Stalin-Noten

Verhandlungen über die Wiedervereinigung und Neutralisierung Deutschlands
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Am 10. März 1952 bot Stalin den Westmächten (Frankreich, Großbritannien, USA) in einer Note Verhandlungen über die Wiedervereinigung und Neutralisierung Deutschlands an. Diese Note und die Erwiderungen Stalins auf die Antworten der Westmächte werden als Stalin-Noten bezeichnet.

Die Initiative führte zu einem Austausch von Noten zwischen der Sowjetunion und den Westmächten, die den ganzen Sommer 1952 hindurch anhielt. Im September 1952 wurde der Notenwechsel zwischen den Westmächten und der Sowjetunion ergebnislos abgebrochen. Die von der Sowjetunion vorgeschlagene Viermächte-Konferenz kam nicht zustande und Deutschland blieb geteilt. Die Stalin-Noten sorgten insbesondere nach 1952 für viel Diskussionsstoff; bis in die jüngste Zeit diskutieren Historiker darüber, ob damals eine große Chance auf eine deutsche Wiedervereinigung verpasst wurde und welche Ziele Stalin mit der Verfassung der Noten verfolgte.

Die Diskussion ist heutzutage - vor allem nach Öffnung der Archive der damaligen Sowjetunion - weitesgehend dahingehend entschieden, dass das Angebot der Sowjetunion zu keinem Zeitpunkt ernst gemeint war, sondern als reines Ablenkungsmanöver diente, um eine weitere Westintegration Westdeutschlands zu verhindern oder zumindest zu behindern.

Historische Situation

Die Stalin-Noten können für sich genommen nur unvollständig verstanden werden. Sie sind eingebettet in den sich abzeichnenden Konflikt zwischen Ostblock und Westmächten und können nur in diesem Kontext voll verstanden werden. Die folgenden Unterabschnitte umreißen in groben Zügen die historische Situation.

International

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 verschärfte sich die Konfrontation zwischen Ost und West erheblich. Der Kampf der verschiedenen Systeme und Ideologien weitete sich ständig aus, allerdings ohne dass es zu einer direkten militärischen Konfrontation kam; die Welt befand sich im so genannten Kalten Krieg.

1948-1949 blockierten die sowjetischen Besatzer sämtliche Landverbindungen nach West-Berlin. Die Berliner Blockade war ein vorläufiger Höhepunkt in der Konfrontation zwischen Ost und West.

Anfang 1950 begannen die USA mit Verhandlungen über einen Friedensvertrag mit Japan, der ihnen auch für lange Zeiten Militärbasen in Japan gewähren sollte. Möglicherweise unterstützte dies den Entschluss Stalins, Südkorea - das von den USA unterstützt wurde - durch Nordkorea angreifen zu lassen. Der Korea-Krieg (1950-1953) kam für die USA überraschend und bildete einen weiteren Höhepunkt des Kalten Krieges.

Deutsch-Deutsch Situation und Verhandlungen

Deutschland war im Jahr 1952 nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (1949) und der Deutschen Demokratischen Republik (1949) zweigeteilt (siehe auch: Chronik der deutschen Teilung). Die Bundesrepublik Deutschland nahm unter Bundeskanzler Adenauer einen strikten Westkurs ein. Mit der Gründung der Montanunion im April 1951 und der Aufnahme in den Europarat (1951) wurde Deutschland immer weiter in das westlich Bündnis eingebunden. Trotz anfänglichen Widerstands einiger Nachbarländer (insbesondere Frankreichs) wurde - vor allem nach dem Kriegseintritt Chinas in den Korea-Krieg - von Seiten der USA darauf gedrängt, auch Deutschland in die geplante Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) aufzunehmen. Auf einer Konferenz in Washington beschlossen die Außenminister der drei Westalliierten die Aufhebung des Besatzungsstatuts und eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) - die Unterzeichnung des Vertrages fand (nach Ablehnung der Stalinnoten) wie geplant am 27. Mai 1952 statt.

Wesentliche Punkte der ersten Stalin-Note

  • Friedensvertrag aller Kriegsteilnehmer mit Deutschland
  • Wiedervereinigung Deutschlands
  • Abzug sämtlicher Streitkräfte der Besatzungsmächte spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten des Friedensvertrages
  • Zuerkennung demokratischer Rechte, wie z.B. Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit - freie Wahlen werden allerdings nicht explizit erwähnt.
  • Beendigung der Entnazifizierung
  • Deutschland darf keinerlei Koalitionen oder Militärbündnisse eingehen, die sich gegen irgendeinen Staat richten, der mit seinen Streitkräften am Kriege gegen Deutschland teilgenommen hat.
  • Das Territorium Deutschlands wird durch die Grenzen bestimmt, die durch die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz der Großmächte festgelegt wurden.
  • Keinerlei Handelsbeschränkungen
  • Aufstellung nationaler Streitkräfte, zur Verteidigung notwendig, sowie Erlaubnis zur begrenzten Produktion von Kriegsmaterial.

Reaktionen

Die Westmächte reagierten zurückhaltend auf die Vorschläge der Sowjetunion, da sie befürchteten, dass es sich nur um ein taktisches Ablenkungsmanöver handelte, das die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland verhindern oder zumindest verlangsamen sollte. Die Gespräche mit Deutschland über eine Integration in die EVG wurden deshalb ohne Unterbrechung fortgesetzt. Dies ist vor allem auf Adenauer zurückzuführen, dessen Politik eine schnelle Westintegration der BRD war und der mehrfach die Westmächte dazu drängte nicht auf die Stalin-Noten einzugehen. Der Sowjetunion wurde in einer Note vom 25. März übermittelt, dass man auf freien Wahlen bestehe, aus denen dann eine gesamtdeutsche Regierung hervorgehen sollte. Zudem lehnten die Westmächte eine vollständige Neutralität Deutschlands ab.

Interessanterweise führte die Stalin-Note im Jahre 1952 in der deutschen Öffentlichkeit zu relativ wenig Dikussionen, doch je klarer wurde, dass die Chancen für eine Wiedervereinigung Deutschlands schwanden, desto heftiger wurde die Debatte darüber geführt, ob 1952 nicht eine wichtige Chance verpasst wurde.

Bundeskanzler Konrad Adenauer

=> Westintegration der Bundesrepublik

SPD

Bevölkerung der BRD

Auch wenn die Note formal an die Westmächte gerichtet war, so richtete sich inhaltlich hauptsächlich an die Bevölkerung Deutschlands, insbesondere Westdeutschlands. Im allgemeinen stand die Bevölkerung hinter dem Westintegrationskurs von Adenauer, auch wenn eine gewisse Beunruhigung über die andauernde Spaltung Deutschlands vorhanden war. Das Regime von Stalin genoss allgemein ein sehr niedriges Vertrauen und so führte die Stalin-Note nur zu relativ begrenzten Diskussionen in der Öffentlichkeit.

DDR

Gefahr für SED?



Weitere Noten

25.3 Ablehnung
9.4. freie Wahlen ja, aber erst nach Bildung gesamtdeutsche Regierung, Neutralität

Verpasste Gelgenheit oder Ablenkungsmanöver?

Die Interpretation der Stalin-Noten war von Anbeginn her umstritten. Einig sind sich jedoch fast alle Historiker darin, dass die Stalin-Noten eine direkte Reaktion auf die unmittelbar bevorstehende Unterzeichnung des EVG Vertrages waren, was letztenendes auch eine Wiederbewaffnung Westdeutschlands zur Folge gehabt hätte. Eines der Ziele Stalins war es die Mitarbeit der BRD in der EVG zu verhindern, doch darüberhinaus lassen die Stalin-Noten im wesentlichen vier verschiedene Interpretationen zu:

  1. Die Stalin-Noten waren ernst gemeint,
    1. ohne das die Sowjetunion weitere Absichten hatte,
    2. es ging der Sowjetunion darum eine Einkesselung zu verhindern,
    3. die Sowjetunion hoffte ein neutrales Deutschland unter eigene Kontrolle bringen zu können,
  2. es handelte sich um ein reines Ablenkungsmanöver, um die Westintegration der BRD zu verhindern.

Der Mythos von der "verpassten Gelegenheit" geht auf eine Bundestagsdebatte vom 23. Januar 1958 zurück. Thomas Dehler und Gustav Heinemann ehemalige Minister unter Bundeskanzler Konrad Adenauer prägten diesen Begriff während der Debatte, in der sie Adenauers Wiedervereinigungs-Politik kritisierten. Innerhalb der Publizistik war es Paul Sethe, welcher am schärfsten Adenauers Nichteingehen auf das Angebot Stalins kritisierte. Sethe war Anfang der fünfziger Jahre Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gewesen und hatte sich in seinen Kommentaren immer dafür ausgesprochen, die Stalin-Noten wenigstens auf ihre Ernsthaftigkeit auszuloten. So sah er in der Neutralisation Deutschlands einen angemessenen Preis für die Wiedervereinigung. Die These der "verpassten Chancen" brachte er 1956 in seinem Buch "von Bonn nach Moskau" zum Abschluss und legte so den Grundstein für eine Jahrzehnte andauernde Debatte über die Stalin-Noten.

Der Historiker Rolf Steininger löste 1985 mit der Veröffentlichung seines Beitrags "Eine Chance zur Wiedervereinigung?", die sich vorwiegend auf westliche Quellen stützte, eine weitere Diskussion darüber aus, ob damals eine wichtige Chance verpasst wurde. Steininger und andere verneinten die Fragen, ob es zwangsläufig zu einem geteilten Deutschland hatte kommen müssen und ob der Kurs Adenauers der bestmögliche Weg war. Für sie war die Stalin-Note eine ernstgemeinte Offerte, auf die in Verhandlungen hätte näher eingegangen werden sollen. Steininger war der Meinung, dass Adenauer die Deutsche Wiedervereinigung absichtlich vereitelt hatte.

Letztenendes sind die aufgeworfenen Fragen die gleichen, die sich Historiker immer wieder im Rahmen des Kalten Krieges gestellt haben: musste es zu einer starken Polarisierung der Welt kommen, musste es so lange so weitergehen und gab es keine Chance für eine Zusammenarbeit der Blöcke ohne Konfrontation?


Literatur

  • Steininger, Rolf: Eine Chance zur Wiedervereinigung? Die Stalin-Note vom 10.März 1952, Bonn 1985.
  • Zarusky, Jürgen (Hg.): Die Stalinnote vom 10. März 1952. Neue Quellen und Analysen, München 2002.