Pygmäen

Ethnie in Afrika
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Pygmäen ist ein traditioneller und gängiger, aber ethnologisch unbrauchbarer Sammelbegriff zur Bezeichnung einer Vielzahl kulturell unterschiedlicher Gesellschaften – ca. 150.000 Menschen – in Zentralafrika. Gemeinsames Merkmal ist die relativ geringe Körpergröße. Der deutsche Name leitet sich von dem altgriechischen Wort pygmaios ab, was soviel wie „eine Faust kurz“ bedeutet. Sprachkritiker wie Andriana Boussoulas empfehlen, den Begriff ersatzlos zu streichen und stattdessen für die einzelnen Gesellschaften deren jeweilige Selbstbezeichnungen zu verwenden. Im kolonialen Sprachgebrauch wurden Batwa Akka, Bakango, Batschwa, Efe, Mbuti/Bambuti, Binga, Bongo, Bagielli, Ba-Benjelle, Twa u.a. als Pygmäen bezeichnet (Liste afrikanischer Völker).

Pygmäenfrau mit Kindern, Demokratische Republik Kongo

Geschichte

Die älteste Quelle, die von Pygmäen berichtet, ist ein Brief des ägyptischen Pharaos Pepi II. (23. Jahrhundert v. Chr.). Dort ist von einer Handelsexpedition die Rede, die aus dem Reich Jam (heutiger Sudan) einen „Zwerg des Gottestanzes“ mitbrachte, bei dem es sich anscheinend um einen Pygmäen handelte. Dieser wurde als Geschenk von höchstem Wert betrachtet. Der gleiche Brief erwähnt außerdem, dass bereits unter Pharao Djedkare ein Ägypter einen kleinen Mann aus Punt mitgebracht hatte. Eine Passage in den Pyramidentexten (Spruch 517) erwähnt ebenfalls einen „Zwerg der Gottestänze“.

Siedlungsgebiete

 
Karte der Pygmäengebiete in Afrika

Die als Pygmäen bezeichneten Völker in Zentralafrika gelten als Urbevölkerung der heutigen Staaten Zentralafrikanische Republik, Ruanda, Gabun und Demokratische Republik Kongo (früher Zaire). Sie leben heute wie seit jeher als Jäger und Sammler. Zur Zeit (Stand 2006) soll ihre Zahl noch etwa 140.000 Personen betragen.

Gesellschaften

Bambuti, Binga, Bongo, Bagielli, Twa

Sie werden meist von der übrigen Bevölkerung diskriminiert und teilweise als Leibeigene gehalten. Bleibt ma locker lo! Widde ich kack ab!

Kleinwuchs

Bis ins frühe Teenageralter verläuft ihr Wachstum fast wie bei anderen Menschen, nur wachsen sie danach nicht mehr weiter. Mbuti, Khoisan, Bambuti, Binga, Bongo, Bagielli, Twa u.a. haben eine verringerte Produktion des Wachstumsfaktors IGF. Aber nicht bei allen Gruppen der Pygmäen zeigt sich diese genetische Besonderheit. Die durchschnittliche Körpergröße erwachsener Pygmäen liegt bei Männern bei ca. 152 cm und bei Frauen bei ca. 147 cm.

Sprachen

Sie sprechen verschiedene Bantusprachen, die mit den Sprachen der sie umwohnenden Völker verwandt sind.

Lebensweise

Als Jäger und Sammler leben sie in kleinen Gruppen, die aus etwa 20 Familien bestehen in den Urwäldern. Sie bilden monogame Kleinfamilien.

Perspektiven

Da die Urwälder immer stärker von anderen Menschen besiedelt bzw. zerstört werden, ist der traditionelle Lebensraum dieser Gesellschaften gefährdet. Sie gelten als vom Aussterben bedroht.

Europäische Mythologie, Literatur und Kunst

Obwohl man vor dem 19. Jahrhundert in Europa nichts Genaues und Sicheres über die Pygmäen wusste, beschäftigte man sich seit den Anfängen der Antike mit dem Thema. Dabei sind zwei getrennte Ansätze zu unterscheiden, der mythische und der ethnographische.

Antike

Der Begriff Pygmäen (pygmaíoi) taucht schon bei Homer auf (Ilias 3, 3-7). Dort wird nur beiläufig erwähnt, dass die Kraniche im Herbst zum Okeanos fliegen und den Pygmäen in erbarmungslosem Kampf den Tod bringen. Es gab damals also bereits eine Pygmäensage, die Homer als bekannt voraussetzt. Diese Sage war in der gesamten Antike populär, besonders in der bildenden Kunst. Zum Kernbestand der Pygmäensage, die in verschiedenen Varianten erzählt und künstlerisch gestaltet wurde, gehören folgende Elemente: Die Pygmäen werden als nackte oder sehr spärlich bekleidete, jedoch Ackerbau treibende Höhlenbewohner am Rande der bewohnten Welt beschrieben. Nach Aristoteles lebten sie im sumpfigen Gebiet der Nilquellen; manche Autoren nennen andere Gegenden. Ihre Kampfkraft wird als niedrig bezeichnet, was seinen Grund in ihrer geringen Größe hat. Für diese schwankten die gängigen Annahmen zwischen ca. 30 cm und etwas weniger als einem Meter. Bei der "Faustlänge", von der das Wort Pygmäe abgeleitet wurde, handelt es sich um das antike griechische Längenmaß pygmé (ca. 35 cm).

Die Todfeinde der Pygmäen waren nach der Sage die Kraniche, gegen die sie alljährlich auf Leben und Tod kämpften und deren Gelege und Nachwuchs sie nach Möglichkeit vernichteten. Die Pygmäen waren bewaffnet, unterlagen aber meist und wurden von den Kranichen getötet. Dieser „Kranichkampf“ (Geranomachie) hat die Phantasie vieler griechischer, etruskischer und römischer Künstler beschäftigt. Er wurde als tragikomisches und unterhaltsames Motiv auf Vasen und Trinkgefäßen, Wandgemälden und Gemmen dargestellt. Man fasste dies als Parodie auf die Heldensage auf. Auch Statuetten, Reliefs, Mosaike und Lampen zeigten Pygmäen.

Unabhängig von diesem Mythos gab es ethnographische Nachrichten über kleinwüchsige Afrikaner südlich der Libyschen Wüste. Herodot (II, 32-33) berichtet, dass fünf junge Abenteurer, die die Wüste von Libyen aus durchquert hatten, von kleinen Menschen gefangengenommen wurden, die an einem großen Fluss lebten. Diese bezeichnet Herodot nicht als Pygmäen, unterscheidet also klar zwischen dem Pygmäenmythos und dem Bericht über jene Expedition. Tatsächlich war der Lebensraum der Pygmäenvölker früher viel ausgedehnter als heute; noch um 1930 wurden Pygmäen am Bahr al-Ghazal im Südsudan beobachtet.

Mittelalter

Im Mittelalter war man auf die antike Überlieferung angewiesen; angebliche Augenzeugenberichte, wonach tote Pygmäen nach Europa gebracht wurden, sind nicht glaubwürdig. In der damals maßgeblichen lateinischen Bibelübersetzung, der Vulgata, kommt die Bezeichnung Pygmäen vor (Ezechiel 27, 11). An den spätmittelalterlichen Universitäten wurde darüber debattiert, ob die Pygmäen Menschen sind oder ob es sich um eine besondere Affenart handelt, gewissermaßen eine Zwischenstufe zwischen Mensch und Tier. Diese Diskussionen spielten im 13. Jahrhundert bei der Festlegung der Definitionsmerkmale des Begriffs Mensch eine wichtige Rolle. Ferner wurde eine Pygmäenepisode in die populäre Herzog-Ernst-Sage aufgenommen; Herzog Ernst greift auf der Seite der Pygmäen in den Kampf gegen die Kraniche ein, und zwar im Orient, denn man vermutete das Land der Pygmäen auch – wie schon einzelne antike Autoren – im Osten.

Die Pygmäensage mit dem Kranichkampf war bis nach China verbreitet; sie findet sich in chinesischen Enzyklopädien des 7. bis 9. Jahrhunderts n. Chr., wo die Größe der Pygmäen mit knapp drei Fuß (ca. 90 cm) angegeben wird.

die Neuzeit

In der frühen Neuzeit setzten Naturforscher und Ärzte, Philosophen, Philologen und Theologen die Pygmäendebatte eifrig fort. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde oft die Existenz der Pygmäen bestritten oder behauptet, es handle sich um eine Tierart; manche Theologen hielten sie für Dämonen. In der Epoche der Aufklärung betrachtete man sie als Fabelwesen. Unabhängig von diesen theoretischen Diskussionen waren seit dem späten 16. Jahrhundert einzelne authentische Nachrichten über kleinwüchsige afrikanische Völker nach Europa gedrungen, fanden aber wenig Beachtung. Als in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausführlichere Berichte von Entdeckern vorlagen, sprach man zunächst nicht von Pygmäen. Erst später wurde mit dieser Bezeichnung an den antiken Mythos angeknüpft. Dabei beachtete man nicht, dass es schon in der Antike eine Unterscheidung zwischen dem Pygmäenmythos und Berichten über kleinwüchsige Afrikaner gab.


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