Untergang des Römischen Reiches

Thema der Altertumswissenschaften
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Der Untergang des Römischen Reiches ist das wohl meistdiskutierte Thema der Altertumswissenschaft. Es geht um die Gründe für den Fall des Römischen Reiches, wobei höchst unterschiedliche Theorien entworfen wurden. Im folgenden kann das komplexe Thema nur skizziert werden.

Phantasiedarstellung aus dem 19. Jh. von der Plünderung Roms durch die Vandalen 455

Ältere Forschungsmeinung

In der älteren Forschung gab vor allem Edward Gibbon den Ton an. In seinem fulminanten Werk The History of the Decline and Fall of the Roman Empire postulierte Gibbon die Meinung, Rom sei vor allem an strukturellen Schwächen untergegangen. Dabei gab er zu einem nicht geringen Teil dem Christentum die Schuld. Dieses habe die alten Kräfte des Römischen Reiches geschwächt. Er schloss sich auch der Dekadenztheorie Montesquieus an, während seine Christentum-Theorie den Ideen Voltaires folgen.

Noch im 19. Jahrhundert gab man dem Christentum und dem äußeren Druck durch die Germanen die Schuld am Fall Roms. Es muss in diesem Kontext betont werden, dass jede Zeit versuchte, ihre eignenen Antworten zu finden - und damit nicht immer sehr glücklich lag. Oswald Spengler sah einen zyklischen Verlauf: Auf den Aufstieg eines Großreiches folge der Niedergang (Niedergang des Abendlandes). Diese zyklische Schule findet auch heute noch Anhänger. Arnold Joseph Toynbee sah ein Versagen der moralischen Instanzen, aber auch den Zufall, der eine Rolle spielte. Die Spätantike wird in diesem Sinne oft als Spiegelbild der eigenen Gesellschaft gedeutet. So kann es dazu kommen, dass der Historiker seine eigene Zeit oft zu stark miteinbezieht (wie Spengler).

Neuere Forschungsmeinung

Heute wird die Spätantike, in deren Zeitraum der Fall Roms fiel, differenzierter gedeutet. Die Dekadenztheorie wird als weitgehend obsolet betrachtet. Die Spätantike trug wohl manche Züge der Dekadenz, doch trifft dies auf mehrere Epochen der Geschichte zu. Allerdings wird ein Rückgang der Bildung konstatiert.

Auch der wirtschaftliche Niedergang ist als Begründung des Verfalls nur bedingt gültig. Im Gegenteil: Vielmehr war die Spätantike nicht eine erstarrende Zeit, sondern eine Zeit des Umbruchs und der ungebrochenen wirtschaftlichen Vitalität, vor allem - aber nicht nur - im Osten (vgl. Demandt, Spätantike, S. 453), auch wenn es in gewissen Regionen zu einem Bevölkerungsrückgang kam (Jones, Later Roman Empire, Bd. 2, S. 1038 ff.).

Das gleiche trifft auf die abwertende Bezeichnung Dominat zu, die eher der Haltung mancher liberaler Historiker des 19. Jahrhunderts entspricht (wie Theodor Mommsen), die im spätrömischen Reich eine Militärdiktatur erblicken wollten. Die Bürokratisierung nahm zwar zu, allerdings auch die gesellschaftliche Mobilität. Zudem waren viele Züge dieser Entwicklung bereits viel früher feststellbar.

Vielmehr war das Heer offensichtlich viel zu schwach, um noch die Grenzverteidigung wahrnehmen zu können. Zudem entzog es sich oft der Kontrolle des Kaisers, ebenso wie die Kirche und Teile des Adels. In jene Zeit fiel auch ein deutlicher Rückgang der Sklaverei (vgl. Demandt, Spätantike, S. 454; in der Forschung allerdings nicht unumstritten), wenn es auch verstärkt Kolonate gab (Bindung der Bauern an das Land).

Die Schuld, die dem Christentum gegeben wurde ist ebenfalls differenzierter zu betrachten. Oft wurde sie den Christen von Agnostikern gegeben. Doch objektiv mag auch einiges richtig sein, wenn auch in einem anderen Zusammenhang: So wanden sich viele Männer von höchster Integrität dem Christentum zu und verbrachten ihr Leben im Dienst der Kirche; gingen so aber dem Staat verloren. Die Bürokratie des Staates musste sich oft mit Korruption herumschlagen, wenngleich diese aber wohl auch nicht so weit verbreitet war, wie manch einer meint (vgl. Jones, Later Roman Empire, Bd. 2, S. 1063 f.).

Diesen systemimmanenten Erklärungsversuchen steht die Theorie der äußeren Einflussnahme gegenüber. Und hier kommt man auf ein Kernproblem des spätrömischen Staates zu sprechen: die Armee. Diese war längst nicht mehr in der Lage - aufgrund zu geringer Mannschaftsstärke - die Grenzen effektiv zu schützen. Immer mehr römische Bürger umgingen den Dienst in der Armee, die bereits in der frühen Kaiserzeit Söldner angeworben hatte. Nun nahmen diese Anwerbungen immer mehr zu. Germanen und andere dienten in der Armee, die immer mehr barbarisiert wurde. Hinzu kam ein starker Druck auf die Grenzen. Den Römern gelang es nicht, die Germanen in den Reichsverband einzubinden (Demandt, Spätantike, S. 471). Das Problem mit "unzuverlässigen" Barbaren tauchte jedoch nach den Quellen nur bei den foederati auf, also den als Bundesgenossen dienenden Germanen, nicht aber bei den ins Heer integrierten Germanen (Jones, Later Roman Empire, Bd. 2, S. 1038).

Hinzu kamen unfähige Kindkaiser (Arcadius, Honorius, Valentinian III.) und die Haltung manch eines Magister militum, lieber die Waffen gegen die eigene Regierung zu ergreifen, um so die eigene Position zu stärken. Dies führte u.a. zum Verlust von Africa, wo der General Bonifatius die Vandalen "einlud", sie jedoch nach seiner Verständigung mit dem Kaiserhof - erfolglos - bekämpfte. Westroms Macht war lange vor 476 bzw. 480 nur noch ein Schatten seiner selbst.

Fazit

Es ist schwer, eine eindeutige Antwort zu formulieren, warum das weströmische Reich unterging. Dem Christentum und der angeblichen Dekadenz kann aber nicht die (alleinige) Schuld gegeben werden. Im Osten erwies sich das Christentum als einigendes Band, im Westen hatte sich das Heidentum längst überlebt. Schuld waren jedoch sicherlich gewisse systemimmanente Mängel in der Verwaltung und der Armee, vor allem aber war der Westen nicht militärisch stark genug. Er wurde von der Wucht der Völkerwanderung mit ganzer Härte getroffen. Hier lagen weniger Truppen als an Donau und Euphrat. Der Westen verfügte auch nicht über die Bevölkerungszahlen und die hohe Wirtschaftskraft des Ostens. Die fehlgeleitete Ansiedlungspolitik der Germanen tat ihr übriges dazu. Eine monokausale Betrachtungsweise wird aber niemals allen diffizilen Problemen gerecht werden. Sicher ist nur eins: Rom lebte kulturell fort - und die Spätantike, so schlimm gewisse Ereignisse für Teile der Bevölkerung gewesen sein mögen, formte das zukünftige Europa entscheidend und aktivierte auch dynamische Kräfte.


Literatur in Auswahl

  • Karl Christ (Hrsg.): Der Untergang des Römischen Reiches, Darmstadt 1970.
  • Alexander Demandt: Geschichte der Spätantike, München 1998, S. 445 ff.
  • Ders.: Der Fall Roms, München 1984.
  • Alfred Heuss: Römische Geschichte, 7. Aufl., Paderborn 2000, besonders S. 500-506 und S. 601 ff. (Forschungsüberblick).
  • Arnold H. M. Jones: The Later Roman Empire 284-602. A Social, Economic and Administrative Survey, 2 Bde., Oxford 1964 (Paperback ND Baltimore 1986), speziell Bd. 2, S. 1025 ff.

Der Untergang Roms, oder: warum es Historikern so schwer fällt. Von einem Mitarbeiter des Lehrstuhls Geschichte an der Uni Frankfurt (PDF)]