Bantusprachen

Sprachfamilie
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Die Bantusprachen bilden eine Untergruppe des Benue-Kongo-Zweiges der afrikanischen Niger-Kongo-Sprachen. Es gibt nahezu 500 Bantusprachen, die von etwa 200 Mio. Menschen in Afrika gesprochen werden. Sie sind im mittleren und südlichen Afrika in den Staaten Kamerun, Gabun, Kongo, Kongo (Brazzaville), Uganda, Kenia, Tansania, Angola, Sambia, Malawi, Mosambik, Namibia, Botswana, Swaziland, Lesotho und Südafrika verbreitet. Das Wort „bantu“ bedeutet „Mensch“.

Bemerkungen zur Forschungsgeschichte

Wilhelm Bleek beschrieb erstmals die Nominalklassen der Bantusprachen (s.u.). Carl Meinhof erarbeitete ihre erste vergleichende Grammatik. Malcolm Guthrie hat sie 1948 klassifiziert und 1967-71 in 16 Gruppen („Zonen“) eingeteilt, die er mit den Buchstaben A - S bezeichnete. Innerhalb dieser Zonen sind die Sprachen in Zehnereinheiten gruppiert und durchnummeriert. (Das System von Guthrie ist vor allem geographisch orientiert, eine genetische Bedeutung hat es nach heutiger Erkenntnis kaum. Es wird aber weiterhin allgemein als Referenzsystem benutzt.) Guthrie hat auch das Proto-Bantu als Vorgängersprache aller heutigen Bantusprachen rekonstruiert. Joseph Greenberg klassifizierte die Bantugruppe als eine Unter-Unter-Einheit der Niger-Kongo-Sprachen (s.u.). Zuvor wurden die Bantusprachen, insbesondere in Bezug auf C. Meinhof, als eine eigene Sprachfamilie gesehen, welche im Verbreitungsgebiet der schwarzafrikanischen Sprachen den Sudansprachen gegenübergestellt wurden.

Die sprecherreichsten Bantu-Sprachen

Die bekannteste und als Verkehrssprache am häufigsten gesprochene Bantusprache ist Suaheli (auch Swahili, Kiswahili oder Kisuaheli). Die folgende Liste gibt alle Bantusprachen mit mindestens 5 Mio. Sprechern, die Zahl ihrer Muttersprachler und ihre Klassifikation innerhalb des Guthrie-Schemas an:

Es gibt zahlreiche weitere Bantusprachen mit mehr als 1 Mio. Sprecher.

Position des Bantu innerhalb des Niger-Kongo

Das folgende Diagramm zeigt, welche genetische Position die Bantusprachen als Unter-Unter-Einheit innerhalb der Niger-Kongo-Sprachen einnehmen.

  • Niger-Kongo
    • Kordofanisch
    • Mande
    • Atlantisch
    • Dogon
    • Ijoid
    • Volta-Kongo
      • Nord-Volta-Kongo
        • Kru
        • Gur (Volta-Sprachen)
        • Senufo
        • Adamawa-Ubangi
      • Süd-Volta-Kongo
        • Kwa
        • West-Benue-Kongo (u.a. Yoruba, Igbo)
        • Ost-Benue-Kongo
          • Zentral-Nigerianisch
          • Bantoid-Cross-River
            • Cross-River
            • Bantoid
              • Dakoid
              • Mambiloid
              • Tikar
              • Fam
              • Süd-Bantoid
                • Jarawa
                • Tikoid
                • Beboid
                • Ekoid-Mbe
                • Mamfe
                • Mbam
                • Grasland-Bantoid
                • Bantu

Die komplexe Abstammungslinie der Bantusprachen lautet also mit allen Zwischengliedern:

  • Niger-Kongo > Volta-Kongo > Süd-Volta-Kongo > Ost-Benue-Kongo > Bantoid-Cross River > Bantoid > Süd-Bantoid > Bantu.

Zur detaillierten Klassifikation der Bantusprachen innerhalb der Guthrie-Gruppen siehe den unten angegebenen Weblink.

Sprachliche Charakteristik

Nominalklassen

Ein besonderes Merkmal der Bantusprachen ist die Einteilung der Nomina in sog. Klassen. Dieses Merkmal teilen sie allerdings mit einer Vielzahl anderer Niger-Kongo-Sprachen und auch mit Sprachen ganz anderer genetischer Herkunft, z.B. kaukasischen oder australischen Sprachen. Die Zuordnung eines Nomens zu einer Klasse erfolgt manchmal nach der Bedeutung eines Wortes, oft aber auch scheinbar zufällig. Die Nominalklassen sind in Grenzen vergleichbar mit den grammatischen Geschlechtern in anderen Sprachen (so könnte man das Lateinische als eine 6-Klassen-Sprache auffassen: Maskulinum, Femininum und Neutrum, jeweils im Singular undd Plural).

Es gibt in den Bantusprachen meist etwa zwanzig Klassen, die ausschließlich durch Präfixe markiert werden. Die Klassen von Nomina und zugehörigen Adjektivattributen sowie von Subjekt und Prädikat müssen in der Konstruktion eines Satzes übereinstimmen (Konkordanz), allerdings können die Präfixe einer Klasse bei Nomen, Zahlwort, Pronomen und Verb unterschiedlich sein. In den meisten Bantusprachen bilden die Klassen - und die sie markierenden Präfixe - paarweise den Singular oder Plural eines Wortes (siehe unten die Beispiele aus dem Swahili).

Beispiele für Nominalklassen in der Sprache Ganda:

  • mu-ganda "ein(e) Ganda"
  • ba-ganda "die Ganda-Leute" (Plural der mu-Klasse)
  • bu-ganda "das Land der Ganda"
  • lu-ganda "die Sprache der Ganda"
  • ki-ganda "kulturelle Dinge der Ganda" (z.B. Liedgut)

...und im Swahili (vgl. Awde 2000):

Singular Plural
m-tu Person wa-tu Leute
m-toto Kind wa-toto Kinder
m-ji Stadt mi-ji Städte
ki-tu Ding vi-tu Dinge
ki-kapu Korb vi-kapu Körbe
ji-cho Auge ma-cho Augen
Ø-gari Auto ma-gari Autos
n-jia Straße n-jia Straßen
u-so Gesicht ny-uso Gesichter
u-chaga Bett Ø-chaga Betten
u-fumbi Tal ma-fumbi Täler
pa-hali Platz pa-hali Plätze

Beispiele zur Konkordanz aus dem Swahili:

  • m-tu m-kubwa "große Person" (m-tu "Mensch", kubwa "groß")
  • wa-tu wa-kubwa "große Leute"
  • ki-kapu ki-kubwa ki-mefika "der große Korb (ki-kapu) ist angekommen"
  • m-toto m-kubwa a-mefika "das große Kind (m-toto) ist angekommen"

Im dritten Beispiel entspricht der nominalen ki-Klasse auch ein verbales ki-Präfix, im vierten entspricht der nominalen m-Klasse ein verbales a-Präfix.

Klasse und Bedeutung

Obwohl die Klassenzugehörigkeit von Nomina heutiger Bantusprachen nur sehr schwer semantisch bestimmbar ist (siehe obige Beispiele), wurde in vielen Forschungsarbeiten zu diesem Thema eine Liste des semantischen Potentials der einzelnen Nominalklassen erarbeitet. Eine Zusammenstellung dieser Art geben Hendrikse und Poulos (1992), hier zitiert nach Nurse (2003). Als Beispiel sind die Ganda-Präfixe aufgeführt, die in der Regel den Proto-Bantu-Formen weitgehend entsprechen. Ein Blick in diese Tabelle zeigt viele Überschneidungen der Bedeutungsmöglichkeiten einzelner Klassen; somit ist fast nie vorhersagbar, zu welcher Klasse ein Nomen einer bestimmten Bedeutungskategorie gehört.

Semantik der Nominalklassen

Klasse Ganda typische Bedeutungen
1 mu- menschliche Wesen, Eigennamen, Personifikationen, Verwandtschaftsbezeichnungen
2 ba- Plural der Klasse 1
3 mu- Naturphänomene, Körperteile, Pflanzen, Tiere
4 mi- Plural der Klasse 3
5 li- Naturphänomene, Tiere, Körperteile, Kollektiva, unerwünschte Personen, Derogativa
6 ma- Plural der Klassen 5 und 14; Massenbegriffe, Flüssigkeiten, Zeitangaben
7 ki- Körperteile, Hilfsmittel, Instrumente, Tiere, Insekten; Krankheiten, herausragende Personen u.a.
8 bi- Plural der Klasse 7
9 N- Tiere, Menschen, Körperteile, Werkzeuge
10 N- Plural der Klasse 9
11 lu- lange, dünne Dinge, Sprachen, Körperteile, Naturphänomene u.a.
12 ka- Augmentiva, Diminutiva, Derogativa
13 tu- Plural der Klasse 12
14 bu- Abstrakta, Kollektiva
15 ku- Infinitive; einige Körperteile, z.B. Arm, Bein
16 wa- Ortsbezeichnungen
17 ku- Ortsbezeichnungen
18 mu- Ortsbezeichnungen
19 *pi- Diminutiva
20 gu- Derogativa, Augmentiva, Diminutiva
21 *ɣi- Augmentiva, Derogativa
22 ga- Plural der Klasse 20
23 e- Ortsbezeichnungen

Die Klassen 19 und 21 sind im Ganda nicht vertreten, die Proto-Bantupräfixe lauten *pi- und *ɣi-.

Tonsprachen

Ein großer Teil der Bantusprachen (97% laut Nurse 2003) sind Tonsprachen, allerdings hat z.B. das bekannte Swahili seine Tondifferenzierung verloren. Die meisten Bantusprachen haben nicht mehr als zwei differenzierte Töne.

Literatur

  • Awde, Nicholas: Swahili - English / English - Swahili Dictionary. Hippocrene Books, New York 2000.
  • Campbell, George L.: Compendium of the World's Languages. Routledge, London 1995.
  • Greenberg, Joseph: The Languages of Africa. Mouton, The Hague and Indiana University Center, Bloomington 1963.
  • Guthrie, Malcolm: The Classification of the Bantu Languages. London 1948. Reprint 1967.
  • Heine, Bernd und andere (Hrsg.): Die Sprachen Afrikas. Buske, Hamburg 1981.
  • Heine, Bernd and Derek Nurse (Hrsg.): African Languages. An Introduction. Cambridge University Press 2000.
  • Nurse, Derek and Gérard Philippson: The Bantu Languages. Routledge, London 2003.