Hussiten
Unter dem Begriff Hussiten werden verschiedene reformatorische beziehungsweise revolutionäre Bewegungen in Böhmen des 15. Jahrhunderts zusammengefasst.
Jan Hus
Der Name Hussiten geht auf den tschechischen Theologen und Reformator Jan Hus (* um 1370) zurück. Dieser kritisierte den Reichtum der Kirche und ließ einzig die Bibel als gültig für Glaubensfragen gelten; er erkannte die Unfehlbarkeit des Papstes nicht an. Er folgte damit John Wyclif und stand auch den Positionen der Waldenser nahe. U.a. Martin Luther wurde von ihm beeinflusst.
Hus wurde auf dem Konstanzer Konzil zum Tode verurteilt und am 6. Juli 1415 verbrannt. Der Konstanzer Schuldspruch gegen Jan Hus wurde von der Bevölkerung Böhmens und seiner Nachbarn überwiegend nicht anerkannt; vielmehr löste er heftige Proteste aus, in deren Folge die böhmische Freiheitsbewegung entstandt, die die wesentlichen Ziele von Jan Hus übernahm.
Die Vier Prager Artikel und die Hussitenbewegung
1420 wurden die Vier Prager Artikel verfasst, welche folgende Forderungen enthielten:
- vollständiges Abendmahl mit Kelch gleichberechtigt für Laien und Priester; der Abendmahlskelch wurde das Zeichen der Hussiten
- die freie Predigt, auch für Laien
- die Abgabe des kirchlichen Besitzes und den Verzicht des Klerus auf Reichtum und weltlichen Einfluss
- die strenge Bestrafung der Todsünden
Diese Forderungen wurden im Wesentlichen von dem Flügel der Calixtiner (von lat. calix Kelch) als die wichtigsten erachtet. Die radikaleren Taboriten (die eine nach dem Berg Tábor benannte Siedlung/Stadt gegründet hatten), die sich zum größten Teil aus der mittellosen Stadt- und Landbevölkerung rekrutierten, erhoben darüber hinaus die Forderung nach Abschaffung der kirchlichen Einrichtungen und Gebräuche und die Errichtung des Reiches Gottes mit Hilfe von Waffengewalt. Diese richteten sich also auch gegen die weltliche Ordnung mit Feudalismus und Monarchie.
Im Frühjahr 1421 vertrieben die "neuen Obrigkeiten" Tábors (Jan Žižka, Nikolaus von Pelhøimov, Johannes von Jièín) den radikalen Kern der Taboriten um Martin Húska aus der Stadt. Jan Žižka spürte sie in den Dörfern, wo sie Zuflucht gesucht hatten, auf und ließ sie ausrotten. Den in Tábor und Prag populären Martin Húska selbst ließen die (adligen) Calixtiner und Žižka vom (katholischen) Prager Erzbischof Konrad von Vechta foltern und auf dem Scheiterhaufen verbrennen.
Nach der Auslöschung der Anhänger von Martin Húska verläumdete Jan Žižka diese als angeblich systematisch Unzucht treibende "Adamiten" sowie als "Pikarden" (nach ev. Flüchtlingen aus der Picardie, von denen sie ihre "Häresie" abgeleitet haben sollten).
Jan Žižka selbst wurde, um ihn von den zunächst insgesamt radikalen Taboriten nachträglich abzugrenzen und somit wenigstens teilweise für die sich in der Tradition der Calixtiner wähnenden adligen und bürgerlichen tschechischen National(ist)en zu vereinnahmen, postum als ein Anführer der zwischen Taboriten und Calixtinern verorteten "Orebiten" (bzw. Bezug nehmend auf Žižkas Tod "Orphaniten", lat. "Waisen, Verwaiste") dargestellt, deren Existenz jedoch nicht belegt werden kann, zumal Žižka von Tábor aus gewirkt hat.
Die Hussitenkriege
Nach der Verbrennung von Jan Hus 1415 suchte der böhmische König Wenzel die empörten hussitischen Anhänger aus Kirchen- und Staatsämtern auszuschließen. Dies führte zu einem Aufstand. Dabei kam es am 30. Juni 1419 zum ersten Prager Fenstersturz, bei dem Hussiten das Rathaus stürmten und einige Ratsherrn aus dem Fenster warfen. Die Kreuzzugsbulle von Papst Martin V. führte dazu, dass aus dem Aufstand ein regelrechter Krieg wurde.
Der Einmarsch von Kaiser Sigismund in Böhmen wurde 1420 erfolgreich von den Hussiten-Heeren unter Jan Žižka zurückgeschlagen. Žižka führte ein straffes Regiment, das u. a. zur Vertreibung vieler Deutscher aus Böhmen führte.
Nach weiteren Verteidigungskriegen gingen die Hussiten unter Andreas Prokop zum Angriff auf die katholischen Bastionen über und führten erfolgreiche Vorstöße nach Schlesien, Brandenburg, Sachsen, Bayern, Österreich, Polen und in die Slowakei. In Preußen gelangten sie fast bis nach Danzig.
Da den kaiserlichen und päpstlichen Truppen der Sieg gegen die Hussiten verwehrt blieb, wurde zwischen 1431 und 1433 mit ihnen verhandelt. Auf dem Basler Konzil wurden den Hussiten mit den Prager Kompaktaten einige Zugeständnisse gewährt. Daraufhin kehrte der weniger radikale Flügel der Utraquisten beziehungsweise Calixtiner wieder in der Schoß der katholischen Kirche zurück und verbündete sich mit den kaiserlichen Truppen gegen die radikaleren Taboriten, so dass diese schließlich 1434 in der Schlacht von Lipan (tschechisch: Lipany) besiegt wurden.
Auf diese Weise versandete der Hussitismus in einem Kompromiss. Auch wenn die wenigen Zugeständnisse der katholischen Kirche an die Hussiten 1462 wieder zurückgezogen wurden, waren sie doch ein Anstoß für die Bildung eines tschechischen Nationalbewusstseins, besonders, da die politische Macht nun auf Kleinadel und Patriziat überging. In den Jahren 1458 bis 1471 herrschte Georg von Podiebrad, der Anführer der Calixtiner als König von Böhmen, der sich aber letztlich zwischen alle Stühle setzte, als er einerseits die verbliebenen Radikalen verfolgte, andererseits zu keiner Einigung mit dem Papsttum kam. Auch wenn er letztlich an einer Übermacht scheiterte, ist er doch der erste nicht-katholische König Europas.
Im Laufe des 16. Jahrhunderts näherten sich die Utraquisten den Lutheranern an, eine eigene Richtung verfolgte in dieser Zeit eher die Böhmischen Brüder. Nach der Niederlage der böhmischen Stände in der Schlacht am Weißen Berge wurden die böhmischen Länder mit Gewalt zum Katholizismus zurückgeführt, die geflüchteten Utraquisten gingen in den lutherischen Kirchen auf.
Die 1920 gegründete Tschechoslowakische Hussitische Kirche beruft sich zwar auf die Hussiten, ist aber - als Abspaltung von der katholischen Kirche - eher mit der Anglikanischen Kirche vergleichbar.
Siehe auch: Liste von Kriegen, Liste von Schlachten