Kolportage

Verbreitung von Gerüchten; minderwertige Literatur und deren Vertrieb durch Hausierer
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 8. Februar 2007 um 05:37 Uhr durch 159.168.253.10 (Diskussion). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Der Ausdruck Kolportage (v. frz.: porter à col = am Hals/ Kragen tragen - sinngemäss: auf den Schultern tragen) bezeichnete den Vertrieb von Büchern in Einzellieferungen durch Hausierer ("Kolporteure"). Heute bezeichnet das Verb kolportieren in Anlehnung an seine ursprüngliche Bedeutung abwertend das Verbreiten von Gerüchten und Gesellschaftsklatsch, von dem vor allem die Boulevardzeitungen und die Regenbogenpresse traditionell leben.

Geschichte

Im frühen 19. Jahrhundert minimierten die Verleger von besonders umfangreichen Werken (zum Beispiel Brockhaus-Lexikon, Meyers Konversationslexikon) ihr Risiko, indem sie diese in Lieferungen von zwei Bögen - also 32 Seiten - teilten und auf diese Weise von Hausierern vertreiben ließen. So mussten sie immer nur kleine Mengen produzieren und auch nicht wohlhabende Kunden konnten die Lieferungen bezahlen. Hatte der Kunde auf diese Weise alle Lieferungen eines Bandes erhalten, ließ er sie beim Buchbinder binden.

Die Kolportage war im 19. Jahrhundert auch ein bedeutsames Instrument christlicher Mission. Bibeln, religiöse Traktate, gedruckte Predigtsammlungen (etwa von Charles Haddon Spurgeon) und andere christliche Literatur wurden von Kolporteuren bis in die entlegensten Gegenden gebracht(siehe zum Beispiel William Gibson Sloan). Bei solchen Reisen hielten die Kolporteure auch Hausgottesdienste und Bibelstunden ab. Dabei waren sie nicht selten das Opfer staatlicher und staatskirchlicher Repression. Geld- und Gefängnisstrafen waren die Regel. Einige Kolporteure bezahlten ihre Arbeit als christliche Literaturvertreiber auch mit dem Leben. Viele freikirchliche Gemeinden verdanken ihre Entstehung der Kolportage. Zu den bekanntesten Verlagen, die im freikirchlichen Bereich mit Kolporteuren arbeiteten, gehörte der heute noch existierende Oncken Verlag.

Mancherorts reizte man die Kunden dadurch zum Kauf an, dass man mit der letzten Lieferung eines Bandes Prämien überließ, wie z. B. Uhren, Ringe, Frauenkleider und Nähmaschinen. Dies war jedoch im Deutschen Reich verboten. Sämtliche durch Kolportage vertriebenen Druckwerke mussten auf jeder einzelnen Lieferung den Gesamtpreis des Werkes tragen. Die Zahl der selbständigen Kolportagebuchhändler Anfang des 20. Jahrhunderts belief sich in Deutschland auf 5.000 bis 6.000.

Ein erfolgreicher Autor vieler Kolportageromane war Karl May.

Weitere Entwicklungen

Nach und nach wurde auf diese Art aber nur noch Trivialliteratur vertrieben und die seriösen Verlage zogen sich aus dem Kolportagegeschäft zurück.

Seither bezeichnete Kolportage nur noch Literatur, die auf niedrigem Niveau produziert wurde. Vergleichbar ist sie mit heutigen Groschenromanen.

In Österreich werden Straßenverkäufer von Zeitungen bis heute „Kolporteure“ genannt. Seit dem Aufkommen von Pendlerzeitungen ist der Begriff auch in der Schweiz wieder in den Wortschatz gelangt und bezeichnet die Leute, die diese Zeitungen verteilen.

Literatur

  • Gabriele Scheidt: Der Kolportagebuchhandel (1869 - 1905). Eine systemtheoretische Rekonstruktion. Stuttgart 1994. ISBN 3-476-45046-5
  • Roger Chartier (Hrsg.): Colportage et lecture populaire. Imprimés de large circulation en Europe, XVIe - XIXe siècles. Actes du colloque des 21 - 24 avril 1991 Wolfenbüttel. Paris 1996. ISBN 2-7351-0713-2