Mit Volkskirche bezeichnet man heute in der Regel jene Kirchen, zu denen - im Gegensatz zu sogenannten Minderheitskirchen größere Teile eines Volkes gehören. Volkskirchen in diesem Sinne sind in Deutschland die evangelischen Landeskirchen und die Römisch-katholische Kirche. Der zunehmende Mitgliederschwund der Kirchen in Deutschland und die abnehmende Glaubenspraxis bringen gegenwärtig eine Entwicklung von der Volkskirche zur Entscheidungskirche mit sich.
Zum Begriff
Der Begriff "Volkskirche" wurde von Friedrich Schleiermacher geprägt und ist im Laufe der Geschichte recht unterschiedlich verstanden worden. Nicht verwechselt werden darf der Begriff "Volkskirche" mit den Bezeichnungen Staatskirche beziehungsweise Landeskirche. Zwar können Volkskirchen auch Staats- oder Landeskirche sein, es gibt jedoch auch staatsfreie Volkskirchen - so zum Beispiel die Römisch-katholische Kirche in Frankreich, oder langsam volksfrei werdende Staatskirchen - wie die Church of England. "Volkskirche" bezieht sich also nicht auf die juristische Bindung der Kirche an den Staat, sondern auf Beziehung der Kirche zum Volk oder zu den Völkern eines Staates.
Unterschiedliche Interpretationen
Neben dem in der Einleitung bereits erwähnten Definition, dass mit Volkskirche jene Kirchen bezeichnet werden, die größere Teile eines Volkes repräsentieren, gibt es weitere Interpretationen dieses Begriffes:
- Volkskirche als Gegensatz zur "Winkelkirche", die sich der Gesellschaft in der sie lebt, besonders verpflichtet weiß. Betont werden bei diesem Ansatz besonders die diakonische, soziale und pädagogische Arbeit als Angebot für das "ganze Volk".
- Volkskirche als Missionskirche - Nach diesem Selbstverständnis muß sie nicht einmal Mehrheits- beziehungsweise Massenkirche sein. Sie versteht sich einfach - unabhängig von ihrer Größe - als zum Volk gesandte Kirche.
- Volkskirche als Gegensatz zur "Pastorenkirche" - Hier wird das Gemeindeprinzip betont. Gefordert wird hier unter anderem eine Beteiligung des gesamten Kirchenvolkes an den kirchlichen Entscheidungsprozessen, also eine basisdemokratisch verfaßte Kirche.
- Volkskirche als Gegensatz zur "Dogmenkirche" - Das was die Kirche lehrt und tut, orientiert sich nicht so sehr an ihren dogmatischen Grundlagen und Bekenntnisschriften. Vielmehr hat die Kirche bei diesem Verständnis von Volkskirche den Auftrag, gesellschaftliche Entwicklungen im Bereich von Wissenschaft und Kultur aufzunehmen. Sie ist also nicht mehr Gegegnüber des Volkes, sondern dessen integraler Bestandteil.
Nationalsozialismus und Volkskirche
Im Nationalsozialismus wurde die Bezeichnung Volkskirche zum programmatischen Begriff für eine "germanisierte" Kirche, die ihre jüdische Herkunft verleugnen und eine christlich verbrämte NS-Ideologie zu ihrem Glaubensbekenntnis machen sollte. Zeitweilig wurde daran gedacht, sämtliche Kirchen und Freikirchen unter dem organisatorischen Dach einer solchen Volkskirche zusammen zu fassen mit einem sogenannten Reichsbischof an der Spitze. Die Bekennende Kirche widersetzte sich einem solchen Vorhaben, während die Deutschen Christen zu eifrigen Verfechtern dieser Idee wurden.