Postmoderne

philosophische und künstlerische Bewegung
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Die Postmoderne bezeichnet eine geistig-kulturelle Bewegung, die sich in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts als Gegenbewegung gegen eine zunehmend als steril und totalitär empfundene Moderne manifestiert hat. Jean-François Lyotard bezeichnete sie in einem vielbeachteten Aufsatz als Ende der großen Erzählungen. Zeitlich gibt es verschiedene Einordnungen, von ersten Anfängen in den 1960er Jahren, bis hin zum Beginn der 1980er Jahre, wo sich die Postmoderne in allen möglichen Alltagsphänomenen (z. B. Mode, Popkultur, Kunst, postmoderne Architektur) offen zu zeigen begann.

Die im Anschluss an Lyotard geführte Diskussion um die Epochendiagnose der Postmoderne, die in den 1980er Jahren sehr intensiv und mit großer Aufmerksamkeit der intellektuellen Öffentlichkeit geführt wurde, ist seit 1989 erlahmt bzw. wurde zeitweilig auf andere Gebiete wie den Streit um das „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) verlagert.

Ursprünge des Begriffs

Bereits 1917 taucht der Begriff „Postmoderne“ bei Rudolf Pannwitz als philosophisch geprägter „Kulturbegriff“ auf (Pannwitz, Die Krisis der europäischen Kultur, Nürnberg 1917, S. 64). Pannwitz lehnt sich mit seinem Gedankengang zur Postmoderne an Nietzsches Analyse der Moderne in ihren prognostizierten Endpunkten der Dekadenz und des Nihilismus an. Die Überwindung der Moderne bringt demnach den neuen „postmodernen Menschen“ hervor.

1947 wird der Begriff „postmodern“ von Arnold J. Toynbee in seinem Werk A Study of History als bereits für die Jahre ab 1875 diagnostizierte kulturelle Erscheinung verwendet; die Postmoderne ist in diesem Sinne durch eine frühe Politik des Denkens in globalen Zusammenhängen gekennzeichnet und unterscheidet sich von dem vorherigen Politikverständnis in der Überwindung der nur nationalen Perspektive. Nach Toynbee wird mit der Postmoderne die Spätphase der abendländischen Kultur eingeleitet (A. Toynbee, A Study of History, 1947, S. 39).

Bloß literarisch wird der Begriff 1934 vom Literaturwissenschaftler Frederico de Oniz gebraucht und bezeichnet hier eine Zwischenperiode der hispanisch-amerikanischen Dichtung in den Jahren zwischen 1905 bis 1914, die geprägt ist von einer kurzzeitigen rückwärtsgewandten Abwendung von der Moderne.

In der entscheidenden nordamerikanischen Literaturdebatte des Jahres 1959 bezeichnet Irving Howe in „Mass Society and Postmodern Fiction“ die Gegenwartsliteratur der Postmoderne als Verfallsphänomen der Moderne und geprägt durch mangelnden Neuerungswillen (Howe, Mass Society and Postmodern Fiction,Partisan Review 1959, S. 420-436). Eine Umwertung erfolgte in den 1960er Jahren schon durch Irvin Howe selbst und durch Harry Levin, vor allem aber auch durch Susan Sontag und Leslie Fiedler (Fiedler, Cross the Border - Close the Gap, 1969).

(zur begrifflichen Entwicklung vgl. auch Wolfgang Welsch, Unsere postmoderne Moderne, Weinheim 1987, S 12ff.)

Elemente

- Quellenangaben

In der Postmoderne steht nicht die Innovation im Mittelpunkt des (künstlerischen) Interesses, sondern eine Rekombination oder neue Anwendung vorhandener Ideen. Die Welt wird nicht auf ein Fortschrittsziel hin betrachtet, sondern vielmehr als pluralistisch, zufällig, chaotisch und in ihren hinfälligen Momenten angesehen. Ebenso gilt die menschliche Identität als instabil und durch viele, teils disparate, kulturelle Faktoren geprägt. Medien und Technik spielen eine wichtige Rolle als Träger wie Vermittler von Kultur (siehe auch Medientheorie).

Die postmoderne Kunst zeichnet sich u.a. aus durch den erweiterten Kunstbegriff und zitathafte Verweise auf vergangene Stile, die teils ironisch in Szene gesetzt werden. Wo die Ironie misslingt oder nicht vorliegt, lässt sich die ganze Richtung mit dem „Eklektizismus“ vergleichen.

Andy Warhol stellt ein frühes Beispiel für einen postmodernen Künstler dar.

Bestimmte, nicht exklusive und auch nicht erschöpfende Kennzeichen postmodernen Denkens und Urteilens sind:

In der postmodernen Geisteswissenschaft sind die vorherrschenden Methoden der Poststrukturalismus und der Dekonstruktivismus.

Lyotard: Das Ende der Meta-Erzählungen

Nach Lyotard gibt es drei große Meta-Erzählungen:

  1. Aufklärung
  2. Idealismus
  3. Historismus

Diese bilden in der Postmoderne keine vereinheitlichende Legitimation und Zielorientierung mehr. Die Emanzipation des Individuums, das Selbstbewusstsein des Geistes, das im Sinne Hegels in eine Ganzheitsideologie mündet und die Idee eines sinnhaften Fortschritts der Geschichte hin zu einer Utopie sind die großen Erzählungen, denen man nicht mehr glauben kann. Folglich kann es auch kein Projekt der Moderne mehr geben, keine große Idee von Freiheit und Sozialismus, der allgemeine Geltung zu verschaffen ist und der sich alles gesellschaftliche Handeln unterzuordnen hat.

Es gibt keine übergeordnete Sprache, keine allgemeinverbindliche Wahrheit, die widerspruchsfrei das Ganze eines formalen Systems legitimiert. Wissenschaftliche Rationalität, sittliches Handeln und politische Gerechtigkeitsvorstellungen spielen je ihr eigenes Spiel und können nicht zur Deckung gebracht werden.

„In äußerster Vereinfachung kann man sagen: 'Postmoderne' bedeutet, dass man den Meta-Erzählungen keinen Glauben mehr schenkt.“ (Lyotard, Das Postmoderne Wissen, 1986, 7/14)

Lyotard knüpft in seinem Gedankengang an das Konzept Wittgensteins von den „Sprachspielen“ und an die Heterogenität von Kants kritischen Schriften. Kant konstatiert ebenfalls, dass die menschliche Vernunft keinen direkten Zugang auf das Ganze und die „Dinge an sich“ hat. Er teilt die menschliche Vernunft in theoretische Vernunft, praktische Vernunft und Urteilskraft. In seiner Philosophie wird somit der „reinen (sozusagen ‚theoretischen‘) Vernunft“ nur ein regulativer Charakter im Zugriff auf die Wirklichkeit zuerkannt.

Kritische Stimmen zum postmodernen Denken

Die Postmoderne wendet sich gegen Festschreibungen insbesondere ideologischer, aber auch kultureller Art. Postmoderne Philosophen wie Derrida sahen sich nicht zuletzt gerade deswegen heftigen Angriffen ausgesetzt.

Empirisch arbeitende Wissenschaftler kritisieren die an Teilen der postmodernen Debatte einen Hang zum Irrationalismus und Leugnung der Realität. Berühmt ist die so genannte Sokal-Affäre, in der ein absichtlich unsinniger Artikel dennoch als Beleg für den Postmodernismus veröffentlicht wurde. Laut Alan Sokal sehe man daran die mangelhaften intellektuellen Standards und den Missbrauch mathematisch-naturwissenschaftlicher Metaphern in der sich postmodern verstehenden geistes-/sozialwissenschaftlichen Szene. Allerdings kann dieser Vorfall aus einer gewissen postmodernen Sicht auch als Beleg für einige der eigenen Thesen über die Beliebigkeit, Zufälligkeit und chaotische Natur des Zustandekommens von Sinnhaftigkeit gesehen werden.

Klassische politische Ideologien - Konservativismus, Liberalismus, wie auch Teile der politischen Linken - lasten dem postmodernen Denken als Defizit eine Beliebigkeit zu wichtigen Fragen in Kultur und Gesellschaft an. Seyla Benhabib kritisiert beispielsweise, dass "postmoderne Positionen nicht nur das Spezifische der feministischen Theorie auslöschen, sondern sogar das emanzipationsideal der Frauenbewegung schlechthin in Frage stellen [könnten]" (Benhabib, Feminismus und Postmoderne. Ein prekäres Bündnis, S. 13; für Konflikte mit der Kritischen Theorie vgl. z.B.: J. Habermas, Die Moderne - ein unvollendetes Projekt in: J. Habermas, Kleine Politische Schriften (I-IV), Frankfurt am Main: Suhrkamp 1981, S. 444-464, oder auch S. Lash, Sociology of Postmodernism, London / New York: Routledge 1990, S. 153-171). Dagegen werden gerade von Teilen der Neuen Linken und in anderen feministischen Debatten (vgl. Fraser, Falsche Gegebnsätze, S. 59) postmoderne Ideen als produktiv für das Verständnis aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen begriffen.

Postmoderne Musik

Bereits im 19. Jahrhundert entwickelt sich eine Form der Sinfonie, die nicht mehr den Entwicklungsprozess originärer Themen erforscht, sondern bereits vorhandene musikalische Zeichen und Sphären kombiniert. Als logische Folge treten dekonstruktivistische Techniken hinzu. Als Meilenstein bezeichnete Gustav Mahler die Sinfonie in E-Dur (1878) des Bruckner-Schülers Hans Rott. Mahlers Sinfonien entwickeln ein eigenes Universum aus zitathaften Bausteinen aus der Militär-, Volks- und Kirchenmusik, sowie Rückgriffen auf vergangene Stile. Zeitgleich entwickelt der Amerikaner Charles Ives eine Collagetechnik, die vornehmlich amerikanische Volksmelodien verwendet. Weitere wichtige postmoderne Komponisten waren Bernd Alois Zimmermann und Luciano Berio. Als typische Vertreter einer musikalischen Postmoderne der Gegenwart werden trotz sehr unterschiedlicher Stile unter anderem John Zorn, Amon Tobin, The Cinematic Orchestra, Philip Glass, Arvo Pärt, Gia Kantscheli, Wolfgang Rihm und Sofia Gubaidulina genannt.

Bildende Künstler

Architekten

siehe Postmoderne Architektur

Philosophen und Theoretiker


Gegenpositionen:

Schriftsteller, deren Werk sich (zumindest teilweise) als postmodern bezeichnen lässt

Vorlage:QS-Antrag2 Nach welchen Kriterien, mehr bei der Qualitätssicherung. -- Nutzer 2206 18:29, 29. Dez. 2006 (CET)

Reflexionen zur Postmoderne:

Literatur

  • Walter T. Anderson Reality isn´t what it used to be , San Francisco, Calif. : HarperSanFrancisco 2003.
  • Zygmunt Bauman, Intimations of Postmodernity, London: Routledge 1992.
  • Seyla Benhabib, Feminismus und Postmoderne. Ein prekäres Bündnis, in: S. Benhabib, J. Butler, D. Cornell, N. Fraser, Der Streit um die Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt am Main: Fischer 1993, S. 9-30.
  • Jonathan Bignell, Postmodern Media Culture, Edinburgh: Edinburgh UP 2000.
  • Jean Bricmont / Alan Sokal (1998), Fashionable Nonsense: Postmodern Intellectuals' Abuse of Science. New York: Picador 1999.
  • Damien Broderick, Reading by Starlight – Postmodern Science Fiction, London and New York: Routledge 1995.
  • Gary K. Browning, Lyotard and the End of Grand Narratives, Cardiff: University of Wales Press 2000.
  • Christopher Butler, Postmodernism - A Very Short Introduction, Oxford: Oxford UP, 2002.
  • Alex Callinicos, Against Postmodernism: A Marxist Critique., Cambridge: Polity Press 1989.
  • Thomas Carmichael & Alison Lee (eds.), Postmodern Times – A critical Guide to the Con-temporary, DeKalb: Northern Illinois UP 2000.
  • Marc Chénetier, "Should the Post-modern Really Be 'Explained to Children?'", in: American Studies in Scandinavia 25 (1993), S. 1-21.
  • Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels, Edition Tiamat, Berlin 1996.
  • Gilles Deleuze, Die Falte. Leibniz und der Barock, Frankfurt: Suhrkamp 1995.
  • Gilles Deleuze & Félix Guattari, Kapitalismus und Schizophrenie 2 – Tausend Plateaus, ed. G. Rösch; trans. Gabriele Ricke & Ronald Voullié (1980; Berlin: Merve 1997).
  • Cristina Delgi-Esposti (ed. & intro.), Postmodernism in the Cinema, New York: Berghahn Books 1998.
  • Jacques Derrida, Grammatologie, Frankfurt am Main 1974.
  • Jacques Derrida, Die Stimme und das Phänomen, Frankfurt am Main 2003.
  • Jacques Derrida, Randgänge der Philosophie, Wien 1988.
  • Jacques Derrida, Die différance. Ausgewählte Texte, Stuttgart 2004.
  • Rene Derveaux, Melancholie im Kontext der Postmoderne, Berlin: WVB, 2002.
  • M. J. Devaney, 'Since at Least Plato …' and Other Postmodernist Myths. New York: St. Martin's Press, 1997.
  • Thomas Docherty (ed. & intro.), Postmodernism – A Reader, New York, et al.: Harvester Wheatsheaf 1993.
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  • Peter Engelmann (ed. & intro.), Postmoderne und Dekonstruktion – Texte französischer Philosophen der Gegenwart, Stuttgart: Reclam 1990.
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  • Nancy Fraser, Falsche Gegensätze, in: S. Benhabib, J. Butler, D. Cornell, N. Fraser, Der Streit um die Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt am Main: Fischer 1993, S. 59-79.
  • Jürgen Habermas, Die Moderne - ein unvollendetes Projekt in: J. Habermas, Kleine Politische Schriften (I-IV), Frankfurt am Main: Suhrkamp 1981, S. 444-464.
  • David Harvey, The Condition of Postmodernity, Cambridge: Blackwell Publishers 1995.
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  • Andreas Huyssen / Klaus R. Scherpe (Hrsg.), Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1986, ISBN 3-499-55427-5.
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  • Charles Jencks, The Language of Post-Modern Architecture, London 1977, deutsch: Die Sprache der postmodernen Architektur. Die Entstehung einer alternativen Tradition, Stuttgart 1978.
  • Niklas Luhmann, Beobachtungen der Moderne (1992), ISBN 3-531-12263-0.
  • Kiel, Martin, Nexus. Postmoderne Mythenbilder. Vexierbilder zwischen Spiel und Erkenntnis. Mit einem Kommentar zu Christoph Ransmayrs „Die letzte Welt“, Frankfurt 1996, ISBN 3631300557.
  • Heinrich Klotz, Kunst im 20. Jahrhundert (Moderne - Postmoderne - zweite Moderne), München 1994, ISBN 3406382037
  • Scott Lash, Sociology of Postmodernism, London: Routledge, 1990.
  • Jean-Francois Lyotard, Das postmoderne Wissen, Wien: Passagen 1999.
  • Jean-Francois Lyotard, Der Widerstreit, München: Fink 1987.
  • Jean-Francois Lyotard, The Inhuman, Stanford: Stanford University Press 1991.
  • Stephan Moebius, Postmoderne Ethik und Sozialität. Beitrag zu einer soziologischen Theorie der Moral, Stuttgart: ibidem-Verlag, 2001, ISBN 3-89821-155-X (zur Soziologie von Zygmunt Bauman, zur Debatte um Kommunitarismus und Liberalismus, zu Heideggers „Mit-Sein“, zur Ethik von Lévinas, Derrida u.a.).
  • Ingo Sundmacher, Brinkmann meets Burroughs – Literatur und intermediale Postmoderne, in: Z – Zeitschrift für Kultur- und Geisteswissenschaften, Nr. 16 (1998).
  • Thiesen, Stefan: RABENWELT - eine postmoderne Novelle zur globalisierten Weltkrise, Selm, 2000, ISBN 3934195040
  • Wolfgang Welsch, Unsere postmoderne Moderne, Weinheim 1991.
  • Wolfgang Welsch, Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Berlin: Akademie Verlag 1994.
  • Peter V. Zima, Die Dekonstruktion. Einführung und Kritik, Tübingen 1994.
  • Peter V. Zima, Moderne/Postmoderne. Gesellschaft, Philosophie, Literatur, Tübingen/Basel: A. Francke 1997.

Siehe auch

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