Pilzkonzept

Betriebsplan Berliner Eisenbahnen
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Das Pilzkonzept der Deutschen Bahn ist der Betriebsplan für die Eisenbahn- (und S-Bahn-) Strecken des wiedervereinigten Berlins. Es ist nach dem Streckenverlauf der Hauptstrecken benannt, der auf dem Stadtplan einem Pilz ähnelt.

Das Pilzkonzept der Deutschen Bahn - Neubaustrecken sind grün markiert

Allgemeines

Das Pilzkonzept wurde am 15. Juli 1992 von der Bundesregierung beschlossen und ging zum größten Teil mit der Eröffnung des Berliner Hauptbahnhofs am 28. Mai 2006 in Betrieb.

Innerhalb Berlins verlaufen einige hundert Schienenkilometer, und es gibt mehrere große und kleine Bahnhöfe. Das Betriebskonzept legt fest, auf welchen Gleisen Fern- und Regionalzüge die Stadt durchqueren und an welchen Bahnhöfen sie halten. Dabei sollen folgende Ziele erreicht werden:

  • Nach Berlin Reisende können alle Bereiche der Stadt leicht erreichen. Dazu liegen einerseits die Fernbahnhöfe an zentralen Punkten der Stadt, andererseits sind sie gut an das Netz des Stadtverkehrs (Nahverkehr) angebunden.
  • Durch Berlin Reisende können leicht umsteigen, beziehungsweise – falls sie nicht umsteigen – die Stadt schnell durchqueren.
  • Möglichst wenig neue Gleise und Bahnhöfe werden gebaut und möglichst wenig neue (im Zentrum der Metropole knappe) Flächen werden benötigt.

Ausgangssituation

Für das Pilzkonzept sind die sieben Fernbahnstrecken nach Berlin relevant (daneben gibt es noch Strecken, die nur von Regional- und S-Bahn befahren werden). Die wichtigsten davon sind die Strecken der ICEs nach Hamburg, Hannover, Frankfurt/Oder, Leipzig und Dresden.

Wie auch in vielen anderen Städten endeten diese Strecken nach ihrem Bau im 19. Jahrhundert in verschiedenen Kopfbahnhöfen in der Stadt. Schon früh begann man aber diese Bahnhöfe untereinander zu verknüpfen, und zwar mit

  • der Ringbahn, die einmal rund um die Innenstadt führt und Gleise für S-Bahn und Güterzüge sowie bereichsweise Personenzüge hat,
  • der Stadtbahn, die die Stadt in Ost-West-Richtung auf einem Viadukt durchquert, ebenfalls mit Fern- und S-Bahn-Gleisen,
  • und dem S-Bahn-Tunnel in Nord-Süd-Richtung ohne Fernbahngleise.

Die Bahnhöfe, die an diesen Strecken lagen, bekamen dadurch eine größere Bedeutung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele der alten Kopfbahnhöfe stillgelegt, weil sie stark zerstört waren und West-Berlin von der umgebenden DDR abgeschnitten war und infolgedessen reduzierten Fernverkehr hatte. Der Betrieb auf folgenden Bahnhöfen wurde zwischen 1945 und 1952 aufgegeben:

Der Kopfbahnhof Hamburger Bahnhof wurde bereits 1884 stillgelegt.

Dadurch wurden alle Verkehre in die Ost-West-Richtung verlagert: einerseits auf die Bahnhöfe an der Stadtbahn-Strecke (zwischenzeitlich der einzige Zugang zu West-Berlin), andererseits zum Bahnhof Berlin-Lichtenberg im Osten, zu dem die Züge unter Umfahrung West-Berlins geleitet wurden. Die bisher wichtigsten Bahnhöfe Berlins auf der Stadtbahnstrecke sind der Ostbahnhof (zu DDR-Zeiten Hauptbahnhof, bis 1945 Schlesischer Bahnhof) im Osten und der Bahnhof Zoologischer Garten im Westen. Durch die Umfahrung West-Berlins war jedoch der außerhalb der Ost-Berliner Innenstadt gelegene Bahnhof Lichtenberg der „heimliche“ Hauptbahnhof Ost-Berlins.

Nach der Wiedervereinigung bis zur Eröffnung des Hauptbahnhofs im Jahre 2006 durchfuhren die meisten Fernzüge Berlin auf der Stadtbahnstrecke, um an den dortigen Bahnhöfen zu halten. Diese Strecke geriet dadurch schnell an ihre maximale Kapazität, weshalb viele Züge nur bis zu weiter außen gelegenen Bahnhöfen fahren können. Außerdem bedeutete die Stadtbahn einen Umweg für Züge in Richtung Norden und Süden.

Die Lösung

Das Pilzkonzept enthält den Bau eines Nord-Süd-Tunnels für die Fernbahn (Tiergartentunnel). Dieser Tunnel verläuft westlich des existierenden S-Bahn-Tunnels und kreuzt die Stadtbahn auf dem Gelände des Lehrter Bahnhofs. An dieser Stelle entstand der neue Berliner Hauptbahnhof, der von allen Fernzügen durchfahren wird. Der neue Tunnel und die alte Stadtbahnstrecke bilden den Stiel und die Krempe des Pilzes. Das Dach ist der nördliche Abschnitt der Ringbahn, der von Hamburg kommende Züge ans nördliche Ende des neuen Tunnels leitet, so dass sie die Stadt direkt nach Süden verlassen können, da das südliche Ende direkt mit den nach Leipzig und Dresden führenden Strecken verbunden ist. Züge von den beiden Mecklenburger Linien werden über den nord-östlichen Teil der Ringbahn in den Tunnel geleitet. Über die Stadtbahnstrecke werden die Züge von Magdeburg und Potsdam und östlich von Frankfurt (Oder) fahren.

Der ehemalige Lehrter Bahnhof war das Ende der Strecken aus Hamburg und Hannover, die nun direkt in den neuen Hauptbahnhof münden. Südlich davon und in der Nähe der ehemaligen Potsdamer und Anhalter Bahnhöfe entstand der neue Regionalbahnhof Potsdamer Platz. Dieser ist komplett unterirdisch und hat auch einen Anschluss an die Nord-Süd-S-Bahn.

Außerdem werden folgende Bahnhöfe für den Fernverkehr ausgebaut:

  • Gesundbrunnen auf der nord-östlichen Ringbahn für Züge in Richtung Mecklenburg
  • Bahnhof Spandau im Westen außerhalb der Ringbahn für Züge in Richtung Hamburg und Hannover
  • Südkreuz (bislang: Papestraße) auf der südlichen Ringbahn für Züge in Richtung Leipzig und Dresden

Weiterhin für den Fernverkehr erhalten bleibt der Ostbahnhof auf der ost-westlichen Stadtbahnstrecke.

Im Sommer 2005 verkündete der Chef der Deutschen Bahn, Hartmut Mehdorn, dass ab dem 28. Mai 2006 keine Fernzüge mehr am Bahnhof Zoo hielten. Trotz einer Welle der Entrüstung seitens Händlern im Westen Berlins und zahlreicher Lokalpolitiker präsentierte die Deutsche Bahn am 6. Juli 2005 ihr endgültiges Verkehrskonzept für Berlin. Entgegen dem mit dem Land Berlin vereinbarten Pilzkonzept verliert der Bahnhof Zoo seinen Status als Fernverkehrsbahnhof.

Vorteile

  • Durch Berlin verlaufende Fernzüge können an mehreren Bahnhöfen halten und die Stadt trotzdem auf recht geradem Weg durchqueren (ohne zu wenden und dabei entgegenkommende Züge zu kreuzen).
  • Jeder Fernzug wird auch am neuen Hauptbahnhof halten, so dass man dort immer von jeder Linie in jede andere umsteigen kann (selbst falls Expresszüge nur an einem Bahnhof der Stadt halten).
  • Fern- und Regionalverkehre werden am Hauptbahnhof (und den anderen Fernbahnhöfen) verknüpft.

Nachteile und Alternativen

  • Der Bau eines völlig neuen Hauptbahnhofes und des neuen Tunnels war sehr teuer. Der Tunnelbau, für den die Spree umgeleitet werden musste, bereitete einige Probleme, beispielsweise einen Wassereinbruch.
  • Ein Großteil der Fernzüge (insbesondere die ICEs von Hamburg und Hannover) durchqueren Berlin in Nord-Süd-Richtung, wozu die Bahnhöfe Gesundbrunnen und Papestraße ausgebaut werden mussten, obwohl auf der Ost-West-Linie schon die beiden bisher größten Bahnhöfe (Zoo und Ostbahnhof) liegen.
  • Keine der Nord-Süd-S-Bahnlinien führt durch den neuen Hauptbahnhof. Eine solche Anbindung ist zwar vorgesehen [1] (der Platz für Bahnsteige wurde freigehalten), aus finanziellen Gründen aber auf unbestimmte Zeit verschoben.
  • Der Stadtverkehr muss erst noch an den Hauptbahnhof herangeführt werden. Eine kurze U-Bahn-Strecke („Kanzler-U-Bahn (U55) wird zwar voraussichtlich Ende 2007 eröffnet werden, die Verbindung dieses Stücks mit der U5 jedoch noch nicht. Auch die Berliner Straßenbahn wird erst im Jahr 2009 bis zum Hauptbahnhof fahren.

Eine Alternative wäre gewesen, die Ringbahn auszubauen und mehrere Umsteigebahnhöfe einzurichten. Dazu hätten aber die Züge immer an mehreren Bahnhöfen halten müssen, um ausreichende Umsteigemöglichkeiten zu gewährleisten.

Fehlplanungen

Als 1992 das Pilzkonzept beschlossen wurde, erwarteten Demographen und Stadtplaner, dass Berlin im Jahr 2000 etwa fünf Millionen Einwohner haben würde. Entsprechend großzügig wurde geplant, so wurden beispielsweise für den Tiergarten-Tunnel vier Eisenbahngleise gebaut, außerdem sind noch zusätzlich zwei weitere S-Bahn-Gleise geplant. Der Bevölkerungszuwachs in Berlin blieb jedoch aus, so dass der Tiergarten-Tunnel aus heutiger Sicht überdimensioniert ist.

Vergleich mit Paris

Im Jahr 2006 hat die französische Bahngesellschaft SNCF den Vorschlag lanciert, einen Untergrundbahnhof für den TGV mitten in Paris zu bauen. Dies wurde von der französischen Regierung rigoros als zu teuer abgelehnt, zeigt aber immerhin eine gewisse Ähnlichkeit zu den Plänen in Berlin. Abgesehen davon unterscheiden sich beide Städte aber durch eine lange Historie.

Am Beispiel von Paris kann man sehen, wie das Bahnkonzept einer Hauptstadt ohne zentralen Hauptbahnhof aussehen kann. Der Unterschied zwischen Paris und Berlin wäre aber auch ohne das Pilzkonzept riesig, denn schon im 19. und 20. Jahrhundert ging Paris einen gänzlich anderen Weg: Die Stadt hat bis heute ihr System von Kopfbahnhöfen für den Fernverkehr behalten; es gibt keine Ferngleise, die die Stadt durchqueren. Erst seit den 60er- und 70er-Jahren gibt es diagonal hindurchgehende Regionalbahnen.

Dies hängt auch damit zusammen, dass Paris und seine Region eine wesentlich zentralere Rolle im französischen Staat und Eisenbahnsystem spielen. Fast alle Fernzugverbindungen der Stadt haben dort auch ihren End- bzw. Anfangspunkt. Man spricht von Verbindungen Paris-Provinz. Alle modernen Hochgeschwindigkeitsstrecken in Frankreich führen nach Paris.

Die Pariser Kopfbahnhöfe sind jeweils einer Richtung zugeteilt: So kommen Züge aus Lyon und Marseille immer im Gare de Lyon an (und enden dort); Eurostar aus London, Thalys aus Brüssel, sowie Züge aus Lille kommen am Gare du Nord an; und so weiter für alle sechs Bahnhöfe. Die Bahnhöfe sind durch die Métro sehr gut mit der Innenstadt verknüpft, aber wenn Reisende in eine andere Richtung weiterfahren wollen, müssen sie dazu auch die Métro (oder die Schnellbahn RER) nehmen – manchmal sogar mehrere Linien.

Im Hochgeschwindigkeitsverkehr mit dem TGV gibt es auch durchgehende Linien, bezeichnet als Provinz-Provinz. Diese umfahren Paris im Süden auf ausgebauten Gleisen und im Osten auf einer speziellen Hochgeschwindigkeitsumfahrung. Für die wichtigsten Verbindungen muss man dabei nicht umsteigen, sondern fährt direkt an Paris vorbei; zum Beispiel von Marseille nach Lille über die HGV-Umfahrung. Solche Direktzüge fahren aber nicht mit dem selben hohen Takt wie die Züge nach Paris. Wer sich seine Reisezeit nicht frei aussuchen kann, ist also unter Umständen gezwungen, trotzdem in Paris umzusteigen (inklusive Métro-Fahrt). Eine weitere Möglichkeit ist, in einem Vorortbahnbahnhof auf der Umgehungsstrecke auszusteigen (zumindest hält jeder Zug mindestens einmal in der Umgebung von Paris) und dort einen anderen Umgehungszug zu nehmen, der in die richtige Richtung fährt. Durch diese drei verschiedenen Möglichkeiten sind Reisezeiten schlecht voraussehbar und man kann nicht einfach die selbe Verbindung einen Takt (eine Stunde, zwei Stunden, …) früher oder später nehmen. Außerdem haben Paris-Provinz- und Provinz-Provinz-Züge verschiedene Halte in der Provinz: Erstere jeweils in den Stadtbahnhöfen, Letztere oft in Bahnhöfen an der Hochgeschwindigkeitsstrecke außerhalb der Städte und manchmal sogar auf dem flachen Land (reine Umsteigebahnhöfe). Verbindungen, die nicht nach Paris gehen, sind dadurch entsprechend kompliziert.

Schwierig ist es auch, wenn man aus Zeit- oder Bahnhofsgründen einen Provinz-Provinz-Zug nehmen muss und nach Paris will. Denn dann muss man in einem Vorortbahnhof aussteigen und mit der Schnellbahn RER (oder einem Taxi) nach Paris fahren.

Vorteilhaft ist das Pariser Konzept also nur, wenn man einen Direktzug nehmen kann, was nur für Verbindungen nach Paris und zwischen den größten Städten möglich ist (und dann auch nicht viel schneller geht, bezogen auf die langen Distanzen von Strecken die über Paris gehen).

Abschließend sei noch einmal bemerkt, dass die beiden Metropolen Berlin und Paris natürlich nur beschränkt vergleichbar sind. Wegen der bereits vorhandenen Stadt- und Ringbahnstrecken in Berlin war das Pariser Modell keine Alternative zum Pilzkonzept.

Siehe auch

  • Stuttgart 21 – Auch dort wird ein Durchgangsbahnhof geplant, der per Tunnel zu erreichen ist.
  • City-Tunnel Leipzig – Ähnliches Konzept, aber ohne Fernbahn