Unter Kanalisation versteht man Anlagen zur geordneten Ableitung von Abwässern, also Schmutzwässern, Niederschlagsabflüssen und Schmelzwässern. Sie bestehen vor allem aus Kanalnetzen (in Norddeutschland werden diese oft Siele genannt) zur Siedlungsentwässerung und zugehörigen Sammel- und Reinigungsanlagen. Die Abwässer werden durch die Kanalisation gesammelt und zu Abwasserbehandlungsanlagen (Kläranlagen) transportiert oder in Gewässer eingeleitet.
Entwicklung
Mit der Bildung von zusammenhängenden Siedlungen entstanden auch Probleme durch Abfälle, Abwässer und Überflutungen. Deren einfache Entsorgung war ein Hauptgrund für die Entstehung von Siedlungen an Bächen und Flüssen; dadurch kann die natürliche Vorflut zur Ableitung genutzt werden.
Um Flut- und Regenwasser schnell und aus hygienischen Gründen Abwässer geordnet ableiten zu können, entwickelten sich schon vor langer Zeit erste Kanalisationen. Bei der Schwemmkanalisation wurden Abfälle und Abwässer durch Wasser weggespült. Meist diente dazu Regenwasser oder aber auch natürliche Gewässer. Entwässerungskanäle lassen sich schon 3.000 v. Chr. im Euphrattal nachweisen. Schon zu Zeiten der Römer wurden Schwemmkanalisationen verwandt, meist handelte es sich dabei allerdings um offene Gerinne, wegen des hohen Bauaufwandes waren Abwasserrohre selten. Die bekannteste römische Kanalisation ist die Cloaca Maxima in Rom. Ein Rest einer unterirdischen, römischen Abwasserkanalisation ist in Kölner Altstadt noch heute begehbar.
Im frühen Mittelalter ging das Wissen um die hygienische Bedeutung einer geordneten Abwasserentsorgung weitgehend verloren, weshalb es über Jahrhunderte hinweg zu verheerenden Pest- und Choleraepidemieen kam. Erst in der Neuzeit wurde in den aufgrund der Industrialisierung stark gewachsenen Städten eine geordnete Abwasserentsorgung essentiell. Ab 1842 wurde in London mit dem Bau des Kanalisationssystems begonnen. In Hamburg entstand ab 1856 das erste deutsche Kanalisationssystem.
Entwässerungsverfahren
Die Abwässer, die von der Kanalisation erfasst werden, sind heute die Siedlungsabwässer von Haushalten und Kleingewerbe und zum großen Teil die Niederschlagsabwässer, die von Dachflächen und versiegelten Oberflächen abgeleitet werden. Zum Teil gelangen auch Industrieabwässer in die Kanalisation, wegen der oft sehr speziellen Verunreinigungen durch Mineralöle, Salze oder andere Chemikalien, ergeben sich meist besondere Reinigungsanforderungen. Industrieabwässer werden deshalb vielfach in firmeneigenen Anlagen vorgeklärt, bevor sie in größere (öffentliche) Systeme eingeleitet werden.
Bestanden in Deutschland und Österreich noch bis in die 1960er Jahre hinein (in den ländlichen Gebieten bis in die 1990er Jahre) viele Hausfäkalkanäle aus Senkgruben und Sickergruben, so wurde in den letzten Jahrzehnten von den Kommunen viel investiert, um diese Hausanlagen in Ortskanalisationen zusammenzufassen und die Abwässer Kläranlagen zuzuleiten. Das öffentliche Kanalnetz besteht aus Kanälen, Schächten, Sonderbauwerken (Regenüberlaufbecken, Pumpstationen, Kurvenbauwerken, Auslässen usw.) sowie, satzungsabhängig, Anschlussleitungen bis zu Grundstücksgrenzen bzw. Revisionsschächten. Nach dem Abfluss unterscheidet man folgende Entwässerungssysteme:
- Mischkanalisation
Haus-, Industrie und Niederschlagsabwässer werden gemeinsam abgeführt.
- Modifizierte Mischkanalisation
Schmutzwässer sowie behandlungsbedürftige Niederschlagsabwässer werden zusammen abgeführt. Nicht behandlungsbedürftige Niederschlagsabwässer werden vor Ort versickert.
- Trennkanalisation
Schmutzwässer werden in einem Kanal abgeführt, Niederschlagsabwässer in einem separaten Kanal. Wegen der in der Regel geringen Schmutzfracht von Regenwässern werden diese meist direkt in Gewässer eingeleitet und nicht in Kläranlagen behandelt.
- Erweiterte Trennkanalisation
Schmutzwässer und behandlungsbedürftige Niederschlagsabwässer werden in separaten Kanälen abgeleitet. Nicht behandlungsbedürftige Niederschlagsabwässer werden vor Ort versickert.
- Sonderverfahren
Bei abgelegenen Gebäuden oder Siedlungen können, abhängig von Abwasseraufkommen und -beschaffenheit, auch Druck- oder Vakuumentwässerungsverfahren und Speicherung in abflusslosen Sammelgruben mit Entsorgung durch Fahrzeuge zur Entsorgung der Abwässer verwendet werden. Auch bei der örtlichen Abwasserreinigung durch Kleinkläranlagen (Tropfkörper, Belebtschlammverfahren, Pflanzenkläranlagen und Abwasserverrieselung) sind Zuleitungskanäle erforderlich.
In Deutschland überwiegt bis heute die Mischkanalisation, mit der etwa 60% der Siedlungsgebiete aller Einwohner entwässert werden. Beim Neubau von Anlagen wird vor allem in Wohngebieten aber meist die Trennkanalisation verwandt. Auch wandelte sich die Entwässerungskonzeption in den letzten Jahren. Von der ableitungsorientierten Sicht und im Sinne einer ökonomischen und ökologischen Sichtweise gewinnt die dezentrale Regenwasserversickerung vor Ort zunehmend an Bedeutung.
Nach der Größe unterscheidet man:
- Hauskanalisation
Zu ihr gehören die Ausgüsse, Toiletten und hausinterne Gullis (die Entwässerungsgegenstände) angeschlossen. Die Hauskanalisation wird in das öffentliche Kanalnetz entsorgt oder mündet in Abwasserreinigungsanlagen beziehungsweise abflusslosen Sammelgruben in der unmittelbaren Nähe des zu entwässernden Objektes.
Die Entwässerungsgegenstände eines Hauses werden über Geruchsverschlüsse (z.B. Syphon)angeschlossen und zu den Fallrohren entwässert. Die Fallrohre münden in den Grundkanal, der das Abwasser zum Hausanschlussschacht leitet. Eventuell ist eine Abwasserhebeanlage für tiefliegende Geschosse erforderlich. Um Schäden durch Rückstau aus dem Kanalnetz und daraus resultierende Überflutungen zu vermeiden, sollten alle Entwässerungsgegenstände über der Rückstauebene (zumeist die Strassenoberkante, da bei Überlastung der Ortskanalisation das Abwasser über die Schächte austritt und daher der Wasserspiegel im Ortskanal nur bis dort ansteigen kann) angeordnet sein. Rückstausicherungen sind für Entwässerungsgegenstände unterhalb der Rückstauebene vorzusehen, sind jedoch nicht völlig zuverlässig, wenn diese nicht den einschlägigen Normen entsprechen. Die Falleitung der Dachrinnen darf nicht im Gebäude auf die Grundleitung geschlossen werden. Dies geschieht am besten im Revisionsschacht.
Die Fallrohre sind über Dach zu entlüften, um ein Leersaugen von Geruchsverschlüssen zu verhindern sowie eine Abführung der Gerüche aus dem Kanalnetz zu ermöglichen. Aus diesem Grund sollten auch in Grundkanälen keine Geruchsverschlüsse vorgesehen sein.
Beim Hausanschlussschacht bzw. im Entwässerungsnetz sollten Reinigungsöffnungen angeordnet werden.
Als Material der Hauskanalisation wird zumeist Kunststoff, Grauguss oder Steinzeug eingesetzt. Die Materialwahl richtet sich nach der Aggressivität des Abwassers, dem Rohrdurchmesser, der Verarbeitung und den Kosten.
- Ortskanalisation
Zu dieser gehören die Anschlusskanäle, die in Straßenkanäle münden, welche zu Neben- und Hauptsammlern zusammengeführt werden. Die Hauptsammler leiten die Abwässer einer Kläranlage zu. Neben dem Leitungsnetz gibt es Speicherbecken sowie Regenüberläufe und Regenbecken, die direkt in Vorfluter münden. Sind (vor allem im ländlichen Bereich) längere Strecken zu überwinden, werden oft Pumpwerke angeordnet, um die Rohrquerschnitte kleiner halten und Höhenunterschiede überwinden zu können.
Kanäle
Üblicherweise weisen Abwasserkanäle ein Gefälle von 1 bis 8% auf und eine Nennweite zwischen 200mm (bzw. DN 250 nach den neueren technischen Regeln)und z. T. mehreren Metern auf. Die Kanäle sind in der Regel als so genannte Freispiegelleitungen ausgeführt, d.h. der Wasserstand im Rohr liegt unter dem Rohrscheitel; die Kanäle sind nur in Ausnahmefällen komplett mit Abwässern gefüllt (z.B. bei starken Regenereignissen bei Mischkanalisation). In Sonderfällen (geringes Gefälle im Einzugsgebiet oder Transportleitungen) werden Unterdrucksysteme oder Druckleitungen verwendet. Ist das Rohrgefälle zu gering oder es sind Steigungen zu überwinden, müssen zusätzliche Pumpenanlagen vorgesehen werden. Zwischen längeren Rohrabschnitten liegen Kontrollschächte. Die Leitungen haben im Vergleich zu Trinkwasserleitungen große Querschnitte. Hauptabwassersammler in Ballungsräumen können begehbar ausgeführt sein. Für entlegene Ansiedlungen (z.B. abgelegene Gehöfte, Wochenendhaussiedlungen) werden in Ausnahmefällen auch Druck- oder Vakuumentwässerungen oder dezentrale Kleinkläranlagen angewandt. Kanäle werden heute in den verschiedensten Materialien wie Faserbeton, Steinzeug, Kunststoff oder Beton ausgeführt. Früher wurden Kanäle häufig aus Ziegeln aufgemauert oder in Keramikrohren ausgeführt.
Organisation und Kosten
Für Österreich gilt:
Die Errichtung, Erhaltung und Betrieb von Abwasserbeseitigungsanlagen erfolgt durch Einzelpersonen, Betriebe und Unternehmungen, Wassergenossenschaften, Kommunen und Wasserverbände.
Die Verrechnung der Kanalisationskosten ist in Österreich Gemeindesache. Grundsätzlich gibt es für die laufenden Gebühren der Abwasserkanalisation zwei Verrechnungsmodelle:
- nach der Fläche der angeschlossenen Gebäudegeschoße (mehr im ländl. Raum)
- nach dem Wasserverbrauch aus der Trinkwasserleitung (siehe Trinkwasser und Wasserverteilungssystem, dieser Verteilungsschlüssel wird vermehrt im städtischen Bereich angewandt).
Außerdem sind beim Neuanschluss Anschlussgebühren zu entrichten.
Für Deutschland gilt:
Der Bau und die Unterhaltung der öffentlichen Kanalisation und der öffentlichen Abwasserbehandlungsanlagen (Kläranlagen) obliegen dem "Abwasserbeseitigungspflichtigen", im Regelfalle der jeweiligen Kommune. Diese kann die Abwasserbeseitigungspflicht einem Dritten, z.B. Abwasserzeckverband übertragen.
Für Neuanschlüsse an eine öffentliche Kanalisation kann je nach Abwassersatzung ein Anschlussbeitrag zu entrichten sein. Die Benutzungsgebühren werden bei Anschluss an ein zentrales Abwassernetz meist nach dem Trinkwasserverbrauch abgerechnet. Bei dezentralen Anschluss (Kleinkläranlage) wird gemäß der abgefahrenen Fäkalschlamm-menge abgerechnet.
Siehe auch: Kloake.