Königreich Württemberg
Das Königreich Württemberg war ein Staat im Südwesten Deutschlands, der von 1806 bis 1918 existierte. Württemberg blickt allerdings auf eine lange Vergangenheit als Grafschaft und ab 1495 bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches 1806 als Herzogtum zurück. Das Königreich Württemberg war Mitglied des Deutschen Bundes von 1815 bis 1866 und ab 1871 Bundesstaat des Deutschen Kaiserreiches
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Geschichte
Die Entstehung des Königreichs
Nach dem Ausbruch der Französischen Revolution 1789, die mit der Einschränkung von Vorrechten des Adels und des Klerus verbunden war, formierten sich unter den europäischen Monarchien Koalitionen mit dem Ziel, die republikanische Entwicklung in Frankreich aufzuhalten. Der zwischen Kaiser Leopold II. und dem preußischen König Friedrich Wilhelm II. in der Pillnitzer Deklaration vereinbarten ersten Koalition schlossen sich bald weitere Monarchien an. Am 20. April 1792 kam es zum Ausbruch des Ersten Koalitionskriegs, den das revolutionäre Frankreich vor allem mit dem Mittel der Levée en masse erfolgreich führte. Im Frieden von Campo Formio am 17. Oktober 1797 erkannte Kaiser Franz II. Joseph den Rhein als Ostgrenze Frankreichs an. Hiervon betroffen waren auch Mömpelgard, Reichenweier und die anderen linksrheinischen Besitzungen Württembergs. Das Herzogtum Württemberg beteiligte sich daraufhin ab 1799 als Partner Österreichs an der zweiten Koalition gegen Frankreich unter Napoléon Bonaparte. Nach dem Sieg Frankreichs im Zweiten Koalitionskrieg und dem Friede von Lunéville am 9. Februar 1801 arrangierte sich der württembergische Herzog Friedrich II. mit Frankreich mit dem Ziel das rechtsrheinische Territorium zu vergrößern. Der Pariser Vertrag vom 20. Mai 1802 sicherte den Bestand des Herzogtums und stellte Entschädigungen für die linksrheinischen Gebiete in Aussicht. Württemberg hatte Sitz und Stimmrecht in der außerordentlichen Reichsdeputation, die den Reichsdeputationshauptschluss vorbereitete, der die Entschädigungen für die verlorenen linksrheinischen Besitzungen deutscher Fürsten festlegte. Herzog Friedrich wurde zum Kurfürst erhoben. Zahlreiche kleine Herrschaften wurden mediatisiert und Württemberg zugeschlagen. Dazu gehörten die Reichsstädte Aalen, Giengen an der Brenz, Heilbronn, Rottweil, Esslingen am Neckar, Reutlingen, Schwäbisch Gmünd, Schwäbisch Hall und Weil der Stadt sowie die Fürstpropstei Ellwangen, die Reichsabtei Zwiefalten, das Ritterstift Comburg und weitere säkularisierte kirchliche Besitzungen. Am 3. Oktober 1805 schloss Friedrich eine weitere Allianz mit Napoléon. Württemberg beteiligte sich mit Truppen auf französischer Seite am Dritten Koalitionskrieg. Im Friede von Pressburg vom 26. Dezember 1805 wurde Vorderösterreich zwischen Bayern, Baden und Württemberg aufgeteilt. Mit der Unterzeichnung der Rheinbundakte am 12. Juli 1806 trat Württemberg aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation aus. Es wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1806 zum souveränen Königreich erhoben. Erster König unter dem Namen Friedrich I. war der bisherige Herzog und Kurfürst Friedrich II.
Die Entwicklung der ersten Jahre
König Friedrich I. beteiligte sich 1809 mit Truppen an der Niederschlagung des Tiroler und Vorarlberger Volksaufstands gegen Napoléon und 1812/13 an Napléons Krieg gegen Russland, aus dem von 15.800 württembergischen Soldaten nur etwa 300 zurückkehrten. Trotz dieser Niederlage blieb das Königreich zunächst weiter als Mitglied des Rheinbunds an der Seite Frankreichs, bis es in der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 zu einer weiteren vernichtenden Niederlage Napoléons kam. Erst danach wechselte Württemberg zur „Sechsten Koalition“ über, die von Österreich, Preußen und Russland geführt wurde. Die Gebietszuwächse Württembergs wurden daraufhin durch den Wiener Kongress 1815 völkerrechtlich bestätigt. In den ersten Jahren des Königreichs sicherte die Verwicklung Württembergs in die kriegerischen Auseinandersetzungen und die Bündnistreue mit Frankreich König Friedrich weitgehende Handlungsfreiheit in der Innenpolitik. Deren Ziel war die konsequente Modernisierung der Verwaltung und die Zusammenführung der verschiedenen Territorien zu einem einheitlichen und zentral geführten Gesamtstaat. Dies war umso schwerer, da die neu hinzugekommenen Gebiete dem zuvor rein und streng evangelischen Württemberg eine beträchtliche katholische Minderheit brachte. Mittel zur Modernisierung waren die rigorose Abschaffung der Privilegien der Ehrbarkeit in Altwürttemberg sowie des Adels in den hinzugewonnenen Gebieten. Widerstand gegen diese Politik wurde rigoros bekämpft; ein Polizeiministerium, eine „geheime Polizei“ und eine Zensurbehörde wurden nach französischem Vorbild eingerichtet. Wichtige Reformen der ersten Jahre waren die Trennung von Justiz und Verwaltung, die Gliederung des Landes in Oberämter und Kreise, die Aufhebung der Binnenzölle und die Gleichberechtigung der evangelischen Konfession mit der katholischen und der orthodoxen. Bei den Verhandlungen auf dem Wiener Kongress bestand das Ziel, für das neu zu konstituierende Deutschland eine bundesstaatliche Verfassung zu errichten. Dagegen opponierte Württemberg gemeinsam mit Bayern. König Friedrich wollte mit einer eigenen Verfassung der Bundesverfassung zuvorkommen. Deshalb legte er dem am 15. März 1815 einberufenen Landtag ein Staatsgrundgesetz vor. Dieser Entwurf traf auf starken Widerstand der Landstände, die die bisherige auf dem Tübinger Vertrag von 1514 basierende Verfassung wieder in Kraft setzen wollten. Den Landständen gelang es, die Bevölkerung in einer Kampagne für das „alte Recht“ auf ihre Seite zu ziehen. Einer der Protagonisten dieser Bewegung war der Dichter und Politiker Ludwig Uhland, der hierfür eigens das Gedicht „Das alte, gute Recht“[1] verfasste. Die Kampagne war so wirksam, dass das von König Friedrich vorgelegte Staatsgrundgesetz nicht verabschiedet wurde. Die völlig überarbeitete Verfassung wurde erst durch seinen Nachfolger König Wilhelm I. am 25. September 1819 erlassen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, warum Württemberg erst am 1. September 1815 die Deutsche Bundesakte unterzeichnete und damit erst nachträglich dem am 8. Juni 1815 gegründeten Deutschen Bund beitrat. Durch die Beteiligung an den Koalitionskriegen und deren Folgen erlebte das Königreich in seinen Anfangsjahren einen wirtschaftlichen Niedergang, der zu hoher Staatsverschuldung und zur Verarmung breiter Bevölkerungsschichten bis hin zu Hungersnöten führte. Diese wirtschaftlich sehr schwierige Lage wurde durch das ungewöhnlich kalte und von Naturkatastrophen gekennzeichnete Jahr 1816 weiter verschärft.
Die Zeit der Konsolidierung nach dem Regierungsantritt König Wilhelms I.
Das Verhältnis zwischen König Friedrich und seinem Sohn Wilhelm Friedrich Karl, dem späteren König Wilhelm I., war sowohl persönlich als auch politisch von starken Spannungen geprägt. 1805 kam es zur offenen Auflehnung Wilhelms gegen seinen Vater, die seiner Flucht nach Paris führte. Wilhelm versuchte Frankreich zum Umsturz in Württemberg zu bewegen, was ihm Napoléon aber verweigerte. 1807 kam es zwar zu einer Verständigung zwischen Wilhelm und Friedrich; ihre persönliche und politische Abneigung zueinander blieb aber bestehen. So war es nur folgerichtig, dass der neue König nicht mit dem Namen seines Vaters sondern mit dem Namen Wilhelm am 30. Oktober 1816 seine Regentschaft antrat und einen umfassenden Politikwechsel einleitete. Es ist überliefert, dass die Bevölkerung Württembergs durch Soldaten nur schwer von Freudenfesten über Friedrichs Tod abgehalten werden konnte. Gemeinsam mit seiner Frau Königin Katharina, einer Tochter des russischen Zaren Paul I. war die Politik Wilhelms in seinen ersten Jahren stark auf die Linderung der wirtschaftlichen Not breiter Bevölkerungskreise ausgerichtet. Katharina, die am 9. Januar 1819 im Alter von nur 30 Jahren starb, widmete sich mit großem Engagement der Sozialfürsorge. So gehen die Gründung des Katharinenstifts als Mädchenschule, des Katharinenhospitals, der Württembergischen Landessparkasse, der Universität Hohenheim und weiterer Institutionen auf sie zurück. Wilhelm erließ eine Amnestie, senkte die Steuern und setzte eine umfassende Verwaltungsreform auf der Basis der neuen modernen Verfassung vom 25. September 1819 durch. Die absolutistische Diktatur Friedrichs wurde aber nicht durch den aus dem Herzogtum Württemberg tradierten Dualismus zwischen dem Regenten und den Landständen ersetzt. Stattdessen basierte die neue Staatsform auf dem Konstitutionalismus, der die Herrschaft des Monarchen durch verfassungsrechtlich festgelegte Mitspracherechte gewählter Volksvertreter ergänzte. Die Verfassung wurde so auch zur Klammer zwischen den alten und den neuen Landesteilen. Die altständische Opposition löste sich praktisch auf. Es entstand aber eine nicht weniger streitbare bürgerliche Opposition liberaler Ausrichtung.
Wesentliche Bestandteile der im Zusammenhang mit der neuen Verfassung durchgesetzten Reorganisation der Verwaltung waren die Kommunale Selbstverwaltung und die Trennung von Exekutive und Judikative. Die Verwaltung wurde gestrafft und transparenter gemacht. Die dem Staat und dem König verpflichteten Beamten entwickelten sich rasch zu einer Art Stand heraus und damit zu einer „Politischen Klasse“, die die Staatsregierung stützte.
Beim Regierungsantritt Wilhelms I. betrug die Staatsverschuldung fast 10 Millionen Gulden, was etwa dem Dreifachen des Jahreshaushalts entsprach. Diese Schulden wurden in den ersten 20 Jahren seiner Regentschaft so nachhaltig abgebaut, dass Steuersenkungen ermöglicht wurden. Besonderer Schwerpunkt seiner Wirtschaftspolitik war der Ausbau der Landwirtschaft. Äußere Zeichen waren die Gründung des Landwirtschaftlichen Instituts der Universität Hohenheim oder die Stiftung des Cannstatter Volksfestes.
Außenpolitisch verfolgte Wilhelm das Ziel, die staatlichen Strukturen in Deutschland weiter zu bereinigen und auf die fünf Königreiche Preußen, Sachsen, Bayern, Hannover und Württemberg sowie das Kaisertum Österreich zu begrenzen.[2] Preußen und Österreich sah er dabei als europäische Mächte an. Die vier anderen „deutschen“ Königreiche sollten durch ein enges Bündnis eine gemeinsame auf die Einigung zu einer dritten deutschen Großmacht ausgerichtete Politik betreiben. Wilhelm strebte die Mediatisierung Badens, Hohenzollerns sowie den Erwerb des Elsasses an. Mittel zu diesem nie erreichten Ziel war die starke familiäre Verbindung mit Russland, die 1776 durch die Heirat seiner Tante Sophie Dorothee mit dem russischen Thronfolger, dem späteren Zaren Paul begonnen und durch Wilhelms eigene Heirat mit deren Tochter Katharina 1816 erneuert wurde. Nachdem Katharina bereits 1819 starb, verfolgte Wilhelm die gemeinsam mit ihr entwickelte Außenpolitik über seine gesamte Regierungszeit weiter. So war es nur folgerichtig, dass sein Sohn und Thronfolger Karl am 13. Juli 1846 die Zarentochter Olga heiratete.
Das Erstarken der demokratischen Bewegung und des Liberalismus ab 1830
Nach der Pariser Julirevolution von 1830 gewannen die Liberalen im Dezember 1831 die Landtagswahlen. Wilhelm I. verschob danach die Einberufung des Landtags über ein Jahr bis zum 15. Januar 1833. Nach der Auflösung des Landtags am 22. März fanden im April Neuwahlen statt, aus denen die Liberalen unter Friedrich Römer wiederum als Sieger hervorgingen. Wilhelm verweigerte daraufhin den gewählten Abgeordneten im Staatsdienst die Freistellung für die Ausübung ihres Mandats. Friedrich Römer, Ludwig Uhland und auch andere liberale Abgeordnete quittierten deshalb den Staatsdienst. In den Jahren 1846 und 1847 kam es durch Missernten zu Hungersnöten. Die bis dahin „zufriedene“ Grundstimmung der Bevölkerung schlug um. Liberale und demokratische Forderungen erhielten mehr Nachdruck. Im Januar 1848 verlangte eine Protestversammlung in Stuttgart ein Bundesparlament, die Pressefreiheit, die Vereins- und Versammlungsfreiheit, ein Schwurgericht und die Volksbewaffnung. Wilhelm I. versuchte zunächst, die Revolution in Württemberg durch Entgegenkommen aufzuhalten. Er setzte das liberale Pressegesetz aus dem Jahr 1817 wieder in Kraft und tolerierte eine liberale Regierung unter Friedrich Römer. Das am 9. März 1848 eingesetzte „Märzministerium“ war die erste parlamentarisch legitimierte Regierung des Landes. Größere militärische Auseinandersetzungen während der Märzrevolution wurden durch diese Politik im Königreich Württemberg verhindert. Im April 1849 beschlossen die Regierung und der Landtag die Anerkennung der Reichsverfassung. Wilhelm empfand diesen Beschluss zwar als Demütigung, stimmte jedoch als einziger deutscher Monarch der von der Frankfurter Nationalversammlung verabschiedeten Verfassung zu. Nachdem die Nationalversammlung gescheitert war, fassten die verbliebenen Abgeordneten am 30. Mai 1849 den Entschluss, die Sitzungen nach Stuttgart zu verlegen. Ab dem 6. Juni 1849 tagte diese spöttisch Rumpfparlament genannte Versammlung mit anfangs 154 Abgeordneten unter Parlamentspräsident Wilhelm Loewe in Stuttgart. Als das Rumpfparlament zur Steuerverweigerung und zur Erhebung gegen die Regierungen aufrief, wurde es bereits am 18. Juni 1849 durch württembergisches Militär besetzt und nach einem Demonstrationszug der verbliebenenen 99 Abgeordneten durch Stuttgart gewaltsam aber ohne Blutvergießen aufgelöst. Die nicht-württembergischen Abgeordneten wurden des Landes verwiesen.
Im August 1849 fanden in Württemberg Wahlen zu einer „Verfassunggebenden Versammlung“ statt, bei denen die Demokraten gegenüber den gemäßigten Liberalen die Mehrheit erreichten. Während die Liberalen die Bindung des aktiven und passiven Wahlrechts an Einkommenshöhe und Vermögen forderten, verlangten die Demokraten ein allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht für alle volljährigen Männer. Ende Oktober 1849 entließ der König die von der Landesversammlung gewählte Regierung unter Friedrich Römer. Die Minister wurden durch beamtete Minister ersetzt. Als die Struktur und die Rechtsgrundlage des „Beamtenministeriums“ durch die Landesversammlung abgelehnt wurden, löste Wilhelm I. sie auf. Zwei weitere Landesversammlungen im Jahr 1850, bei denen die Demokraten ebenfalls jeweils die Mehrheit hatten, wurden ebenfalls aufgelöst. Trotzdem etablierte sich in Württemberg auch danach eine starke liberale und demokratische Opposition. Als König Karl. 1864 die Regierung antrat, kam er liberalen und demokratischen Forderungen entgegen. Die Pressefreiheit und die Vereinsfreiheit wurden wieder hergestellt, die Gewerbefreiheit und Freizügigkeit wurden garantiert. Die Juden erhielten die vollen Staatsbürgerrechte. Bestehende Heiratsbeschränkungen für Arme wurden aufgehoben. Olga Nikolajewna Romanowa, die Ehefrau von Karl I., übernahm 1865 die Leitung des im November 1863 gegründeten Württembergischen Sanitätsvereins, der als erste nationale Rotkreuz-Gesellschaft in die Geschichte einging.
Württemberg als Bundesstaat im Deutschen Kaiserreich
König Karl war entgegen der Politik seines Vaters ein Verfechter der Bildung eines deutschen Nationalstaats. Als nach dem Krieg Preußens und Österreichs gegen Dänemark 1864 die Spannung zwischen den beiden Bündnispartnern 1866 zum Krieg führte, standen Bayern, Württemberg und Baden auf der Seite Österreichs. Die württembergische Armee wurde am 24. Juli 1866 bei Tauberbischofsheim nur wenige Tage vor dem Waffenstillstand zwischen Preußen und Österreich von preußischen Truppen vernichtend geschlagen. Württemberg schloss daraufhin am 1. August 1866 einen Waffenstillstand mit Preußen. Der Krieg endete am 23. August mit dem Prager Frieden, bei dem Württemberg den kurz zuvor durch Preußen gegründeten Norddeutschen Bund anerkennen und Kriegsentschädigungen an Preußen zahlen musste. Nach Kriegsende wurde in Württemberg die Deutsche Partei gegründet, deren Ziel der Beitritt Württembergs zum Norddeutschen Bund war. Ihr stand die demokratische Württembergische Volkspartei gegenüber, die bereits 1864 aus der liberalen Fortschrittspartei hervorgegangen war. Die Volkspartei schloss sich mit Konservativen und Vertretern des Katholizismus zu einer Allianz zusammen, deren Ziel die Verhinderung eines von Preußen beherrschten Nationalstaats war. Trotzdem schloss das Königreich Württemberg mit Preußen ein „Schutz- und Trutzbündnis“ ab, das im Deutsch-Französischen Krieg die württembergische Armee dem preußischen Oberbefehl unterstellte. Während des Krieges trat Württemberg am 25. November 1870 dem Norddeutschen Bund und im Januar 1871 dem Deutschen Kaiserreich bei. In der Reichsverfassung vom 16. April 1871 erhielt Württemberg im Bundesrat vier von 58 Stimmen. Von den 397 Abgeordneten des Reichstags kamen 17 aus Württemberg. Als Reservatrechte wurden dem Land die Verwaltung des Eisenbahn-, des Post- und des Fernmeldewesens, die Einnahmen aus der Bier- und Branntweinsteuer und eine eigene Militärverwaltung unter preußischem Oberbefehl zugestanden.
Der politische Machtverlust des Landes und des Herrscherhauses, der mit Eintritt ins Kaiserreich einherging, wurde durch eine starke Besinnung auf die württembergische Identität kompensiert. Württemberg war als Folge davon bereits in der Monarchie demokratischer organisiert als Preußen und andere deutsche Bundesstaaten. 1876 wurde die Regierung neu organisiert. Kernstück der Reform war die Einrichtung eines Staatsministerium unter Ministerpräsident Hermann Karl Friedrich Freiherr von Mittnacht.
König Karl starb am 6. Oktober 1891. Sein Nachfolger König Wilhelm II. stand liberalen Forderungen aufgeschlossen gegenüber. Er war in der Bevölkerung über seine gesamte Regierungszeit und auch nach seiner Abdankung sehr angesehen. Die Landtagswahlen von 1895 ergaben eine starke Mehrheit für die demokratische Fraktion.
Da König Wilhelm II. keine Söhne hatte, war abzusehen, dass die Thronfolge von der protestantische Linie des Hauses Württemberg mit Albrecht von Württemberg auf die katholische Seitenlinie übergehen würde. Diese Perspektive alarmierte das tonangebende protestantische liberale Bürgertum Württembergs, und es kam zu vielfältigen Diskussionen über das künftige Verhältnis von Kirche und Staat. So kam es zu der etwas paradoxen Situation, dass im überwiegend katholischen Nachbarland Baden eine protestantische Dynastie herrschte, während im überwiegend evangelischen Württemberg eine katholische Dynastie die Erbfolge antreten sollte.
Die Novemberrevolution im Deutschen Kaiserreich am Ende des Ersten Weltkrieges führten auch in Württemberg zur Abdankung König Wilhelms II. am 9. November 1918. Württemberg wurde als Freier Volksstaat Teil des Deutschen Reiches in der Zeit der Weimarer Republik.
Verfassung
Die Verfassung des Königreichs Württemberg wurde am 25. September 1819 von König Wilhelm I. erlassen. Sie umfasste zehn Kapitel mit insgesamt 205 Paragraphen.[3]
In Kapitel I wurde Württemberg als Staat und als Teil des Deutschen Bundes definiert. Kapitel II definierte den König als Staatsoberhaupt und regelte die Thronfolge. Der König war alleiniger Inhaber der Staatsgewalt, die er jedoch nur im Rahmen der Verfassung ausüben konnte (§ 4). Kapitel III regelte die staatsbürgerlichern Rechte und Pflichten. Der Staat wurde verpflichtet, die Bürgerrechte zu sichern (§ 24), zu denen unter anderem die Freiheit der Person, die Freizügigkeit, die Gewerbefreiheit (§ 29) und das Eigentum (§ 30) gehörten. Die Pressefreiheit (§ 28) stand unter einem Gesetzesvorbehalt. Kapitel IV regelte die Organisation und die Aufgaben der als „Geheimer Rat“ bezeichneten Regierung und der Verwaltung. Ab 1876 wurde die Regierung in das neu eingerichtete Staatsministerium überführt. Der Geheime Rat bestand weiter als eine den König beratende Staatsbehörde. Die Verfassung sah die Ministerien der Justiz, der auswärtigen Angelegenheiten, des Innern, des Kriegswesens und der Finanzen vor (§ 56). Die jeweiligen Minister gehörten dem Geheimen Rat und später dem Staatsministerium an. 1848 wurde das Ministerium des Kirchen- und Schulwesens aus dem Innenministerium ausgegliedert. Sämtliche Mitglieder des Geheimen Rats wurden vom König gewählt und entlassen (§ 57). In Kapitel V waren die Rechte der Gemeinden und Gebietskörperschaften geregelt. Es galt das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung. Kapitel VI definierte das Verhältnis der drei im Königreich vorhandenen christlichen Kirchen zum Staat. Kapitel VII befasste sich mit der „Ausübung der Staatsgewalt“. Die Gesetzgebung war an die Zustimmung der Landstände gebunden (§ 88); alle Gesetze mussten konform zur Verfassung sein (§ 91). Die Gerichtsbarkeit war unabhängig (§ 93). Kapitel VIII regelte das Finanzwesen. Kapitel IX legte die Zusammensetzung und die Organisation der Landstände fest, deren Hauptaufgabe die Mitwirkung an der Gesetzgebung durch „Einwilligung“ zu den von der Regierung vorgelegten Gesetzentwürfen war (§ 124). Die Landstände waren als Zweikammersystem organisiert. Mitglieder der als „Kammer der Standesherren“ bezeichneten ersten Kammer waren die Prinzen des Königlichen Hauses, die Vertreter des Adels und der ehemaligen standesherrlichen Gemeinschaften in Altwürttemberg sowie vom König erblich oder auf Lebenszeit ernannte Mitglieder (§ 129). Die als „Kammer der Abgeordneten“ bezeichnete zweite Kammer bestand aus Mitgliedern kraft Amtes, aus 13 gewählten Vertretern des ritterschaftlichen Adels und aus vom Volk gewählten Vertretern der Städte und Oberämter (§ 133). Die Wahlperiode betrug sechs Jahre (§ 157). Die gewählten Abgeordneten waren weisungsungebunden (§ 155). Kapitel X regelte die Organisation und die Aufgaben des Staatsgerichtshofs.
Nach der Deutschen Revolution von 1848 wurde eine verfassunggebende Landesversammlung eingerichtet und nach ihrer Wahl vom König wieder aufgelöst.[4] Zu nennenswerten Änderungen der Verfassung und ihrer Anwendung kam es durch die Reichsgründung 1871 und durch die Verfassungsgesetze von 1906 und 1911.
Verwaltungsgliederung
Hauptartikel: Verwaltungsgliederung Württembergs
Das Königreich Württemberg wurde 1810 in zwölf Landvogteien eingeteilt, die sich in 64 Oberämter gliederten. 1818 wurden die zwölf Landvogteien durch vier Kreise ersetzt: Donaukreis (Ulm), Neckarkreis (Ludwigsburg), Jagstkreis (Ellwangen) und Schwarzwaldkreis (Reutlingen), die erst zum 1. April 1924 aufgelöst wurden.
Einwohnerentwicklung
1816: 1.410.684 Einwohner
1840: 1.646.136 Einwohner
1864: 1.748.328 Einwohner
1875: 1.881.505 Einwohner
1905: 2.300.000 Einwohner
Quellen und Anmerkungen
- ↑ Wortlaut des Gedichtes „Das alte, gute Recht“
- ↑ Theodor Mästle: Württemberg und die Großmächte vom Wiener Kongress bis zum Tode König Wilhelms I. Tübingen 1951
- ↑ Wortlaut der württembergischen Verfassung von 1819
- ↑ Gesetz betreffend die Einberufung einer Versammlung von Volksvertretern zur Beratung einer Revision der Verfassung
Literatur
- Helmut Engisch: Das Königreich Württemberg. Theiss Verlag, Stuttgart 2006. ISBN 3-8062-1554-5
- Joseph Stöckle: Württemberg in Wort und Bild: Zur Reise und zum Studium. Verlag Leo Woerl, Würzburg & Wien, 1889.
- Ina Ulrike Paul: Württemberg 1797-1816/19. Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten (= Quellen und Studien zur Entstehung des modernen württembergischen Staates, Bd. 7). München 2005.