Die Abkürzung ETCS steht für European Train Control System. Es soll die Vielzahl der in den europäischen Ländern eingesetzten Zugsicherungssysteme ablösen und so eine dichte, schnelle und grenzüberschreitende Zugführung in ganz Europa ermöglichen. Es soll mittelfristig im Hochgeschwindigkeitsverkehr Verwendung finden und langfristig im gesamten europäischen Schienenverkehr umgesetzt werden. Seit 2000 wird der Betrieb auf Teststrecken der Deutschen Bahn AG, Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) und Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) getestet.
Geschichte
Um einen sicheren und reibungslosen Zugverkehr zu gewährleisten sind Zugsicherungssysteme notwendig. In Europa haben sich 14 Arten entwickelt, die teilweise nebeneinander und länderabhängig eingesetzt werden und untereinander nicht kompatibel sind. Im grenzüberschreitenden Verkehr müssen daher Triebfahrzeuge mit einem oder evtl. mehreren Zugsicherungssystemen des Gastlandes ausgerüstet sein. Ist das nicht der Fall, muß ein Wechsel des Triebfahrzeuges vorgenommen werden, der zeit- und kostenaufwendig ist.
Aus Bestrebungen zur Verkürzung der Grenzaufenthaltszeiten entwickelte sich seit Anfang der 90er das Konzept eines einheitlichen Zugsicherungssystems. Seit 1996 wurde auf Grundlage der EU-Richtline 96/48 zur Interoperabilität des europäischen Hochgeschwindigkeitssystems das Zugsicherungssystem ETCS und das mobilfunkbasierte Kommunikationssystem GSM-R (Global System Mobile - Railways) entwickelt. Die Internationalen Eisenbahnunion (UIC, Union internationale des chemins de fer) hat durch das European Rail Research Institute (ERRI) Spezifikationen für ETCS erarbeiten lassen. Seit 1999 wird ETCS von mehreren Bahngesellschaften getestet.
Ziele
Die Einführung des ETCS soll nicht nur die Zugsteuerung und -sicherung zusammenfassen und intelligenter machen, sondern auch
- Kosten für Instandhaltung und Betrieb von ortsfesten Anlagen (z.B. Signalen) sparen
- die Vielzahl nationaler Zugsicherungssysteme im Hochgeschwindigkeitsverkehr ablösen, und dadurch
- zur Interoperabilität der europäischen Hochgeschwindigkeitsstreckennetze führen
- die Streckenkapazität steigern
- die Streckengeschwindigkeit steigern
Funktion
ETCS übernimmt mehrere Funktionen. Es faßt die bisher getrennte Sicherung (Signale) und Steuerung (Stellwerke) von Zügen zusammen, indem es
- die örtliche Höchstgeschwindigkeit
- die Höchstgeschwindigkeit des Zuges
- die korrekte Fahrtstrecke des Zuges
- die Fahrtrichtung
- die Eignung des Zuges für die Strecke und
- die Einhaltung besonderer Betriebsvorschriften
Diese Informationen werden durch die Bausteine des ETCS verarbeitet: die Eurobalisen, die die Daten an den Zug übertragen, das Eurocap, das die Daten auswertet und via Euroloop oder Euroradio mit dem Leitrechner des Stellwerks abgleicht.
- Die Eurobalisen sind punktuelle Datenübertragungseinrichtungen im Gleis, die beim Überfahren durch den Zug wie ein Transponder Daten übertragen. Es gibt Balisen, die immer dieselben festen Daten übertragen und schaltbare Balisen für veränderliche Informationen.
- Das Eurocab ist eine einheitliche Ausrüstung für Fahrzeuge, die aus dem ETCS-Rechner und dem Führerstand besteht.
- Euroloop ist ein kabelbasiertes Datenübertragungssystem, vergleichbar der Linienzugbeeinflussung. Hier wird ein Kabelleiter in einer Schleife ins Gleisbett gelegt.
- Mit Euroradio können der ETCS-Rechner und die Leitstelle über GSM-R miteinander kommunizieren.
Um den Ansprüchen verschiedener Strecken, Nutzungsprofile und Eisenbahnverwaltungen gerecht zu werden, wurden unterschiedliche Stufen des ETCS definiert, die ETCS Level 1 bis 4. Die einzelnen Stufen sind abwärtskompatibel, d.h. Triebfahrzeuge mit Level 3-Ausrüstung können auch Strecken befahren, die nach Level 1 oder 2 ausgerüstet sind.
ETCS Level 1
ETCS Level 1 baut auf der vorhandenen Streckeninfrastruktur auf und ergänzt sie. Die Eurobalisen übernehmen dabei die Rolle einer punktförmigen Zugbeeinflussung und übertragen etwa bei Signalen das Signalbild (als 'schaltbare Balisen' mit variabler Informationsübertragung) oder die aktuelle Streckenhöchstgeschwindigkeit (als Festdatenbalisen). Darüber hinaus ermöglichen sie dem Stellwerk eine genaue Ortung des Zuges, wenn dieser die Balisen überfährt.
ETCS Level 2
Bei Level 2 dienen die Balisen nicht mehr der Informationsübertragung sondern nur noch der Ortung des Zuges. Mittels Dopplerradar am Triebfahrzeugboden wird der genaue Standort ermittelt, die Balisen dienen nur noch dem Abgleich ("elektornische Kilometersteine"). Der ETCS-Rechner im Zug gibt den ermittelten Standort per Euroradio an die Streckenzentrale weiter und diese meldet ihm die notwendigen Informationen über Fahrt, Halt und Geschwindigkeit zurück. Die Information über freie Gleisabschnitte wird weiterhin über ortsfeste Gleisfreimelder an die Streckenzentrale übergeben: das Gleis wird in Abschnitte ("Blöcke") geteilt, und der Zug darf in den nächsten nur einfahren, wenn dieser nicht von einem anderen Zug belegt ist, sondern als 'frei' gemeldet ist.
ETCS Level 3
ETCS Level 3 unterscheidet sich von Level 2 nur durch den Verzicht auf fest definierte Blockabschnitte. Die Streckenzentrale kontrolliert hier fließend die Abstände der Züge. Dadurch sind die Züge unabhängig von definierten Blockabschnitten und können so geschwindigkeitsabhängig dichter hintereinander geführt werden.
Einführung
1999 wurde das von der UIC spezifizierte ETCS auf der Strecke Wien -- Budapest erfolgreich getestet, schon davor waren modifizierte nationale Vorläufer im Einsatz. Folgende Teststrecken wurden eingerichtet:
- 2000: FS Firenze Campo di Marte — Arezzo (ETCS Level 1)
- 2000: DB Halle/Leipzig — Jüterbog (ETCS Level 1)
- 2000: SNCF Marles-en-Brie — Tournan (ETCS Level 1)
- 2001: ÖBB Wien — Nickelsdorf (ETCS Level 1)
- 2002: SBB Zofingen — Sempach (ETCS Level 2)
- 2003: SBB Mattstetten — Rothrist (ETCS Level 2)
- 2003: DB Halle/Leipzig — Jüterbog — Berlin (ETCS Level 2)
Auch in Frankreich, Italien, Spanien, den Niederlanden, Großbritannien und Ungarn wird der Betrieb auf Teststrecken vorbereitet.
Nach Schätzungen der DB AG wird eine europaweite Einführung von ETCS zwischen 15 und 20 Jahren dauern. Man rechnet mit Kosten von rund 500 Millionen Euro allein in Deutschland, europaweit mit etwa acht Millarden Euro.