Katyn (russisch: катынь polnisch: Katyń) ist ein Dorf 20 km westlich von Smolensk in Russland. Katyn ist vor allem als Ort eines Massakers bekannt geworden.
Nach dem Hitler-Stalin-Pakt Anfang 1940 hatten sowjetische Truppen tausende polnische Offiziere erschossen. Am 5. März 1940 unterzeichnen die Mitglieder des Politbüros der KPdSU Josef Stalin, Wjatscheslaw Molotow, Lazar Kaganovisch, Michail Iwanowitsch Kalinin, Kliment Voroshilov, und Lawrenti Pawlowitsch Berija den Befehl zur Exekution von "Nationalisten und konterrevolutionären Aktivisten" in den besetzten Gebieten. Erfasst werden davon 25.700 polnische Bürger inklusive 14.700 Kriegsgefangene.
Die weite Definition der Opfer ermöglichte es auch polnische Intellektuelle, Polizisten, Reservisten und aktive Offiziere zu ermorden. Im Zeitraum vom 3. April bis zum 19. März 1940 werden 14.552 Kriegsgefangene im Wald von Katyn ermordet: Die größten Gruppen stammen mit 4421 aus einem Lager in Kozielsk, 6311 aus einem Lager bei Ostashkov und 3982 aus einem Lager bei Starobielsk.
Die Entdeckung des Massakers
Im Februar 1943 entdeckten deutsche Soldaten im Wald von Kozy Gory bei Katyn Massengräber mit den Leichen tausender polnischer Offiziere, die nach Aussagen der einheimischen Bevölkerung im Frühjahr 1940 ermordet worden waren.
Die reichsdeutschen Rundfunkmeldungen über die Funde veranlassten die polnische Exilregierung in London, eine Untersuchung durch das Internationale Komitees des Roten Kreuzes zu beantragen. Gegen dieses Vorhaben wehrte sich die sowjetische Regierung heftig und brach unter dem Vorwurf der Komplizenschaft mit Hitler den Kontakt zur Exilregierung ab.
Untersuchungen Anfang 1943 und NS-Propaganda
Der Fall Katyn geriet der deutschen Regierung zu einem Glücksfall für die NS-Propaganda. In eigennütziger Weise gestattete sie einer Untersuchungskommission von 12 Gerichtsmedizinern und Vertretern des polnischen Roten Kreuz zwischen dem 28. und 30. April 1943 eine Besichtigung der Massengräber und Leichen. Das internationale Rote Kreuz hatte aufgrund der Proteste der Sowjetunion seine Mitarbeit verweigert.
Der Deutsche Verlag publizierte 1943 die Untersuchungsergebnisse als amtliches Gutachten. Zur Todesursache heißt es darin: "Die Leichen wiesen als Todesursache ausschließlich Genickschüsse auf. Aus den Zeugenaussagen, den bei den Leichen gefundenen Briefschaften, Tagebüchern, Zeitungen usw. ergibt sich, dass die Erschießungen in den Monaten März und April 1940 stattgefunden haben. ..." Weil die Massengräber sich auf einem Gebiet befanden, das von Frühjahr 1940 bis Juni 1941 von der Sowjetunion besetzt war, war die Täterschaft für alle an der Untersuchung Beteiligten klar.
Katyn war für die NS-Propaganda von mehrfachem Nutzen: international konnte das Ansehen des Kriegsgegner Sowjetunion geschwächt werden, im Rahmen der Okkupationspolitik in den polnischen Gebieten sollte dem lokalen Widerstand klar gemacht werden, dass die Sowjetunion als Bündnispartner ausschied und mit dem für die NS-Propaganda typischen Antikommunismus sollte die eigene Bevölkerung gegen den Bolschewismus weiter aufgebracht werden. Der SD vermerkte jedoch in seinen Berichten, das der letzte Punkt nicht erreicht wurde, da in der deutschen Bevölkerung eine Stimmung herrsche, dass diese Verbrechen gegenüber deutschen Verbrechen nicht ins Gewicht fallen würden.
Untersuchungen Ende 1943 und Sowjet-Propaganda
Ende 1943, nach der Zurückeroberung des Geländes, ließ die Sowjetunion das Massaker durch eigene Fachleute untersuchen. Diese behaupteten, dass die Morde im Herbst 1941 (und somit unter deutscher Verantwortung) stattgefunden hätten.
Katyn bei den Nürnberger Prozessen 1946ff.
Die sowjetischen Ankläger vor dem Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher warfen die Verbrechen den deutschen Angeklagten vor. Der amerikanische Richter Francis A. Biddle bezeichnete die Eingabe der UDSSR als "maßlos" und gab seinem Mitarbeiter Herbert Wechsler den Auftrag, Klarheit in die Angelegenheit zu bringen. Da die westlichen Alliierten kein Interesse daran hatten, den Prozess durch sowjetische Propaganda in seiner Wirkung beeinträchtigen zu lassen, überstimmten sie den sowjetischen Richters Iona Nikittschenko und drohten mit dem Verlesen von Wechslers Erklärung sowie der Verhaftung des sowjetische Anklägers Roman Rudenko, wenn er weiterhin durch entsprechende Anträge das Gericht missachten sollte. Katyn blieb daher beim Urteilsspruch unbeachtet. Das sowjetische Bestreben, ihr Kriegsverbrechen den Nationalsozialisten anzulasten, wird in rechtsextremen Kreisen genutzt, um die Nürnberger Prozesse in Frage zu stellen.
Anerkennung des Massakers durch die Sowjetunion
Im Jahre 1989 hat Michail Gorbatschow die Schuld des sowjetischen NKWD am Verbrechen offiziell zugegeben. Nach sowjetischen Dokumenten fanden dabei 21.857 Menschen den Tod. Für das Verbrechen verantwortlich waren nicht nur Stalin und Berija, sondern die ganze Staats- und Parteiführung der Sowjetunion.
Geschichtliche Einordnung
Das geheime Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Pakts, das (u.a.) die Aufteilung des polnischen Gebiets und damit letztlich die Vernichtung des polnisches Staates vorsah, kann als Ausgangspunkt faschistischer und sowjetischer Gräuel auf polnischen Boden angesehen werden.
Literatur
- Thymian Bussemer: Das internationale Rote Kreuz und die NS-Kriegspropaganda: der Fall Katyn. In: Vorgänge jg. 39 2000 H. 3 S. 81-89
- John P. Fox: Der Fall Katyn und die Propaganda des NS-Regimes. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. (30) 1982 S.462-499
- Joachim Hoffmann: Stalins Vernichtungskrieg. München 1999, Herbig Verlag, ISBN 377662079X. - Keine Spezialstudie zu Katyn, sondern Benutzung als Illustrationsmaterial zu Hoffmanns überzogenen Thesen.
- Gerd Kaiser: Katyn, Das Staatsverbrechen - das Staatsgeheimnis. Aufbau Taschenbuchverlag, Berlin 2002, ISBN 3746680786. - Fortführung der Arbeit Madajczyks unter Einbeziehung weiterer Quellen aus russischen Archiven.
- Czeslaw Madajczyk: "Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939 - 1945", Köln 1988.
- Czeslaw Madajczyk: Das Drama von Katyn. Dietz Verlag 1991, ISBN 3320016687. - Die erste wissenschaftliche Arbeit über Katyn durch den bedeutenden polnischen Historiker.
- Manfred Vasold: Katyn. In: Wolfgang Benz: Legenden, Lügen, Vorurteile. S. 115