Anna Seghers (* 19. November 1900 in Mainz; † 1. Juni 1983 in Berlin; bürgerlich Netty Radványi, gebürtig Reiling) war eine deutsche Schriftstellerin.
Leben
Anna Seghers war das einzige Kind des Kunsthändlers Isidor Reiling und seiner Frau Hedwig (geb. Fuld); die Familie bekannte sich zum orthodoxen Judentum. Sie besuchte erst eine Privatschule, dann ein Lyzeum (Oberschule für Mädchen). Im Ersten Weltkrieg leistete sie Kriegshilfsdienste. 1920 absolvierte sie das Abitur. Anschließend studierte sie in Köln und Heidelberg Geschichte, Kunstgeschichte und Sinologie. 1924 promovierte sie an der Universität Heidelberg mit einer Dissertation über Jude und Judentum im Werk Rembrandts. 1925 heiratete sie den ungarischen Soziologen László Radványi. Das Ehepaar zog nach Berlin, wo 1926 der Sohn Peter geboren wurde. Eine ihrer ersten Veröffentlichungen, die Erzählung "Grubetsch", erschien 1927 unter dem Künstlernamen Seghers (ohne Vornamen), worauf Kritiker einen Mann als Autor vermuteten. Das Pseudonym "Seghers" entlieh sie dem von ihr geschätzten niederländischen Radierer und Maler Hercules Segers (der Name wurde gelegentlich auch "Seghers" geschrieben).
1928 wurde die Tochter Ruth geboren. In diesem Jahr erschien auch Seghers erstes Buch "Aufstand der Fischer von St. Barbara" unter dem Pseudonym Anna Seghers. Für ihren Erstling wurde ihr, auf Vorschlag von Hans Henny Jahnn noch im selben Jahr der Kleist-Preis verliehen. Ebenfalls 1928 trat sie der KPD bei, und im folgenden Jahr war sie Gründungsmitglied des "Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller". 1930 reiste sie erstmals in die Sowjetunion. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Anna Seghers kurzzeitig von der Gestapo verhaftet; wenig später konnte sie in die Schweiz fliehen, von wo aus sie sich nach Paris begab.
Im Exil arbeitete sie an Zeitschriften deutscher Emigranten mit; unter anderem wurde sie Mitglied der Redaktion der Neuen Deutschen Blätter. 1935 war sie eine der Gründerinnen des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller in Paris. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs und dem Einmarsch deutscher Truppen in Paris wurde Seghers Mann in Südfrankreich im Lager Le Vernet interniert. Anna Seghers gelang mit ihren Kindern die Flucht aus dem besetzten Paris in den von Henri Philippe Pétain regierten Teil Südfrankreichs. Dort bemühte sie sich von Marseille aus um die Freilassung ihres Mannes sowie um Möglichkeiten zur Ausreise. Diese Zeit bildet den Hintergrund des Romans Transit (erschienen 1944).
Im März 1941 gelang es Anna Seghers mit ihrer Familie von Marseille aus über Martinique, New York, Veracruz nach Mexico City auszuwandern. Ihr Mann, der sich inzwischen mit deutschem Namen Johann-Lorenz Schmidt nannte, fand dort Anstellung, erst an der Arbeiter-Universität, später auch an der Nationaluniversität. Anna Seghers gründete den antifaschistischen Heinrich-Heine-Klub dessen Präsidentin sie wurde. Gemeinsam mit Ludwig Renn rief sie die Bewegung Freies Deutschland ins Leben und gab deren gleichnamige Zeitschrift heraus. 1942 erschien ihr wahrscheinlich berühmtester Roman Das siebte Kreuz in einer englischen Ausgabe in den USA und auf deutsch in Mexiko. Im Juni 1943 erlitt Anna Seghers bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen, die einen langen Krankenhausaufenthalt notwendig machten. 1944 verfilmte Fred Zinnemann Das siebte Kreuz - der Erfolg von Buch und Film machten Anna Seghers weltberühmt.
1947 verließ Seghers Mexiko und kehrte nach Berlin zurück, wo sie anfangs als Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in West-Berlin lebte. Ebenfalls in diesem Jahr wurde ihr der Büchnerpreis verliehen. 1950 zog sie nach Ost-Berlin. Sie wurde Mitglied des Weltfriedensrates und zum Gründungsmitglied der Deutschen Akademie der Künste berufen. 1951 erhielt sie den Nationalpreis der DDR und unternahm eine Reise nach China. 1952 wurde sie Vorsitzende des Schriftstellerverbandes der DDR (bis 1978). 1955 zogen Anna Seghers und ihr Mann in die Volkswohlstraße 81 (heute Anna-Seghers-Straße), in Berlin-Adlershof, wo sie bis zu ihrem Tod wohnen bleiben sollten. Heute befindet sich in der Wohnung die Anna-Seghers-Gedenkstätte, ein Museum zu Leben und Werk der Autorin.
Als 1957 Walter Janka, dem Leiter des Aufbau-Verlages (wo auch Seghers Bücher erscheinen), wegen angeblicher 'konterrevolutionärer Verschwörung' der Prozess gemacht wurde, organisierte sie dagegen eine Resolution Berliner Schriftsteller und intervenierte - erfolglos - bei Walter Ulbricht. 1961 reiste sie nach Brasilien. 1975 wurde ihr der Kulturpreis des Weltfriedensrates verliehen sowie die Ehrenbürgerschaft von (Ost-)Berlin. 1978 trat sie als Präsidentin des Schriftstellerverbandes zurück und wurde dessen Ehrenpräsidentin. Im selben Jahr starb ihr Mann. 1981 wurde Anna Seghers auch die Ehrenbürgerwürde ihrer Geburtstadt Mainz verliehen. Sie starb am 1. Juni 1983 und wurde, nach einem Staatsakt in der Akademie der Künste, auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin beigesetzt.
Werke
Die frühen Werke Anna Seghers können der Neuen Sachlichkeit zugeordnet werden. In der Exilliteratur spielte sie nicht nur als Organisatorin eine wichtige Rolle, sondern schrieb mit Transit und Das siebte Kreuz auch zwei der literarisch bedeutendsten Romane dieser Zeit. Ihr späteres Werk wurde, vor allem im Westen, lange häufig allzu schematisch dem Sozialistischen Realismus zugeordnet. Zwar zeigt es in der Tat hin und wieder Schwächen, die durch ihre offizielle Funktion (als Präsidentin des Schriftstellerverbandes) vielleicht mitbedingt sind. Dennoch behielten gerade viele ihre Erzählungen bis ins hohe Alter eine Frische, die nicht zuletzt daher rührt, dass sie immer wieder Stoffe aus der Renaissance, aus Ostasien, der Karibik oder Mexiko aufgriff, die sie sowohl einfühlsam, kenntnisreich, wie auch mit großer Erfindungs- und Gestaltungsgabe - jenseits aller Klischees - literarisch großartig zu erzählen verstand.
- 1928 - Aufstand der Fischer von St. Barbara
- 1930 - Auf dem Wege zur amerikanischen Botschaft und andere Erzählungen
- 1932 - Die Gefährten
- 1933 - Der Kopflohn
- 1935 - Der Weg durch den Februar
- 1937 - Die Rettung
- 1940 - Die schönsten Sagen vom Räuber Woynok. Sagen von Artemis
- 1942 - Das siebte Kreuz
- 1943 - Der Ausflug der toten Mädchen
- 1944 - Transit
- 1948 - Sowjetmenschen. Lebensbeschreibungen nach ihren Berichten
- 1949 - Die Toten bleiben jung
- 1949 - Die Hochzeit von Haiti
- 1950 - Die Linie
- 1951 - Crisanta
- 1951 - Die Kinder
- 1952 - Der Mann und sein Name
- 1953 - Der Bienenstock
- 1958 - Brot und Salz
- 1959 - Die Entscheidung
- 1961 - Das Licht auf dem Galgen
- 1963 - Über Tolstoi. Über Dostojewski
- 1965 - Die Kraft der Schwachen
- 1967 - Das wirkliche Blau. Eine Geschichte aus Mexiko
- 1968 - Das Vertrauen
- 1969 - Glauben an Irdisches
- 1970 - Briefe an Leser
- 1970 - Über Kunstwerk und Wirklichkeit
- 1971 - Überfahrt. Eine Liebesgeschichte
- 1977 - Steinzeit. Wiederbegegnung
- 1980 - Drei Frauen aus Haiti
- 1990 - Der gerechte Richter (entstanden 1957, aber seinerzeit aus politischen Gründen nicht veröffentlicht)