Altneuland

Roman von Theodor Herzl
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Altneuland ist ein utopischer Roman des österreichischen jüdischen Publizisten Theodor Herzl (1860–1904), der erstmals 1902 in Leipzig erschien.

Theodor Herzl: Altneuland

Herzl war ein Vorkämpfer des Zionismus und präsentierte in diesem Roman sechs Jahre nach seinem sachlich-konzeptuellen Buch Der Judenstaat seine Utopie einer jüdischen Gesellschaftsordnung in Palästina.

Handlung des Romans

Der arbeitslose junge jüdische Jurist Friedrich Löwenberg aus Wien geht mangels beruflicher Aussichten und wegen Liebeskummers Ende 1902 einen Vertrag mit dem verbitterten deutsch-amerikanischen Millionär Kingscourt (eigentlich Adalbert von Königshoff) ein, ihn auf dessen Anwesen auf einer ansonsten unbewohnten Pazifikinsel zu begleiten und ihm dort bis zu dessen Tod als Gesellschafter zur Seite zu stehen. Ein angebotenes Handgeld gibt er der Familie eines jüdischen Betteljungen, David Littwak, dem er kurz zuvor vor dem Kaffeehaus begegnet war. Auf der Reise besuchen sie auch Palästina, das damals ein wüstes, verarmtes, schmutziges Land ist.

Nach 20 Jahren auf der Insel ist Kingscourt neugierig, ob sich die Welt vielleicht doch gebessert hat, und er entschließt sich im Frühjahr 1923, zurück nach Europa zu fahren. Als sie feststellen, dass der Schiffsverkehr im Roten Meer und durch den Suezkanal sehr nachgelassen hat, erfahren sie, dass die Ursache in Palästina liegt, und besuchen das Land erneut. Noch am Hafen begegnen sie dem Wiener Betteljungen, der inzwischen eine wichtige Rolle in der „Neuen Gesellschaft für die Kolonisierung von Palästina“ spielt, die in der Zwischenzeit unter der Führung eines Joseph Levy das Land besiedelt und mit einer modernen Infrastruktur versehen hat.

David Littwak nimmt sie in seiner Villa auf und führt sie durch das Land. Löwenberg bereut allmählich die verlorenen Jahre und möchte sich in diesem Projekt nützlich machen, fühlt sich jedoch an seinen Vertrag mit Kingscourt gebunden. Dieser wiederum vernarrt sich in Littwaks kleinen Sohn Fritz, so dass er sich am Schluss nach einer Krankheit des Kleinkindes entschließt, in Palästina zu bleiben. Am Sterbebett von Littwaks Mutter, die die gesundheitlichen Folgen ihrer früheren Armut trotz Heilklimas nicht auskurieren konnte, finden auch Friedrich und Littwaks Schwester Mirjam, eine Lehrerin, die er in Wien als Säugling vor dem Verhungern gerettet hatte, zueinander, und David wird von der Delegiertenversammlung der „Neuen Gesellschaft“ auf Vorschlag der beiden Kandidaten ohne sein Wissen in Abwesenheit zu deren Präsident gewählt.

Die „Neue Gesellschaft“

Die „Neue Gesellschaft für die Kolonisierung von Palästina“ in Herzls Roman ist kein Staat, sondern ein genossenschaftlich organisierter Großkonzern, der mit dem Osmanischen Reich einen Besiedlungsvertrag geschlossen hat und außer der Zahlung einer jährlichen Abgabe mit dem Staat nichts zu tun hat. Sie regelt allerdings die Einwanderung, überwacht die Wirtschaft und übernimmt sämtliche Aufgaben des Städtebaus und der Infrastruktur.

Wirtschaft

Das Wirtschaftskonzept beruht grundsätzlich auf Privateigentum und Marktwirtschaft, ist jedoch vorwiegend durch Großunternehmen, zumeist große Genossenschaften, geprägt. Allerdings steht der Grund und Boden im alleinigen Eigentum der „Neuen Gesellschaft“ und kann von den Besitzern nur auf jeweils fünfzig Jahre (analog zum Erlassjahr des alttestamentlichen Israel) gepachtet werden, um Bodenspekulation, Großgrundbesitz und dauerhafte Verarmung zu verhindern.

In der Besiedelung folgt der Roman Herzls Konzept aus dem „Judenstaat“: Zunächst migrieren notleidende Ungelernte, die unter Anleitung von Ingenieuren das Land urbar machen und eine grundlegende Infrastruktur herstellen. Bei der Entwässerung von Sumpfflächen setzt Herzl auf Eukalyptusbäume. Als erster Handelszweig entstehen Niederlassungen von Warenhauskonzernen, die hier zunächst Gegenstände des Grundbedarfs und Ladenhüter in großem Stil absetzen können. Dadurch kann der „ineffiziente“ Kleinhandel nicht entstehen. Nach und nach ziehen Angehörige der jeweils nächsthöheren Gesellschaftsschichten nach.

Die meisten Wirtschaftsunternehmen sind genossenschaftlich organisiert. So sind die maßgeblichen Zeitungen und „Telefonzeitungen“ (ein Vorläufer des Radios) im Besitz ihrer Abonnenten, denen der Gewinn jährlich ausgezahlt wird. Herzl geht davon aus, dass dadurch eine seriöse Berichterstattung gefördert wird. Daneben existieren auch Zeitungen im Privateigentum, die jedoch den besonderen politischen Interessen ihrer Inhaber verpflichtet sind.

An landwirtschaftlichen Produkten zeigt Herzl Wein und Zitrusfrüchte. Eine große Rolle spielt auch der Tourismus. Herzl stellt das Land der Zukunft als beliebten Urlaubs-, Kur- und Überwinterungsort für die gehobene Gesellschaft Mitteleuropas mit entsprechenden Einrichtungen (Kurorte, noble Hotels) dar.

Infrastruktur

Das Land ist durch elektrifizierte Eisenbahnstrecken und asphaltierte Straßen erschlossen und an die Nachbarländer angebunden. Die größeren Städte sind mit einer „Schwebebahn“ versorgt. Unter den Straßen sieht Herzl sogar schon Leerrohre vor, um entsprechend dem technischen Fortschritt neue Versorgungsleitungen mit geringem Aufwand verlegen zu können.

Überlandleitungen versorgen die Ortschaften mit Elektrizität, die zumeist aus Wasserkraft gewonnen wird, unter anderem aus dem Totes-Meer-Kanal, der das Gefälle vom Mittelmeer zum Toten Meer ausnutzt und riesige Turbinen betreibt. Ein Anstieg des Wasserspiegels im Toten Meer entfällt, weil sämtliches Wasser des Jordans zur Bewässerung genutzt wird.

Gesellschaft

Die „Neue Gesellschaft“ schließt Nichtjuden nicht aus, sondern versteht sich als weltbürgerlich. So ist auch ein wohlhabender Türke namens Reschid Bey Mitglied dieser Gesellschaft und der beste Freund und Nachbar Littwaks. Die Zuwanderung steht allen, ungeachtet ihrer Herkunft, Abstammung und Religion offen. Faktisch besteht die Bevölkerung jedoch zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich aus Juden. Die arabische Bevölkerung Palästinas profitiert durch die Handelsbeziehungen und die moderne Infrastruktur von Anfang an von der Kolonisierung und ist gleichfalls frei, der Gesellschaft beizutreten.

Einen Schwerpunkt legt Herzl auf Gesundheit und Bildung. So gibt es Kureinrichtungen und ausgedehnte Parkanlagen. Die Gesundheitsversorgung ist ein Schwerpunkt der „Neuen Gesellschaft“ und die Ausbildung von der Grundschule bis zum Abschluss der Universität ist kostenfrei, allerdings für Jungen und Mädchen unterschiedlich. Im Roman stellt Herzl auch einen reformierten Strafvollzug vor, in dem Delinquenten zur Resozialisierung zu körperlich anstrengender, aber human organisierter Arbeit eingesetzt werden.

Recht utopisch erscheint Herzls Vorstellung, dass in hohe Ämter der „Neuen Gesellschaft“ nicht Personen gewählt werden, die sich um das Amt bewerben, sondern nur die geeignetsten nach ihrer Leistung und Persönlichkeit. Wer Wahlkampf betreibt oder sich aktiv bewirbt, disqualifiziert sich dadurch selbst. So wird am Ende des Romans David Littwak bei der Delegiertenversammlung der „Neuen Gesellschaft“ in Abwesenheit und ohne sein Wissen von den beiden Kandidaten als Präsident der Gesellschaft vorgeschlagen und gewählt, weil der eine sich für eine 7-jährige Amtszeit zu alt fühlt und der andere sich für zu wenig praktisch hält.

Religion spielt in Altneuland keine besondere Rolle. Zwar lässt Herzl den Tempel in Jerusalem wieder aufgebaut sein und seine Protagonisten dort auch an einem Gottesdienst teilnehmen, lässt über dessen Ablauf aber nichts verlauten. Außer dem Tempel bestehen Synagogen, Kirchen und Moscheen und in den Hafenstädten auch buddhistische und hinduistische Tempel. Am Sedermahl in Littwaks Haus nehmen auch nichtjüdische Geistliche und sein türkischer Freund Reschid Bey teil, und im Roman spielen sowohl ein antizionistischer als auch ein der „Neuen Gesellschaft“ angehörender Rabbiner eine kleine Rolle.

Wirkungen

Die hebräische Übersetzung von Nachum Sokolow erhielt den Titel Tel Aviv (Frühlingshügel); danach wurde die Stadt Tel Aviv benannt. Den Namen hatte der Übersetzer seinerseits dem biblischen Buch Ezechiel entnommen, wo er einen Ort in Babylonien bezeichnet, an dem der Prophet Ezechiel seine Offenbarungen empfängt.

Das Projekt eines Toten-Meer-Kanals, wahlweise vom Mittelmeer oder vom Roten Meer, wurde in Israel immer wieder diskutiert, zum einen zur Nutzung der Wasserkraft, zum anderen auch, um das weitere Absinken des Wasserspiegels des Toten Meeres zu verhindern.

Personen

Die Figur des Architekten „Steineck“, der den Städtebau in „Altneuland“ leitet, ist einem von Herzls Freunden aus Wien, dem Architekten Oskar Marmorek nachempfunden. Dessen Bruder, der Arzt Alexander, findet gleichfalls als Akademiemitglied „Professor Dr. Steineck“ Eingang in den Roman.

Auch einigen Angehörigen der jüdischen sogenannten „besseren Gesellschaft“ Wiens, die den Zionismus und soziale Reformen belächeln oder gar verachten, setzt Herzl in Altneuland ein wenig schmeichelhaftes Denkmal.