Homosexualität im Alten Testament

Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 27. Februar 2007 um 04:14 Uhr durch GLGerman (Diskussion | Beiträge) (linkfix). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Die Ablehnung der Homosexualität in bestimmten Richtungen und Kirchen des Judentums und des Christentum beruft sich im wesentlichen auf die Verurteilung homosexueller Praktiken im 3. Buch Mose und einiger weiterer Textstellen. Diese Textstellen werden unterschiedlich bewertet: In der römisch-katholischen, orthodoxen, sowie konservativen evangelischen Kirchen wird die Verurteilung der homosexuellen Handlungen als aktuell angesehen; in liberalen und progressiven Kirchen werden diese Texte dagegen historisch kontextualisiert und dadurch relativiert.

Im Rahmen der Aufarbeitung kulturellen Materials durch die Lesben- und Schwulenbewegung wurde (ähnlich wie durch den Feminismus) auch das Alte Testament auf positive Darstellungen schwul-lesbischer Lebensmodelle untersucht. Die Resultate dieser Aufarbeitung sind ebenfalls kontrovers.

Verbot im Levitikus

Im 3. Buch Mose (Levitikus/Wajikra) werden in den Kapiteln 18 und 20 verschiedene sexuelle Verbote (Kap. 18) bzw. schwere Sünden (Kap. 20) angesprochen. Beide Kapiteln enthalten Stellen, die sich inhaltlich sehr ähnlich sind, und die nach konservativ-traditioneller christlicher Meinung als eine Verurteilung des homosexuellen Beischlafs gewertet werden. Sie stehen beide auch in Nachbarschaft des ebenfalls zweimal erscheinenden Inzestverbots.

Der hebräische Originaltext lautet:

"We-et-zakar lo' tishkav mishkevey 'ishah" (ואת־זכר לא תשכב משכבי אשה)

Dies wird z.B. von der Einheitsübersetzung wie folgt übersetzt:

Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; das wäre ein Gräuel. (Lev 18,22 EU);
Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben; Blutschuld lastet auf ihnen. (Lev 20,13 EU).

In der alten Lutherübersetzung (vor 1975) wird die Passage anders übersetzt: "Du sollst nicht beim Knaben liegen wie bei einer Frau ...".[1]

Das Wort zakar (זָכָר) wird bei Buber/Rosenzweig (Die Schrift) mit „Männlich“ übersetzt:

Einem Männlichen sollst du nicht beiliegen in Weibes Beilager, Greuel ists.

Es handelt sich dabei um „das eigentliche Wort zur Bezeichnung des Geschlechts Lv 18,22 ..., von allen Altern Lv 27 3.5-7 ..., auch vom neugeborenen Kinde Lv 12,2.7, Jes 66,7“.[2] Die Etymologie des Worts ist nicht gesichert und wurde in älteren Wörterbüchern der Wurzel zkr (זכר, „gedenken“) zurückgeführt.[3] Wörter mit der gleichen Wurzel, die wahrscheinlich die Grundbedeutung „Phallus“ hatte, sind auch in anderen semitischen Sprachen belegt: ugaritisch dakaru, aramäisch זכר / דכר (dakar), akkadisch zak(a)ru / zikaru.[4]

Kritisiert wird die Ablehnung von Homosexualität unter Berufung auf das Levitikus häufig unter Anführung weiterer im 3. Buch Mose aufgeführter Textstellen und Verurteilungen, die in der heutigen Zeit sowohl politisch, gesellschaftlich als auch unter vielen bibeltreuen Christen selber als inakzeptabel gelten. Die Schriften könnten somit auch nicht über Fragen bezüglich der Akzeptanz von Homosexualität als maßgeblich betrachtet werden.
So lautet es zum Beispiel im Kapitel 25:

"Willst du aber Sklaven und Sklavinnen haben, so sollst du sie kaufen von den Völkern, die um euch her sind, und auch von den Beisassen, die als Fremdlinge unter euch wohnen, und von ihren Nachkommen, die sie bei euch in eurem Lande zeugen. Die mögt ihr zu eigen haben und sollt sie vererben euren Kindern zum Eigentum für immer; die sollt ihr Sklaven sein lassen." (Lev 25,44-46 EU);

Der Verweis auf das Levitikus zu Fragen über Homosexualität wird somit als inkonsequent und fundamentlos betrachtet, da auch weitere Textstellen, wie oben zitierte zur Befürwortung des Sklavenhandels, heute allgemein abgelehnt werden. Anhand mehrerer Fälle wurde dies beispielsweise auf satirische Art in einem offenen Brief an die umstrittene christliche Radiomoderatorin Laura Schlessinger dargelegt. [5]

Homosexuelle kultische Prostitution

Mehrere Bibelstellen enthalten Verurteilungen der kultischen Prostitution,[6] die in den vielen israelitischen Heiligtümer der Königszeit – nicht anders als überall im Alten Orient – verbreitet sein müsste.[7] In der Regel ist dabei von weiblicher Prostitution die Rede. Männliche homosexuelle Prostitution ist ausdrücklich in den Berichten über die Könige Judas Rehabeam ([[Vorlage:Bibel: Angabe für das Buch ungültig!|1_Kön]] 14,24 EU), Asa und Josaphat erwähnt: Beide letztgenannte Könige sollen eine Vertreibung der "Tempelhurer" (hebr.: קָדֵשׁ, qadesch) aus dem Land veranlasst haben ([[Vorlage:Bibel: Angabe für das Buch ungültig!|1_Kön]] 15,12 EU und in [[Vorlage:Bibel: Angabe für das Buch ungültig!|1_Kön]] 22,47 EU).

Im Kapitel 23. des Deuteronomiums sind zwei Verbote enthalten, die sich auf Eunuchen und männliche Prostituierten beziehen. Das erste davon:

In die Versammlung des Herrn darf keiner aufgenommen werden, dessen Hoden zerquetscht sind oder dessen Glied verstümmelt ist. (Dtn 23,2 EU),

ziele auf die Ausschließung aus dem Tempelkult der Männer, die freiwillig das Opfer der Selbstverstümmelung einer Gottheit dargebracht haben. Ein solcher kultischer Brauch (Kastration durch Zermahlen der Hoden) ist wahrscheinlich eine Anspielung an die Kastration der Gallen, worüber Lukian in De Dea Syria berichtet.[8] Das Verbot, das sich auf das verstümmelte Glied bezieht, ziele dagegen eher darauf, Eunuchen, die am königlichen Hof dienten, auszuschließen.[8]

Die zweite Stelle:

Unter den Frauen Israels soll es keine sakrale Prostitution geben, und unter den Männern Israels soll es keine sakrale Prostitution geben.
Du sollst weder Dirnenlohn noch Hundegeld in den Tempel des Herrn, deines Gottes, bringen. (...)
(Dtn 23,18-19 EU),

verbietet kultische Prostitution, wobei die weibliche und die männliche gleichgestellt erscheinen. Die Bezeichnungen "Dirnenlohn" und "Hundegeld" spielen aber auf "Einkünfte von erwerbsmäßig getriebener profaner Unzucht", obwohl der Ausdruck "Hund" sowohl "technisch-religiös" (vielleicht in der Bedeutung von entmannten Prostituierten) als auch abwertend gedeutet werden kann.[9]

Ein weiteres Verbot, das sich wahrscheinlich gegen die bereits erwähnten Einflüsse phönizischen Kults richtete, ist in Deuteronomium aufgeführt:

Eine Frau soll nicht die Ausrüstung eines Mannes tragen und ein Mann soll kein Frauenkleid anziehen; denn jeder, der das tut, ist dem Herrn, deinem Gott, ein Gräuel. (Dtn 22,5 EU).

Mit "Männer in Frauenkleid" könnte hier wieder der Brauch gemeint sein, der durch Lukians De Dea Syria überliefert worden ist: Männer, die sich entmannen und danach als Frauen gekleidet der Fruchtbarkeitsgöttin von Hierapolis dienen.[10] Andere Auslegungen haben darauf hingewiesen, dass in diesem Verbot festliche Ritualen der Angleichung, die für die griechisch-römische Antike vielfach bezeugt sind, gemeint sein könnten.[11]

Genesis: Sodom und der Gräuel von Gibea

Homosexueller Übergriff als Akt der Gewalt wird an zwei Stellen in den Geschichten der Bibel thematisiert. In der Geschichte von Sodom wird die Episode des Übergriffs in Vorlage:Bibel2 erzählt. Exegeten sind darüber uneinig, worin das Verbrechen der Bewohner vom Sodom, das zur Vernichtung der Stadt führte, bestand. Einige neigen dazu, diese Episode als späteren Zusatz zu der Sodomgeschichte zu betrachten, der somit unwesentlich für die Thematik der Strafe Gottes sei.[12] Vielfach wird in der Erzählung des Übergriffs zwar eine Verletzung des Gastrechts oder die Androhung von Gewalt erkannt. Gleichzeitig gehen alle Kommentatoren davon aus, dass in dem Satz "...führe sie zu uns heraus, dass wir sie erkennen" (Gen 19,5 EU) das hebräische Verb für "kennen, erkennen" eine sexuelle Bedeutung hat.[13] Dasselbe gilt für die – unter diesem Aspekt wohl weniger beachtete – analoge Stelle in der Geschichte des Gräuels von Gibea (Ri 19,15-22 EU)[14].

Rut und Noemi, David und Jonathan

 
Umarmung zwischen David und Jonathan in einer Illustration des 14. Jahrhunderts.

Im Buch Rut gibt Rut ihrer Schwiegermutter Noemi nach dem Tod ihres Mannes ein Versprechen, das als Liebeserklärung interpretiert werden kann:

Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe auch ich, da will ich begraben sein. Der Herr soll mir dies und das antun – nur der Tod wird mich von dir scheiden. (Rut 1,16-17 EU)

Dieses Versprechen wird von Christen vielfach als Trauspruch sowohl für Hochzeitszeremonien als auch für gleichgeschlechtliche Segnungszeremonien gewählt. Weder eine sexuelle Beziehung zwischen Frauen noch eine notarielle Grunddienstbarkeit ist durch den Wortlaut belegt.

Auch in der Beziehung von Jonathan und David ([[Vorlage:Bibel: Angabe für das Buch ungültig!|1_Sam]] 18,1 EU) wird von Autoren wie Thomas Grossmann ein Beispiel gleichgeschlechtlicher Liebe gesehen, das von der Bibel positiv dargestellt werde.[15] Solche Interpretationen berufen sich z.B. auf Davids Totenklage für Jonathan, in der er seine Liebe mit der Liebe der Frauen vergleicht. Dem Wortlaut nach wird jedoch nur eine brüderliche Liebe und keine sexuelle Beziehung beschrieben:

"Weh ist mir um dich, mein Bruder Jonatan.
Du warst mir sehr lieb.
Wunderbarer war deine Liebe für mich
als die Liebe der Frauen.
" ([[Vorlage:Bibel: Angabe für das Buch ungültig!|2_Sam]] 1,26 EU).

Diese Verse sind in Davids Klagenlied für den Tod Sauls und Jonathan enthalten, das nach [[Vorlage:Bibel: Angabe für das Buch ungültig!|2_Sam]] 1,18 EU in dem Buch des Aufrechten enthalten war: Das Lied soll bei den Übungen zum Bogenschießen gesungen worden sein.

Für Kritiker der Interpretationen à la Grossmann sind sexuelle Fragestellungen für ihre Bewertung maßgeblich; sie betonen deshalb, dass in der Darstellung dieser Freundschaft sexuelle Aspekte nirgendswo erwähnt werden und sehen in solchen Interpretationen ein Beispiel für ein "Hinein-interpretieren" (Eisegesis) der eigenen Positionen in den Text der Bibel[16] Dies lehnen sie ab, während Befürworter solcher Interpretationen das Vorgehen, die "subjektive Erfahrung zum Maßstab der Interpretation biblischer Texte" zu machen, als legitimen Ansatz verteidigen.[17]

Literatur

  • Hansjörg Bräumer: Liebe wagen. Hänssler, Stuttgart, 1986
  • Thomas Grossmann: Eine Liebe wie jede andere. Reinbek, Rowohlt Taschenbuch Verlag 1988
  • Eduard Nielsen: Deuteronomium. Handbuch zum Alten Testament: Reihe 1; 6. Mohr, Tübingen 1995
  • W. G. Plaut: Die Tora in jüdischer Auslegung. Band 5: Deuteronomium. Dewarim. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2003
  • Lothar Ruppert: Genesis. Ein Kritischer und theologische Kommentar. 2. Teilband: Gen 11,27-25,18. Echter Verlag, Würzburg 2002
  • Alexander Desečar: Die Bibel und Homosexualität: Kritik der revisionistischen Exegese. Schriften des Initiativkreises kath. Laien und Priester in der Diözese Augsburg e.V., Heft 43, 2001 (PDF)

Siehe auch

Anmerkungen

  1. 3. Mose 18 in der Lutherübersetzung von 1545
  2. Eintrag "zakar" in: Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, 17. Aufl. (1915), Berlin (Nachdr.) 1962, S. 199.
  3. So auch im Strong's Hebrew Dictionary: zaw-kawr' (Worterbuch zur King James Übersetzung der Bibel).
  4. Artikel zakar in: L. Köhler, W. Baumgartner: Hebräisches und aramäisches Lexikon zum Alten Testament, 3. Aufl. (1967-1995), Leiden (Nachdr.) 2004, S. 259f und (dort zitiert) H. Bauer, P. Leander, Historische Grammatik der hebräischen Sprache, Halle a.S. 1922 (1969), 462r.
  5. Offener Brief an Dr. Laura Schlessinger
  6. Vgl.: Gen 38,21ff. EU, Hos 2,7 EU, Hos 4,13-14 EU, Am 2,7 EU, Jer 2,20-23 EU, Jer 3,6-9 EU u.a.
  7. Vgl. Kommentar der Neuen Jerusalemer Bibel zu Dtn 23,19; E. Nielsen, Deuteronomium, S. 220, 222.
  8. a b E. Nielsen, Deuteronomium, S. 220.
  9. E. Nielsen, Deuteronomium, S. 222.
  10. E. Nielsen, Deuteronomium, S. 214.
  11. Vgl.: die literarische Anmerkungen zu Kapitel 22 in W. G. Plaut, Dewarim/Deuteronomium.
  12. Vgl. L. Ruppert, Genesis..., S. 404f und die dort angegebene Literatur.
  13. Vgl. die englische Übersetzung New Jerusalem Bible (1985) sowie die deutsche Einheitsübersetzung. Beim Eintrag zum Wort "yd`" in W. Gesenius, Hebräisches Handwörterbuch (1962) sowie in L. Köhler, W. Baumgartner, Hebräisches und aramäisches Lexikon zum Alten Testament (1996) wird Gen 19,5 als einzige Stelle – von über 750 Vorkommen des Verbs – angegeben, in der diese Verbalform "päderastisch" (sic!) verwendet wird.
  14. Vgl. die deutsche Einheitsübersetzung und die dazugehörige Kommentare in der Neue Jerusalemer Bibel, Herder, 1985.
  15. Vgl.: T. Grossmann, Eine Liebe wie jede andere, S. 68.
  16. M. Seemann: Homosexualität und Bibel.
  17. H. Bräumer, Liebe wagen, S. 172 (nach M. Seemann, Homosexualität und Bibel).