Ukrainische Sprache

ostslawische Sprache
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Ukrainisch ist eine Sprache aus der ostslawischen Untergruppe des Slawischen Zweigs der Indoeuropäischen Sprachen.

Der Language Code ist uk bzw. ukr (nach ISO 639).

Es wird von ca. 47 Millionen Menschen als Muttersprache gesprochen, von denen ca. 31 Millionen in der Ukraine leben, wo es Amtssprache ist. Der Rest verteilt sich auf 25 andere Staaten.

Ukrainisch wird mit dem Kyrillischen Alphabet geschrieben, wobei die ukrainische Version in einigen Buchstaben von der russischen abweicht.

Geschichte

Ukrainisch gehört zusammen mit der russischen und weißrussischen Sprache zur ostslawischen Sprachgruppe. Die drei Sprachen wurden auf dem Gebiet der Kiewer Rus (9. Jh. n. Chr.) gesprochen. Die Bezeichnung für das gesamte ostslawische Territorium führte regelmäßig zu Verwechslungen, weil "Rus" mit Russland gleichgesetzt wurde. So kam es beispielsweise zu den Sprachbezeichnungen "Großrussisch" für Russisch, "Kleinrussisch" für Ukrainisch, womit Ukrainisch oftmals als Dialekt oder Unterart des Russischen eingeordnet wurde.

Im 18. Jahrhundert entwickelte sich aus dem bis dahin gebräuchlichen Altkirchenslawischen eine aus der Volkssprache kommende ukrainische Schriftsprache und Literatur. Im 19. Jahrhundert erlebte die ukrainische Kultur und damit auch ihre Literatursprache eine Blütezeit; die Entwicklung konzentrierte sich weniger auf politische als auf wissenschaftliche Themen[Quelle: Michajlo Hruschewski, Illustrierte Geschichte der Ukraine, 1913, Internet-Reprint].
Dennoch wurde 1876 aus Angst vor separatistischen Bestrebungen von der zaristischen Zensurbehörde ein weitreichendes Verbot ukrainischsprachiger Publikationen ausgesprochen. Bis 1906 unterlagen ukrainische wissenschaftliche Publikationen, Lesungen, Ausstellungen und Konzerte diesem Diktat. Der bedeutendste ukrainische Dichter Taras Schewtschenko (1814 - 1861) wurde für seine Texte und Gedichte in die kaukasische Verbannung geschickt.

Mit der Gründung einer ukrainischen Volksrepublik 1918 wurde Ukrainisch erstmalig zur Staatssprache, später auch in der Ukrainischen Sowjetrepublik. Während der Sowjetzeit war Ukrainisch also nicht verboten, jedoch dominierte die russische Sprache als Verkehrssprache alle wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten sowie die Medien. Deshalb unterliegt die Umgangssprache bis heute starken russischen Einflüssen. Dies ist besonders dann bemerkbar, wenn ein Vergleich mit dem Wortschatz der starken ukrainischen Diaspora in Kanada vorgenommen wird: hier tauchen wesentlich weniger Begriffe russischen Ursprungs auf, während "kanadisch-ukrainische" Wörter im einheimisch-ukrainischen Sprachgebrauch selten benutzt werden oder in der Umgangssprache veraltet und exotisch wirken.

Mit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 wurde Ukrainisch zur Amtssprache des neuen Staates. Es gab hierüber heftige Debatten, da auf dem Staatsgebiet der Ukraine einerseits 22 % der Bevölkerung Russen leben, andererseits auch viele Ukrainer, besonders im Osten des Landes, ausschließlich russisch sprechen.

Aufgrund dieser historischen Entwicklung ist das Thema Sprache für viele gebildete Ukrainer - zumindest im Westen des Landes - bis heute ein hochpolitisches Thema, das vehement diskutiert werden kann.

Wortschatz und Aussprache

Aufgrund der relativ späten Differenzierung der einzelnen slawischen Sprachen aus dem gemeinsamen Ursprung Altkirchenslawisch ist der gemeinsame Wortschatz vergleichsweise groß, er beträgt etwa zwei Drittel. Ukrainisch unterscheidet sich in Wortschatz, Lautbildung und Satzbau vom Russischen etwas stärker als Weißrussisch und hat darüber hinaus viele Lehnwörter aus dem Polnischen.

Im direkten Vergleich mit der russischen Sprache nennt J. B. Rudnyckyj (Lehrbuch der ukrainischen Sprache, Wiesbaden 1964) u.a. folgende Hauptmerkmale:

  • Itavismus: die Vokale e und o werden in geschlossenen Silben zu i
    Bsp.: Лвов (Lwow) - Лвів (Lwiw), кошка (koschka - Katze) - кішка (kíschka)
  • Ikavismus: der "jat"-Laut je wird zu i
    Bsp.: месяц (mjesjats - Monat, Mond) - місяц (Misjats), медь (Mjed' - Kupfer) - мідь (Mid')
  • harte Konsonanten vor dem e
    Bsp.: весна (vjesná - Frühling) - весна (vesna), перед (pjered - vor) - перед (pered)
  • Verschmelzung der altslawischen Laute i und ы zu и
    Bsp.: пиво (pívo - Bier) - пиво (pévo), нитка (nítka) - нитка (nétka)
  • 'Entwicklung des g-Lauts zu h
    Bsp.: голова (galavá) - Kopf - голова (holova), горло (górlo - Kehle, Hals) - горло (hórlo)
  • die Vokalisierung des l-Lautes, geschrieben в
    Bsp.: пил (pil - er trank) - пив (pe'u), брал (bral - er nahm) - брав (bra'u)



Es existieren noch zahlreiche andere Unterschiede zwischen diesen beiden ostlawischen Sprachen, die z. T. auch interessante kulturhistorische Besonderheiten verdeutlichen. Ein Beispiel:

  • heiraten
    russisch: жениться (für den Mann; Wortstamm жена - Frau), выходить замуж (für die Frau; wörtlich: hinter den Mann treten)
    ukrainisch: одружуватися (für beide Geschlechter; Wortstamm дружба - Freundschaft)

Grammatik

Besonderheiten der Morphologie

Die ukrainische Sprache unterscheidet sieben Fälle (відмінки):

  • Nominativ (називний відмінок)
  • Genitiv (родовий відмінок)
  • Dativ (давалний відмінок)
  • Akkusativ (знахідний відмінок)
  • Instrumentalis (орудний відмінок)
  • Lokativ (місцевий відмінок)
  • Vokativ (клична форма)

Dabei ist der Vokativ eine reine Ansprech- oder Rufform und tritt nicht als Satzergänzung auf.

Bei der Flexion der Substantive unterscheidet man neben dem Terminus "Deklination" die sog. "Deklinationsklassen" (відміна), wobei diese zusätzlich zum grammatikalischen Genus die Flexion bestimmen. Darüber hinaus werden innerhalb einiger Deklinationsklassen Gruppen unterschieden, die sich durch die Art ihrer Endungen (hart, weich, gemischt) charakterisieren.

Eine Eigenheit ukrainischer Adjektive ist die Bildung von Formen, die eine emotionale Einstellung zu Personen und Gegenständen kennzeichnen; diese kann verkleinernd, liebkosend, vergrößernd oder vergröbernd sein. So wird z. B. das Adjektiv "schön" (гарний) durch die Form гарненький "verzärtlicht". Die Adjektive werden ebenfalls in zwei Gruppen (hart und weich) dekliniert.

Während man im Ukrainischen nur drei Zeitkategorien (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) des Verbs unterscheidet, spielt die Kategorie der "Aktionsart" (Aspekt) eine große Rolle (wie auch in anderen slawischen Sprachen). Jedes Verb existiert in zwei Aspekten, dem unvollendeten und dem vollendeten Aspekt. In seiner lexikologischen Bedeutung sind diese Aspektpaare identisch. Die jeweils imperfekte Verbform drückt eine unvollendete, in der Zeit nicht begrenzte Handlung in Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft aus. Die perfekte Verbform dagegen kommt nur in Vergangenheits- und Gegenwartsform vor, wobei die Gegenwartsform die grammatikalische Zukunft ausdrückt. Diese Besonderheit des Verbs kann viele verschiedene Funktionen und Merkmale annehmen, die dem Nicht-Muttersprachler schwer zu vermitteln sind; der Bedeutungsunterschied kann manchmal nur aus dem Kontext verstanden oder gar erspürt werden.



Textsammlungen

Kobzar: http://www.slovnyk.org/txt/shevchenko/kobzar/index.html
Texte historischer und Zeitgenössischer Autoren: http://www.slovnyk.org/txt/index.html

Literatur

Mit der Entwicklung einer rein ukrainischen Schriftsprache (im Gegensatz zum bis dahin geschriebenen Altkirchenslawischen) entstand eine eigenständige ukrainische Literatur erst vergleichsweise spät. Wegbereiter war Ivan Kotljarewski mit seinem Werk "Aeneis" (Aeneida) 1798.

Der Dichter Taras Schewtschenko, der in der Ukraine mehrheitlich als bedeutendste historische und literarische Gestalt verehrt wird, trug maßgeblich zur weiteren Ausbildung der Schriftsprache bei. Gedichte wie "Vermächtnis" (Sapovit) aus seiner Gedichtsammlung "Kobzar", sind bis heute im Bewusstsein aller Generationen und Gesellschaftsschichten tief verankert.

Während des strengen Verbots ukrainischer Literatur auf dem Boden des russischen Zarenreichs, unter dem Schewtschenko zu leiden hatte, konzentrierte sich ab 1876 das kulturelle Leben und die Literatur auf das Staatgebiet Österreich-Ungarns, zu dem damals die westliche Ukraine (Lemberg, Galizien, Karpaten) gehörte. Zu den bedeutendsten Dichtern und Schriftstellern dieser Periode gehören Lesja Ukrainka und Ivan Franko.

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http://www.nzz.ch/2003/05/10/li/page-article8NRWA.html

Siehe auch: Sprache