Boulevardzeitung

Druckerzeugnis, dem nur eingeschränkte Seriosität zugeschrieben wird
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 6. Januar 2007 um 23:05 Uhr durch ReqEngineer (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Dieser Artikel wurde am 6. Januar 2007 auf den Seiten der Qualitätssicherung eingetragen. Bitte hilf mit, ihn zu verbessern, und beteilige dich bitte an der Diskussion!
Folgendes muss noch verbessert werden: Statt LA ist hier QS angesagt! --P. v. Quack Gib mir Tiernamen! 18:07, 6. Jan. 2007 (CET)

Eine Boulevardzeitung ist ein periodisch erscheinendes Printmedium, dem nur eingeschränkte Seriosität und infolgedessen mitunter auch "schädliche" Auswirkungen auf das Publikum zugeschrieben werden. Der Begriff geht darauf zurück, dass die ersten Vertreter dieser Gattung nur auf der Straße (Boulevard) käuflich erhältlich waren, nicht aber im Abonnement (vgl. hierzu auch Kaufzeitung). Anknüpfend an die Boulevardzeitung hat sich der Begriff Boulevardjournalismus etabliert, der heute eine eigene Gattung im Journalismus bezeichnet.

Boulevardzeitungen arbeiten stärker als andere Zeitungen mit den Emotionen der Leser [1]. Sie setzen auf Voyeurismus, Nervenkitzel und Sensatioshunger der Rezipienten. Die Formen der Themenaufarbeitung zielen darauf, potentielle Leser zum Kauf zu animieren. Die Unterhaltung hat für die Herausgeber von Boulevardzeitungen einen höheren Stellenwert als die Information [2]. Häufige Motive sind Blut, Sex, Gewalt und Übertreibung.

Entstehung und Geschichte

Am 1. Oktober 1877 erschien mit der B.Z. am Mittag die erste Boulevard-Zeitung im Straßen-Verkauf für den deutschen Zeitungsmarkt. B.Z. steht für Berliner Zeitung. Die erste Ausgabe der Illustrierten Kronen Zeitung, der auflagenstärksten Zeitung in Österreich, erschien 1900, damals setzte die Zeitung auf Romane und Spiele zur Kundenbindung. Eine Boulevardzeitung in der Weimarer Republik in den 20er und 30er Jahren war die Berliner Zeitung "Tempo", die bis zu dreimal täglich erschien. In Österreich boomten in den frühen 1920er Jahren neue populäre Tageszeitungen wie Die Stunde, Der Abend und Der Tag, die sich zur Kronen Zeitung durch eine breite politische Berichterstattung und eine linke oder liberale Blattlinie abgrenzten.

1952 erschien in Deutschland zum ersten Mal die überregionale Boulevardzeitung Bild des Verlegers Axel Springer (Axel Springer Verlag). Sie schaffte es zur auflagenstärksten Tageszeitung Europas. Zahlreiche Boulevardzeitungen etablierten sich im deutschsprachigen Raum (Blick aus der Schweiz), darunter sehr viele mit regionalem Bezug (Abendzeitung aus München). In vielen Ländern auch außerhalb Europas sind Boulevardzeitungen stark verbreitet (The National Enquirer (USA).

Markt und Konsumentenkreis

Boulevardzeitungen werden von Menschen in allen Berufsgruppen und Bevölkerungsschichten rezipiert. Einen hohen Konsumentenanteil bilden Menschen mit geringer Bildung. Für Entscheider in Politik und Wirtschaft sind Medien mit großer Verbreitung interessant, um zu erfahren, welche Themen aktuell behandelt werden (siehe auch Abschnitt Einfluss der Boulevardzeitungen in der Mediendemokratie).

Boulevardzeitungen ermöglichen schnellen Konsum des Dargebotenen. Sie können aufgrund der in ihnen praktizierten, für Rezipienten einfach zugänglichen Darstellungsformen ohne erhöhte Konzentration konsumiert werden.

Mittels Boulevardzeitungen finden allerdings auch Personen Zugang zum Lesen, insbesondere zum Zeitungskonsum, für die Lektüre nicht zu den favorisierten Methoden des Wissenserwerbs und der Unterhaltung zählt. Boulevardzeitungen leisten dies in der Regel u.a. durch eine einfache, für jederman verständliche Sprache, durch Konzentration der Autoren und Redakteure auf den zu reflektierenden Gegenstand (Sachverhalt) sowie durch eine hohe Sprachökonomie. Die Fähigkeiten zu einer, dem Vorbeschriebenen entsprechenden, journalistischen Herangehensweise sind in den einzelnen Boulevardzeitungen - und noch mehr in den Zeitschriften mit Orientierung auf Boulevardjournalismus - unterschiedlich ausgeprägt. Die Rezipienten spüren einen hohen Grad der Perfektion intuitiv, wenn sie in wenigen Sätzen einen, für ihr Verständnis in sich stimmigen, abgeschlossenen Bericht (etc.) lesen.

Präsentation und Layout

Die visuelle Abbildung der Wirklichkeit folgt häufig bestimmten Grundmustern, in Printmedien ebenso wie in Fernsehmagazinen. Sehr beliebt sind Bilder, die „spektakulär“ wirken. Unfallopfer mit Verletzungen werden in Großaufnahme gezeigt, in Printmedien können Bilder eine ganze Seite einnehmen. Großaufnahmen der Umgebung über die berichtet wird bzw. mit Themenbezug, möglichst mit emotional aufwühlendem Inhalt wie Verletzten, sind Standard in Boulevardzeitungen.

Die Printmedien zeichnen sich durch eine betont sensationsorientierte Aufmachung, große Überschriften, großflächige Fotos, auffällige Farben und plakative Schlagzeilen aus [3], welche die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich ziehen und somit zum Kauf anregen sollen. Bilder und Überschriften nehmen in den meisten Boulevardzeitungen den überwiegenden Platz ein, inhaltlich werden die meisten Themen nur grob angerissen, wirkliche Hintergrundberichte, wie sie in Medien zu finden sind, die sich der Mittel des interpretativen Journalismus und des investigativen Journalismus bedienen, fehlen fast völlig. Selbst wichtige Themen werden oft mit emotionalisierenden Schlagworten abgehandelt. Die auflagenstärkste und stark umstrittene Boulevardzeitung Bild (früher Bild-Zeitung) bringt die Dominanz der Bilder schon im Namen zum Ausdruck. Nicht selten werden wichtige Worte farbig, durch Unterstreichung oder durch Fettdruck hervorgehoben.

Themen

Fast immer werden in Boulevardzeitungen emotional ansprechende Themen behandelt oder der Artikel wird so geschrieben, das Hintergründe zugunsten spektakulärer Details vernachlässigt werden. Nachrichten werden "emotional Aufgerüstet" [4] oder bestimmte emotionale Komponenten rücken in den Vordergrund [5]. Intime Einblicke in private Erlebnisse von bekannten Persönlichkeiten sind Dauerthemen [6] und werden als sensationell wichtige Ereignisse präsentiert. Ein sehr beliebtes Thema sind auch Verbrechen, Unfälle und Naturkatastrophen. Diese werden oft schon auf der Titelseite in der riesigen Schlagzeile als "Aufmacher" benutzt. Besonders häufig werden folgende Gefühle angesprochen :

  • Sensationsgier (Kannibale von Rotenburg)
  • Neid und Missgunst durch Berichte über (vermeintlich) raffgierige Menschen und Sozialmissbrauch („Florida-Rolf“)
  • Voyeuristische Gefühle durch Einblicke in das Privatleben von Privatpersonen und Prominenten und deren Lebenskrisen
  • Lust/Sexualität durch Pin-upbilder und Berichte über Sex “in allen Bereichen und Lebenslagen”
  • Angst und Wut wird durch riesige Schlagzeilen/reißerische Vorankündigungen erzeugt, die Verbrechen als Bedrohung für jeden darstellen ("Wer ist sein nächstes Opfer")
  • Ohnmachtsgefühle “ des kleinen Mannes” ("Wer stoppt die Gier der Politiker"), der sich gleichzeitig beschützt fühlen soll durch das Aufgreifen des Themas durch seine Boulevardzeitung.
  • Mitleid durch das Darstellen von Verbrechen an hilflosen Opfern oder Berichte über schwere Schicksalsschläge

Zugespitzt kann das Konzept als “Unterhaltung um (fast) jeden Preis” bezeichnet werden.

Viele der Artikel und Berichte werden in sehr knapper Form präsentiert [7], grammatikalisch einfach sowie inhaltlich verknappt und stark vereinfacht dargestellt, oft im Stile eines Werbetextes. Ein auffordernder Charakter der Sprache sowie viele Fragen sind ein beliebtes Mittel [8] (Z. B. Sollen wir uns die ständige Selbstbedienung der Politiker wirklich weiter gefallen lassen?). Sie vermitteln in diversen Printmedien den Lesern einen Eindruck des Mitspracherechts und das Gefühl, auf einer Hierarchieebene mit dem Medium zu sein [9]. Der Leser wird in die Ereignisse eingebunden, so als sei er am Schauplatz des Geschehens. [10] Inhalte werden erzählend (narrativ) aufgearbeitet [11]. In den Printmedien sorgen die großen, bunten Bilder, die „eingerahmt“ werden von meist kurzen Texten für eine emotionale Reaktion. der Wortschatz dient als "dosierter Emotionserreger". [12]

“Sex, Crime & Violence“ und Promis

Grundsätzlich greifen nicht alle Macher von Boulevardzeitungen auf alle hier genannten Methoden zurück, das kann je nach Zielgruppe und Kulturkreis variieren.

Vor allem auf den Titelseiten bzw. als Titelthema in Sendungen werden Themen rund um den Sex gerne und oft benutzt, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Nackte oder knapp bekleidete junge Frauen sind auf vielen Titelseiten diverser Boulevardzeitungen zu sehen. Sex als Thema mit möglichst ausgefallen Inhalten über ungewöhnliche Sexualpraktiken wird wiederholt als sensationelle Neuigkeit angeboten. Das spektakuläre Aufbereiten von Verbrechen ist für viele Boulevardredakteure immer wieder aufs neue ein Thema, um den offenbar vorhandenen „Sensationshunger“ der Kundschaft zu befriedigen. Medienübergreifend werden häufig schockierende, in reißerischer aufgemachter Form präsentierte Storys aus nahezu allen Themenbereichen genutzt, um die Konsumenten anzusprechen. Boulevardzeitungen bedienen sich häufig einer direkten Ansprache des Konsumenten, eine Identifizierung mit der Zeitung bzw. der Sendung mit dem Leser/Zuschauer soll durch den häufigen Gebrauch der Worte "wir" und "uns" und einer einfachen und sehr direkten Ausdrucksweise, in der nicht selten Elemente der Umgangs- und Vulgärsprache wiederzufinden sind, geschehen. Superlative werden geradezu „inflationär“ von vielen Boulevardzeitungen benutzt: “Das schlimmste, bestialischste Verbrechen“, „die größte Katastrophe der Menschheit“ usw. Häufig werden ganze Artikel vagen Vermutungen und Mutmaßungen gewidmet. ( Wer hat eine Affäre mit wem; Was war das Motiv des Täters usw.)

Klatschthemen aus vielen Bereichen werden in allen Boulevardzeitungen ausgiebig behandelt. Von Details über Familieninterna aus den Königshäusern der Welt, Neuigkeiten aus der Modewelt sowie aus dem Leben von Prominenten und über aktuelle Ereignissen aus der Showbranche wird bevorzugt berichtet, ein weiteres beliebtes Thema sind Fernsehserien und deren Darsteller. Dabei werden kleine menschliche Fehltritte oft zu vermeintlichen "Skandalen" gemacht, es geht um Drogenexzesse, Ehebrüche oder sonstige menschliche Fehler und Schwächen, die in die Schlagzeilen gebracht werden. Oft werden sehr persönliche und intime Details der Öffentlichkeit präsentiert, weil offenbar ein großer Teil der potenziellen Konsumenten diese Themen anziehend findet bzw. durch sie angesprochen werden und so zum Kauf bewogen werden kann. Während sich einige Boulevardmedien schwerpunktmäßig nur einem oder wenigen Themen widmen (Leute heute Eine Fernsehsendung im ZDF- Klatsch aus der Promiszene) decken andere eine große Bandbreite an Themen ab. (Berliner Kurier- Boulevardzeitung). BILD und Bild am Sonntag erscheinen im selben Verlag, haben aber eine unterschiedliche Zielgruppe. Die Sonntagsausgabe ist zurückhaltender bei Berichten über Sex und Verbrechen, weil sie die ganze Familie erreichen soll, BILD berichtet über alles, was den Redakteuren als tauglich erscheint ohne diesen Filter, hier werden vor allem Erwachsene als Käufer anvisiert.

Sport

Neben den “Sensations-Themen” wird in nahezu allen Boulevardzeitungen der Sport als wichtiges Element gesehen, im Fernsehen wir der Sport meist in Sportsendungen präsentiert. Neben der Berichterstattung über populäre Sportarten wird auch im Sportteil nicht auf den für Boulevardzeitungen typischen Stil verzichtet “Italien zerstört deutschen Fußball” war eine Überschrift im Berliner Kurier, nachdem 2 mal kurz nacheinander eine deutsche Mannschaft gegen eine italienische verloren hat. Vermutungen und Klatschthemen über Prominente aus der Sportwelt werden auch in hier in riesigen Überschriften und großen Bildern präsentiert. Skandale wie der Wettbetrug um Schiedsrichter Hoyzer werden in typischer Boulevardmanier "ausgeschlachtet". Die BZ hatte für eine kurze Zeit seinen Sportbereich im hinteren Teil der Zeitung untergebracht. Drehte man die Zeitung, so hatte man auf der Rückseite der Zeitung ein neues Titelblatt, das den Sportteil als “(Sport-)Zeitung in der Zeitung”. einleitete. Bild hat eine der größten Sportredaktionen, eventuell sogar die größte im deutschsprachigen Raum. Bei Berichten über Fußball werden häufig diagrammartige Zeichnungen verwendet, die im Sportteil von abonnierbaren Tageszeitungen nicht zu finden sind. Hier werden einzelne Spielzüge wiedergegeben, Pfeile verbinden die für die Spieler stehenden Punkte und sollen so grafisch veranschaulichen, welchen Weg der Ball über das Spielfeld genommen hat. Viele Leser von Bild geben den Sportteil als Grund für den Kauf an.

Anteilnahme an Einzelschicksalen

Typisch für viele Boulevardzeitungen ist das Aufgreifen von Problemen und Schicksalen einzelner Menschen. Oft werden von den Medienmachern bestimmte Bereiche wie ungerechte Behandlung durch Behörden oder große Firmen herausgegriffen, um betroffenen Einzelpersonen schlagzeilenträchtig „gegen den großen Bösen“ zu helfen. Hierbei heben sich die jeweiligen Medien als Retter in der Not hervor. Es kann durchaus für die jeweils Beteiligen von Vorteil sein, wenn z. B. eine auflagenstarke Zeitung sich einsetzt, da sie so oft zu ihrem Recht kommen, weil die öffentliche Aufmerksamkeit Druck erzeugen kann.

Sprachlich wird in Boulevardzeitungen oft versucht, eine Identifikation des Konsumenten mit dem Opfer zu ermöglichen. Die Namen werden mit persönlich klingenden Begriffen ausgeschmückt, aus der fiktiven Person Karl Müller könnte z. B. „der nette, gebrechliche Opa Müller“ werden.

Kritiker werfen Boulevardzeitungen allerdings häufig vor, das auch hier in die Öffentlichkeit gezerrte Einzelschicksale benutzt werden, um die Auflage zu steigern. In der Öffentlichkeit zu stehen kann für viele, vor allem ältere und labile Menschen, eine Belastung darstellen. So kann das ganze für die Betroffenen zu einer Angelegenheit mit zwei sehr unterschiedlichen Seiten und entsprechenden Folgen werden.

Auch hier wird auf emotional sehr ansprechende Themen gesetzt, fühlte sich doch fast jeder schon einmal ungerecht behandelt von einer übergeordneten Instanz. Über die Identifikation mit den Opfern wird hier ein positives Image aufgebaut, die Konsumenten des Mediums fühlen sich gut aufgehoben und ein wenig beschützt vor der "ungerechten Welt". Auch das oft schlechte Image der Boulevardzeitungen, besonders von den Boulevardzeitungen, rückt so in den Hintergrund im Kopf der Konsumenten, da ja vordergründig "dem kleinen Mann von der Strasse" Hilfe angeboten wird. Gemeinsam ist vielen bisher nicht in der öffentlichen Wahrnehmung lebenden Menschen, deren Erlebnisse in Medien mit großer Verbreitung zum Thema werden, das sie anschließend oft von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, auch über das Ausgangsthema hinaus. Unfallopfer werden oft in Großaufnahmen gezeigt, ihr Leid wird aufgearbeitet, um durch schockierende Bilder Aufmerksamkeit zu erwecken und so eine Möglichst große Verbreitung zu erreichen. In Printmedien prangen oft ganzseitige Fotos von verstümmelten Menschen, Boulevardmagazine im Fernsehen zeigen Unfall- oder Katastrophenszenen auch oft sehr ausgiebig und mit vielen Nahaufnahmen der Opfer und der zerstörten Fahrzeuge oder Gebäude. Hinterbliebenen von Unfall- oder Attentatsopfern wird häufig nachgestellt, um eine anrührige Geschichte zu bekommen. Ihre Trauer wird in die Öffentlichkeit getragen. Es ist schon vorgekommen, das Boulevardjournalisten ihnen aufgelauert haben um an Informationen und Bilder zu kommen. Opfer und Hinterbliebene wurden bedrängt und ausgefragt für eine “Story”, die Emotionen weckt. Auch hier wird oft mit Großaufnahmen gearbeitet, das Leid der Menschen soll möglichst nachempfindbar dargestellt werden, “es wird auf die Tränendrüse gedrückt”, um eine große Auflage/Einschaltquote zu erreichen. Häuser der Hinterbliebenen und auch von Opfern werden manchmal regelrecht “belagert”, um zumindest dann ein Bild zu bekommen, wenn sie das Haus verlassen. Die Praxis, Hinterbliebene zu bedrängen wird auch Witwenschütteln genannt. Die „Opfer höher Gewalt“, denen “zu ihrem Recht” verholfen wird, werden in aller Regel keinen großen Schaden erleiden, solange sie nicht mit negativen Verhaltensweisen in Verbindung gebracht werden. Allerdings werden auch bei zunächst vermeintlich harmlosen Berichten oft pikante Details aus dem Privatleben von Menschen veröffentlicht, die dann vor allem in der Nachbarschaft und im Umfeld der Menschen wie dem Arbeitskollegium bekannt sind, wie etwa eine psychische Krankheit, problematische familiäre Verhältnisse oder eine Abhängigkeitserkrankung, ähnlich den Problemen jener Menschen, die in den oft auch im Boulevardstil aufgezogenen Fernsehtalkshows ihre Schwächen und Probleme vollständig darlegen.

Gezielte Verteufelungen und Hetzkampagnen

Handelt es sich um Menschen, die der Begehung eines kriminellen Deliktes verdächtigt werden, ist es schon vorgekommen, das eine Vorverurteilung durch die Boulevardzeitungen stattfand, manchmal kann es zu einer regelrechten Hetze kommen, bei der die Betroffenen vor der Öffentlichkeit bloß gestellt werden. Der Verdächtige wird als Täter dargestellt, die Gräuel der Tat unmittelbar mit seiner Person in Verbindung gebracht, ohne das ein Nachweis der Schuld oder Tatbeteiligung vorliegt. Der Grundsatz der Rechtsprechung, das ein Verdächtiger so lange als unschuldig gilt, bis ihm seine Schuld nachgewiesen ist, gilt offenbar bei der Wahl so eines Themas nicht immer. Hier steht oft der verkaufsfördernde Mechanismus, auf effekthaschende, emotionalisierende Schlagzeilen zu setzen im Vordergrund. Nicht selten werden noch nicht verurteilte Verdächtige in den Schlagzeilen der Printmedien zu „Bestien“ und Monstern“, für jedermann sichtbar an den Verkaufsständen, vor allem, wenn sie im Verdacht stehen, ein brutales Gewalt- oder Sexualdelikt begangen zu haben. Oft werden Schlagzeilen als Frage formuliert, um eine Emotion zu erwecken, aber nicht gerichtlich angreifbar zu werden. Ist XY eine widerliche, mordende Bestie? In Verbindung mit einem großflächigen Foto auf der Titelseite kann für viele das Leben nach so einem Bericht „zum Spießrutenlauf durch den Alltag“ werden. Oft “schnüffeln” Boulevardjournalisten in deren Privatleben und veröffentlichen viele unangenehme Details, dabei hat es sich in einigen Fällen der Vergangenheit auch um Unterstellungen, Halbwahrheiten und Gerüchte handeln.

Der Rufmord, der hier geschehen kann, kann langfristige Konsequenzen für die Betroffen haben, auch wenn die Verdachtsmomente sich nicht bestätigen. Negative Dinge bleiben oft lange im Gedächtnis der Mitmenschen haften. Gerade bei sensiblen Themen wie Kindesmissbrauch oder -vernachlässigung/und -misshandlung kann es vorkommen, das Verdächtige, nachdem sie öffentlich mit der Tat in Verbindung gebracht worden sind, gesellschaftlich geächtet werden, selbst wenn sie keine Straftat begangen haben und zu unrecht verdächtigt wurden.

Einfluss der Boulevardzeitungen in der „Mediendemokratie“

Massenmedien sind als das Medium für Massenkommunikation für sehr viele Themen verantwortlich, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen und Diskutiert werden. Laut Hermann Meyn ... haben die Medien auch eine Thematisierungsfunktion. Sie bedeutet, das Leser Hörer und Zuschauer genau die Themen für wichtig halten, die in den Medien behandelt werden. (Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland, 2001) Das trifft auch auf Boulevardzeitungen bezogen auf deren Konsumenten zu.

2001 nutzten von den rund 11 Millionen Lesern der Bild etwa ein Drittel nur diese Zeitung als gedruckte Informationsquelle, die anderen lasen auch andere Zeitungen. ( Quelle: „Massenmedien in Deutschland“) Zu dieser Zahl kommen noch diejenigen, die andere Boulevardblätter lesen. Zum Vergleich: Die redaktionell sehr gut ausgestattete Tagesschau erreicht über das Fernsehen in ihrer Hauptausgabe bis zu ca. 10 Millionen Zuschauer.

Politik spielt in manchen Boulevardzeitungen eine stark untergeordnete Rolle, andere führen dagegen regelmäßig massive Kampagnen zu politischen Themen durch und versuchen Einfluss zu nehmen auf die aktuelle Politik. Durch tendenziöse Berichterstattung soll eine auf bestimmten Meinungen beruhende „Grundstimmung“ die den jeweiligen politischen Zielen zugute kommt, geschaffen oder zumindest deren Entstehung unterstützt werden. (siehe hierzu auch Stimmungsdemokratie). Je nach Macht des jeweiligen Boulevardmediums in der Presselandschaft (Auflagenstärke bzw. Einschaltquote) werden Boulevardberichte/-artikel auch in den höchsten politischen Kreisen wahrgenommen, was im Begriff Mediendemokratie zum Ausdruck kommt, da häufig der Verdacht geäußert wird, dass Regierungen durch diese Stimmungsmache zu Aktionismus bewegt werden.

Auch Boulevardzeitungen können bei entsprechender Verbreitung und den richtigen Rahmenbedingungen bis zu einem bestimmten Grad das politische Meinungsklima in der Bevölkerung mitbestimmen, zumindest können sie bestimmte Themen in die Öffentlichkeit bringen.

In Deutschland standen sich in den 60er Jahren die APO und die „Springerpresse“, wie die vom Axel Springer Verlag vertriebenen Zeitungen von vielen Apo-Aktivisten bezeichnet wurden, „feindlich“ gegenüber. Die Springer Medien berichteten häufig negativ über die politischen Ziele, Aktivisten und Aktivitäten der Apo und stellte sich eindeutig gegen die Mehrzahl der Ziele der linken Bewegung. Viele Demonstrationen der politischen Linken richteten sich zu der Zeit direkt gegen den Springerverlag, um gegen deren Machtkonzentration zu demonstrieren. „Enteignet Springer“ war ein häufig benutzter Slogan in der Apo.

Das Attentat auf Rudi Dutschke, an dessen Spätfolgen er starb, wurde von einem Bildzeitungsleser verübt, was viele veranlasste, den Springer Verlag mitverantwortlich für seinen Tod zu machen.

1972 wurde auf ein Gebäude des Springerverlages ein Bombenattentat der RAF verübt, dabei wurden 15 Personen verletzt.

Später wurde ein Privathaus von Axel Springer durch einen Brandanschlag zerstört, der Täter Daniel de Roulet, ein Schriftsteller, hielt Axel Springer für ein ehemaliges Huren-Mitglied, der Autor hat einer verbreiteten Lüge geglaubt, ohne diese zu hinterfragen.

Zu dieser in vielen gesellschaftlichen Bereichen sehr stark von politischer Polarisation geprägten Zeit gab es auch handfeste Auseinandersetzungen bis hin zu roher Gewalt. Auslöser für einen Teil dieser Konfrontationen ist teilweise in der Macht von auflagenstarken Medien und der Art ihrer Nutzung sowie “blindem Aktivismus”, der in bestimmten Bereichen durchaus beiden Seiten angelastet werden kann, zu sehen, wie diese Beispiele zeigen. Allerdings waren beide Seiten, so unterschiedlich die Motivation gewesen ist, durchaus planvoll bei der Sache. Die Bildzeitung versuchte, durch entsprechende Meldungen die linke Bewegung zu schwächen, diese versuchte, gezielt ihre Vorstellungen von einem gesellschaftlichen Wandel durchzusetzen. Dabei stellten terroristische Gewaltaktionen nur einen kleinen Teil der Aktivitäten dar, vor allem wurde von den meisten Akteuren das Recht auf Meinungsfreiheit genutzt, sie demonstrierten und versuchten gewaltfrei ihre Ziele zu verfolgen.

Enten und Falschmeldungen

Das absichtliche Fälschen von Geschichten verstößt gegen den Pressecodex, in dem sich Journalisten verpflichten, die Wahrheit zu achten und im Falle einer Falschmeldung unverzüglich für eine Richtigstellung zu sorgen. Hierzu zählt auch die Pflicht, vor der Veröffentlichung möglichst genau zu prüfen, ob die gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen, z. B. nicht einfach Gerüchte als Tatsachen darzustellen.

Es kommt oft vor, auch in anderen journalistischen Bereichen, das einem Artikel oder Bericht „auf die Sprünge geholfen wird“, indem Halbwahrheiten oder Gerüchte als Tatsachen aufbereitet werden oder Teile von Storys, manchmal sogar ganze Geschichten erfunden werden und Verkaufsfördernd eingesetzt werden.

Um reißerische Themen zu generieren, bedienen sich auch die Boulevardzeitungen der Geschichtenfälschung, also der Erfindung einer "berichtenswerten" Geschichte, die tatsächlich nicht wahr ist. Um diese zu untermauern, werden auch Bilder gefälscht. Manchmal werden für Fernsehbeiträge sogar Darsteller engagiert, die dann in bestimmten Rollen gefilmt werden, um einen Bericht glaubwürdiger bzw. attraktiver zu gestalten.

1979 berichtete Bild über mehrere Tage über einen festgenommen Schüler aus Frankfurt, den Bild zum „Vampir aus Sachsenhausen“ machte, der angeblich Minderjährige missbraucht haben sollte und Menschenblut trinke. Der Schüler wurde später von einem Gericht freigesprochen.

Ein weiterer bekannter Fall einer Falschmeldung in Verbindung mit einem fehlinterpretierten Foto ist ein Artikel der Bild, der den ehemaligen Umweltminister Jürgen Trittin in Verbindung mit Gewalttaten auf Demonstrationen bringen sollte, das Foto zeigte einen Demonstranten unmittelbar hinter Trittin mit einen angeblichen Knüppel, der allerdings ein Seil war. Auf den ursprünglichen Bildern war das klar zu erkennen, die von der Bildzeitung verwendete Version jedoch war relativ unscharf durch grobe Rasterung, im Bild selbst war ein Text mit Pfeil auf das Seil zu sehen, der den länglichen Gegenstand als Schlagstock bezeichnete, ein Handschuh wurde als Bolzenschneider gekennzeichnet. Der Eindruck, der Minister habe mit Gewalttätern zusammen demonstriert, wurde so zumindest forciert. Der Chefredakteur Kai Diekmann entschuldigte sich schließlich nach langen Diskussionen bei Trittin. Die Redaktion hat nach eigenen Aussagen die ursprünglichen Bilder nicht gekannt, ihr hätte nur die verwendete Version zur Verfügung gestanden.

Dieses Beispiel verdeutlicht, wie falsch interpretierte Informationen und daraus entstehende Schlussfolgerungen die öffentliche Meinung beeinflussen können.

Schlagzeilen von Boulevardzeitungen

  • "Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen – ganz Bernau ist glücklich"' aus der inzwischen eingestellten „Super!Zeitung“.
  • "Roßmann Mord: Das ist der Killer" Schlagzeile mit großem Bild eines Mannes, dessen Augen von einem Balken verdeckt werden – Berliner Kurier vom 6. März 2006 zur Festnahme eines nicht verurteilten Verdächtigen
  • "1. Katze mit Vogelgrippe – das Maunzen wird zur Todessirene" BZ am 1. März 2006
  • "Die Sexbestie hat mein Leben zerstört - Zum ersten Mal spricht sein Opfer - ohne Scham und ohne Vergebung" BZ am 15. März 2006

Zitate

  • Tierfreunde lesen am liebsten Boulevardzeitungen. Der vielen Enten wegen. - Markus M. Ronner, Markus M. Ronner Zitate-Lexikon
  • Darum können Zeitungen so sehr schaden, weil sie den Geist so unsäglich dezentrieren, recht eigentlich zerstreuen. - Christian Morgenstern, Stufen
  • "Ein Mensch, der gar nichts liest, ist besser informiert als derjenige, der nur Zeitung liest." - Lee Iacocca, Mein amerikanischer Traum
  • "Die Springerische Machtballung ist zu einem zentralen Problem der Republik geworden." (Golo Mann)
  • So häufig wie keine andere deutsche Zeitung rügte der deutsche Presserat Bild, unter anderem, weil es ein angebliches Interview mit dem rheinischen CDU Vorsitzenden Heinrich Löppler veröffentlichte, das kein Bild Mitarbeiter je geführt hatte. (Zitat aus „Massenmedien in Deutschland“ von Hermann Meyn, Neuauflage 1994 )
  • "Sie haben Menschenleben auf dem Gewissen, ich habe Abschiedsbriefe von Bild-Opfern, die sich nach Rufmord-Geschichten, im wortwörtlichen Sinne wurde hier Rufmord betrieben, die sich dann das Leben genommen haben und Bild in Abschiedsbriefen dafür verantwortlich machten. Ich bin sicher, es gibt viel viel mehr solcher Fälle, die man nie erfährt, weil es Menschen sind, die nicht dann noch nen Abschiedsbrief hinterlassen.“ (Günter Wallraff)
  • "Hier gibt es keine Zeitung, die so viel Positives in Bewegung bringt wie die Bild-Zeitung...der einfache Mann kriegt nur recht durch Bild. Wir sammeln Spendenbeträge für Gemeinnützige Zwecke. Das ist gigantisch. ....Für die deutsche Krebshilfe hat Bild gewaltiges geleistet." Axel Cäsar Springer wird so zitiert in „Massenmedien in Deutschland“, das gesagte sei einem Interview im Stern Nr. 46 vom 5. November 1981 entnommen.

Beispiele für Boulevardzeitungen

Deutscher Sprachraum

Englischer Sprachraum

andere Sprachräume

Literatur

Siehe auch

Quellen

  1. uni-trier.de- Ziel der boulevardzeitung
  2. uni-trier.de- Ziel der boulevardzeitung
  3. Uni-Trier.de Textgestaltung - Layout
  4. Emotionale Aufrüstung nachrichtlichter Themen
  5. Emotionale Aufrüstung nachrichtlichter Themen
  6. Privatisierung als publizistische Perspektive
  7. Uni-Trier.de Textgestaltung - Sprache
  8. Uni-Trier.de Textgestaltung - Sprache
  9. Uni-Trier.de Textgestaltung - Sprache
  10. Privatisierung als publizistische Perspektive
  11. Textgestaltung - Erzähltheoretische Relevanz von Emotionen
  12. Uni-Trier.de Textgestaltung - Sprache

Beispiele für Falschmeldungen

Sonstiges