Geistige Behinderung
Geistige Behinderung ist eine Minderung oder Herabsetzung der maximal erreichbaren Intelligenz. Die "International Classification of Diseases" (ICD-10) bezeichnet dieses Phänomen als "Intelligenzminderung" (F70-79). Im Gegensatz dazu wird mit Demenz der Verlust einer einmal besessenen Fähigkeit bezeichnet. Synonyme für geistige Behinderung sind Oligophrenie und Schwachsinn. Dabei ist Schwachsinn eine deutlich pejorativ gefärbte Bezeichnung, die trotzdem etwa noch im Strafgesetzbuch gebraucht wird. Die alten psychiatrischen Fachausdrücke Debilität , Imbezillität und Idiotie (s.u.) wurden von Laien häufig als Schimpfwörter missbraucht und sollten daher nicht mehr benutzt werden.
Bei der geistigen Behinderung ist nicht nur die maximal erreichbare Intelligenz, sondern auch das Anpassungsvermögen, die soziale und emotionale Reife und das Abstraktionsvermögen beeinträchtigt.
Hinsichtlich der Ursachen unterscheidet man:
- endogene Intelligenzminderungen, beruhend auf erblicher Grundlage (z. B. Down-Syndrom)
- exogene Intelligenzminderungen, beruhend auf erworbenen cerebralen Schädigungen (z.B. durch Unfall, Strahlung, Gehirn-/Hirnhautentzündungen, Rauchen oder Alkohol während der Schwangerschaft).
Geistige Behinderung ist häufig mit anderen Symptomen verbunden (z. B. Autismus, Missbildungen des Gehirns, Lernstörungen). In diesem Fall spricht man von Komorbidität.
Geistige Behinderung beeinflusst nicht die Fähigkeit, Gefühle wie z. B. Freude zu empfinden.
Einteilung
Man unterscheidet bei der geistigen Behinderung vier Schweregrade:
Lernbehinderung (auch: Grenzdebilität, geringe Intelligenz)
Die Lernbehinderung (auch: Grenzdebilität) mit einem IQ zwischen 70 und 89 wird in der ICD-10-Codierung nicht gesondert aufgeführt. Die Betroffenen lernen langsamer und haben Schwierigkeiten, sich den Lernstoff in der Schule anzueignen. Im allergünstigsten Fall können sie sogar eine Fremdsprache erlernen, dies erfordert aber viel Anstrengung und Abstraktionsvermögen.
Leichte geistige Behinderung
oder leichte Intelligenzminderung, ICD 10 F70, auch "Debilität", IQ zwischen 50-69, das maximal erreichbare Intelligenzalter beträgt 15 Jahre. Intelligenzminderung geringer Ausprägung führt zu Schwierigkeiten im Aneignen von Kenntnissen sowie beim Handeln und Denken (bedingt durch Konzentrationsstörungen oder Gedächtnisschwäche), beschränktes Interesse und eine verzögerte intellektuelle Reife. Betroffene sind schulbildungsfähig, meist allerdings nur in Sonderschulen.
Mittelgradige geistige Behinderung
oder mittelgradige Intelligenzminderung, ICD 10 F71, IQ zwischen 35-49, das maximal erreichbare Intelligenzalter beträgt 6 Jahre. Da die Kinder nicht lesen und schreiben lernen können, sind sie nicht schulbildugnsfähig, wohl aber förderungsfähig (lebenspraktisch bildbar).
Mittelgradige und schwere geistige Behinderung wurden früher auch als "Imbezillität" bezeichnet.
Schwere geistige Behinderung
oder schwere Intelligenzminderung, ICD 10 F72, IQ zwischen 20-34, das maximal erreichbare Intelligenzalter beträgt 3 Jahre. Da betroffene Menschen nicht lesen oder schreiben lernen können, sind sie nicht schulbildungsfähig, wohl aber förderungsfähig (lebenspraktisch bildbar).
Mittelgradige und schwere geistige Behinderung wurden früher auch zusammenfassend als "Imbezillität" bezeichnet.
Schwerste geistige Behinderung
oder schwerste Intelligenzminderung, früher "Idiotie", ICD 10 F73, IQ unter 20, das maximale erreichbare Intelligenzalter beträgt 9 Monate. Dauernde Hilfe zur Bewältigung des Alltags ist notwendig, es besteht Pflegebedürftigkeit, die Betroffenen sind meistens inkontinent und können teilweise nicht gehen. Die Betroffenen wissen zum Beispiel nicht, wie sie heißen.
Intelligenztest
Der Schweregrad der Intelligenzminderung / geistigen Behinderung wird mit Hilfe standardisierter Intelligenztests festgestellt.
Als Durchschnitt wird ein Intelligenzquotient von 100 angenommen. Zwischen der normalen Intelligenz und der geistigen Behinderung ist noch die Lernbehinderung angesiedelt mit einem IQ von 70 bis 89.
Beschreibung | IQ | Grad der Behinderung |
Grenzfall gilt als Lernbehinderung | 70 - 89 | I. Grad: Debilität |
gering | 69 - 50 | |
mäßig | 49 - 35 | II. Grad: Imbezillität |
schwer | 34 - 20 | |
sehr schwer | 19 - 0 | III. Grad: Idiotie |
Ist die Durchführung eines Intelligenztests nicht möglich, werden andere Tests durchgeführt (zum Beispiel selbstständiges Essen und Trinken, Arbeitsproben, selbstständiges Ankleiden).
Kritik am Intelligenztest
Diese starre Sichtweise ist heute allerdings sehr umstritten. Mittlerweile ist sie einer individuellen Einzelfallbeschreibung im Rahmen einer systemischen Analyse der Mensch-Umfeld-Verhältnisse gewichen.
Im Bereich des Schulwesens spricht man nicht mehr von Menschen mit einer geistigen Behinderung, sondern ermittelt den individuellen sonderpädagogischen Förderbedarf, damit eine einseitige Stigmatisierung vermieden wird. Aufgrund dieser Erkenntnisse wird der optimale Förderort für jeden Schüler gesucht. Dies kann eine Förderschule mit spezifischem Schwerpunkt, ein Förderzentrum oder die Regelschule sein. Bildungsziel an allen Förderorten für den Menschen mit einer Behinderung ist das Erlangen größtmöglicher Autonomie und Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben.
Unterbringung und Wohnmöglichkeiten
Menschen mit leichter und auch mittelgradiger geistiger Behinderung können durchaus selbständig am Leben in der Gesellschaft teilhaben, z.B. durch Besuch der Regelschule, Arbeiten etc.. Dabei wird auch ein gewisses Maß an Unabhängigkeit erreicht. Mit zunehmendem Schweregrad der Behinderung wächst auch der Bedarf an Unterstützung in allen Lebensbereichen. Bei schwerster Behinderung können Mobilität, Kontinenz oder Kommunikation bis hin zur erheblichen Pflegebedürftigkeit beeinträchtigt sein.
Menschen mit geistiger Behinderung werden i.d.R. nicht mehr in Anstalten, Krankenhäusern oder gar in "Irrenhäusern" untergebracht, was früher zur Ausgrenzung und regelmäßig zu Symptomen wie Hospitalismus führte. Moderne Wohnformen sollen nur die jeweils notwendige Unterstützung bieten und die Autonomie fördern, so etwa das Betreute Wohnen in der eigenen Wohnung oder der Wohngemeinschaft, oder das Wohnheim für behinderte Menschen mit engmaschiger Betreuung.
Mittlerweile gibt es integrative Therapieprogramme wie zum Beispiel die Alsterdorfer Anstalten in Hamburg, wo geistig Behinderte und Gesunde in einer Dorfanlage zusammen leben. Von Geel aus (im Nordosten Belgiens) verbreitet sich die Unterbringung von geistig Behinderten und psychisch Kranken in Pflegefamilien. Seit einiger Zeit gibt es solche integrativen Therapiemodelle wie in Geel auch in Deutschland, in der Schweiz und in Frankreich.
Rechtslage von Menschen mit geistiger Behinderung
Menschen mit leichter geistiger Behinderung ("Debilität") können durchaus am bürgerlichen Leben teilnehmen. Wenn sie volljährig sind, können die Eltern für sie die Bürgerrechte (Wahlrecht etc.) beantragen. Voraussetzung dafür ist eine gewisse Einsichtsfähigkeit in die eigenen Fähigkeiten.
Seit 1992 (?) sind zwangsweise Sterilisationen von Menschen mit geistiger Behinderung (wie früher zum Beispiel in der Nazi-Zeit üblich) in Deutschland verboten. Ohne Zustimmung der Eltern dürfen Kinder nicht mehr sterilisiert werden. Dies wäre eine Körperverletzung.
Menschen mit leichter geistiger Behinderung dürfen durchaus heiraten und eine Familie gründen.