Gesundheitswesen in der Schweiz

Überblick über des Gesundheitswesen in der Schweiz
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Überblick

Wichtigste offizielle Informationsquellen zum Gesundheitswesen in der Schweiz sind das Bundesamt für Gesundheit, das Bundesamt für Statistik und das Schweizerische Gesundheitsobservatorium obsan (beide in Neuenburg).

a) Krankheit

In der Schweiz ist jeder Einwohner (d.h. Einheimische und aufenthaltsberechtigte Ausländer) obligatorisch für die Behandlungskosten bei Krankheit versichert (KVG, Krankenversicherungsgesetz). Die Zahlung der Prämie ist aber Sache des Versicherten. Mit den EU-Staaten bestehen Verträge, die die gegenseitige Übernahme der Behandlungskosten bei Notfällen regeln. Als Versicherungsnachweis dient das "Formular E111", das man in allen EU-Staaten und der Schweiz vom Krankenversicherer beziehen kann.

Die Krankenversicherungen sind privatwirtschaftliche Unternehmen, es gibt keine staatliche Krankenkasse. Jede Krankenkasse ist aber gesetzlich verpflichtet, jeden in die Grundversicherung aufzunehmen, der einen entsprechenden Antrag stellt und im Tätigkeitsgebiet der Kasse Wohnsitz hat. Der dadurch möglicherweise entstehende Wettbewerbsnachteil von Kassen, die mehr ältere und/oder kranke Mitglieder haben, wird mit einem speziellen Fonds nur teilweise ausgeglichen. Für die Zusatzversicherung (d.h. alle Leistungen, die über die gesetzliche Grundversicherung hinausgehen) sind die Kassen hingegen frei, welche Verträge sie mit wem abschliessen wollen. Sie können die Prämien frei festlegen und Interessenten abweisen. Dachverband der Krankenversicherer ist Santésuisse. Die Schweiz ist nach den USA das Pionierland der Managed Care. Schon 1990 wurde die erste Health Maintenance Organization (HMO) gegründet; weitere folgten später. Dazu kommen immer mehr Hausarztmodelle.

Die Finanzierung der staatlichen Krankenhäuser erfolgt einerseits durch Bezahlungen der Behandlungen, andererseits durch Zuschüsse der Kantone oder Gemeinden. Wegen dieser teilweisen kantonalen Finanzierung verlangen alle staatlichen Krankenhäuser von Einwohnern des Standortkantons niedrigere Taxen als von Auswärtigen. Wegen dieser unterschiedlichen Kosten deckt die gesetzliche Grundversicherung jeweils nur die Behandlung in der allgemeinen Abteilung in einem Krankenhaus im Wohnkanton. (Ausnahmen gelten in Notfällen und da, wo eine bestimmte Leistung im Wohnkanton gar nicht angeboten wird, wie z.B. Herzchirurgie oder Neurochirurgie, die auf Zentren beschränkt ist). Dachverband der Schweizer Krankenhäuser ist H+. Die Pflegenden sind im Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK zusammengeschlossen [1]

Die Finanzierung der Privatkrankenhäuser erfolgt dagegen in der Regel nur aus den Behandlungstaxen, die deswegen markant höher sind als die in den allgemeinen Abteilungen der staatlichen Krankenhäuser. Die gesetzliche Grundversicherung deckt deswegen die Behandlung in Privatkliniken nicht.

Ambulante Behandlungen dagegen werden von der Grundversicherung in der ganzen Schweiz und bei jedem zugelassenen Leistungserbringer gedeckt. Dies sind neben freipraktizierenden (niedergelassenen) Ärzten auch Ambulatorien der staatlichen und privaten Krankenhäuser. Dachverband der Ärzte ist die FMH (Foederatio Medicorum Helveticorum, Vereinigung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte).

b) Unfälle

Für Behandlungskosten bei 'Unfällen' ist jede(r) Angestellte obligatorisch versichert (UVG, Unfallversicherungsgesetz). Es gibt einerseits eine staatliche Unfallversicherung (SUVA, Schweizerische Unfallversicherungs-Anstalt), andererseits bieten auch die meisten privaten Versicherungskonzerne Unfallversicherungen nach UVG an. Es ist Sache des Arbeitgebers, alle Angestellten zu versichern, wobei je nach Pensum nur Unfälle während der Arbeit oder auch Unfälle in der Freizeit versichert werden müssen. Die Prämien für Betriebsunfälle werden nur vom Arbeitgeber getragen. Die Prämien für Freizeitunfälle dagegen werden vom Arbeitnehmer getragen. Wer nicht angestellt ist und auch keine private Unfallversicherung möchte, kann sich bei der Krankenkasse gegen Unfälle zusätzlich versichern lassen.

c) Zahnarzt

Zahnarztbehandlungen werden von den Krankenkassen nicht getragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Man kann privat eine Zahnarztversicherung abschliessen, aber diese ist sehr teuer und wird nur selten genutzt.

Daten zur Gesundheit und zu den Kosten

Beschäftigte im Gesundheitswesen, 2002: 437000 oder 5970 pro 100000 Einwohner
Davon Ärzte: 14408 oder 197 pro 100000 Einwohner
Krankenhäuser: 572 oder 8 pro 100000 Einwohner.
Kosten pro Behandlungstag im Krankenhaus durchschnittlich: 906 Franken.
Kosten gesamtes Gesundheitswesen 2001: 46 Milliarden Franken, 21% mehr als 1996.
Lebenserwartung bei der Geburt: 82.8(f) bzw. 77.2(m) Jahre.
Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren: 20.9(f) bzw. 17.1(m) Jahre.
Säuglingssterblichkeit 5 von 1000 Knaben, 4 von 1000 Mädchen

Todesursachen (von insgesamt ca. 62500 Todesfällen im Jahr 2000):

  • Herz/Kreislauf 40%
  • Krebskrankheiten 26%
  • Unfälle und Gewalt 3.8%
  • Suizide 2.2%

Unfälle 2001

  • Strassenverkehr: 75300
  • Sport: 284500
  • Zuhause 166300

Kosten des Gesundheitswesens nach Leistungen, 2001, in Mio Fr.

Stationäre Behandlung (inkl. Medikamente) 21805

- Akut, inkl. Psychiatrie 13064

- Langzeit 5579

- Andere (inkl. Rehabilitation) 3162

Ambulante Behandlung 13691

- Ärzte (ohne Medikamente) 6476

- Spitäler 2431

- Zahnärzte 2930

- Physiotherapeuten 612

- Psychotherapeuten 158

- Spitex 936

- Andere paramedizinische Leistungen 150

Andere Leistungen (1) 2406

Arzneimittel (2) 4895

- Apotheken und Drogerien 3399

- Verkauf durch Ärzte 1496

Prävention 1063

Verwaltung 2270

Total 46130

(1) Laboruntersuchungen,Radiologie, therapeutische Apparate, Transport und Rettung

(2) Kosten bei den Sozialversicherungen, inkl. Privatversicherungen und bei den Privathaushalten


Kostenvergleich des Gesundheitswesens, 2002, in % des BIP

  1. USA: 14.6% des BIP (Bruttoinlandsprodukt)
  2. Schweiz: 11.2%
  3. Deutschland: 10.9%
  4. Frankreich: 9.7%
  5. Italien: 8.5%
  6. Grossbritannien: 7.7%

Kostenvergleich 2002, in kaufkraftbereinigten US-Dollars

1. USA 5267

2. Schweiz 3446

3. Norwegen 3409

4. Luxemburg 3065

5. Kanada 2931

6. Deutschland 2817

7. Island 2807

8. Frankreich 2736

9. Niederlande 2643

10.Dänemark 2583

Rangliste der Gesundheitssysteme (WHO 2000)


1. Frankreich

2. Italien

3. San Marino

4. Andorra

5. Neuseeland

6. Singapur

7. Spanien

8. Oman

9. Österreich

10.Japan

...

20. Schweiz

(Verglichen wurden 191 Staaten, s. WHO, "The World Health Report 2000", Genf, 2000)

Finanzierung

In der Schweiz wird bei Angestellten die Prämie der Unfallversicherung direkt vom Lohn abgezogen und ist in der Höhe vom Lohn abhängig. Der Prozentsatz hängt von der Branche ab. Die Krankenkasse hingegen muss jeder selbst bezahlen und die Höhe der Prämie ist nicht vom Lohn abhängig, sondern wird von der Krankenkasse nach Genehmigung durch das Bundesamt für Gesundheit BAG festgelegt. Personen mit niedrigem Einkommen bekommen allerdings einen staatlichen Zuschuss zu den Prämien.

Von den gesamten Kosten des Gesundheitswesens werden rund 2/3 direkt oder indirekt durch die Privathaushalte und nur noch 17% durch die öffentliche Hand getragen.

Zusätzlich zahlt jeder erwachsene Patient die ersten 300 Franken an Arzt- und Krankenhausrechnungen pro Jahr selbst. Diese so genannte Franchise kann man freiwillig auf bis zu 1500 Franken (2500 Franken ab 2005) pro Jahr erhöhen, und bekommt dafür eine gewisse Prämienermässigung. Dazu kommen 10% jeder ambulanten Behandlung, die der Patient ebenfalls selber zahlen muss (Selbstbehalt).

In der Schweiz ist der Anteil der nicht durch Versicherungen bezahlten Ausgaben hoch: gemäss OECD-Zahlen betragen die "Out-of-pocket-Zahlungen" pro Einwohner 1'085$ (kaufkraftbereinigt). Das entspricht 31,5% der Gesamtausgaben. So hoch ist die Selbstzahlerbelastung in keinem anderen OECD-Land, nicht einmal in den USA (737$).

Kostenexplosion und Sparmassnahmen

Wie in den meisten westllichen Ländern ist auch in der Schweiz die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen ein Dauerthema mit wechselnden Schuldzuweisungen und immer neuen Ideen, wie man die Trendwende herbeiführen könne. Nicht ohne Ironie ist dabei, dass häufig US-amerikanische Rezepte ins Feld gebracht werden (ungeachtet der Tatsache, dass das amerikanische Gesundheitssystem ja weltweit das einzige ist, das noch teurer ist als das der Schweiz - und das mit wesentlich schlechterem sozialem Standard), oder dass das deutsche System der Finanzierung aus Lohnprozenten als Vorbild gepriesen wird, während umgekehrt deutsche Gesundheitspolitiker immer mal wieder das Schweizer System der Kopfprämien vorschlagen.

Tatsache ist, dass sich der Staat in den letzten Jahren aus der Finanzierung vor allem der Spitäler leicht zurückgezogen hat, so dass die Krankenkassen einen immer höheren Anteil übernehmen müssen, was sich wiederum in schmerzhaft steigenden Prämien niederschlägt, deren Anstieg weit über dem Anstieg der eigentlichen Gesundheitskosten liegt. Tatsache ist auch, dass der Gesundheitssektor einer der wichtigsten Arbeitgeber des Landes ist (allein in den Spitälern arbeiten 150000 Menschen), so dass Einsparungen im Gesundheitswesen durch Stellenabbau teilweise zu einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen - und damit indirekt wiederum einem Anstieg der Krankheitskosten - führen können.

Tatsache ist sicher auch, dass die Gesundheitskosten in den letzten Jahrzehnten schneller angestiegen sind als die allgemeine Teuerung, schneller auch als das Brutto-Inlandprodukt BIP. Wenn dieser Trend sich fortsetzt, sind Finanzierungsprobleme in der Tat zu erwarten - spätestens dann, wenn die Kosten des Gesundheitswesens 100% des BIP überschreiten ...

Die Gründe für diesen Anstieg sind Gegenstand heftiger Diskussionen. Genannt werden der Fortschritt, die Alterung, unterentwickelte Prävention, ungenügende Qualitätssicherung, der Föderalismus ("26 Gesundheitswesen"), mangelnde Koordination, falsche Finanzanreize, die Macht der Interessenverbände, die Kommerzialisierung, die gestiegene Anspruchshaltung der Konsumenten und der Leistungserbringer, hohe Arzt- und Zahnarzteinkommen, das "Wettrüsten" der Krankenhäuser im Konkurrenzkampf, zu hohe Medikamentenpreise, zu geringe Verwendung von Generika, die zu hohe Arzt-, Spital- und Gerätedichte sowie unnötige Operationen, Untersuchungen, Medikamente, Arztbesuche und zu lange Krankenhausaufenthalte. Zudem hängt die Höhe der Gesundheitsausgaben gemäss vielen internationalen Vergleichen auch stark vom Wohlstand (Bruttoinlandprodukt pro Einwohner) ab.

Die politischen Gegenmassnahmen konzentrierten sich bisher vor allem auf die Krankenhäuser und die freipraktizierenden Ärzte. Beispielsweise ist aktuell (seit 2002) ein Zulassungsstop in Kraft, der bewirkt, dass grundsätzlich keine neuen Praxen mehr erlaubt werden.

Weitere diskutierte Massnahmen sind die Aufhebung des Vertragszwangs (Versicherungen sollen nur noch die ihnen genehmen Ärzte bezahlen müssen), die Förderung von HMOs (Health Maintenance Organizations), Hausarztmodellen und Gemeinschaftspraxen, die Einführung einer Einheitskasse statt der rund 90 Krankenversicherer, eine "Altersguillotine" für Mediziner, strengere Zulassungsbestimmungen, Qualitätszertifizierung und die Aufhebung oder Einschränkung der sog. Selbstdispensation (direkter Verkauf von Medikamenten durch freipraktizierende Ärzte, wie er in der Schweiz in einem Teil der Kantone noch gestattet ist). Dazu kommen auf Patientenseite eine Erhöhung der Franchise und des Selbstbehalts sowie eine Reduktion des Grundleistungskatalogs. Weiter werden Krankenhaus-Finanzierungssysteme eingeführt, welche die Kosten eindämmen sollen (Fallpauschalen/DRG). Bei den Medikamenten stehen die Förderung der Generika und Parallelimporte im Vordergrund. In der Schweiz sind zudem Versandapotheken und Mehrfachbesitz von Apotheken zugelassen. Kaum von Sparmassnahmen betroffen ist die Zahnmedizin (die ja nicht von der sozialen Krankenversicherung finanziert wird).

Tarife

Die Preise ärztlicher Behandlungen sind strikt reglementiert. In den letzten Jahren wurde ein schweizweit gültiges Tarifwerk (Tarmed) entwickelt, das jeder medizinischen Leistung eine gewisse Zahl von "Taxpunkten" zuordnet. Damit wären theoretisch Arztrechnungen in der ganzen Schweiz gleich. Allerdings wurde der Taxpunktwert je nach Kanton unterschiedlich festgelegt, so dass ein- und dieselbe Behandlung beispielsweise im Thurgau viel billiger ist als in Genf oder Zürich. Oder umgekehrt, dass ein Arzt für ein und dieselbe Arbeitsleistung in Genf oder Zürich deutlich mehr verdient als im Thurgau oder in Schaffhausen. Diese Unterschiede werden mit den unterschiedlichen Einkommen, Kostenstrukturen, Ärztedichten und Mentalitäten in den Kantonen begründet.

Da die Kosten nicht nur durch die Preise, sondern noch mehr durch die Mengen bestimmt sind, lässt sich die Kostenentwicklung durch Tarife allein nicht eindämmen. Die Regulierung der Preise muss durch eine gewisse Regulierung der Mengen ergänzt werden.

Siehe auch

Gesundheitspolitik, Schweiz, Krankenhaus, Krankenversicherung, Föderalismus, Medikament, Generika, Arzt, Kanton (Schweiz)

Weblinks

Literatur

- Gerhard Kocher/Willy Oggier (Hrsg.): Gesundheitswesen Schweiz 2004-2006 - Eine aktuelle Übersicht. Verlag Hans Huber, Bern, 2004, 336 S., € 22.95. ISBN 3-456-84080-2.

- Krankenversicherung und Gesundheitswesen - wie weiter? (Hrsg. Daniel Biedermann u.a.). Verlag Hans Huber, Bern, 1999, 237 S. ISBN 3-456-83203-6.

- Panorama Gesundheit - Die Schweiz im internationalen Vergleich. Schweizerisches Gesundheitsobservatorium obsan, Neuenburg, 2003.