Maestro I (Ursprünglich Programm-Entwicklungs-Terminal-System PET) von Softlab war weltweit die erste Integrierte Entwicklungsumgebung für Software. Maestro I wurde weltweit 22.000 Mal installiert, davon 6.000 Mal in der Bundesrepublik Deutschland [[1]]. Maestro I war in den 70-er und 80-er Jahren führend auf diesem Gebiet.
Die historische Rolle
Maestro I (oder PET) ist ein Teil der Technikgeschichte.
„...zur Abwechslung einmal eine Betrachtung darüber was sich nicht ändert bzw. nicht ändern sollte, entweder weil es resistent ist, ewige Gültigkeit besitzt oder bewahrenswert ist. Dabei will ich mich auf das Gebiet beschränken, von dem ich etwas zu verstehen glaube: Software-Engineering. Im folgenden geht es also um Unveränderliches oder, wie ich es nennen will, 'Invarianten des Software-Engineering'“
.
Maestro I - wesentlicher Faktor für die Entwicklung von
Vorgeschichte
Der Arbeitstag für einen Programmierer sah vor 1975 oft so aus, dass er an einem Fernschreiber oder Kartenlocher ein Programm eintippte und damit zum Computer ging. Dort las er seinen Lochstreifen oder Lochkarten ein und nach dem Start des Programms auch die Daten auf diesen Datenträger.
Die Verbreitung des IBM 3270 Bildschirmterminals, zusammen mit IBM ISPF (Interactive System Productivity Facility) war im Vergleich eine wesentliche Erleichterung. Die Entwicklung nach etwa 1972, bis Anfang der 80-er Jahre war auch aus Kostengründen sehr langsam.
Der im ISPF integrierte Texteditor ermöglicht es Quellentexte für Programme im Teilnehmerbetrieb zu erstellen. Dieser Editor wird mittels Steuerbefehlen, Zeilenkommandos und Funktionstasten bedient. Nachteil: der Programmierer bekommt die Reaktionen auf seine Eingaben verzögert, nach dem Ausfüllen einer Seite, somit erscheint die Anwendung dem Benutzer insgesamt als träge und wenig intuitiv.
Ein psychologisches Phänomen
Verzögert sich die Antwort im Dialogbetrieb, entstehen unweigerlich Brüche in der Arbeit. Wichtig ist das Kurzzeitgedächtnis (vgl. Literatur Atkinson & Shiffrin, 1968, die "Entdecker" des Kurzzeitgedächtnisses). Beim Rezenzeffekt (engl. recency effect) handelt es sich um ein psychologisches Phänomen. Er besagt, dass später eingehende Information einen größeren Einfluss auf die Erinnerungsleistung einer Person ausübt als früher eingehende Information. Im engeren Sinne ist der Rezenzeffekt ein Phänomen, welches das Kurzzeitgedächtnis betrifft. Im weiteren Sinne tritt er auf, wenn zuletzt wahrgenommener Information aufgrund der besseren Erinnerungsfähigkeit stärkeres Gewicht verliehen wird als früherer Information. Fazit: bei einer Verzögerungen verliert der Programierer den Faden.
Maestro I war in dieser Zeit eine echte Innovation! Nach dem Volkswirt Joseph Schumpeter ist Innovation die Durchsetzung einer technischen oder organisatorischen Neuerung, nicht allein ihre Erfindung. Die "Erfindung" Kurzzeitgedächtnis wurde technisch nutzbar gemacht. Bei Maestro I wurde jeder Tastendruck direkt zu der Zentraleinheit geleitet und die Reaktionen auf die Eingaben erfolgten unmittelbar, ohne Verzögerung. Dies wurde durch die sehr speziellen Hardwareeigenschaften der Basismaschine erreicht.
Ein Vergleich mit anderen Innovationen wie z.B. Ajax (Programmierung) ist hier berechtigt. Im Jahr 2005 war der Begriff Ajax zunehmend in den Medien präsent. Google benutzte das asynchrone Kommunikations-Paradigma in interaktiven Anwendungen wie beispielsweise Google Maps. Traditionell übermitteln Webanwendungen Formulare, die zuvor vom Benutzer ausgefüllt wurden. IBM 3270 Bildschirmterminals arbeiten auch mit "Auffüllen von Formularen", mit Verzögerungen, störenden Brüchen in der Arbeit. Maestro I hat diese Verzögerungen durch technologische Innovation, ähnlich wie später Ajax auch die früher störende Brüche in der Arbeit überwunden.
Meilensteine
1975 Erste Vorstellung
Harald Wieler Mitgesellschafter von Softlab hat einen ersten Prototyp des PET auf Basis des Philips X 1150 Datensammelsystemes seit 1974 entwickelt. Wieler war vorher Architekt (und Programmierer) Betriebssystementwicklung für Großrechner von Radio_Corporation_of_America und Siemens. Die Entwicklung von Maestro I wurde mit BMFT Mitteln gefördert. Ziel: lnteraktiver Programmierplatz für monatlich 1000 Mark.
„Eine Woche lang und unermüdlich demonstrierte die charmante Spezialistin des Softlabs, München, Frau Dr. Christiane Floyd - umringt von Trauben von Fachleuten - auf dem Systems-Stand des Software-Hauses das Programm-Entwicklungs-Terminal-System PET“
1977 Großrechner-Anbindung
„Mit der Freigabe von DFÜ-Prozeduren für die Kopplung des PET-Basisrechners Philips X 1150 (Daten-Sammelsystem) mit den IBM-Systemen S/360/370 beziehungsweise Siemens 4004/7000 hat das Münchner Softwarehaus Softlab jetzt die PET-Entwicklungsarbeiten abgeschlossen.“
1978 Exportmarkt USA
„Die Itel Corp. wird die dedizierte "Programm-Erzeugungsmaschine" unter dem Namen Maestro exklusiv auf dem außereuropäischen, vor allem dem US-Markt vertreiben. "Mit 1200 Programmierplatz-Installationen in Europa haben wir den Break-even-point erreicht", erklärte dazu ein Softlab-Sprecher in München, "jetzt hoffen wir auf ein Hochschnellen der Verkaufserlöse. ... Obwohl es für die deutsche Softwareindustrie nicht leicht sei, auf dem US-Markt Fuß zu fassen, rechnen sich die PET-Projekt-Ingenieure "gute Chancen" aus: Die Itel Corp. sieht nach entsprechenden Erhebungen in den USA und Kanada ein Potential von rund 150 000 bis 200 000 Programmierer-Arbeitsplätzen, wobei bis 1982 die 1500 bis 2000 dann bestehenden Itel-AS-Installationen einen soliden Grundstock bilden sollen. Prophezeit Bob Cabaniss, Vize-Präsident der Data Products Group von Itel selbstsicher: 'Wir streben in diesem Software-Teilmarkt eine führende Rolle an'.“
1980 interaktive Schulung
„'Es gibt viel mehr Lernen als Wissen auf der Welt' schrieb Thomas Fuller schon 1732. Lernen ist geistige Arbeit, und deren Effizienz schien seit jeher mäßig. Ein viertel Jahrtausend später zeigten dies auch die geringen Produktionszahlen bei einer sehr modernen Art der geistigen Arbeit, der Software-Entwicklung; dieser Meinung ist jedenfalls Rita Nagel von der Softlab GmbH, München, und daß dies nicht so sein muß.
Der Softwarehersteller Softlab entwickelte das interaktive Programmentwicklungssystem PET/X1150 zur Rationalisierung der geistigen Arbeit. Was lag also näher, als auch die Schulungsveranstaltungen für PET-Benutzer mit dem gleichen Werkzeug zu unterstützen.“
1982 IBM TSO, IMS, CICS Anbindung
Geza Gerhardt, Leiter der Kommunikations-Entwicklung bei Softlab realisiert 1982 die Maestro IBM 3270 Emulation. Mit dieser Entwicklung wurde die Arbeit der Emulation aus Effektivitätsgründen auf dedizierte Prozessoren verlagert.
„Das System biete jetzt erweiterte interaktive Unterstützung für Design, Dokumentation und Test sowie für Projektführung und -verwaltung. Neben dem 3270-BSC-Dialog steht nun auch der Dialog unter SDLC/SNA zur Verfügung. Parallele Verbindungen mit TSO, IMS, CICS sind möglich.“
Technik
Hardware
Philips X 1150 Datensammelsystem
mögliche Konfiguration:
- System mit 96 KB Hauptspeicher,
- sechs Bildschirmen,
- einem 68-MB-Plattenspeicher,
- einem 200-Zeilen-Drucker und
- DFÜ-Anschluß
Basissoftware
Entwicklugsumgebung
Verfahren
1974 strukturierte Programmierung
"Einführung moderner Methoden der Software-Technologie. Ein Baustein hierzu ist die strukturierte Programmmierung, die im softlab, Softwarelabor für Systementwicklung und EDV-Anwendung, München, als verbindlicher Programmier-Standard eingeführt wurde. Peter Schnupp, Dr. rer. nat., ist softlab-Gründungsgesellschafter, zudem Hochschullehrbeauftragter und Autor zahlreicher Fachpublikationen. Schnupp hält die strukturierte Programmierung für die 'Rückkehr zum gesunden Menschenverstand'". Computerwoche [[6]]
Die "Väter der strukturierten Programmierung", Professor E. W. Dijkstra und C. A. R. Hoare, sprechen am 10. und 11. Dezember 1974 auf einer Tagung für Software-Spezialisten im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Garching bei München. [[7]]
1978 Ist Cobol unsterblich?
"Selbst wenn die neueren Programmiersprachen einwandfrei besser wären als die alten, wäre somit ihre breite Durchsetzung infolge des zu geringen Bedürfnisses bei den prospektiven Anwendern nicht ganz einfach. Oft werden jedoch bei ihrem Entwurf Entscheidungen getroffen, die vielleicht für ihre Anwendung in wissenschaftlichen Instituten Vorteile bringen, vom Standpunkt des Praktikers in der industriellen Softwareproduktion jedoch als grobe Designfehler gewertet werden müssen und ihre Vorteile gegenüber den älteren Entwicklungen zumindest teilweise wieder aufheben." Computerwoche [[8]]
1980 Kunst, Handwerk oder Wissenschaft
"Das Struktur und Originalität einander nicht ausschließen müssen, wird im folgenden an datenverarbeitungsfremden Beispielen mit frappierender Klarheit demonstriert.
1) Es gibt Leute, die sind gegen Strukturen, weil sie der Originalität schadeten. 2) Es gibt Leute, die sind gegen Originalität, weil sie - bei Softwareprodukten - die Gebrauchstauglichkeit und die Wartbarkeit einschränken. 3) Es gibt Leute, die sind für Originalität, weil sich nur so der kreative Programmierer 'verwirklichen' könne. 4) Und es gibt Leute, die sind gegen Werkzeuge, weil sie Struktur erzwingen, Originalität ausschließen und damit 'Selbstverwirklichung' behindern würden. Wer hat nun recht und wer hat unrecht? Alle! Es kommt nur darauf an, was man unter Struktur und unter Originalität versteht. Und daß - wenn man erst das richtige darunter versteht - auch das richtige Werkzeug verwendet wird. Da noch immer nicht entschieden ist, ob Programmieren nun ist - vermutlich ist es ein wenig von allem - wollen wir das Problem vorsichtshalber aus allen drei Aspekten diskutieren." Computerwoche [[9]]
Zeitzeugen
Wie wirklich ist die Software-Technologie?
[[10]] Aufsatz zu der Geschichte von Maestro I (über die Wirkung psychologischer Mechanismen auf die Softwaretechnologie).
„Der Autor kennt bisher aus eigener Anschauung kein größeres erfolgreiches Softwareprojekt, welches entsprechend den Lehren der Softwaretechnologie über ein Drittel der vorgesehenen Projektlaufzeit oder mehr ausschließlich diskutiert, spezifiziert und geplant wurde, ohne jede Programmierung von kritischen System, teilen, Modellimplementierungen oder ähnlichem. ...."
"Dagegen gibt es keinerlei Grund, ein erfolgreiches Projekt zu verheimlichen, bei welchem die klassische Regel der ausführlichen Spezifikation vor der Codierung in geradezu groteskem Maße mißachtet wurde."
"Bei diesem Projekt handelt es sich ausgerechnet auch noch um das derzeit in Deutschland und vielleicht sogar weltweit erfolgreichste Softwaretechnologiewerkzeug PET. Die erste Version dieses Systems wurde etwa vier Monate bevor es auf der Hannover-Messe vorgestellt wurde, begonnen. Und zwar, indem die gewünschten Systemdienste in das damalige Philips-Datenerfassungssystem XIISD "hineingebastelt" wurden. Zu einem großen Teil noch nicht einmal als ad hoc geschriebene Programme, sondern als "Rucksäcke" zu existierenden Komponenten des Basissystems. Dieses Verfahren hatte den Vorteil, daß das zu entwickelnde System vom ersten Tage an Realität war und sich die Entwickler von dieser Realität nie lösen konnten: schließlich entwickelten sie ihr System mit dem System, und sie wurden bei dieser Entwicklung immer wieder auf die realen Bedingungen der Systemumgebung hingewiesen.“
Invarianten des Software-Engineering
Prof. Dr. Ernst Denert: Informatik im Wandel - ein Kontrapunkt: Invarianten des Software-Engineering. Artikel, erschienen 1998 in der CeBIT-Ausgabe von "Heads & News / Corporate Consult" zur CeBIT'98.
„Prognosen sind ... ein Lieblingsthema der Presse unserer Branche und ihrer Leitartikler. Gerne spekulieren sie, wie Client/Server-Systeme die zentralen Mainframes niedermachen, daß Java die Programmiersprache der Zukunft wird oder wie E-Commerce die Welt der Wirtschaft auf den Kopf stellt. Nie reflektieren sie allerdings, was aus ihren Vorhersagen von gestern, vor einem oder vor fünf Jahren geworden ist - es wäre wohl zu blamabel und würde auch niemanden interessieren.
Es wäre ein lehrreiches Experiment, einmal im Jahr aufzuschreiben,wohin die Informatik sich in zwei, in fünf und in zehn Jahren entwickelt haben wird, und zugleich nachzuschauen, was aus den Prognosen vergangener Jahre geworden ist - ein gutes Training für das Urteilsvermögen, vor allem aber eine große Ernüchterung über die eigene Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken. Wem dieses Experiment zu langwierig ist, kann es ja ersatzweise mit einer ehrlichen Selbstbefragung versuchen: Was hätte ich 1980 über den Stand der Technik 1985 bzw. 1990 gedacht und 1985 über 1990/95 usw.?“
Literatur
- Atkinson, R.C. & Shiffrin, R.M. (1968). Human Memory: A Proposed System and Its Control Processes. In: K.W. Spence & J.T. Spence (Hg.). The Psychology of Learning and Motivation. Vol 2. New York: Acad. Press.
- Wie wirklich ist die Software-Technologie? [[13]] Informatik-Fachberichte; Vol. 73 archive GI - 13. Jahrestagung 1983 ISBN: Author Peter Schnupp Publisher Springer-Verlag London, UK
- The project library - a tool for software development [[14]] Ernst Denert September 1979 Proceedings of the 4th international conference on Software engineering Publisher: IEEE Press
Weblinks
- Christiane Floyd http://swt-www.informatik.uni-hamburg.de/people/cfl.html
- Peter Schnupp zu der Geschichte von Maestro I [[15]] - [[16]](Auszug)
- IEEE History Center:[17] - Ernst Denert Interview (29 June 1993)