Wechselwirkende Galaxien

Galaxien, die sich gegenseitig beeinflussen und damit ihre inneren Aktivitäten erhöhen
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Wechselwirkende Galaxien bestehen bei Begegnungen zweier oder mehrerer Galaxien. Daraus ergeben sich entweder Galaxienverschmelzungen oder besondere Formationen und Neukonstellationen der beteiligten Sterneninseln.

Verschmelzungen von Galaxien, besonders von Protogalaxien, finden bevorzugt in dichten Regionen des Universums bei langsamen Relativgeschwindigkeiten zueinander statt. Bei schnelleren Kollisionsgeschwindigkeiten durchdringen und durchqueren sich die Einheiten. In manchen Fällen treiben Galaxien in geringem Abstand aneinander vorbei. Elliptische Galaxien sind meistens die Verschmelzungsprodukte von Scheibengalaxien, insbesondere von Spiralgalaxien.

Heute finden sich nur noch etwa Eine bis Zwei von Hundert Galaxien im direkten Prozess einer Verschmelzung. Es deutet Vieles darauf hin, dass in der Zeit etwa eine Milliarde Jahre nach dem Urknall die damals häufigen Zwerggalaxien vielfach miteinander verschmolzen.

Zwei Galaxien im Prozess der Verschmelzung: Die 300 Millionen Lichtjahre entfernten Mäuse-Galaxien im Sternbild Haar der Berenike.

Die kosmologische Hierarchie

Die inhaltliche Struktur des Kosmos hat sich nach heutigen Erkenntnissen hierarchisch entwickelt, vom Kleinen zum Großen. Demnach haben sich die meisten Galaxien vor Galaxiengruppen, Galaxienhaufen und Galaxiensuperhaufen gebildet. Galaxienhaufen- und Superhaufen sind gerade erst dabei sich auszubilden. Der Ausgangsstoff aller Sterne und Galaxien ist Interstellares Gas. In jungen Galaxienhaufen befindet sich der Teil des Gases der zwischen den Galaxien des Haufens ist, in unregelmäßigen Ansammlungen. Weitentwickelte Galaxienhaufen weisen dagegen eine gleichmäßige Verteilung des Gases auf; gleichförmig, symmetrisch und zum Zentrum des Haufens hin konzentriert. Ein Blick in ferne Galaxien, also in die Vergangenheit, reicht noch nicht aus um die Situation eine Milliarde Jahre nach dem Urknall zu zeigen. Trotzdem müssen sich damals in der kleinen Hierarchiestufe aus sehr vielen Zwerggalaxien schrittweise größere Galaxien gebildet haben. Diese größeren Galaxien waren oder sind dann, wie heute unsere Milchstraße, von mehreren Zwerggalaxien umgeben. Bei diesen Galaxiebildungen sind große Teile des Ausgangsstoffes Gas als Überreste verblieben, ebenso zahlreiche schwache Galaxien. Man hat inzwischen Viele solcher extrem schwachen Zwerggalaxien gefunden, die sehr nah aber am Nachthimmel kaum erkennbar sind.

Die erste Stufe von größeren Galaxien sind reine Balkengalaxien. Die Balken entstehen durch Gezeitenkräfte, genauer durch Unterschiede von Gravitationsimpulsen. Diese Formationen entwickeln sich dann zu immer ausgeprägteren Spiralen. Der Balken wird schließlich zum scheibenförmigen oder kugelförmigen (elliptischen) Zentrum. Mithilfe von Computersimulationen konnte man aufzeigen, dass aus Vereinigungen zweier gasreicher Spiralgalaxien, den häufigsten existierenden Galaxietypen, typischerweise Elliptische Galaxien hervorgehen.

Gezeitenkräfte

Die Gezeitenkräfte können in den verschiedenen Formen der Wechselwirkungen sehr unterschiedlich sein. Elliptische Galaxien finden sich meistens in dichten Galaxienhaufen. Demnach bildeten sich elliptische Galaxien - vermutlich aus schon vorhandenen Scheibengalaxien oder aus gasreichen Protogalaxien - unter starkem Einfluss von Gezeitenkräften. Gezeitenkräfte beschleunigen und vereinheitlichten die Prozesse von Sternen- und Galaxienbildungen. Außerhalb der Galaxienhaufen kollabierte das Gas vergleichsweise ruhig im Verlauf von über zehn Milliarden Jahren. Dort gingen die Sternentstehungen und die Abfolge der Sternpopulationen schrittweise vor sich, ebenso sind die Kollisionen und Verschmelzungen von Galaxien dort langsamer und stufenweise verlaufen.

Kollapsphasen und Galaxienverschmelzungen

Ein möglicher Ablauf: Die Galaxien nähern sich erst einander an und umkreisen sich gegenseitig, mit individueller Verlagerung. Die Umkreisungen werden dann immer enger bis zur vollständigen Vereinigung. Ein wesentlich häufigerer Ablauf aber ist, dass sich die Galaxien erst gegenseitig durchdringen. Dabei werden die ursprünglichen Formen gesprengt. Die Schwerkraft reicht dann entweder aus um die zerrissenen Galaxien zusammenzuhalten, wobei dann auch eine gegenseitige enger werdende Umkreisung typisch ist, oder sie driften weiter auseinander. Verschmelzungen von Galaxien dauern mehrere hundert Millionen Jahre bis 1,5 Milliarde Jahre.

Bei einer Verschmelzung oder Durchdringung treiben die Sterne der Galaxien aneinander vorbei. Die Gaswolken kollidieren allerdings und verlieren dabei Bahnenergie. Hierbei kommst es an Stellen der Kollision meist zu der Entstehung von Kugelsternhaufen die bei den meisten älteren Galaxien, die schon Kollisionsprozesse durchlaufen haben, gleichmäßig als Sphäre verteilt sind. Diese bestehen zum Teil aus älteren Sternhaufen, die schon vor der Kollision existierten und neuen, die bei der Kollision entstanden. Die Bewegungen der Galaxien zueinander geraten dabei in immer kreisförmigere und engere Bahnen, was die Wolkenzusammenstöße vermehrt. Daraus bildet sich unter hohem Druck eine dichte Gaswolke im Zentrum. Diese Wolke wird durch den hohen Druck instabil und fällt zusammen. Dadurch entstehen viele Sterne, was in dieser Form Sternentstehungsausbruch (englisch Starburst) genannt wird. Dabei wird das Gas zu neuen Sternen, ein bestimmter Anteil davon wird durch die gewaltigen Energien der neuen Sterne aus dem Sternensystem hinaus geblasen. Dadurch können in diesen Galaxien später lange keine oder fast keine neuen Sterne mehr entstehen. Die neu gebildete Galaxie besteht also aus gemeinsam alternden Sternen. In den heutigen Elliptischen Galaxien befinden sich daher fast ausschließlich sehr alte Sterne gleicher Generation (Sternpopulation) mit ähnlicher Masse wie die Sonne. In anderen Galaxietypen sind sowohl unterschiedliche Sternpopulationen als auch höhere Mengen an Gas vorhanden.

Polarring-Galaxien

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Hoag's Object

Bei der Entstehung einer Galaxie aus Gas in einem einzigen Kollapsvorgang würde sich eine Gasscheibe mit einer bevorzugten Drehrichtung herausbilden, am Kollaps teilnehmende Gaswolken mit anderem Umlaufsinn würden durch Zusammenstöße dem allgemeinen Drehsinn angeglichen. Eine Entstehung in einem Zug von Polarring-Galaxien mit ihrer zueinander senkrechten Rotation von Ring und Zentralgalaxie ist daher unwahrscheinlich.

Polarring-Galaxien werden deshalb als Resultat einer nachträglichen Verschmelzung zweier Galaxien gesehen. In Polarring-Galaxien hat sich demnach bei der Verschmelzung mit einer kleineren Galaxie ein stabilerer Sternring gebildet, der senkrecht zur Ebene der Hauptgalaxie steht und auch senkrecht zu dieser rotiert.

Polarringgalaxien sind sehr seltene Objekte. Man hat bis heute nur etwa 100 Stück entdeckt. Die 600 Millionen Lichtjahre entfernte Polarring-Galaxie Hoag's Object wurde 1950 von Art Hoag entdeckt und war die erste entdeckte Galaxie dieser Art.


Aktuell Wechselwirkende Galaxien

Wir sehen sehr weit entfernte Galaxien lange in der Vergangenheit. Bei ihnen ist der Anteil an Galaxien mit stark verzerrten Gestalten wesentlich höher als in unserer Region des Kosmos. Diese häufigeren unregelmäßigen Formen sind das Ergebnis von Wechselwirkungen und Verschmelzungen. Demzufolge waren solche Prozesse in der Vergangenheit entsprechend häufiger. In unserer Nähe beträgt der Anteil nur noch ein bis zwei Prozent.

Die folgenden Konstellationen ergeben einen Ablauf, geordnet nach dem Stadium der Kollision und Vereinigung.

NGC 5090 and NGC 5091

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Li. NGC 5091, re. NGC 5090

NGC 5090 und NGC 5091 (auch klassifiziert unter ESO 270-IG002 und ESO 270-IG004) sind zwei Galaxien die sich aufeinander zu bewegen. Sie kommen gerade ins erste Stadium von Wechselwirkungen, die sich auf die inneren Strukturen der Galaxien auswirken. Ihre Entfernung zu uns beträgt etwa 150 Millionen Lichtjahre, sie stehen im Sternbild Zentaur.

NGC 5091 (links) ist eine Spiralgalaxie, NGC 5090 (rechts) ist eine Elliptische Galaxie. NGC 5090 ist zudem eine Radiogalaxie. Die Rotationsgeschwindigkeit der Zentren wurde bei NGC 5091 mit 3.429 km pro Sekunde gemessen, bei 5090 mit 3.185 km pro Sekunde.

NGC 2207 und IC 2163

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Li. NGC 2207, re. IC 2163

NGC 2207 (links) und IC 2163 (rechts) sind beide reine Spiralgalaxien ohne Balken. Sie befinden sich 144 Millionen Lichtjahre entfernt im Sternbild Großer Hund. Diese beiden Sternenformationen sind bereits im Prozess der Kollision. Aber anders als die Mäuse-Galaxien und die Antennen-Galaxie sind es noch zwei völlig separate Galaxien. Es beginnt gerade das erste Zusammentreffen. Sie werden sich im weiteren Verlauf vermutlich zunächst ähnlich wie die Mäuse-Galaxien formen, später ähnlich der Antennen-Galaxie. In nicht etwas mehr als einer Milliarde Jahren wird aus ihnen eine große Elliptische Galaxie entstanden sein.

NGC 2207 und IC 2163 wurden beide 1835 von John Herschel entdeckt. In NGC 2207 konnte man bereits zwei Supernovae beobachten. Die Hubble-Aufnahme stammt aus dem Jahr 1999.

Die Mäuse-Galaxien

 
Die Mäuse-Galaxien

Die Mäuse-Galaxien, zusammen NGC 4676 oder einzeln IC 820 (links) und IC 819 (rechts), sind zwei Spiralgalaxien, etwa 300 Millionen Lichtjahre entfernt und liegen im Sternbild Haar der Berenike. Ihr Name rührt von ihren als Mäuseschwänze bezeichneten langen Schweifen her. Diese sind ein Resultat der Gezeitenwirkung. Die Gezeitenwirkung ergibt sich hier durch den relativen Unterschied im Gravitationsimpuls an den einander nahen und entfernten Teilen der beiden Galaxien.

Die Mäuse-Galaxien befinden sich bereits im Prozess der Kollision und der Verschmelzung. Ihre Struktur spricht dafür, dass sie schon aneinander vorbeigestreift sind. Aber ihre Zentren haben sich noch nicht berührt oder durchdrungen wie bei der Antennengalaxie. Das ist der nächste einprägsame Schritt.

Die Antennen-Galaxie

 
Die Antennen-Galaxie

Die Antennen-Galaxie ist 68 Millionen Lichtjahre entfernt und steht im Sternbild Rabe. Laut ihrem englischen Namen "Antennae Galaxies" sind es noch zwei Galaxien. Nimmt man ihren deutschen Namen "Antennen-Galaxie" als Maßstab, so handelt es sich nicht mehr um zwei Galaxien, sondern nur noch um Eine. Bei ihrem englischen Originalnamen bedeutet das Wort "Antennae" übersetzt "Fühler". Den Namen hat sie wegen ihrer dünnen, nach oben gebogenen Schweife (siehe Fernansicht im Bild links oben), die an Fühler von Insekten erinnern.

Die Kerne der kollidierenden Galaxien haben sich hier bereits durchdrungen. Durch die Verschmelzung der beiden Galaxien wird insbesondere das interstellare Gas verdichtet und Sternentstehung angeregt. Die dabei gebildeten Sternentstehungsgebiete bzw. die dazu gehörenden Emissionsnebel sind als helle Knoten in den Spiralarmen sichtbar. Die Antennen-Galaxie wurde am 7. Februar 1785 von William Herschel entdeckt.

Die Galaxie NGC 4038 (links) war früher eine Spiralgalaxie und NGC 4039 (rechts) war eine Balkenspirale. Vor ihrem ersten Zusammentreffen, das schon vor etwa 900 Millionen Jahren stattfand, war die Balkenspirale NGC 4039 (rechts) die größere Galaxie. Inzwischen ist sie zum kleineren Teil des Systems geworden. Vor 600 Millionen Jahren war der Prozess im Stadium der Mäuse-Galaxien. Die Fühler sind vor etwa 300 Millionen Jahren entstanden. In etwa 400 Millionen Jahren wird sich ein gemeinsamer stabiler Kern gebildet haben wie bei der Starfish-Galaxie.

Die Starfish-Galaxie

Datei:Ngc6240 real.jpg
Die Starfish-Galaxie

Die Starfish-Galaxie, auch NGC 6240 (IC 4625, UGC 10592) ist ungefähr 400 Millionen Lichtjahre entfernt und steht im Sternbild Schlangenträger.

Sie hat gerade den Prozess von Kollision und Verschmelzung zweier Galaxien hinter sich. In ihrem Kern bestehen zwei aktive Supermassive Schwarze Löcher, welche noch die zwei separaten Kerne der Ausgangsgalaxien repräsentieren. Die beiden Schwarzen Löcher strahlen eine große Menge an Röntgenstrahlung ab und kreisen im Abstand von 3.000 Lichtjahren umeinander, bis sie in einigen hundert Millionen Jahren verschmelzen werden.

Die Starfish-Galaxie war am 29. Juli 2001 die erste Galaxie, bei der man zwei Supermassive Schwarze Löcher im Kern entdeckt hat; mit dem Chandra Röntgenteleskop. Dieses System ist ein Paradebeispiel einer Starburstgalaxie, bei der eine hohe Sternentstehungsrate (Starburst heißt Sternentstehungsausbruch) besteht.

Ringgalaxien

 
Die Wagenradgalaxie

Gelegentlich kommt es durch Wechselwirkung zur Bildung von Ringstrukturen in Galaxien. In Ringgalaxien spiegelt ein nach außen laufender blauer Ring in der Ebene der Galaxie eine Verdichtungswelle wider, die in der Galaxie beim Durchstoßen durch eine zweite Galaxie angeregt wurde. Diese Konstellationen sind instabil.

Die wohl bekannteste Ringgalaxie ist die Wagenradgalaxie im Sternbild Bildhauer. Mit 500 Millionen Lichtjahren ist sie relativ weit entfernt und nicht mehr im NGC-Katalog aufgeführt.

Ringgalaxien sind von Polarring-Galaxien zu unterscheiden.

Wechselwirkende Satellitengalaxien

Es ist ein häufiges Szenario, dass sich eine größere Galaxie eine Zwerggalaxie einverleibt. Die Zeitspanne dafür beträgt vom ersten Berühren von Spiralarmen bis zur völligen Einverleibung ins Zentrum etwa 900 Millionen Jahre. Ein solches erstes Berühren der Spiralarme findet man aktuell bei der bekannten Whirlpool-Galaxie und ihrer Satellitengalaxie.

 
Messier 51 mit Begleiter im sichtbaren Licht

Die Whirlpool-Galaxie (auch Messier 51 oder NGC 5194/5195) ist eine bekannte Spiralgalaxie vom Hubble-Typ Sc, das heißt mit deutlich ausgeprägter Spiralstruktur, im Sternbild Jagdhunde. Der wechselwirkenden Begleiter der Whirlpool-Galaxie ist von irregulärem Typ. Im NGC-Katalog trägt er die Nummer NGC 5195 (M51 selbst hat die Nummer NGC 5194).

In M51 findet derzeit eine außergewöhnlich aktive Sternentstehung statt, die vermutlich durch die Gezeitenwechselwirkung mit NGC 5195 verursacht wird. Deswegen hat die gesamte Galaxie einen hohen Anteil junger und massereicher Sterne. Solche massereichen heißen Sterne haben typischerweise eine sehr kurze Lebenszeit von nur einigen Millionen bis wenigen Dutzend Millionen Jahren. Das Zentrum der Whirlpool-Galaxie, der aktive galaktische Kern, ist besonders heiß. Dort finden zahlreiche Kollisionen zwischen Gasen statt. Dazu gehören Sternwinde, expandierende Supernovaüberreste, und die Akkretion der Materie in das zentrale schwarze Loch.

Auch in den Spiralarmen von M51 liegen aktive Sternentstehungsgebiete und somit viele junge und besonders heiße Sterne. Das Sternentstehungsgebiet im Spiralarm zwischen M51 und dem Begleiter ist in dieser Hinsicht besonders deutlich ausgeprägt.

Siehe auch

Galaxie | Hubble-Sequenz | Polarring-Galaxie | Starburstgalaxie | Irreguläre Galaxie | Elliptische Galaxie | Gezeitenkraft

Literatur

  • Joseph Silk: Die Geschichte des Kosmos. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1999. ISBN 3-8274-0482-7
  • Roy A. Gallant: Unser Universum. Weltbildverlag, Augsburg 1998. ISBN 3-8289-3391-2
  • Simon Goodwin: Mission Hubble. Bechtermünz Verlag / Weltbildverlag, Augsburg 1996. ISBN 3-86047-146-5