Putsch in Chile 1973

Militärputsch am 11. September 1973 in Chile
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Am 11. September 1973 putschte das Militär in Chile. Der drei Jahre zuvor demokratisch gewählte sozialistische Präsident Salvador Allende brachte sich um, nachdem die Luftwaffe begonnen hatte, den Präsidentenpalast Moneda zu bombardieren. Eine Militärjunta unter der Führung von Augusto Pinochet regierte Chile bis zum 11. März 1990 als Diktatur.

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Salvador Allende (Briefmarke der DDR von 1974)

Hintergrund des Putsches: die ideologische Spaltung der Chilenischen Gesellschaft

Wie konnte es zum Putsch kommen? José Miguel Insulza [1] weist darauf hin, dass heutzutage davon ausgegangen wird, dass vor dem Putsch alle Chilenen mit dem sozialistischen Weg einverstanden waren. Das entspricht aber nicht den Tatsachen, so Insulza, denn die chilenische Gesellschaft war geteilt und Allendes Regierung vertrat nicht die Mehrheit der Chilenen [2]. In seinem hervorragenden Essay "Pinochet no vino de otro planeta" vertritt Sergio Muñoz Riveros seinerseits die These, dass sowohl Allendes Regierung als auch die konservative Opposition kein Interesse an der Erhaltung der Demokratie hatten [3].

Wie konnte es also zum Putsch kommen? Der womöglich wichtigste Grund des Putsches ist zu finden in der außerordentlich tiefen ideologischen Spaltung der chilenischen Gesellschaft: Konservative und Revolutionäre betrachteten sich gegenseitig als Feinde, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen und besiegen galt. Weder die Einen noch die Anderen, sondern jeder Chilene (egal welcher politischen Ansicht) hat seinen Beitrag zur Vorbereitung des Putsches geleistet.

Durch den ideologischen Kampf kam es, dass die Sozialistische Regierung Allendes nicht vor der Aushöhlung des Rechtsstaates zurückschreckte, während die Opposition bereit war, die Demokratie im Kampf gegen den Sozialismus aufzuopfern und dem Militär die Regierung zu überlassen. Vier Beispiele sollen zeigen, wie die UP den Rechtsstaat aushöhlte. Danach wird kurz aufgeführt, wie die ideologische Kluft der Gesellschaft unter der konservativen Opposition und während der Militärdiktatur zum Ausdruck kam. Zuletzt wird einerseits eine der wichtigsten Ursachen aufgeführt, die die Überbrückung der Spaltung in der Chilenischen Gesellschaft ermöglichten, und andererseits Ausdrücke der Kluft, die bis heute bestehen.

Beispiele der Aushöhlung des Rechtsstaates während Allendes Regierung

Erstens, die Regierung der UP unterstützte und führte unrechtmäßige Enteignungen durch (anhand der sog. "teoría del resquicio legal" [4] ), besonders von Industrien und von landwirtschaftlich genutztem Grundbesitz. Oft wurden die Arbeiter von den Arbeitgebern regelrecht ausgebeutet und der Drang der Arbeiter nach Vergeltung untermauerte wenn nicht rechtlich, so zumindest faktisch das Vorgehen der Regierung. Interessant ist, dass in den (seltenen) Fällen, wo Landarbeiter zum Landeigentümer eine gute Beziehung hatten, oft die selben Landarbeiter die Enteignung vereitelten und die Regierungsvertreter, die die Enteignung durchführen sollten, verjagten. Diese Tatsache bekräftigt die Hypothese, dass die Polarisierung der Gesellschaft damals eine äußerst wichtige Rolle spielte.

Zweitens hat Allendes Regierung die Durchsetzung rechtskräftiger Gerichtsurteile absichtlich sabotiert. Nach damaligem Chilenischen Recht durften die Gerichte keine Befehle zur Rechtsdurchsetzung direkt an die Polizei erteilen, sondern die Gerichte mussten sich an die Exekutive wenden, damit die Exekutive schließlich das Befehl an die Polizei gab. Während Allendes Regierung hat die Exekutive die Durchsetzung rechtmäßiger aber politisch ungünstiger Urteile vereitelt, indem sie sich weigerte, ein entsprechendes Befehl an die Polizei zu geben. Somit wurde der Rechtsstaat untergraben. Im Gegensatz zur UP gab Pinochets Regierung den Gerichten die Fähigkeit, sich direkt an die Polizei zu wenden - gleichzeitig aber ließ sich die Corte Suprema (das höchste Gericht) einschüchtern und sprach nur selten Urteile, die politisch ungünstig für die Militärdiktatur waren.

Drittens schuf die UP den sog. GAP ("grupo de amigos personales" oder "grupo de amigos del Presidente"), eine Gruppe Leibwächter Allendes, die durch gewisse Merkmale zu erkennen waren: sie waren bewaffnet, und fuhren (die damals verhältnismäßig schnellen und wendigen) Fiat 147. Der GAP, die nach und nach zu einer kleinen paramilitärischen Organisation entartete, diente unter Anderem zur Einschüchterung politischer Gegner und Widerscher der Regierungspolitiken.

Viertens wurde der sog. JAP-Ausweis eingeführt. Wie auch in anderen sozialistisch gesteuerten Volkswirtschaften, führten während der UP die zentrale Planung und die eingefrorenen Preise zu Knappheit und zum Schwarzmarkt. Parteimitglieder erhielten den JAP-Ausweis, was ihnen einen erleichterten Zugang zu bestimmten Gütern (wie etwa Milch und Fleisch) ermöglichte.

Diese Beispiele sollen zweierlei zeigen: erstens, inwiefern das Handeln von Allendes Regierung aus der ideologischen Spaltung der Gesellschaft wuchs. Zweitens, inwiefern die UP zwar demokratisch gewählt worden war, sich aber nicht zur Erhaltung des Rechtsstaates und der demokratischen Spielregeln bekannte.

Die ideologische Spaltung unter der konservativen Bevölkerung und während Pinochets Regierung

Die konservative Opposition reagierte auf die ideologische Spaltung der Gesellschaft, indem ihr die Demokratie nicht mehr erhaltenswert schien, so lange sie zum Sozialismus führte. So begrüßten die Konservativen den Putsch, ohne Tränen für die ermordete Demokratie zu vergießen.

Die systematische Menschenrechtsverletzungen, die von Pinochets Regierung durchgeführt wurden, sind auch ein Ausdruck der gesellschaftlichen ideologisch bedingten Kluft. So wurden politisch anders gesinnte nicht nur als politische Gegner, sondern als Gegner der Gesellschaftsordnung aufgefasst, die es zu vernichten galt weil sie eine Gefahr für das Überleben der Gesellschaft bedeuteten. Somit schlich sich allmählich die Auffassung ein, dass es sich um ein Bürgerkrieg zwischen der Militärregierung und den ehemaligen Anhängern der UP handelte. Diese Auffassung wurde dadurch verstärkt, dass die Chilenischen Militärs (wie auch die Argentinischen) währen der sechziger Jahre von französischen Militärs in den Techniken des zivilen Kriegs ausgebildet wurden, die während des Krieges von Algerien entwickelt worden waren. Die Hypothese des zivilen Krieges wurde dadurch verstärkt, dass linksradikale Gruppen durch häufige Attentate den Terror ausbreiteten. Sehr oft (manchmal wöchentlich) wurde die Stromversorgung durch Bombenattentate unterbrochen. Auch wurden viele Polizisten kaltblütig ermordet (vermutlich um die 600, dazu gibt es aber keine genaue Angaben), während sie z.B. Wache vor einer ausländischen Botschaft hielten oder als Verkehrspolizisten tätig waren. Der Terror gab der Militärdiktatur eine ausgezeichnete Ausrede, um ein Gesellschaftsbild zu prägen, in dem der gewalttätige sog. marxistisch leninistische Kommunismus mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft werden musste.

Schon während der UP waren viele junge (meist gut ausgebildete) konservative Bürger aus dem sozialistischem Chile ausgewandert. Als Ursache ist wieder die ideologische Kluft zu bezeichnen. Aus dem selben Grund hat auch Pinochets Regierung politische Gegner ins Zwangsexil geschickt, während sie sich bemühte, dass die konservativen Auswanderer wieder zurückkehrten. Das Zwangsexil kann einerseits als eine Ausschaltung der politischen Opposition verstanden werden, aber auch als eine Ausgrenzung solcher Menschen, die wegen ihrer Ideologie nicht am Wiederaufbau der Gesellschaft teilnehmen sollten. Das Problem der Chilenen im Exil ist nicht einfach, denn nach dem Putsch sind viele auch freiwillig ausgewandert und haben um Asyl gebeten (besonders in Schweden, Frankreich und der DDR). Selbstverständlich sind viele aus politischen Gründen freiwillig ins Exil gegangen. Manche aber haben lediglich die Chance ausgenützt, um unter dem Vorwand der politischen Verfolgung eine Aufenthaltsgenehmigung in Schweden und Frankreich zu erhalten und so ein neues Leben in einem wirtschaftlich entwickelten Land anzufangen. Diese letzte Gruppe der Auswanderer wurde manchmal von Pinochets Regierung ausgenutzt, um implizit zu verleugnen, dass überhaupt jemand aus politischen Gründen ins Exil gegangen sei. Auch hat Pinochet oft die Menschenrechtsverletzungen verleugnet, indem er sagte, die während seiner Regierung verschollenen seien in Wirklichkeit aus wirtschaftlichem Interesse untergetaucht, um ein neues Leben im Reichtum Europas anzufangen.

Diese Erläuterungen sollen zeigen, dass das Weltbild von Pinochets Regierung und der Konservativen ideologisch stark geprägt war. Die Ideologie hat in ihren Augen damals rechtfertigt, politische Gegner als Erzfeinde zu betrachten und sie zu verfolgen.

Die Bewältigung der ideologischen Kluft

Die Zwangsexliierten sollten später eine sehr wichtige Rolle spielen: ein Teil von ihnen hatte im Ostblock gelebt und dort erlebt, was eine sozialistische Gesellschaft ("el socialismo real") im Gegensatz zur sozialistischen Utopie bedeutete. Diese ehemalige Mitglieder von Allendes Regierung [5] kehrten nach Chile zurück, hatten jedoch in der Zwischenzeit ihre Ideologisierung eingebüßt und den Fall des Ostblocks miterlebt. Sie ermöglichten es, eine linke Koalition (die sog. "Concertación") in Chile aufzubauen, die nicht ein Produkt der ideologischen Spaltung war, sondern deren Ziel der Wiederaufbau der Demokratie war. Dies hatte zur Folge, dass sie einen entideologisierten politischen Dialog ermöglichten und zugleich die ideologische Kluft der Gesellschaft überbrücken konnten. Somit konnte die Concertación die breite Masse der Gesellschaft ansprechen. Ihnen und nicht den Konservativen ist größtenteils die Beseitigung der ideologischen Spaltung der Gesellschaft und der Wiederaufbau der Chilenischen Demokratie nach 1989 zu verdanken.

Aspekte der ideologischen Spaltung, die bis heute bestehen

Eine Aufgabe, die bis jetzt noch nicht bewältigt worden ist, ist die Anerkennung der Opfer sowohl von Unterdrückung während Allendes Regierung als auch von linksradikalen Terror-Attentaten unter Pinochets Diktatur. (Diesbezüglich kann eine Parallele gezogen werden zum Prozess der Anerkennung der Deutschen zivilen Opfern der Bombenangriffe -etwa in Dresden- während des Zweiten Weltkrieges.) Dies ist ein Aspekt der Chilenischen ideologischen Kluft, das bis heute noch besteht.

Eine gewisse ideologische Spaltung zeigt sich wenn nicht in Chile, so doch auf internationaler Ebene in Bezug auf Allendes Figur. Die Chilenische Gesellschaft ist im großen und ganzen heute in der Lage, dem Werk der UP und Allendes Figur ohne ideologische Scheuklappen in die Augen zu schauen. Dies gilt aber nicht unbedingt auf internationaler Ebene: oft wird aus Allende und seiner Regierung ein romantisches Idealbild gemacht, das seine Schwächen und Fehler ausklammert. Der Grund dieser internationalen Idealisierung mag in der Tatsachen liegen, dass Allende als demokratisch gewählter sozialistischer Staatsoberhaupt die Hoffnungen und die Zukunftsträume des Sozialismus der sechziger Jahre verkörpert hat und später durch den Putsch zum Märtyrer erhoben wurde. Viele Chilenen, die in West-Europa ins Exil gegangen sind und später nicht nach Chile zurückkehrten, haben zu dieser internationalen Idealisierung beigetragen, denn sie haben den (oben erwähnten) Prozess der Ent-Ideologisierung nicht durchgemacht, den die Exilanten im ehemaligen Ostblock erlebt haben.

Vorgeschichte

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Pinochet 1975 in Argentinien

Seit Ende 1970 wurde Chile von einer sozialistischen Koalitionsregierung der Unidad Popular unter Salvador Allende regiert. Über den Winter 1973 wurden die politischen und wirtschaftlichen Spannungen derart gravierend, dass die Abgeordnetenkammer am 22. August dem Präsidenten in einer symbolischen Abstimmung mit großer Mehrheit Verfassungsbruch vorwarf und die Armee aufforderte die verfassungsgemäße Ordnung wiederherzustellen[6]. Drei der vier als "neutrale Vermittler" gerade einmal zweieinhalb Wochen zuvor zu Ministern ernannten Oberbefehlshaber der vier chilenischen Teilstreitkräfte traten daraufhin als Minister und Oberbefehlshaber zurück, unter ihnen auch der Heereschef Carlos Prats. Allende folgte dem Ratschlag des demokratischen und loyalen Prats und ernannt Augusto Pinochet daraufhin zum Oberbefehlshaber des Heeres. Kaum drei Wochen später führte dieser einen Putsch an, bei dem Allende ums Leben kam.

Ablauf des Putsches

Im Morgengrauen des 11. September 1973 bombardierten Kampfjets den Präsidentenpalast Moneda. Das Militär stürzte die demokratische Regierung Chiles und Allende beging in der Moneda Selbstmord, nachdem er sich stundenlang mit seinen engsten Vertrauten militärisch verteidigt hatte. Eine Militärjunta übernahm die Macht und ernannte Pinochet zu ihrem Vorsitzenden.

Die letzte Rede Allendes

Am 11. September um acht Uhr morgens hielt Präsident Allende seine letzte Rede im Radio. Die Luftwaffe hatte schon die meisten regierungstreuen Radiostationen bombadiert und nur noch einzelne sendeten Allendes letzte Worte an das chilenische Volk.

Mit Sicherheit ist dies die letzte Gelegenheit, mich an Sie zu wenden. ... Mir bleibt nichts anderes, als den Arbeiter zu sagen: Ich werde nicht aufgeben! In diesem historischen Moment werde ich die Treue zum Volk mit meinem Leben bezahlen. ... Sie haben die Macht, sie können uns überwältigen, aber sie können die gesellschaftlichen Prozesse nicht durch Verbrechen und nicht durch Gewalt aufhalten. Die Geschichte gehört uns und sie wird durch die Völker geschrieben. Arbeiter meiner Heimat: Ich möchte Ihnen für Ihre Treue danken. ... Es lebe Chile! Es lebe das Volk! Es leben die Arbeiter! Dies sind meine letzten Worte und ich bin sicher, dass mein Opfer nicht umsonst sein wird, ich bin sicher, dass es wenigstens ein symbolisches Zeichen ist gegen den Betrug, die Feigheit und den Verrat[7]

Erklärung der Putschisten

In der Erklärung der Putschisten vom 11. September 1973 heißt es:

  1. Der Präsident (Allende) der Republik hat seine hohen Vollmachten unverzüglich den chilenischen Streitkräften ... zu übergeben.
  2. Die chilenischen Streitkräfte sind sich einig in ihrer Entschlossenheit, die verantwortliche historische Mission zu übernehmen und den Kampf für die Befreiung des Vaterlandes vom marxistischen Joch ... zu führen.
  3. Die Arbeiter Chiles brauchen nicht daran zu zweifeln, dass der wirtschaftliche und soziale Wohlstand, den sie bis zum heutigen Tage erreicht haben, keine großen Veränderungen erfahren wird.
  4. Die Presse, die Rundfunksender und die Fernsehkanäle der Unidad Popular haben von diesem Zeitpunkt an die Verbreitung von Information einzustellen, ansonsten werden sie zu Lande und aus der Luft angegriffen.
  5. Die Bevölkerung von Santiago de Chile hat in ihren Häusern zu bleiben, damit der Tod unschuldiger Menschen vermieden wird.
General Augusto Pinochet

Menschenrechtsverletzungen

 
Ehemaliger Bahnhof - rechts Reste des ehemaligen Konzentrationslagers des Pinochet-Regimes
 
Das Estadio Nacional heute

Unmittelbar nach dem Putsch gab es die meisten Opfer, sowohl von Folterungen wie von politischen Morden. Opfer waren vor allem Mitglieder und Sympatisanten von Regierung, Linksparteien und Gewerkschaften. Gebäude wie das Estadio Nacional wurden als Kozentrationslager umgerüstet und es wurden sonst noch Lager gebaut, wie etwa in Pisagua. Auch die Colonia Dignidad war berüchtigt[8]. Das Ende dieser "ersten Phase" wurde durch die Schließung des KZs im Estadio Nacional im November 1973 eingeleitet. Parallel wurde das größte Geheimgefängnis "Londres 38" eröffnet und informell die Dirección de Inteligencia Nacional gegründet, der wichtigste Geheimdienst im Zeitraum von 1974 bis 1977.

Als Todeskarawane erlangt ein Exekutionskommando unter Kommandant Arellano Stark traurige Berühmtheit. Als Pinochet persönlich unterstellter und später zum General ernannter Offizier ermordeten er und seine Soldaten im ganzen Land 72 bereits verhaftete Regimegegner.

Nach den von Gewalt geprägten Wochen nach dem Putsch ging das Regime in den nächsten Jahren dazu über, die politische Opposition auszuschalten. Menschen wurden entführt und/oder gefoltert oder zwangsweise des Landes verwiesen oder in abgelegene Landesteile im Norden oder Süden verbannt.

Opferzahlen

Offizielle Zahlenangaben

Der offizielle Bericht "Informe Rettig" (veröffentlicht am 9. Februar 1991) hat die Todesopfer während der Militärdiktatur dokumentiert. 2.279 Fälle wurden zwischen dem Putsch (11. September 1973) und dem Amtsantritt Patricio Aylwins (11. März 1990) festgestellt. Davon sind 164 als Opfer der politischen Gewalt und 2.115 als Opfer von Menschenrechtsverletzungen bezeichnet worden.

Der offizielle Bericht "Informe Valech" (veröffentlicht am 28. November 2004) hat die Opfer von politisch motiviertem Freiheitsentzung und Folter (also keine Todesfälle) durch Staatsorganen während der Militärdiktatur dokumentiert. 28.459 Fälle wurden zwischen dem Putsch (11. September 1973) und dem Amtsantritt Patricio Aylwins (11. März 1990) festgestellt.

Schätzungen der Opferzahlen

Die Schätzungen der Opferzahlen, die verschiedene Institutionen durchgeführt haben, sind zwar historisch nicht genau, aber trotzdem interessant. Sie sind interessant, denn sie zeigen, wie manche Schätzungen stark ideologisch bedingt waren.

Verschiedene Schätzungen zu Opferzahlen in den ersten Monaten[9]
Quelle Datum der Schätzung Tote
CIA-Direktor William Colby Oktober 1973 2000–3000
Amnesty International September 1974 5000–30.000
amerikanische Botschaft in Santiago ca. 5000
Vicaría de la Solidaridad mindestens 1200
Agrupación de Familiares de Ejecutados ca. 2500
Interamerikanische Menschenrechtskommission der OAS ca. 1500

Das "Weißbuch" der Junta

Ende Oktober 1973 gibt die Junta ein "Weißbuch" heraus, in dem die nach ihrer Ansicht von der Regierung Salvador Allendes verursachten wirtschaftlichen Fehlentscheidungen und vollzogenen Verstöße gegen die Verfassung geschildert werden und behauptet wird, während der Regierung der Unidad Popular seien über 100 Menschen durch politische Gewaltakte ums Leben gekommen. Während nach Angaben der Junta bis Mitte Oktober 1973 durch den Putsch 450 Zivilisten sowie 40 Soldaten und Polizisten getötet worden sein sollen, liegen über die Zahl der politischen Morde unter Allende noch keine exakten Angaben vor. Unter der Unidad Popular kam es zu systematischen Verletzungen der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte durch den Staat, aber nicht zu Tortur und Mord - im scharfen Gegensatz zur Militärdiktatur.

Abschaffung der Demokratie

Sämtliche staatlichen Institutionen in ganz Chile waren binnen Stunden vom Militär besetzt. Pinochet setzte die Verfassung sofort außer Kraft, löste den Kongress auf, ordnete eine strenge Zensur an und verbot alle politischen Parteien. Bei symbolischen Bücherverbrennungen wurden beispielsweise Bücher über Cubismo (Kubismus) verbrannt, weil man dachte, es seien Bücher über Kuba. Die USA erkennt die Militär-Junta nach zwei Wochen an.

Internationale Reaktion

Gegen diese Menschenrechtsverletzungen erhoben sich auf der einen Seite Proteste von vielen Menschen in den Industrieländern, auf der anderen Seite kommentierte der ehemalige CDU Generalsekretär Bruno Heck die Situation in dem Gefangenlagern mit den Worten: "Bei sonnigem Wetter ist das Leben im Stadion recht angenehm." [10]

Literatur

  • Trabitzsch, Michael: Der letzte Tag des Salvador Allende (Film, D, 2004, 80 Min.)
  • Verdugo, Patricia: Comó La Casa Blanca Provocó Su Muerte. 2. Auflage. Catalonia Libros, Santiago - Chile 2003, ISBN 956-8303-00-6 (auf Spanisch).

Quellen

  1. Mitarbeiter des Auswärtigen Amts unter Allendes Regierung, musste ins Exil, Minister der Regierungen von Frei und Lagos, Generalsekretär der OAS. Siehe in Wikipedia auf Spanisch: José Miguel Insulza
  2. El Mercurio, 14. Dezember 2006: "[Insulza] precisó que cuando se recuerda el golpe de 1973 normalmente se tiene la idea de que "el país marchaba en plena alegría y entusiasmo en la dirección del socialismo". "Eso no es así. Éramos una sociedad profundamente dividida y el gobierno estaba en minoría", afirmó, agregando que si bien "una cantidad importante de la mayoría opositora no quería esa clase de golpe, la mayoría estaba en contra del gobierno. Ésa era la realidad". Siehe auch die Diskussion zu dieser Seite.
  3. La Nación, 12. Dezember 2006: "En la coyuntura dramática de 1973, el régimen democrático no tuvo suficientes defensores. La izquierda allendista, prisionera de la superstición revolucionaria, miraba con desdén las instituciones democráticas y tendía a desvalorizarlas como “burguesas”, con lo que daba a entender que, en cuanto fuera posible, los revolucionarios intentarían poner las bases de un régimen superior." "La dinámica generada por la prédica de una forma de socialismo que necesariamente tenía que ser vista como amenaza por el empresariado y las capas medias –y de la cual eran un anticipo las expropiaciones de industrias y tierras-, generó las condiciones para que creciera en la oposición la idea de pasar por encima de las instituciones." "Porque la defensa de las reglas democráticas no era esencial para el objetivo de hacer la revolución, por parte de la UP, ni para el objetivo de impedirla a cualquier precio, por parte de sus adversarios." Siehe auch die Diskussion zu dieser Seite.
  4. Die vom Juristen Novoa erarbeitete sog. "teoría del resquicio legal", d.h., Theorie der gesetzlichen Schlupflöcher, nützte Gesetze der sog. Chilenischen sozialistischen Republik aus 1932 aus, die in Vergessenheit geraten waren. Novoa hat Gesetze wiederentdeckt, die besagten, dass ein nicht mehr produzierendes Unternehmen enteignet werden durfte. Allendes Regierung begünstigte oder inszenierte Streiks in den Betrieben, so dass die Produktion zwangsläufig zum Stillstand kam. Danach erklärte die Regierung, der Tatbestand der Gesetze aus 1932 sei erfüllt und somit sei eine Enteignung rechtfertigt. Dies bedeutete nicht nur eine Aushöhlung des Rechtsstaates, sondern auch eine Verletzung der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte der rechtmäßigen Eigentümer.
  5. Eines der bedeutendsten Beispiele ist | Carlos Altamirano, Generalsekretär der Sozialistischen Partei während der UP und wohl der unnachgiebigste Politiker der Zeit, dessen Motto "avanzar sin transar" war, d.h., vorschreiten ohne nachzugeben.
  6. NZZ: Pinochet – Massenmörder oder Chiles Retter?, abgerufen am 11. Dezember 2006
  7. Übersetzung von Benutzer:Prissantenbär nach dem spanischen Original [1]
  8. Abschlussbericht der Valech-Kommission zur Folter in Chile (spanisch), besonders S. 351 [2] (PDF, 1,2 MB).
  9. Detlef Nolte: Staatsterrorismus in Chile
  10. Michael Kraus: Der andere 11. September - Der faschistische Putsch gegen die Regierung Allende am 11.09.1973. ATTAC, abgerufen am 25. Oktober 2006