Litauerkriege des Deutschen Ordens
Die Litauerkriege des Deutschen Ordens in den Jahren 1303 bis 1410 waren eine mehr als hundert Jahre dauernde kriegerische Auseinandersetzung zwischen dem Deutschen Orden und dem Großfürstentum Litauen.


Ursache war neben territorialen Motiven des Deutschen Ordens, die konsequente Verweigerung der litauischen Großfürsten, das Christentum als offizielle Staatsreligion anzuerkennen. Fortan galten die Litauer in ihrer Gesamtheit als „unbelehrbare“ Heiden, zu deren Bekehrung nur das Schwert verhalf. Der Ordenschronist Peter von Dusburg charakterisierte die Litauer um 1326 aus der Perspektive des Deutschen Ordens:
- „… ein mächtiges und überaus halsstarriges und kriegsgeübtes Volk“
Diese Tatsache kaschierte nur schwach das unbestreitbare Interesse des Deutschen Ordens, mit der Eroberung des litauischen Schamaitens eine weiträumige Landbrücke zwischen seinen Kerngebieten Preußen und Livland zu gewinnen. Darüber hinaus spielte auf Seiten des Ordens der Heidenkampf, der seit dem Verlust Akkons (1291) gegen die nahöstlichen Muslime weitgehend ruhte, eine ideologisch tragende Rolle. Diese Auseinandersetzung gab dem Orden seine offizielle Legitimation.
Vorgeschichte
Mit dem Eintreffen der ersten Deutschritter unter Hermann Balk 1230 im Kulmer Land veränderte sich die Machtkonstellation im gesamten Baltikum zugunsten der römisch-katholischen Kirche. Bisher huldigte man im Land der Pruzzen wie in Litauen Naturgottheiten wie dem Donnergott Perkunos. Bereits in den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts kam es zu ernsthaften Auseinandersetzungen zwischen Christen und litauischen Heiden. Es geschah nicht in Preußen/Pruzzenland sondern weiter nördlich, zu Livland, wo der 1202 gegründete Schwertbrüderorden Fuß gefasst hatte. Da Livland an Schamaiten, auch Niederlitauen genannt, grenzte, erfolgte dort eine erste folgenschwere Konfrontation zwischen christlichen Rittern und Litauen. Diese Auseinandersetzung kumulierte 1236 in der sogenannten Sonnenschlacht bei Schaulen, wo die Schwertbrüder vernichtend geschlagen wurden. Im Ergebnis dieses Treffens wurde der geschwächte Schwertbrüderorden auf päpstlichen Schiedsspruch hin (Vertrag von Viterbo), in den Deuschen Orden integriert. Auch nach dem Zusammenschluss gingen die Kämpfe weiter, gipfelten erneut 1261 mit der Schlacht an der Durbe, in deren Verlauf die vereinigte deutsch-pruzzisch-kurische Streitmacht des Ordens unter schwersten Verlusten zerschlagen wurde. Unmittelbare Folge des litauischen Sieges war der große Aufstand der Pruzzen im bisher befriedeten Preußen, dem der Orden erst nach schweren Kämpfen im Jahre 1272 Herr werden konnte. In den Jahrzehnten bis 1303 herrschte Ruhe an der europäischen Grenzlinie zwischen Christen- und Heidentum, obwohl immer wieder kleinere litauische Streifscharen vornehmlich in Livland einfielen.
Geschichte der Auseinandersetzung
Die Jahre 1303 bis 1386
Erneut flammte der Konflikt mit der Inthronisierung des litauischen Großfürsten Wyten nach 1303 auf. Der Orden, seit 1283 im Pruzzenland konsolidiert, suchte mit Streifzügen von Semgallen und Schalauen aus, die unzugänglichen litauische Gebiete vorzudringen. In den Grenzmarken wurden Trutzburgen errichtet, von denen Ragnit und Georgenburg die Bedeutendsten wurden. Wyten schlug umgehend zurück, suchte mit seinen berüchtigten Reitern die preußischen Grenzregionen heim. Einer der schwersten Litauereinfälle jener Jahre ereignete sich 1311, in dessen Verlauf Wytens Krieger das Ermland bis Braunsberg durchzogen. Es gelang den Ordensrittern, unter dem Ordensmarschall Heinrich von Plotzke, die Eindringlinge zurückzuschlagen, jedoch wurzelte seither allgemeine Furcht vor den „wilden Heiden“ in der Landbevölkerung tief (siehe: Chronicon Terrae Prussiae des Chronisten Peter von Dusburg).
Ritter des Ordens, oft in Begleitung sogenannter Preußenfahrer, setzten in der Folge die Raubzüge unter dem Zeichen des Kreuzes nach Schamaiten fort. Unter Großfürst Gediminas von Litauen intensivierten sich die Kampfhandlungen beiderseits der Grenzen, um nach dessen Tod vor Georgenburg 1341 wieder abzuflauen.
Nach 1344 strebte der Konflikt mit Gediminas’ Nachfolgern Algirdas und Kęstutis einem weiteren Höhepunkt entgegen: Litauen expandierte unter Algirdas nach Südosten, während Kęstutis sich den westlichen Grenzen zuwandte. Das bedeutete Ende der vierziger Jahre des 14. Jahrhunderts verheerende Einfälle litauischer Reiterscharen. Zwar gelang es 1348 dem damaligen Großkomtur Winrich von Kniprode, Kęstutis in der Schlacht an der Streva einen empfindlichen Schlag zu versetzen, die massive Bedrohung der preußischen Kernlande blieb jedoch bestehen.
Unter Hochmeister Winrich von Kniprode trat in der Folge eine Beruhigung innerhalb der Grenzen des Ordenslandes ein, zumal es dem Ordensmarschall Henning Schindekopf gelang, Kęstutis im Jahre 1361 gefangenzunehmen sowie 1362 die litauische Burg Kaunas zu zerstören. Kęstutis entkam aus der Marienburg und der Februar 1370 sah einer Entscheidungsschlacht entgegen: Neben Kęstutis führte gleichzeitig sein Bruder Algirdas Aufgebote aus Litauen sowie tributpflichtige Russen und Tataren an die Grenzen des Ordenstaates beim Frischen Haff unweit Königsbergs. Der Orden trat ihnen mit gesamter Macht bei Rudau entgegen. Unter schweren Verlusten gelang es dem Ordensheer, die Heeresmacht der Litauer zurückzudrängen, in den Grenzgebieten trat vorerst Ruhe ein.
Weitere Vorstöße des Ordens, massiv unterstützt durch Preußenfahrer, führten teilweise bis Wilna und Trakai. Diese zogen erbitterte „Strafexpeditionen“ der Litauer nach sich. Sie wurden in den folgenden Jahren wiederum von Kęstutis angeführt.
Die Jahre 1386 bis 1409
Ein Umschwung setzte schon 1377 mit dem Tod Algirdas’ ein. In Litauen entbrannte ein Machtkampf zwischen Algirdas' Söhnen und dessen Bruder Kęstutis nebst dessem Sohn Vytautas. Namentlich mit Jogaila trat ein Mann das Erbe Algirdas' an, der den Krieg zwischen Orden und Litauen beenden sollte.
Vorerst wusste der Orden den innenpolitischen Konflikt Litauens auf diplomatischem und militärischem Wege zu seinen Gunsten zu nutzen. So unterstützten Ordensritter um 1380 Jogaila durch nachhaltige Angriffe auf Kestutis' Herrschaftsgebiet. Während Kęstutis 1382 bei den inneren Konflikten zu Tode kam, entkam Vytautas und bediente sich in der Folge des Deutschen Ordens als Bündnispartner beim Machtkampf mit Jogaila.
Mit Jogailas 1386 erfolgten Inthronisierung zum König von Polen, als vom polnischen Adel bestimmter Gemahl Hedwigs von Polen, räumte dieser seinem Vetter weitgehende Befugnisse in Litauen ein (siehe: Union von Krewo). Da Wytautas infolge seiner Politik der Ostexpansion gegen die Goldene Horde Handlungsfreiheit benötigte, bestätigte er dem Orden 1388 im Vertrag von Sallinwerder die Besitzrechte an Schamaiten.
Insbesondere die Thronbesteigung Jogailas als Wladyslaw II. in Verbindung mit der nun einsetzenden Christianisierung Litauens stellte den Deutschen Orden vor nachhaltige ideologische Probleme. Die gewaltsame Missionierung "widerspenstiger Heiden" war seine offizielle Legitimation. So stellte der Orden die Tatsache der Christianisierung Litauens im Rahmen der polnisch-litauischen Union noch bis 1410 in Frage. Die militärische Bedrohung des Deutschordensstaates, infolge der territorialen Umfassung seiner südlichen Grenzen durch die seit der Annexion Pommerellens 1309 den Deutschrittern feindlich gesinnte polnische Schlachta, erwies sich als verhängnisvoll.
Mit der vernichtenden Niederlage Vytautas’ in der Schlacht an der Worskla setzte ein Umschwung in dessen Außenpolitik ein. Suchte er bisher, den Orden zu gewinnen, um einen Rückhalt bei seinen strategischen Ambitionen im Osten zu haben, ergriff er im dem Orden verpfändeten Schamaiten die Initiative.
Schriftlich niedergelegte Klageschriften der unter der restriktiven Gewaltherrschaft des Ordens aufbegehrenden schamaitischen Bevölkerung erreichten sowohl Kurie als auch zahlreiche Kanzleien europäischer Fürsten und die maßgeblichen Städte Westeuropas. Von Vytautas begünstigt, brach in Schamaiten um 1400 ein Guerillakrieg aus, der 1409 in einem Aufstand unter ausdrücklicher Billigung Jogailas in seiner Eigenschaft als König von Polen mündete.
Das Ende: Tannenberg, 1410
Mit dem kriegerischen Konflikt zwischen der bestehenden Allianz Polen-Litauen und dem Orden, beginnend mit der 1409 erfolgten Kriegserklärung des Ordens unter dem Hochmeister Ulrich von Jungingen an Polen, näherte sich der Konflikt seinem Höhepunkt. Nach der katastrophalen Niederlage in der Schlacht bei Tannenberg am 15. Juli 1410 fanden jegliche territoriale Ambitionen des Deutschen Ordens betreffs Litauens ein Ende.
Im Ersten Frieden von Thorn 1411 musste der Deutsche Orden unter anderem auf den Besitz Schamaitens verzichten, war weiterhin gezwungen, endgültig etweilige Missionierung in Litauen zu unterlassen. Es sollte in der Folge noch zu weiteren kriegerischen Auseindersetzungen zwischen dem Orden und Litauen kommen, die Zeit ständiger militärischer Konflikte war hingegen mit der Vernichtung des Ordensheeres bei Tannenberg beendet.
Bewertung
Es sollte dem Orden nie gelingen, in der litauischen Wildnis dauerhaft Fuß zu fassen. Dieses Resultat langjähriger Bemühungen ergab sich aus Ungunst der Umstände, wie der Unbegehbarkeit der Fluren in warmen Jahreszeiten sowie aus dem aktiven Widerstand der ansässigen Bevölkerung. Selbst das Argument der Bekehrung der dem „finsteren“ Heidentum „verfallenden“ Litauer vermochte keinerlei Wirkung zu zeigen, zumal allzu offensichtlich blieb, dass die christliche Missionierung nur ein Vorwand für territoriale Interressen darstellte. Unter diesen ideologischen Aspekten erwies sich eine friedliche Übereinkunft der Kontrahenten als unmöglich. Litauens Großfürsten setzten ihrerseits auf eine militärische Lösung der steten Bedrohung aus Westen und Norden, was sich angesichts der militärischen Macht des Deutschen Ordens als undurchführbar erwies. Erst mit der, seitens der Litauer Führungsschicht weitgehend widerwillig herbeigeführten, Union Polen-Litauen nach 1386 vermochte man es, den Ansprüchen des Ordens entschlossen entgegenzutreten. Grundsätzlich vollzog sich dieser Prozess allerdings erst kurz vor der Schlacht bei Tannenberg (1410). In diesem entscheidenden Treffen wurde die Grundlage der Präsenz des Deutschen Ordens, seine militärische Stärke, vorerst gebrochen. In der Folge wurde die Streitmacht des Ordens nur noch defensiv aktiv, was die ein Jahrhundert andauernde Bedrohung litauischer Kernlande ausschloss.
Zeittafel
Vorgeschichte
- 1236 Schlacht bei Schaulen; vernichtende Niederlage des Schwertbrüderordens
- 1237 Anschluss des Schwertbrüderordens aufgrund des Vertrages von Viterbo an den Deutschen Orden
- 1261 Schlacht an der Durbe; Anlass für den Großen Pruzzenaufstand 1261-1272
- 1275-1299 unregelmäßig erfolgende Kriegszüge litauischer Scharen, zum Teil im Auftrag des Erzbischofs von Riga, durch Semgallen
1303-1409
- 1303 erste litauische Streifzüge in preußischen Grenzgemarkungen wie Schalauen
- um 1311 massiver Litauereinfall unter Wyten ins Ermland
- 1312-1322 Angriffe des Deutschen Ordens in Schamaiten
- 1334-1341 Attacken der Litauer unter Gediminas auf die preußischen Grenzregionen Schalauen und Semgallen
- 1346-1348 erneute litauische Angriffe unter Führung von Kęstutis
- 1348 Schlacht an der Streva; schwere Niederlage Litauens
- 1361 Kęstutis gerät erstmals in die Gefangenschaft des Ordens; 1362 flieht er
- 1362-1369 Einfälle der Ordensritter unter Ordensmarschall Henning Schindekopf in Litauen, 1362 Zerstörung von Kaunas durch Streitkräfte des Ordens
- 1370 Konzentrischer Angriff auf den Ordensstaat; Schlacht bei Rudau; unter schweren Verlusten werden die Litauer mitsamt ihrer Hilfstruppen abgewehrt
- 1377-1382 Machtkämpfe in Litauen unter steter Einmischung des Ordens
- 1386 Jogaila besteigt als Wladyslaw II. den Thron Polens, sein Vetter Vytautas wird nach weiteren Machtkämpfen zum Großfürsten Litauens
- 1388 Vertrag von Sallinwerder, Vytautas übereignet dem Orden Schamaiten, um freie Hand für die Expansion nach Osten zu bekommen
- 1399 Schlacht an der Worskla; die Niederlage beendet die Ambitionen Vytautas im Osten
- ab 1400 Kleinkrieg im dem Orden vepfändeten Schamaiten
- 1409 allgemeiner Aufstand in Schamaiten, Kriegserklärung des Ordens an Polen-Litauen
1410/11
- 1410 Schlacht bei Tannenberg; eine vereinigte polnisch-litauische Streitmacht besiegt das Ordensheer
- 1411 im Ersten Frieden von Thorn verzichtet der Deutsche Orden auf sämtliche Besitzansprüche in Litauen (pro forma vorerst auf Lebenszeit Jogailas und Wytautas')
Literatur
Zeitgenössische Chroniken
- Peter von Dusburg: Chronicon Terrae Prussiae (um 1326).
- Nikolaus von Jeroschin: Di Kronike von Pruzinlant (Übertragung des Chronicon Terrae Prussae ins Niederdeutsche mit Ergänzungen, um 1340).
- Wigand von Marburg: Chronica nova Prutenica (in Fragmenten überliefert, um 1400).
- Jan Długosz: Banderia Prutenorum (Beschreibung der Kriegserereignisse um 1410, um 1440 entstanden).
- Jan Długosz: Annales seu Cronicae incliti Regni Poloniae (Chronik Polens, um 1460).
Quelleneditionen
- Theodor Hirsch, Max Toeppen, Ernst Strehlke: Scriptores rerum Prussicarum. Die Geschichtsquellen der preußischen Vorzeit bis zum Untergang der Ordensherrschaft. Bände 2–5, Leipzig 1861–1874.
- Klaus Scholz, Dieter Wojtecki: Peter von Dusburg. Chronik des Preußenlandes. Übersetzung und Erläuterung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1984, ISBN 3-534-00604-6 (Ausgewahlte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Band XXV).
Darstellungen
- Helmut Bauer: 'Peter von Dusburg und die Geschichtsschreibung des Deutschen Ordens im 14. Jahrhundert in Preussen. Kraus, Vaduz 1965 (Nachdruck der Ausgabe Ebering, Berlin 1935).
- Hartmut Boockmann: Der Deutsche Orden. 12 Kapitel aus seiner Geschichte. Beck, München 1999, ISBN 3-406-38174-X.
- Alain Demurger: Die Ritter des Herrn. Geschichte der geistlichen Ritterorden. Beck, München 2003, ISBN 3-406-50282-2.
- Hermann Schreiber: Preußen und Baltikum unter den Kreuzrittern. Die Geschichte des Deutschen Ordens. Casimir Katz Verlag, Gernsbach 2003, ISBN 3-925825-83-5.
- Wolfgang Sonthofen: Der Deutsche Orden. Weltbild, Augsburg 1995, ISBN 3-89350-713-2.
- Marian Tumler: Der Deutsche Orden im Werden, Wachsen und Wirken bis 1400. Panorama-Verlag, Wien 1954.
- Dieter Wojtecki: Studien zur Personengeschichte des Deutschen Ordens im 13. Jahrhundert. Steiner, Wiesbaden 1971 (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, Bd. 3; zugleich Teildruck der Dissertation, Münster 1968).
- Uwe Ziegler: Kreuz und Schwert. Die Geschichte des Deutschen Ordens. Böhlau, Köln 2003, ISBN 3-412-13402-3.
- Dieter Zimmerling: Der Deutsche Ritterorden. Econ, München 1998, ISBN 3430-19959-X.