und 1965 wurde von dem britischen Archäologen James Mellaart eine Fläche im Südwesten des Hügels ausgegraben. Er legte die Reste von über 160 Häusern frei. Die Grabungsarbeiten waren begleitet von der türkischen Regierung, die Mellaart in den Sechziger Jahren die Grabung untersagte, nachdem er für Catal Höyük eine frauendominierte Gesellschaft feststellte. Nach 30 Jahren Grabungsstopp durften die Grabungen 1993 unter Leitung von Ian Hodder, Stanford, Surveys, unter unbekannten Bedingungen fortgesetzt werden. Hodder arbeitete in dem alten Schnitt Mellaarts, einem neuen Schnitt im Norden des Hügels, auf dem chalkolithischen Westhügel und einem Schnitt an der Nordkante des Hügels (KOPAL, „Konya-Plain palaeoenvironmental project“). Wegen seines außerordentlichen Alters, seiner Größe, der Wandmalereien und sonstiger Kunst innerhalb der Häuser wurde Çatal Höyük schnell weltweit berühmt und galt bis zur Entdeckung von Göbekli Tepe als das Superlativ der urgeschichtlichen Archäologie.
Datierung
Mellaart definierte 14 Schichten, 0-XII (VI in A und B unterteilt). Nach 14C-Daten bestand die Siedlung von 7400/7100 bis 6500/6300 cal BC. Es existieren auch Dendrodaten, die aber bisher nicht in eine durchgehende Kurve eingepasst werden konnten.
Mellaart versuchte die Dauer der Schichten auch durch die Zahl der Putzschichten in den Häusern zu ergründen. Er nahm an, dass der Putz jährlich erneuert wurde.
Schicht | Zahl der Putzschichten |
---|---|
II | 50-60 |
III | 40 |
IV | 40 oder weniger |
V | 50 |
VI A | 60 und mehr |
VI B | 100-120 |
VII | 120 |
Nach neueren 14C-Daten scheint dieser Zeitrahmen aber zu lang zu sein.
Bedeutung
Kultur
Erste Besiedlungsanzeichen von Çatal Höyük deuten auf 7400 v. Chr.. Nach jetzigem Forschungsstand war sie vor 8.000 Jahren die größte Siedlung der Welt mit bis zu 10.000 EinwohnerInnen. Das Besondere an diesem Ort sind nicht nur die Bildnisse: In ihrer Zahl und Vielfalt überwältigende Darstellungen einer weiblichen Göttin, manchmal als Große Göttin oder Magna Mater (lat. „große Mutter“) bezeichnet, Bukranien und Wandreliefs, die das Leben einer Kultur am Übergang von einer Sammlerinnen- und Jägerkultur hin zu einer seßhaften Erntekultur zeigen. Der Grundriss der Siedlung ist für damalige Zeit innovativ. Die Häuser standen alle wie Bienenwaben dicht an dicht (vergl. Pueblos in Nordamerika). Gassen, Durchgänge, Straßen und Plätze fehlten ganz. Es gab auch keine Türen und Fenster an den Häusern. Man stieg über eine Leiter aufs Dach und von dort durch eine Luke ins Haus.
Durch die Bauweise und ohne effiziente Belagerungstechnik erübrigte sich auch eine „Stadtmauer“. Allerdings waren die bewaffneten Männer der Stadt, die auf einigen Bildern als Jäger mit Speeren abgebildet sind, schon aufgrund ihrer Zahl für umherziehende Sammler- und Jägergruppen selbst im Stammesverband unangreifbar. Konkurrierende Siedlungen, die eine vergleichbare Kriegerzahl hätten aufbieten können, sind nicht bekannt. In Çatal Höyük wurden Kugeln aus Ton gefunden, die wahrscheinlich Schleudergeschosse sind, sowie Darstellungen von Menschen mit Schleudern[1].
Gesellschaft
Diese gravierenden Unterschiede zum urbanen Bild des allerdings viel späteren Uruk etc. machen deutlich, dass die Siedlung eine ganz andere Sozialstruktur als die späteren Städte hatte. Allem Anschein nach gab es in Çatal Höyük keine nach der herrschenden Lehre für patriarchale Städte kennzeichnenden zentralen Einrichtungen wie Palast, Tempel in einem Regierungsviertel und Stadtmauer. Die Definition von Stadt muss daher eine Neudefinition erfahren.
Die Gesellschaft funktionierte matrilinear und matrilokal und stand damit noch in der Hominiden-Tradition des Paläolithikums, wie es auch Vergleiche mit der uns nächstverwandten Primatenart, dem Bonobo evident machen. Sie war also noch nicht das Ergebnis einer willkürlichen Organisation, eines irgendwie gearteten -ismus, sondern folgte noch der natürlichen Lebensweise der Hominiden, die nur ihre Mutter und Geschwister, aber noch nicht ihren Vater kannten. Der Zusammenhang zwischen geschlechtlichem Verkehr und Geburt - die biologische Elternschaft - war aber dennoch in Çatal Höyük bereits erkannt, wie zahlreiche Bildnisse belegen. Trotzdem hatte der Mann noch nicht die Heiligkeit der Frau im Kult erreicht, wie sie in der Großen Mutter ausgedrückt war. Die Gesellschaft trug daher zusätzlich noch das Merkmal matrifokal. Als Erfinderin der Landwirtschaft hatte die Frau noch einen Vorsprung. Es gab in Çatal Höyük keinen männlichen Gott, der Mann identifizierte sich aber bereits mit dem Stier, den er noch zu jagen pflegte. Çatal Höyük stellt damit einen Eckpfeiler in der schleichenden Entwicklung hin zum Patriarchat des ausgehenden Neolithikums dar.
Funde
Hier wurde im Jahre 1963 auch die bisher älteste kartographische Darstellung in der Menschheitsgeschichte gefunden; selbst die inneren Strukturen der Gebäude, die sich ohne jeden Zwischenraum aneinander fügen, sind mit Haupt- und Nebenräumen angedeutet. Die Wandmalerei zeigt die Siedlung um 6200 v. Chr. mit ihren Häusern und dem Doppelgipfel des Vulkans Hasan Dağı.
Mellaart fand weiter
- eine kleine Reliefplastik von ca. 12x12cm Größe mit der Darstellung zweier sich umarmender erwachsener Personen und eines Kindes im Arm einer weiteren erwachsenen Person, die er als erste Darstellung der Heiligen Hochzeit deutete: Ein Paar in sexueller Vereinigung sowie eine Frau mit dem "Produkt" derselben.
- eine Kleinplastik (ca. 15 cm hoch) einer sitzenden Frau auf einem thronartigen Sitz, der von zwei Feliden flankiert wird. Die Frauendarstellung gehört zum Typ der sogenannten Fat Ladies. Sie wurde als "Große Göttin auf dem Leopardenthron" bekannt.
Ian Hooders Team fand 2005 ein Siegel mit der Abbildung eines Bären (ca. 4x7cm). Das "Bärensiegel" wird mit den Großreliefs in einigen Häusern verglichen, die die Große Göttin in Gebärhaltung zeigen. Möglicherweise stellen die betreffenen Reliefs, deren Köpfe sämtlichst verloren gegangen sind, die Bärengöttin dar, die auch für das neolithische Südosteuropa mit zahlreichen Plastiken belegt ist.
Matriarchat
In der Matriarchatsforschung ist Çatal Höyük ein viel zitiertes Beispiel für eine matriarchale Kultur, in der die Geschlechter gleichberechtigt waren.
Siehe auch Geschichte der Türkei
Literatur
- Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hrsg.): Die ältesten Monumente der Menschheit. Vor 12.000 Jahren in Anatolien, Begleitbuch zur Ausstellung im Badischen Landesmuseum vom 20. Januar bis zum 17. Juni 2007. Theiss, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-8062-2072-8.
- MediaCultura (Hrsg.): Die ältesten Monumente der Menschheit. Vor 12.000 Jahren in Anatolien. DVD-ROM. Theiss, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-8062-2090-2.
- James Mellaart: Çatal Hüyük - Stadt aus der Steinzeit. Bergisch Gladbach 1967.
- Heinrich Klotz: Die Entdeckung von Çatal Höyük - Der archäologische Jahrhundertfund. München 1997. ISBN 3406432093
- Klaus-Dieter Linsmeier, Klaus Schmidt: Ein anatolisches Stonehenge. in: Spektrum der Wissenschaft - Spezial. Spektrumverlag, Heidelberg 2003,2, S.10-15. ISSN 0943-7996(?!?!) ISBN 3936278350
- Ian Hodder: Excavating Çatalhöyük: South, North and Kopal area reports from the 1995-1999 seasons. McDonald Institute for Archaeological Research, 2006, Çatalhöyük Research Project 3.
- Ian Hodder: Çatalhöyük: the leopard's tale : revealing the mysteries of Turkey's ancient 'town'. London : Thames & Hudson, 2006.
- Ian Hodder: Inhabiting Çatalhöyük: reports from the 1995-99 seasons. (Cambridge: McDonald Institute for Archaeological Research ; London: British Institute of Archaeology at Ankara 2005), BIAA monograph 38.
Weblinks
- Irene Fleiss: Unsere Welt – Çatal Hüyük (matriarchat.net, mit Karte)
- Distelfliege: Catal Hüyük (Zusammenfassung)
- Gabriele Uhlmann: Kennst Du Çatal Höyük? (openbook, umfassende Arbeit)
- ZDF: Totenkult in Çatal Hüyük – Metropole der Jungsteinzeit (TV-Doku 2004, Programmtext)
- Bernhard Brosius: Von Cayönü nach Catal Hüyük – Entstehung und Entfaltung einer egalitären Gesellschaft (München 2004, archäologische Belege)
- Çatalhöyük Homepage (engl., offizielle Website des Grabungsteams)