Die evangelische Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, umgangssprachlich kurz Gedächtniskirche, steht auf dem Breitscheidplatz am Kurfürstendamm in Berlin-Charlottenburg. Sie besteht aus mehreren Baukörpern, das Ensemble ist denkmalgeschützt.

Der neoromanische Bau
Kaiser Wilhelm II. veranlasste den Bau der Kirche, um eine religiöse Gedenkstätte zu Ehren seines Großvaters Wilhelm I. zu schaffen. Den dafür ausgeschriebenen Architekturwettbewerb gewann Franz Schwechten, königlicher Baurat und Mitglied der Bauakademie, der in Berlin zuvor schon den Anhalter Bahnhof erbaut hatte. Das Kaiserpaar wählte den Entwurf aus, der eigentlich zuständige Kirchenbau-Verein gab danach seine Zustimmung. Wiederholt nahm der Kaiser energisch Einfluss auf die Bauausführung, besuchte dabei auch mehrmals die Baustelle. An der Finanzierung beteiligte sich die kaiserliche Familie allerdings kaum. Die Baukosten von 6,8 Millionen Mark hatten hauptsächlich die deutschen Provinzen aufzubringen. Der Grundstein wurde am 22. März 1891 gelegt, am 1. September 1895 konnte die Einweihung gefeiert werden.
Schwechten, ein gebürtiger Kölner, hatte einen Entwurf im Stil der Neuromanik geliefert, orientiert an den romanischen Kirchen des Rheinlands. Die asymmetrische Ausrichtung im Straßennetz erinnerte an das Bonner Münster, der Chor an die Marienkirche in Gelnhausen. Viele Details wurden sehr genau übernommen. Die Nachahmung ging so weit, dass für die Fassade Tuffstein benutzt wurde, der in der Eifel vorkommt und für rheinische Kirchen Verwendung fand, in Brandenburg aber völlig fremd und zudem als weiches Gestein nicht sehr widerstandsfähig im örtlichen Klima ist.
Das Gebäude mit seinen fünf Türmen wirkte beeindruckend monumental. Der Hauptturm war mit 113 Metern der höchste der Stadt. Nach dem Beispiel dieser Kirche wurde die Neuromanik zeitweilig in ganz Deutschland zum beliebten Baustil. Auch das Innere war aufwändig gestaltet. Im Vorraum befanden sich kunsthandwerklich bedeutende Mosaiken, darunter eine Darstellung, in der Mitglieder der Hohenzollernfamilie das Kreuz verehren – eine Reminiszenz an die Vorstellung vom Gottesgnadentum weltlicher Herrscher, die auch damals schon längst als überholt galt. Dem Kaiser aber waren dieser Gedanke und seine Präsentation in der Gedächtniskirche wichtig. Für die Denkmalhalle schuf der Bildhauer Adolf Brütt einen 1906 vollendeten Bildzyklus, der das Geschehen der Befreiungskriege dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 gegenüberstellte.
Ein Nebenaspekt bei der Entstehung der Kirche war der Einfluss des erzkonservativen und antisemitischen Hof- und Dompredigers Adolf Stoecker. In seinem Umfeld entstand eine evangelische Kirchenbauinitiative, die 1890 zur Gründung des „Evangelischen Kirchenbau-Vereins“ unter dem Protektorat der Kaiserin führte. Schon 1887 hatte Stoecker versucht, den Thronfolger – der 1888 Kaiser wurde - für seine Ziele zu gewinnen. Diese Kontakte verursachten heftige politische Kontroversen und erste ernsthafte Differenzen zwischen Wilhelm II. und Reichskanzler Otto von Bismarck.
Die Nachkriegsbauten
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche bei alliierten Bombenangriffen im November 1943 weitgehend zerstört. Zunächst dachte man daran, im Inneren der Ruine eine neue, gläserne Kirche entstehen zu lassen. Einen späteren Wettbewerb gewann im März 1957 der Architekt Egon Eiermann, der den vollständigen Abriss der Ruine und einen modernen Neubau vorschlug. Diese Pläne verursachten eine ungewohnt leidenschaftliche öffentliche Architekturdebatte. Sie endete mit einem Kompromiss, der sowohl vom Architekten als auch von den Bürgern widerstrebend akzeptiert wurde. Die 68 Meter hohe Ruine des alten Hauptturms blieb, bautechnisch gesichert, als Mahnmal gegen den Krieg erhalten, umgeben von einem vierteiligen Bauensemble nach den Entwürfen Eiermanns – dem achteckigen Kirchenschiff, dem sechseckigen Glockenturm, der viereckigen Kapelle und dem Foyer. Der Architekt hatte auch alle wesentlichen Elemente für den Altarraum entworfen – Altar, Kanzel und Taufschale, Kerzenleuchter, Lampen und Gestühl. Am 17. Dezember 1961 wurde die fertige Kirche durch den Landesbischof Dr. Otto Dibelius eingeweiht.
Ein Charakteristikum der neuen Gebäude sind die gerasterten Wände, die aus insgesamt mehr als 30 000 kleinen Glasfenstern bestehen. Der französische Glaskünstler Gabriel Loire, der Glaswände und Glasfenster für etwa 400 Kirchen allein in Frankreich und zahlreiche weitere in aller Welt entwarf, hatte sie in seiner Werkstatt in Chartres vorbereitet. Besonderes starkes, farbiges Glas wurde in unregelmäßige, kleine Teile zerschlagen, zu quadratischen Formen geordnet und in Betongitter eingefügt. An den Bruchflächen der Glasstücke wird das einfallende Licht zusätzlich gebrochen, ähnlich dem Effekt bei geschliffenen Edelsteinen. In Berlin hängte man die Raster-Elemente dann in die Stahlkonstruktion der Fassaden ein. Nachts wirken die Bauten farbig illuminiert, tagsüber sind die Innenräume in das vorwiegend blau getönte Licht getaucht. Die doppelwandige Konstruktion hält den Lärm der nahe gelegenen, belebten Straßen fern.
Als Zeichen der Versöhnung gelangte das „Nagelkreuz von Coventry“ in die Gedächtniskirche. Die Nägel, aus denen es geformt wurde, stammen von verbrannten Dachbalken der Kathedrale in Coventry, die im Zweiten Weltkrieg bei deutschen Luftangriffen zerstört und ebenfalls bewusst als Ruine erhalten wurde. Ein ähnliches Symbol ist die „Madonna von Stalingrad“, eine Zeichnung, die Kurt Reuber zu Weihnachten 1942 als Wehrmachtsarzt im Kessel von Stalingrad (heute: Wolgograd) anfertigte; Kopien hängen in einer Kapelle der Kathedrale von Coventry, in der russisch-orthodoxen Kathedrale von Wolgograd und in zahlreichen anderen Kirchen.
Inzwischen gilt die Gedächtniskirche als wichtiges Denkmal der Nachkriegsmoderne und als eines der Wahrzeichen Berlins. Sie wird vielfach von Touristen aufgesucht. Einige familiäre Bezeichnungen für die Gebäude sind in Umlauf, jedoch bleibt unklar, wie authentisch sie sind: die Turmruine wird gelegentlich als „Hohler Zahn“ bezeichnet, Glockenturm und Andachtsraum als „Lippenstift und Puderdose“ oder „Gebetsgasometer“.
In Benzingerode, einem Ortsteil von Wernigerode, steht eine Nachbildung der Kirche im Maßstab 1:10, die mit Zustimmung des Architekten kurz nach der Fertigstellung des Originals errichtet wurde.
Literatur
- Godehard Hoffmann, Architektur für die Nation? DuMont Buchverlag Köln, 2000. ISBN 3-7701-4834-7
- Cornelius Steckner: Der Bildhauer Adolf Brütt. Schleswig-Holstein. Berlin. Weimar. Autobiographie und Werkverzeichnis. Heide 1989 (Schriften der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek. Hrsg. Dieter Lohmeier. Band 9), S. 172–176, ISBN 3-8042-0479-1