Erika Mann

deutsche Schauspielerin, Kabarettistin und Schriftstellerin (1905–1969)
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Erika Julia Hedwig Mann (* 9. November 1905 in München, † 27. August 1969 in Zürich) war eine deutsche Schauspielerin, Kabarettistin, Schriftstellerin und Lektorin. Sie begründete 1933 das politische KabarettDie Pfeffermühle“ und arbeitete mit Vorträgen, als Schriftstellerin und Journalistin auch nach ihrer Emigration in die USA gegen den Nationalsozialismus. Neben ihrer Tätigkeit als Nachlassverwalterin von Thomas und Klaus Mann hat sie ein umfangreichen Werk aus politischen Essays, Reportagen, Reiseberichten und Kinderbüchern hinterlassen.

Erika Mann, um 1938

Leben

Erika Mann war die erstgeborene Tochter des Schriftstellers und späteren Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann und dessen Ehefrau Katia, geborene Pringsheim, Tochter einer deutschen Intellektuellenfamilie jüdischer Abstammung. Sie wurde nach Katia Manns früh verstorbenem Bruder Erik, Thomas Manns Schwester Julia Mann und ihrer Großmutter Hedwig Dohm benannt und wie schon ihre Mutter evangelisch getauft. Thomas Mann äußerte sich in einem Brief an seinen Bruder Heinrich enttäuscht über die Geburt des ersten Kindes: „Ich empfinde einen Sohn als poesievoller, mehr als Fortsetzung und Wiederbeginn meinerselbst unter neuen Bedingungen.“ [1] Später bekannte er jedoch in seinen Tagebuchaufzeichnungen freimütig, dass er „von den Sechsen drei, die beiden Ältesten (Klaus und Erika) und Elisabetchen, mit seltsamer Entschiedenheit bevorzuge.“[2] Zu Erika hatte er ein besonderes Vertrauensverhältnis, was sich auch darin zeigte, dass sie auf die wichtigen Entscheidungen ihres Vater einen unmittelbaren Einfluss ausübte.[3] Ihre besondere Rolle war auch den Geschwistern bewusst, so erinnert sich ihr Bruder Golo Mann: „Die Eri muß die Suppe salzen“[4]. Dieser Spruch über die Zwölfjährige aus dem Jahr 1917 wurde zu einem geflügelten Wort der Familie Mann.

Nach Erika folgten die Geschwister Klaus (1906–1949), zu dem sie zeitlebens eine zwillingshaft enge Beziehung hatte, sowie Golo (1909–1994), Monika (1910–1992), Elisabeth (1918–2002) und Michael (1919–1977). Die Kinder wuchsen in München auf. Ihre Familie mütterlicherseits gehörte zum einflussreichen Großbürgertum der Stadt, der Vater stammte aus der Lübecker Kaufmannsfamilie Mann und hatte 1901 bereits erfolgreich den Roman Buddenbrooks veröffentlicht. Die Familie Mann bezog 1914 ihre bekannte Villa in der Poschinger Straße 1 in Bogenhausen.

Schulzeit und erste Theatererfahrungen

Von 1912 bis 1914 besuchte Erika Mann mit ihrem Bruder Klaus eine Privatschule, anschließend für ein Jahr die Bogenhausener Volksschule und ab 1915 bis 1920 absolvierte sie die Höhere Mädchenschule am St. Annaplatz. Im Mai 1921 wechselte sie zum Münchner Luisengymnasium. Zusammen mit ihrem Bruder Klaus Mann und befreundeten Nachbarskindern, zu denen auch die Töchter Bruno Walters, Gretel und Lotte Walter, sowie Ricki Hallgarten, Sohn einer jüdischen Intellektuellenfamilie, gehörten, gründete sie 1919 eine ambitionierte Schauspieltruppe, den Laienbund Deutscher Mimiker. Noch als Schülerin am Münchner Luisengymnasium stand sie nach einem Engagement von Max Reinhardt das erste Mal auf der Bühne des Deutschen Theaters in Berlin. Die zum Teil boshaften Streiche, die sie in der sogenannten „Herzogpark-Bande“ mit Klaus und befreundeten Nachbarskindern anstellte, veranlassten die Eltern, sie und ihren Bruder Klaus in einem Internat der Reformpädagogik, der Bergschule Hochwaldhausen in der Rhön, unterrichten zu lassen. Von Mai bis September 1922 dauerte dieses kurze Intermezzo. Nach der Schließung der Schule kehrte Erika Mann an das Luisengymnasium zurück. 1924 bestand sie ihr Abitur, allerdings mit schlechten Noten, und begann in Berlin mit dem Schauspielstudium, das sie wegen der zahlreichen Bühnenverpflichtungen unter anderem in Hamburg, München und Berlin aber wieder abbrach.

Schauspielerin und Schriftstellerin

1925 stellte sie im ersten öffentlich inszenierten Theaterstück ihres Bruders Klaus Mann, Anja und Esther, unter der Regie und Mitwirkung von Gustaf Gründgens mit Pamela Wedekind ein lesbisches Paar dar. Klaus Mann war zu der Zeit mit Pamela Wedekind verlobt und Erika Mann nicht nur in der Rolle in sie verliebt. Durch den Auftritt der sogenannten „Dichterkinder“ des berühmten Thomas Mann wurde das Stück zu einem großen Publikumserfolg, von den Kritikern inhaltlich und dramaturgisch jedoch verissen, sowie die Darstellung gleichgeschlechtlicher Liebe als Skandal gewertet. Am 24. Juli 1926 ging sie mit dem Regisseur und Schauspielkollegen Gustaf Gründgens eine Ehe ein, die jedoch am 9. Januar 1929 wieder geschieden wurde. Im Jahr 1927 spielte sie in Klaus Manns Stück Revue zu Vieren am Leipziger Schauspielhaus erneut unter der Regie von Gustaf Gründgens und in gleicher Besetzung wie Anja und Esther und ging anschließend mit Klaus und Pamela Wedekind auf Tournee. Auch Revue zu Vieren bekam schlechte Kritiken. Gründgens weigerte sich daher, wie auch Pamela Wedekind, in weiteren Vorstellungen aufzutreten bzw. Regie zu führen.

Zusammen mit Klaus Mann brach sie am 7. Oktober 1927 von Rotterdam aus zu einer mehrmonatigen Weltreise bis Juli 1928 auf, die beide über die USA, Japan, Korea, China und die Sowjetunion rund um den Globus führte. Durch ihre internationalen Bekanntschaften und die Berühmtheit ihres Vaters lernten sie viele Prominente des amerikanischen Kulturbetriebs kennen, wie beispielsweise Emil Jannings, Greta Garbo und Upton Sinclair. Mit dem Namen The Literary Mann Twins präsentierten sie sich als Zwillinge, um damit weitere Aufmerksamkeit zu erregen. Ihren Unterhalt versuchten sie durch Vorträge zu finanzieren, aber die Erträge waren zu gering, und nach der Reise hatten sie hohe Schulden, die ihr Vater Thomas Mann beglich, nachdem er 1929 den Nobelpreis erhalten hatte. Klaus Mann machte seiner Schwester den Vorschlag, sich auch schreibend zu betätigen, was Erika zunächst ablehnte, da sie Actrice sei und es doch schon genügend Schriftsteller in der Familie gäbe. Aber der „Familienfluch“[5] der Schriftstellerei erfasste auch sie und fand 1929 in dem gemeinsamen Bericht über die Reise unter dem Titel Rundherum. Das Abenteuer einer Weltreise, der im S. Fischer Verlag veröffentlicht wurde, seinen Niederschlag. Nach der Reise kehrte sie nicht zu ihrem Ehemann Gustaf Gründgens zurück. Wie ihr Bruder Klaus Mann wählte sie zukünftig keinen eigenen festen Wohnsitz mehr, sondern wohnte in Hotels oder fand Unterschlupf bei ihren Eltern. Ihre Reiseerfahrungen legte sie auch in ihrem ersten Bühnenstück Hotels nieder, es entstand 1929 und gilt als verschollen.

Anfang der 1930er Jahre bekam sie nach wechselnden Engagements an verschiedenen Bühnen – 1929 spielte sie in München die Königin Elisabeth in Schillers Don Carlos – erste kleine Filmrollen in „Mädchen in Uniform“ und „Peter Voss, der Millionendieb“. 1931 gewann die begeisterte Autofahrerin zusammen mit ihrem Jugendfreund Ricki Hallgarten eine 10.000 Kilometer lange Rallye quer durch Europa. Sie verfasste die Komödie Plagiat und Das Buch von der Riviera. Was nicht im Baedeker steht, letzteres zusammen mit Klaus Mann. Sie schrieb auch kleinere Beiträge und Glossen für das Berliner Magazin Tempo. 1932 erschien ihr erstes Kinderbuch, Stoffel fliegt übers Meer, mit Illustrationen von Ricki Hallgarten, und ihr gemeinsam mit Hallgarten verfasstes Weihnachtsspiel Jans Wunderhündchen. Ein Kinderstück in sieben Bildern wurde in Darmstadt uraufgeführt. Ricki Hallgarten erlebte das Erscheinen des Stoffel nicht mehr, er nahm sich am 5. Mai 1932 das Leben. Erikas Manns Bemühungen, den Freund von seiner Todessehnsucht abzulenken, hatten keinen Erfolg gezeigt.

Das Aufkommen des Nationalsozialismus in Deutschland beendete ihr sorgloses, unpolitisches und abenteuerliches Leben, und erstmals zeigte sie politisches Engagement, dem sie auch in zahlreichen Zeitungsartikeln Ausdruck verlieh. Im Januar 1932 trat sie als Rezitatorin bei einer pazifistischen Frauenversammlung auf, die durch rechte Gruppierungen gestört wurde. Durch ihren Auftritt geriet sie – wie auch ihre Familie – ins Kreuzfeuer der nationalsozialistischen Presse. Ihre Konfrontation mit den Nationalsozialisten bedeutete aber auch das Ende ihrer Laufbahn am Theater. Zu dieser Zeit war sie bereits alkohol- und drogenabhängig, was in den folgenden Jahren regelmäßige Entzugs- und Erholungskuren nach sich zog.

Als Kabarettistin im Schweizer Exil

Zusammen mit Klaus, ihrer Freundin und Geliebten Therese Giehse[6] sowie dem Pianisten und Komponisten Magnus Henning und einigen weiteren Freunden gründete sie im Januar 1933, wenige Monate vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, das politische Kabarett Die Pfeffermühle in der Bonbonniere in München. Die Ensemblemitglieder mussten aber schon nach wenigen Aufführungen untertauchen. Erika und Klaus Mann warnten ihre Eltern, die sich im März 1933 auf einer Erholungsreise in Arosa befanden, noch davor, nach Deutschland zurückzukehren und flüchteten selbst nach Lenzerheide in der Schweiz. Dort übergab Erika Thomas Mann die Joseph-Manuskripte, die sie aus dem Elternhaus in München gerettet hatte.

Als Exil wählte die Familie im Juni 1933 Sanary-sur-Mer in Frankreich, im September kehrten sie in die Schweiz zurück und ließen sich in Küsnacht nieder. In Zürich wurde am 30. September die Pfeffermühle von Erika und Klaus Mann sowie Therese Giehse im Hotel Hirschen wieder eröffnet. Von November bis Dezember 1933 folgte eine erfolgreiche Tournee durch fünf Schweizer Städte und mit neuem Programm eine zweite Tournee von Mai bis Juni 1934. Das dritte Programm vom Herbst 1934 wurde von der Schweizer Presse verrissen und löste Krawalle aus. Das Ensemble wich daher auf die Tschechoslowakei, Belgien,Holland und Luxemburg aus. Die schlechte Presse lastete Erika Mann der Mutter ihrer Freundin Annemarie Schwarzenbach an, die ihr einen schlechten Einfluss auf ihre Tochter unterstellte und die zudem mit dem Nationalsozialismus sympathisierte [7]. Erst Ende 1935 gastierte Die Pfeffermühle wieder in der Schweiz. Das Projekt wurde mittlerweise von den deutschen Behörden als deutschfeindlich klassifiziert und Erika Mann als dessen „geistige Urheberin“ angesehen. Daraufhin wurde ihr im Juni 1935 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Abhilfe war schnell gefunden, denn am 15. Juni 1935 heiratete sie auf Vermittlung von Christopher Isherwood, einem Freund Klaus Manns, in zweiter Ehe den ihr unbekannten homosexuellen englischen Literaten Wystan Hugh Auden und erlangte damit die britische Staatsbürgerschaft. Die Pfeffermühle wurde bis Mai 1936 in der Schweiz und den Benelux-Staaten weiter aufgeführt und erreichte 1.034 Auftritte. Ihr politisches Engagement, das sich in ihren Kabarettstücken zeigte, fand Anerkennung: „Sie machen zehnmal mehr gegen die Barbarei als wir alle Schriftsteller zusammen“, schrieb Joseph Roth im Frühjahr 1935 an Erika Mann.[8].

Amerikanisches Exil

Im September 1936 reisten Erika und Klaus Mann sowie Therese Giehse in die USA, um dort für ihr Kabarett, das in Europa nur noch unter strengen Auflagen aufgeführt werden konnte, einen neuen Spielort zu finden. Die Premiere der Peppermill fand am 5. Januar 1937 in New York statt. Die Aufführungen in den USA scheiterten jedoch am mangelnden Interesse der Amerikaner, die eine solche Kunstform nicht kannten, deshalb setzte Erika ihre Arbeit gegen den Nationalsozialismus auf andere Weise fort, publizierte in Zeitungen und unternahm als lecturer Vortragsreisen. Im März 1937 sprach sie unter anderem auf einer Massenveranstaltung des American Jewish Congress. Mit ihren Vorträgen hatte sie in den ersten Jahren großen Erfolg und übte diese Tätigkeit bis 1948 aus. Klaus Mann äußert sich in seiner Autobiografie Der Wendepunkt zu ihrer Tätigkeit als lecturer: „Die Profession des ‚lecturers‘ – in anderen Erdteilen so gut wie unbekannt – gehört zu den Besonderheiten des amerikanischen Lebens. [...] Erika konnte eine der begehrtesten ‚lecturers‘ des Kontinents werden, weil sie Hörenswertes zu sagen hat (‚She has a message!‘) und weil sie das Hörenswerte mit liebenswürdiger Intensität zu Gehör bringt (‚She has personality‘).“[9]

Ab 1937, ihrem offiziellen Einwanderungsjahr, lebte Erika Mann zeitweise mit dem Arzt und Schriftsteller Martin Gumpert zusammen, der sie heiraten und von ihrer unsteten Lebensweise sowie dem Drogenkonsum abbringen wollte. Sie beharrte jedoch auf ihrer Art der Lebensführung; ihre Liebe für ihn kenne keine Forderungen, und umgekehrt wolle sie es auch so.[10]

Noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs emigrierten auch ihre Eltern 1938 in die USA, wo Thomas Mann eine Gastprofessur an der Universität von Princeton erhalten hatte. Nach eindringlichen Appellen und Forderungen seiner Tochter Erika hatte sich Thomas Mann in seinem offenen Brief vom 3. Februar 1936 an Eduard Korrodi, der am 26. Januar 1936 in der Neuen Zürcher Zeitung gegen die Emigrantenliteratur polemisiert hatte, endlich eindeutig zur Emigration und Exilliteratur bekannt und damit seinen endgültigen Bruch mit dem Nationalsozialismus öffentlich gemacht. Als Konsequenz seiner solidarischen Stellungnahme wurde auch ihm die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt.

In den USA begleitete Erika Mann neben ihren eigenen Verpflichtungen ihren Vater auf seinen Vortragsreisen und leistete ihm aufgrund ihrer guten Sprachkenntnisse wertvolle Dienste, wenn er nach den Vorträgen in der Diskussion mit den Zuhörern um treffsichere Formulierungen und Argumente rang, die sie dann für ihn vortrug. Erika redigierte und kürzte seine Manuskripte und übersetzte seine Texte ins Englische. Auch die Haushaltsauflösung in Zürich war bei ihr in guten Händen.

Ebenfalls 1938 bereisten Erika und Klaus Mann Spanien, um Reportagen vom Spanischen Bürgerkrieg zu erstellen. Es erschien im September ihr erster Dokumentarbericht School for Barbarians. Education under the Nazis, der sehr erfolgreich mit 40.000 Exemplaren innerhalb von drei Monaten in Amerika verkauft wurde. Die deutsche Ausgabe Zehn Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich veröffentlichte der Freund und Verleger Fritz H. Landshoff im gleichen Jahr in seinem Exil-Verlag Querido in Amsterdam. Erstmals fand sie ihren eigenen Erzählstil, indem sie dokumentarisches Material mit selbst erlebten Geschichten mischte. Gemeinsam mit ihrem Bruder Klaus gab Erika Mann dann 1939 Escape to Life. Deutsche Kultur im Exil und 1940 The Other Germany heraus. Im gleichen Jahr wurde ihr mit Illustrationen versehenes zweites „politisches Lehrbuch“, wie sie ihre Dokumentarberichte nannte, The Lights Go Down mit dem Thema „Alltag unterm Hakenkreuz“ in London und New York veröffentlicht. Eine deutsche Rückübersetzung aus dem Englischen, da das deutsche Manuskript als verloren gelten muss, erschien erst im Jahr 2005 unter dem Titel Wenn die Lichter ausgehen. Geschichten aus dem Dritten Reich anlässlich ihres 100. Geburtstags.

Von 1940 bis 1941 arbeitete Erika als Kriegskorrespondentin für die britische BBC in London an Propagandasendungen, die nach Deutschland ausgestrahlt wurden, und ging in den USA weiter auf Vortragsreisen. 1942 erschien im L. B. Fischer Verlag, New York, ihr Kinderbuch A Gang of Ten (dt. Zehn jagen Mr. X). 1943 begann sie mit der Niederschrift einer Autobiografie mit dem Titel I Of All People (dt. Ausgerechnet Ich, postum im Jahr 2000 in Blitze überm Ozean veröffentlicht), die jedoch Fragment bleiben sollte. Ab 1943 bis 1945 war sie für die amerikanische Armee als Kriegsberichtserstatterin tätig und bereiste verschiedene Kriegsschauplätze. So war sie auch vor Ort, als im Juni 1944 die Westalliierten in der Normandie landeten. Während ihrer Militärzeit lernte sie Betty Knox kennen, die wie sie als Kriegsberichterstatterin arbeitete, und hatte mit ihr eine Affäre, während sie zeitgleich eine heimliche und unglückliche Liaison mit dem dreißig Jahre älteren Bruno Walter, dem Vater ihrer Jugendfreundinnen Lotte und Gretel Walter, führte. 1945 schrieb sie für den Londoner Evening Standard über den ersten Nürnberger Kriegsverbrecherprozess und hielt sich deshalb in Deutschland auf. Aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes durch den jahrelangen Alkohol- und Drogenmissbrauch machte sie ab 1946 regelmäßig Kuren in verschiedenen Sanatorien und Kurkliniken.

Von Mai bis August 1947 begleitete sie Thomas Mann auf seiner ersten Europareise nach dem Krieg. Nach Deutschland führte diese Reise jedoch noch nicht. Nach Kriegsende hatte sie zunehmend begonnen, für Thomas Mann als „Sekretärin, Biographin, Nachlaßhüterin, Tochter-Adjutantin“ zu arbeiten, wie er in seinem Tagebuch schrieb. Diese Rolle hatte sicherlich zu einer Entfremdung zwischen ihr und ihrem Bruder beigetragen. Aber anders als Klaus Mann, der darunter litt, der Sohn eines weltberühmten Vaters zu sein, fühlte sich die selbstbewusste Erika vom väterlichen Ruhm nicht erdrückt, sondern fand Gefallen an ihrer Arbeit für ihn.

Ende 1948 stellte sie auf einer Podiumsdiskussion in Stockton, Kalifornien, die Demokratiefähigkeit der Deutschen in Frage. Die westdeutsche Presse reagierte empört, vor allem die Münchner Zeitung Echo der Woche beschimpfte sie als „kommunistische Agentin“ und bezeichnete sie mit ihrem Bruder Klaus als „Stalins 5. Kolonne“.[11] Erika versuchte, Gegendarstellungen zu erwirken und Verleumdungsklagen einzureichen. Nach anderthalb Jahren musste sie jedoch verbittert aufgeben. Auf der gemeinsamen Europareise 1949, die Thomas Mann erstmals nach Kriegsende auch nach Deutschland führte, weigerte sie sich kompromisslos, deutschen Boden zu betreten. Thomas Mann, der sich als Vermittler zwischen Ost und West in der Zeit des Kalten Krieges sah, nahm den Goethe-Preis der Städte Frankfurt am Main und Weimar deshalb ohne Erika Mann entgegen.

Der Freitod ihres Bruders Klaus am 21. Mai 1949 in Cannes erschütterte Erika Mann tief, hatte sie doch lange Zeit vergeblich versucht, seiner Todessehnsucht entgegenzuwirken. Der Verlust ihres geliebten Bruders und Weggenossen stellte einen nie verheilenden Einschnitt in ihr eigenes Leben dar. So schrieb sie am 16. Juni an ihre frühere Freundin Pamela Wedekind: „ [...] Er liegt in Cannes begraben – ich komme eben von dort zurück. Zur Beerdigung – von Stockholm aus – konnte ich nicht fahren, – der Eltern wegen, oder doch unserer Mutter wegen, und so ging ich erst jetzt. [...] Wie ich leben soll, weiß ich noch nicht, weiß nur, daß ich muß; und bin doch gar nicht zu denken, ohne ihn.“[12] Im Jahr 1950 erschien, von ihr herausgegeben, das Erinnerungsbuch Klaus Mann zum Gedächtnis mit einem Vorwort des Vaters und Beiträgen von Freunden wie Hermann Kesten und Upton Sinclair.

Rückkehr in die Schweiz

Erika Mann und ihr Bruder Klaus standen wie nahezu alle deutschen Exilanten seit Juni 1940 unter Beobachtung des FBI, dem sie selbst ihre Mitarbeit „zur Enttarnung faschistischer Spione und Saboteure“ angeboten hatte. In dem 200 Seiten umfassenden Dossier wurde sie unter anderem als „sexuell pervers“ und „als aktiver Agent der Komintern“ bezeichnet [8]. Erika Mann erfuhr erst 1948 von der Überwachung und versuchte, die Anschuldigungen zu entkräften. Während des Kalten Krieges in der McCarthy-Ära verschärfte sich jedoch in den USA das politische Klima, und das betraf auch die Familie Mann. Im Dezember 1950 zog Erika Mann ihren 1947 gestellten und immer noch nicht bewilligten Antrag auf die amerikanische Staatsangehörigkeit mit einem Beschwerdebrief an die zuständige Behörde zurück: „[...] Der Nazismus vertrieb mich aus meinem Geburtsland Deutschland, wo ich ziemlich erfolgreich gewesen war; Hitlers wachsender Einfluß in Europa veranlaßte mich, den Kontinent zu verlassen; [...] und jetzt sehe ich mich - ohne eigenes Verschulden - ruiniert in einem Land, das ich liebe und dessen Staatsbürgerin zu werden ich gehofft hatte.“[8].

Erika Mann verließ mit ihren Eltern 1952 die USA. Als neue Heimat wählten sie wie 1933 die Schweiz, denn eine Rückkehr nach Deutschland kam nicht in Frage. Sie wohnten bis zum Jahr 1954 in Erlenbach. Sie widmete sich wieder dem Schreiben von Kinderbüchern, so erschien 1952 als Neuausgabe ihr Kinderbuch Unser Zauberonkel Muck (Originaltitel Muck, der Zauberonkel (1934); es folgten 1953 Christoph fliegt nach Amerika, eine Neuausgabe des Stoffel, und die ersten Folgen der vierteiligen Zugvögel-Serie (bis 1956). Zudem arbeitete sie an den Drehbüchern für die Verfilmungen von Thomas Manns Romanen Königliche Hoheit (1953), später Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1957) und Buddenbrooks (1959) maßgeblich mit. Ihr größtes Anliegen war die werkgetreue Umsetzung der filmischen Darstellungen; andere Ansichten wurden von ihr nicht toleriert. Auch auf die Besetzung der Filmrollen nahm sie Einfluss. In den beiden ersten Filmen spielte sie in Nebenrollen mit: In Königliche Hoheit war sie die Oberschwester Amalie und in Kurt Hoffmanns Felix Krull eine Gouvernante.

1954 zog Erika Mann zusammen mit den Eltern nach Kilchberg am Zürichsee, in die Villa an der Alten Landstraße 39, Thomas Manns (und auch ihre) „letzte Adresse“. In einem gleichnamigen Artikel beschrieb sie später die Lebensorte der Familie Mann. Anders als noch 1949 begleitete sie ihren Vater im Jahr 1955 auf seinen letzten Reisen nach Deutschland, unter anderem nach Stuttgart und Weimar, wo er anlässlich des 150. Todestages von Friedrich Schiller seinen Vortrag Versuch über Schiller hielt, und nach Lübeck zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft.

Die späten Jahre widmete sie der Aufarbeitung des Nachlasses ihres Vaters Thomas Mann, der am 12. August 1955 wenige Monate nach seinem 80. Geburtstag starb. Sie veröffentlichte 1956 Das letzte Jahr. Bericht über meinen Vater, in dem sie einfühlsam seine letzten Ehrungen und die Ereignisse bis zu seinem Tod beschrieb. Ein gleichzeitig erschienenes Erinnerungsbuch ihrer Schwester Monika Mann mit dem Titel Vergangenes und Gegenwärtiges, das eher skeptisch über den Vater berichtete, führte zu Spannungen zwischen den Geschwistern, da Erika ihr das Recht absprach, objektiv über die Familiengeschichte berichten zu können. Die Presse allerdings äußerte sich wohlwollend über beide Bücher.

Von 1961 bis 1965 gab sie eine dreibändige Ausgabe ausgewählter Briefe Thomas Manns heraus. Auch die Werke ihres Bruders Klaus wurden von ihr betreut. So fand sie in Berthold Spangenberg den Verleger und in Martin Gregor-Dellin den Herausgeber für die Neuveröffentlichung der ersten Klaus-Mann-Werkausgabe in Einzelausgaben in der Nymphenburger Verlagshandlung ab 1963. Ihr Bruder sollte als bedeutender und nur durch die restaurative Einstellung des Nachkriegsdeutschlands missachteter Schriftsteller wieder entdeckt werden. Bis zu ihrem Tod war sie mit den juristischen Auseinandersetzungen um die Neuausgabe seines Mephisto befasst.

Seit längerem war ihre Beweglichkeit durch eine progressive Atrophie eingeschränkt; ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend. Gern hätte sie ein Buch über die Pfeffermühle geschrieben. „Aber läßt man mich denn“, schrieb sie am 13. September 1963 einem Freund. „Ich bin ein bleicher Nachlaßschatten und darf hienieden nichts mehr tun, als Briefbände, Anthologien und dergleichen meiner lieben Toten herausgeben.“[13] Kritiker bemängeln allerdings an ihrer Arbeit, dass sie in ihren Editionen vor fragwürdigen Streichungen nicht zurückschreckte. So wurden in der Auswahlausgabe von Thomas Manns Briefen Stellen getilgt, die sich auf dessen Neigung zur Homosexualität bezogen, und in Klaus Manns Der Wendepunkt schwächte sie zum Beispiel Passagen ab, die sich mit Gustaf Gründgens auseinandersetzten.

Durch ihre Prozessierlust und aggressiven Streitereien in den späten Jahren verspielte sie viele Sympathien. „Aus der Amazone wurde eine Erinnye“, schrieb der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki in seinem Buch Thomas Mann und die Seinen.“[14] Das Verhältnis zur Mutter und zu den Geschwistern war zunehmend gespannt, so beklagte sich Katia Mann am 5. August 1961 in einem Brief an ihren Zwillingsbruder Klaus Pringsheim: „Was mir meine alten Tage [...] vergällt, ist das mehr als unfreundliche Verhältnis meiner sämtlichen Kinder zur guten dicken Ältesten [...]. Auf der anderen Seite ist [Erika] maßlos empfindlich und mißtrauisch, hängt dabei in übertriebenem Maß selbst an mir, was mir gar nicht recht ist, da ich beständig Rücksicht auf sie nehmen muß.“[15]

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Gedenkplatte auf dem Kilchberger Familiengrab

Im Januar 1968 gab sie dem Schriftsteller und Essayisten Fritz J. Raddatz ein Fernsehinterview, das der WDR ausstrahlte. Auf dessen Frage, weshalb sie seit 1952 ihre Aufklärung mit spitzer Feder nicht mehr fortgeführt habe, obgleich sie doch mit ihrer Integrität und Artikulationsfähigkeit dafür prädestiniert sei, sich zur Weltpolitik und zu den Studentenunruhen zu äußern, antwortete sie freimütig: „Ich bin ein sehr gebranntes Kind“.[16] Nach den Erfahrungen in Deutschland, dann im europäischen Exil, anschließend im amerikanischen Exil mit dem Schock der McCarthy-Ära habe sie nicht noch ein viertes Mal anfangen wollen. Das sei „die traurige Wahrheit“, inzwischen sei ihr Platz „zwischen allen Stühlen“, aber der Platz sei vielleicht gar nicht so schlecht. Wenn man sie jedoch riefe, würde sie sich nicht weigern.

Erika Mann verstarb im Kantonsspital Zürich an einem Gehirntumor. Sie wurde im Familiengrab auf dem Friedhof in Kilchberg beigesetzt. Während der Trauerfeier am 30. August 1969 hielt Albrecht Goes die Trauerrede und zitierte Heinrich Heines „Guten Tambour“, dessen „heilige Unruhe“ die Leute aus dem Schlaf trommelt.

Nachwirkung und Kritik

  • Marcel Reich-Ranicki schreibt am 18. Januar 1986 in der FAZ: „Wenn der Eindruck nicht trügt, war es dieser hochbegabten und überaus temperamentvollen Frau nicht gegeben, in Frieden mit sich selber zu leben: Die man einst aus Deutschland vertrieben hatte, ist eine Getriebene geblieben. Überdies wurden ihr vermutlich tiefe persönliche Enttäuschungen nicht erspart“. Diese durchaus kritische Formulierung über die Persönlichkeit Erika Manns zeigt die Ambivalenz auf, die ihr Leben und Werk ausweist, denn Reich-Ranicki führt weiter in seinem Buch Thomas Mann und die Seinen aus: „Sie verfaßte rasche Reportagen und kühne Korrespondentenberichte, sie war eine politische Publizistin, der man Unabhängigkeit und Entschiedenheit auch dann bescheinigen mußte, wenn man ihre Ansichten nicht teilen konnte“.[17]
  • Der Sohn von Erika Manns Bruder Michael, Frido Mann, berichtet 2005 in seinem Geleitwort in Uwe Naumanns Die Kinder der Manns. Ein Familienalbum über die Folgen ihres langen Kampfes gegen die Barbarei: „ [...] Ein scheinbar ganz anderes Bild [...] gab nach Kriegsende Erika ab. Sie wirkte wie eine vom Sieg über die Nazibarbarei gestählte Amazone, die ich mir noch lange in ihrer englischen Uniform genau vorstellen konnte und von deren Abenteuerberichten aus dem Londoner Blitzkrieg, den Kampfhandlungen im teilweise noch besetzten Frankreich und dann von ihren geradezu apokalyptischen Begegnungen mit den in Nürnberg verurteilten Nazi-Kriegsverbrechern ich nie genug hören konnte. Die Narben durch ihre zehrende Verausgabung und Rastlosigkeit bei ihrem auf zwei Kontinenten geführten antifaschistischen Feldzug mit der Pfeffermühle und dann als Kriegskorrespondentin kamen erst nach der Rückkehr nach Europa in den fünfziger Jahren zum Vorschein und beschleunigten ihre zunehmende Zerrüttung und Erkrankung vor allem nach dem Tod ihres Vaters. [...]“ Und Erika Manns jüngste Schwester Elisabeth Mann Borgese äußert sich in Breloers Doku-Drama Die Manns – Ein Jahrhundertroman über ihre Schwester mit einer gewissen Ratlosigkeit: „Erika war ganz ungeheuer begabt – als Schauspielerin, als Schriftstellerin, als Journalistin, als Unternehmerin, als alles ... Und sie besaß einen Charme, wie ihn wenige haben. Also, was will man mehr im Leben? Aber sie hat sich eben ihr Leben sehr zerstört, und ist doch eigentlich sehr traurig verendet. Und man fragt sich immer: warum, wieso?“.[18]
  • Im Nachwort von Blitze überm Ozean, einer Erstveröffentlichung ihrer fragmentarischen Autobiografie Ausgerechnet Ich und zahlreicher Aufsätze, Reden, Reportagen (so der Untertitel) aus dem Jahr 2000, beschreiben die Herausgeber Irmela von der Lühe und Uwe Naumann Erika Manns schriftstellerische Intentionen. „ [...] Das Material für die Bücher sammelte sie auf ihren Reisen und während ihrer Tätigkeit als Kriegskorrespondentin; es wurde meist auch für Vorträge und öffentliche Auftritte verwendet. Auf Originalität kam es dabei weniger als als auf Authentizität; nicht für die Ewigkeit und ihren Nachruhm, sondern für den Augenblick, für die Aufklärung über die Gegenwart waren Bücher und Vorträge, Aufsätze und Rundfunkberichte gedacht. [...] “ Die Herausgeber zitieren am Ende die Vision Erika Manns:
Eine Welt – eine einzige, mäßig große, die Raum hat für alle, doch nicht für alles. Und wofür nun einmal gewiss nicht? Das Wort ist flach, und wir vermieden es lieber. Es ist unvermeidlich. Was hinter ihm steht, hat die Erde in Rauch und Flammen gehüllt und muss verfemt sein, nach den Gesetzen der neuen Welt. Es heißt: Nationalismus!
  • Die Journalistin Margrit Gerste äußert sich begeistert in der Zeit, Nr. 43/2000 über Blitze überm Ozean und erklärt die späte Veröffentlichung von Erika Manns Texten in Deutschland mit den Folgen des Kalten Krieges. „Sie hatte alles, was eine große Reporterin und Publizistin ausmacht: ein scharfes Auge, den untrüglichen Sinn für das Wesentliche, einen unabhängigen Geist und natürlich eine kraftvolle Sprache. Obendrein besaß sie Humor und Temperament. Sie war eine vehemente Wahrheitssucherin und Moralistin in den Zeiten der Lüge und Verkommenheit zwischen 1933 und 1945 und des widerwärtigen Freund-Feind-Denkens im Kalten Krieg. Wie gerne wäre man mit ihren Texten, ja, mit einem solchen journalistischen Vorbild aufgewachsen. Aber nein: Erst jetzt sind sie zugänglich, und man staunt, wie viele mit den Worten „Erstveröffentlichung“ oder „deutsche Erstveröffentlichung“ gekennzeichnet sind. [...] Warum Erika Mann im Nachkriegsdeutschland nicht zur gefragten Publizistin wurde, hat viel mit dem Kalten Krieg zu tun, der so manchen freien Geist zermalmte, den Nazis aber sehr zupass kam. [...] “
  • Erika Manns Biografin Irmela von der Lühe und auch bekannte „Mann-Experten“ wie Inge und Walter Jens oder Heinrich Breloer verfolgen die Auswirkung der jüdische Abstammung Katia Manns und ihrer Kinder in ihren Werken nicht ausreichend, so behauptet es wenigstens die Schriftstellerin Viola Roggenkamp. Die amerikanische Schriftstellerin Ruth Klüger rezensiert unter dem Titel Verleugnetes Judentum in der Welt vom 31. Dezember 2005 Roggenkamps Buch Erika Mann. Eine jüdische Tochter. Über Erlesenes und Verleugnetes in der Familia Mann-Pringsheim, das eine neue, wenn auch vielleicht zu einseitige Sichtweise der Familie Mann aufzeigt, wie folgt: „Viola Roggenkamp, die Autorin des erfolgreichen deutsch-jüdischen Romans Familienleben, nimmt sich dieser Fragen anhand von Deutschlands berühmtester „Mischehe“, die der Familie Pringsheim-Mann, an; eine Familie, die bekanntlich schon viel biografische Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Roggenkamp konzentriert sich auf einen Aspekt, den sie für vernachlässigt hält, und nimmt als Fokus, wenn auch nicht als ausschließliche Protagonistin, Erika, das älteste Kind der Manns. Laut Roggenkamp hat Erika Mann ihre jüdische Herkunft mütterlicherseits konsequent verleugnet, im Sinne, dass sie sich nie als Jüdin einstufte, und diese Verleugnung, so folgert sie, kam einer psychologischen Verdrängung im Freud'schen Sinne gleich, die sich in Erikas Leben, Schreiben und Denken ungut, oder zumindest belastend, auswirkte. Man kann dieses oder jenes Detail in dem zügig geschriebenen und polemisch angelegten Buch anzweifeln, doch die Autorin hat gewiss recht, wenn sie meint, es müsse doch stutzig machen, wenn eine Tochter aus prominenter und nur teils assimilierter Familie (Katia Manns Mutter war getauft, der alte Pringsheim war es nicht) während der großen Judenverfolgung, der sie in Deutschland zum Opfer gefallen wäre, sich nicht mit ihrem jüdischen Erbe auseinandersetzt, sondern konsequent so tut, als gäbe es das gar nicht. Erika Mann war umgeben von jüdischen Freunden, sowohl zu Hause wie in der Emigration, alle mehr oder minder assimiliert, aber sie zählte sich einfach nicht dazu. Sie leitete sich nur von der väterlichen, nicht von der mütterlichen Seite ab. So wurde diese hochbegabte Frau nach und nach Thomas Manns Tochter und weiter nichts. Die allzu enge Bindung an einen extrem ichbezogenen Vater verstellte ihr den Weg ins eigene Leben. [...]“
  • Manfred Koch in der Neuen Zürcher Zeitung vom 5. November 2005 sieht Roggenkamps Buch weniger positiv: [...] „Man staunt über die grossrichterliche Attitüde der Verfasserin, die sich nicht scheut, gleich zu Beginn mögliche Kritiker ihres Verfahrens vorsorglich unter Antisemitismus-Verdacht zu stellen. Roggenkamp huldigt einem diffusen Essenzialismus des „Jüdischseins“, der sie von genaueren historischen Überlegungen entlastet. Warum hätten diese Familien überhaupt die Pflicht haben sollen, ihrem Jüdischsein treu zu bleiben? Was hätte das konkret geheissen? Die Eingliederung in die deutsche Gesellschaft war unter den damaligen Bedingungen schlicht die einzige Möglichkeit, ein besseres Leben zu führen. Zu Beginn des Kaiserreichs zählten bereits fast zwei Drittel der deutschen Juden zur wirtschaftlichen und kulturellen Elite des Landes; die religiösen Bindungen und Lebensformen der Vergangenheit waren ihnen fern gerückt. [...] Das Desinteresse der Pringsheims und vieler anderer an ihrem jüdischen Erbe hat deshalb nichts von pathologischer Verdrängung oder gar Verrat. Erika Mann hat den Antisemitismus bekämpft, wo immer er ihr begegnete. Dass sie es ihrem Selbstverständnis nach nicht als Jüdin, sondern als demokratische Humanistin tat – wer darf ihr das verübeln?“

Sonstiges

  • Eine Grundschule in Berlin, die sich für soziale Gleichbehandlung einsetzt, trägt seit dem 8. November 1999 ihren Namen.
  • In München wurde 2004 die Erika-Mann-Straße nach ihr benannt.
  • Mit Beschluss vom 18. Dezember 2006 benannte der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg eine im Stadtteil Barmbek-Süd liegende, neu erstellte Bügelstraße „Erika-Mann-Bogen“.

Literatur von Erika Mann in deutschen Ausgaben (Auswahl)

  • Vorlage:PND
  • Zehn jagen Mr. X. Kinderbuch Verlag GmbH, Berlin 1990, ISBN 3-358-01562-9
  • Zehn Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich. Rowohlt, Reinbek 1997, ISBN 3-499-22169-1
  • Mein Vater, der Zauberer. Rowohlt, Reinbek 1998, ISBN 3-499-22282-5 (enthält den Briefwechsel mit Thomas und Katia Mann von 1919–1955 sowie Essays, Statements, Kommentare und Das letzte Jahr. Bericht über meinen Vater)
  • Briefe und Antworten, hrsg. von Anna Zanco-Prestel. Neuausgabe Rowohlt, Reinbek 1998, ISBN 3-498-04420-6
  • Blitze überm Ozean, Aufsätze, Reden, Reportagen. Rowohlt, Reinbek 2001, ISBN 3-499-23107-7 (enthält die fragmentarische Autobiografie Ausgerechnet Ich und ihre wichtigsten, zum Teil bisher unveröffentlichten journalistischen Arbeiten)
  • Stoffel fliegt übers Meer. Mit Bildern von Richard Hallgarten, Nachwort von Dirk Heißerer. Rowohlt, Reinbek 2005, ISBN 3-499-21331-1
  • Ausgerechnet Ich. Ein Lesebuch. Rowohlt, Reinbek 2005, ISBN 3-499-24158-7
  • Das letzte Jahr. Bericht über meinen Vater. Neuausgabe Fischer, Frankfurt/Main 2005, ISBN 3-596-16637-3
  • Wenn die Lichter ausgehen. Geschichten aus dem Dritten Reich. Rowohlt, Reinbek 2006, ISBN 3-499-24413-6

Zusammen mit Klaus Mann:

  • Rundherum. Abenteuer einer Weltreise. Rowohlt, Reinbek 1996, ISBN 3-499-13931-6
  • Escape to Life. Deutsche Literatur im Exil, Essays. Rowohlt, Reinbek 1996, ISBN 3-499-13992-8
  • Das Buch von der Riviera. Was nicht im Baedeker steht. Rowohlt, Reinbek 2003, ISBN 3-499-23667-2

Literatur über Erika Mann (und Familie)

  • Marcel Reich-Ranicki: Thomas Mann und die Seinen, Fischer, Frankfurt/Main 1990. ISBN 3-596-26951-2
  • Helga Keiser-Hayne: Erika Mann und ihr politisches Kabarett „Die Pfeffermühle“ 1933–1937, Texte, Bilder, Hintergründe. Erweiterte Neuausgabe. Rowohlt, Reinbek 1995. ISBN 3-499-13656-2
  • Irmela von der Lühe: Erika Mann: Eine Biographie, Campus Verlag, Frankfurt/Main; New York City 1993. Sonderband der Reihe: Geschichte und Geschlechter. ISBN 3-593-34917-5. Von der Autorin überarbeitete Ausgabe bei Fischer, Frankfurt/Main 1996. ISBN 3-596-12598-7
  • Andrea Weiss: Flucht ins Leben. Die Erika und Klaus Mann-Story. Rowohlt, Reinbek 2000. ISBN 3-499-22671-5
  • Heinrich Breloer und Horst Königstein: Die Manns. Ein Jahrhundertroman, Fischer, Frankfurt/Main 2003. ISBN 3-596-15380-8
  • Ute Kröger: „Wie ich leben soll, weiss ich noch nicht“. Erika Mann zwischen «Pfeffermühle» und «Firma Mann». Ein Porträt. Limmat-Verlag, Zürich 2005. ISBN 3-857-91484-X
  • Hildegard Möller: Die Frauen der Familie Mann. Piper, München 2005. ISBN 3-492-24576-5
  • Viola Roggenkamp: Erika Mann. Eine jüdische Tochter. Über Erlesenes und Verleugnetes in der Familie Mann-Pringsheim. Arche-Verlag, Zürich 2005. ISBN 3-716-02344-2
  • Uwe Naumann: Die Kinder der Manns. Ein Familienalbum. Rowohlt, Reinbek 2005. ISBN 3-498-04688-8
  • Klaus Mann: Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht. Erweiterte Neuausgabe, mit Textvariationen und Entwürfen im Anhang herausgegeben und mit einem Nachwort von Fredric Kroll. Rowohlt, Reinbek 2006, ISBN 3-49924409-8

Film

Wikiquote: Erika Mann – Zitate

Quellen

  1. Thomas Mann/Heinrich Mann: Briefwechsel 1900 - 1949, S. 109
  2. Thomas Mann: Tagebücher 1918-1921, Eintrag vom 10. März 1920
  3. Marcel Reich-Ranicki: Thomas Mann und die Seinen, S. 184
  4. Golo Mann, Meine Schwester Erika. In Erika Mann, Briefe II, S. 241
  5. Klaus Mann, Der Wendepunkt, S. 262
  6. Axel Schock & Karen-Susan Fessel: OUT! - 800 berühmte Lesben, Schwule und Bisexuelle, Querverlag, Berlin 2004, ISBN 3-89656-111-1, Eintrag Giehse Therese, S. 114
  7. Hildegard Möller: Die Frauen der Familie Mann, Piper, München 2005, S. 175
  8. a b c Irmela von der Lühe: Erika Mann, S. 129 Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Lühe“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  9. Klaus Mann, Der Wendepunkt S. 491 f.
  10. Irmela von der Lühe, Erika Mann S. 179 f.
  11. Irmela von der Lühe, Erika Mann S. 269 f.
  12. Erika Mann, Briefe und Antworten Bd. 1, S. 260 f.
  13. Keiser-Hayne, Pfeffermühle, S. 196
  14. Reich-Ranicki, Thomas Mann und die Seinen, S. 183
  15. Jens, Frau Thomas Mann, S. 282 f.
  16. Irmela von der Lühe, Erika Mann, S. 359 f. Wortlaut des Interviews im Erika-Mann-Archiv der Monacensia, München
  17. Marcel Reich-Ranicki, Thomas Mann und die Seinen, S. 180
  18. Breloer/Königstein, Die Manns, S. 424

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