Ein Brutreaktor ist ein Kernreaktor, der nicht nur zur Energiegewinnung, sondern gleichzeitig zur Erzeugung von weiterem spaltbarem Material dient. Ein nicht spaltbares Nuklid wird in ein spaltbares umgewandelt und kann dann (nach Aufarbeitung und Einbringung in neue Brennelemente) anschließend als Kernbrennstoff verwendet werden. In einem gewissen Maß geschieht diese Umwandlung in jedem Kernreaktor; einen Brutreaktor zeichnet aus, dass er mehr Brennstoff herstellt, als er selbst in der gleichen Zeit verbraucht.
Derzeit werden Brutreaktoren in den USA, in Russland, Frankreich, Indien und Japan betrieben. In Deutschland wurde am Niederrhein bei Kalkar ab 1973 ein Brutreaktorkraftwerk gebaut. Nach zahlreichen Protesten und dem Reaktorunfall bei Tschernobyl (1986) kam es nie zur Inbetriebnahme oder gar Stromerzeugung, die für 1987 vorgesehen war (siehe Brutreaktor (Kalkar)).
Schneller Brüter
Aufbau des Reaktors
Der Reaktorkern besteht aus vielen, mit z. B. Uran-Plutonium-Mischoxid gefüllten Edelstahlröhren (Brennstäben), die zu Brennelementen gebündelt sind und insgesamt einen etwa zylindrischen Bereich von z. B. 3 m Höhe und 5 m Durchmesser ausfüllen. Der Reaktorkern ist aufgeteilt in eine innere Spalt- und eine äußere Brutzone.
Die Steuerung der Kettenreaktion (siehe auch Kritikalität) erfolgt durch Regelstäbe aus Bor-Stahl oder einem anderen Neutronen absorbierenden Material.
Brennstoff-Brutprozess
Das natürliche Uran besteht zu 99,3 % aus dem nicht spaltbaren Isotop 238U und nur zu 0,7 % aus dem spaltbaren Isotop 235U. Für den Betrieb herkömmlicher Kernspaltungsreaktoren muss es vor Herstellung der Brennelemente technisch aufwändig auf etwa 3 bis 4 % 235U angereichert werden. Eine noch höhere Konzentration von 235U würde einerseits zu hohe Kosten verursachen, zum anderen wäre das Uran dann waffentauglich. Im Betrieb jedes Uranreaktors wird ein Teil des vorhandenen 238U durch Neutroneneinfang in 239U umgewandelt. Dieses geht von selbst durch zwei aufeinander folgende β--Zerfälle in das spaltbare 239Pu über, das später - nach Extraktion aus dem gebrauchten Brenn- und Brutstoff und Verarbeitung zu neuem Mischoxid - als Reaktorbrennstoff genutzt werden kann. Das „Brüten“ im eigentlichen Sinne, also ein Überschuss des so erzeugten über den zugleich verbrauchten Brennstoff, gelingt aber nur in einem Reaktor, der ohne Moderator arbeitet, einem schnellen Brüter.
(Bemerkung zum Namen: Der Brutreaktor ist nicht in irgendeinem Sinne „schneller“ als andere Reaktoren. Er verwendet aber zur Kernspaltung schnelle anstatt abgebremster Neutronen. Englisch „fast breeder reactor“.)
Für das 238U gibt es nahezu keine andere Nutzanwendung. Der Uranvorrat der Erde könnte durch eine Verbundwirtschaft aus Brutreaktoren, Wiederaufarbeitung und Leichtwasserreaktoren etwa 30mal mehr Energie liefern, als wenn nur das 235U "verbrannt" würde. In der Theorie ergäbe die restlose Ausnutzung des 238U sogar einen über 100mal höheren Nutzfaktor, der jedoch technisch nicht realisierbar ist.
Die Nutzung des Metalls Thorium 232Th, das als Brutstoff von 1983 bis 1989 bereits im Reaktor THTR-300 verwendet wurde und den Brennstoff 233U ergibt, würde die Ressourcen-Lage der Kernkraft nochmals bedeutend verbessern, da die natürlichen Thorium-Vorkommen die des Urans um ein Vielfaches übersteigen.
Spaltzone
In der Spaltzone des Reaktors ergibt sich bei Verwendung schneller Neutronen (daher der Name „schneller" Brüter) das Problem, dass diese mit wesentlich geringerer Wahrscheinlichkeit als moderierte Neutronen neue Kernspaltungen auslösen. Deshalb hat man die Spaltstoffkonzentration in der Spaltzone erhöht. Der Spaltstoff ist ein Gemisch aus 15 bis 20 % Plutonium- und 80 bis 85 % Uranoxid. Durch die hohe Spaltstoffkonzentration kommt es zu einer sehr hohen Wärmeleistungsdichte. Als entsprechendes Kühlmittel (das im schnellen Reaktor keine Moderatorwirkung haben darf) verwenden die bisherigen Brutreaktoren flüssiges Natrium; untersucht wurden auch Konzepte mit Gaskühlung.
Brutzone
Die Brutzone, auch Brutmantel (engl. breeding blanket) genannt, ist um die Spaltzone herum angeordnet und umgibt diese vollständig. Die oberen und unteren Teile eines Brennstabes der Spaltzone sind nicht wie der mittlere Teil mit Brennstoff-Mischoxid, sondern mit abgereichertem Uranoxid als Brutstoff gefüllt; die radial weiter außen liegenden Stäbe enthalten dieses über ihre gesamte Länge. Abgereichertes Uran ist der beim Uran-Anreicherungsprozess zwangsläufig anfallende Reststoff.
Kernspaltungsprozess im Brutreaktor
Bei der Spaltung eines Pu-239-Kerns durch ein schnelles Neutron werden im Mittel ungefähr 2,8 neue Neutronen freigesetzt. Davon wird 1 Neutron zur Auslösung der nächsten Spaltung benötigt (Kritikalität des Reaktors). Etwa 0,5 Neutronen gehen durch „parasitäre“ (d. h. weder zu Spaltung noch zu Pu-Produktion führende) Absorption und durch "Leckage" nach außen verloren. Die übrigen 1,3 Neutronen stehen für den eigentlichen Brutprozess zur Verfügung.
Energiegewinnung
Die bei der Spaltung eines Kerns entstehenden meist zwei Bruchstücke („Spaltfragmente“) tragen den Energiegewinn der Reaktion, insgesamt rund 200 MeV, als kinetische Energie. Sie werden im umgebenden Brennstoffmaterial abgebremst und erhitzen dieses. Der primäre Natriumkühlkreis nimmt die Wärme auf und gibt sie über einen Wärmetauscher an einen Sekundärnatriumkühlkreis weiter. Dieser befindet sich außerhalb des radioaktiven Bereichs des Reaktors und ist räumlich von diesem durch den Reaktorbehälter getrennt. In diesem Sekundärnatriumkühlkreislauf wird mittels eines Dampferzeugers Wasserdampf produziert, der den Turbinen zugeleitet und dort in Drehenergie umgewandelt wird. Die Drehenergie wird zum Antrieb eines Generators verwendet, der sie in elektrische Energie umwandelt. Der aus der Turbine austretende Abdampf wird in einem Kondensator wieder verflüssigt und dem Dampferzeugerkreislauf zugeleitet. Über einen Außenkühlkreis entsorgt der Kondensator die dem Abdampf entzogene Restwärme entweder durch Einleitung in ein Fließgewässer oder über einen Kühlturm.
Kühlung
Die Brutreaktortechnik basiert in einigen Bereichen auf den Grundlagen der Leichtwasserreaktortechnik, weist jedoch einige wesentliche Unterschiede auf. Das Kühlmittel Natrium hat gute Eigenschaften bei der Wärmeübertragung und einen großen nutzbaren Temperaturbereich, da es schon bei 98 °C schmilzt, aber erst bei 883 °C siedet. Die Temperatur im Reaktorkern wird deshalb auf ca. 545 °C gehalten. Ein gewisser Sicherheitsvorteil gegenüber wassergekühlten Reaktoren liegt in dem geringen erforderlichen Druck von nur z. B. zehn bar.
Im Unterschied zum Leichtwasserreaktor wird zwischen den Natriumkreislauf, der die Brennelemente kühlt (Primärkreislauf), und den Wasser-Dampf-Kreislauf noch ein zweiter Natriumkreislauf (Sekundärkreislauf) eingeschaltet. Dies verringert den Wirkungsgrad, ist aber aus Sicherheitsgründen notwendig, damit selbst im Fall einer Dampferzeuger-Leckage nur nichtradioaktives Natrium mit Wasser in Berührung kommt. Ein oder mehrere Zwischenwärmetauscher übertragen die Wärmeenergie vom Primär- auf das Sekundärkühlmittel. In den Brutreaktoren in Deutschland wird das so genannte Loop-System verwendet, bei dem alle Pumpen und Wärmetauscher räumlich vom Reaktor getrennt sind und der Reaktortank oberhalb des Natriums mit Stickstoff gefüllt ist. Beim Pool-System, welches in anderen Ländern häufiger verwendet wird, befindet sich der Primärkreislauf einschließlich Primärpumpen und Zwischenwärmetauschern im Reaktortank selbst, wobei hier Argon als Schutzgas im Tank verwendet wird.
Gefahren und Risiken
Die Brütertechnologie wird von einigen Staaten in Großanlagen eingesetzt. Wegen zahlreicher Störfälle (weitestgehend nicht nuklearer Natur, sondern durch natriumbedingte Korrosionsprobleme, Undichtigkeiten infolge der hohen Kühlmitteltemperaturen u. a. hervorgerufen) wurden mehrere Brüteranlagen ganz oder für mehrere Jahre abgeschaltet.
Der Schnelle Brüter konnte sich bisher nicht durchsetzen, da es immer noch große Bedenken bezüglich der Sicherheit der Bevölkerung und bei den politischen Entscheidungsträgern gibt. Auch ist der Uranpreis nicht hoch genug, um das Brüten schon jetzt wirtschaftlich attraktiv zu machen. Der großtechnische Umgang mit Plutonium stellt im Vergleich zu Uran ein wesentlich höheres Gesundheitsrisiko dar. Das Kühlmittel Natrium hat den Nachteil sehr hoher Reaktionsfreudigkeit mit Luft und Wasser; die Technologie der Natriumbrandvermeidung und -bekämpfung ist allerdings gut entwickelt.
Beispiele für Brutreaktoren
Betrieb von | bis | Land | Ort | Name | Leistung (MW) |
Bemerkung |
---|---|---|---|---|---|---|
1946 | USA | Clementine | 0,025 | Erster Brutreaktor, diente als Neutronenquelle für die Forschung | ||
1951 | 1964 | USA | Idaho | EBR-I | 0,2 | Zweiter Brutreaktor, lieferte die erste nuklear erzeugte, elektrische Energie |
1961 | 1964 | USA | New Mexico | LAMPRE | ||
1961 | 1994 | USA | Idaho | EBR-II | 20 | |
1963 | 1972 | USA | Detroit | FERMI | 94 | |
1967 | 1983 | Frankreich | Cadarache | Rapsodie | 40 | Testreaktor |
1973 | 1999 | Kasachstan | Aktau | BN-350 | 150 | |
1974 | Frankreich | Marcoule Gard | Phénix | 250 | ||
1974 | 1994 | Großbritannien | Dounreay | PFR | 270 | Testreaktor |
1978 | Japan | Joyo | 100 | Forschungsreaktor | ||
1980 | USA | Washington (Bundesstaat) | FFTF | 400 | Experimenteller Reaktor. | |
1980 | Russland | Belojarsk | BN-600 | 600 | Weltgrößter schneller Brüter. (1977 - 1978 massive Sicherheitsprobleme mit den Nachbarblöcken.) | |
1985 | Indien | Kalpakkam | FBTR | 40th, 13el | Testreaktor | |
1986 | 1996 | Frankreich | Creys-Malvillle | Superphénix | 1180 | 1996 nach Unfällen vom Netz genommen, bleibt nach Regierungsentscheidung 1998 endgültig abgeschaltet |
1987 | Italien | PEC | 118 | |||
1991 | Japan | Tsuruga | 300 | |||
1994 | 1995 | Japan | Fukui | Monju | 280 | nach Natrium-Unfall seit 8. Dezember 1995 außer Betrieb, erneuter Betrieb ab 2008 geplant |
1991 | Deutschland | Kalkar | SNR-300 | 327 | Bauarbeiten 1991 eingestellt, wurde nie in Betrieb genommen | |
Russland | Belojarsk | BN-800 | geplant | |||
Volksrepublik China | CEFR | geplant |