HIV-Prozess in Libyen

Gerichtsprozess
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Im sogenannten HIV-Prozess in Libyen sind fünf bulgarische Krankenschwestern (Kristijana Waltschewa, Nasja Nenowa, Walentina Siropulo, Walja Tscherwenjaschka und Sneschana Dimitrowa) und der palästinensische Arzt Aschraf al-Hajuj folgender Verbrechen angeklagt:

  • Landesverrat
  • 426 libysche Kinder im Kinderkrankenhaus „Al-Fatich“ in Banghazi vorsätzlich mit HIV infiziert zu haben
  • Tötung von Menschen auf libyschem Territorium
  • Teilnahme an einer Verschwörung und kollektive Planung zur Begehung von Verbrechen
  • Handlungen, die den Normen und Traditionen in Libyen widersprechen (Ehebruch, illegaler Devisenhandel, einschließlich Herstellung, Verbreitung und Gebrauch von Alkohol)

Auf Verschwörung und Mord steht in Libyen die Todesstrafe.

Andere Bezeichnungen der Verfahren in der internationalen Presse: „Aids-Prozess in Tripolis“, „AIDS scandal in Libya“ (engl. für „Aidsskandal in Libyen“), „the Benghazi Six“ (engl. für „Die 6 von Bengasi“).

Vorgeschichte

Die Krankenschwestern Kristijana Waltschewa, Nasja Nenowa, Walentina Siropulo, Walja Tscherwenjaschka und Sneschana Dimitrowa sowie der Arzt Aschraf al-Hajuj kamen 1998 nach Libyen, um Patienten der Pädiatrie in Banghazi zu helfen.

In der Abteilung gab es eine regelrechte HIV-Epidemie, in der nach libyschen Angaben 393 Kinder infiziert wurden, etwa 40 seien schon an den Folgen von Aids gestorben. Die Ursachen dafür sollen in dem Prozess geklärt werden: Während einerseits der Verdacht erhoben wurde, dies sei mit Absicht geschehen, verweisen andere auf die hygienischen Verhältnisse des Krankenhauses.

Als Motiv für die Täter gelten den Vertretern der Theorie einer absichtlichen Infektion Rachegelüste des palästinensischen Arztes gegenüber den Libyern. Die Bulgarinnen seien schlicht bestochen worden. Die Vertreter der Verteidigung verweisen darauf, dass die Epidemie schon vor Eintreffen der Verdächtigten begonnen habe.

Im Prozess wurde auch der bulgarische Arzt Dr. Zdrawko Georgiew des illegalen Devisenhandels angeklagt. Die Anklage gegen ihn wurde erhoben, nachdem er wegen der Verhaftung seiner Frau - Kristina Waltschewa - nach Libyen gereist war. Zdrawko Georgiew wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Beendigung der Haftstrafe befindet er sich zur Zeit noch in Libyen und wartet auf eine Ausreiseerlaubnis.

Geschichte der Verfahren

Verfahren 44/1999 vom Landesgericht in Libyen

(7. - 17. Februar 2000) Der Prozess begann ohne Konsultation der bulgarischen Botschaft. Aus Mangel an Beweisen, die für eine Verschwörung gegen den Staat sprachen, wurde der Prozess eingestellt.

Der Prozess begann mit einem Geständnis einiger Angeklagter (al-Hajuj, Waltschewa und Siropulo - angeblich unter Folter [1] - Elektroschocks und Schlägen). Die Anklage stützte sich auf die These des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi, derzufolge eine Verschwörung vorliegt, die von der CIA und dem israelischen Geheimdienst Mossad gesteuert wurde. Während des Prozesses gaben die Mediziner an, dass sie durch Folterungen und Demütigungen zu Geständnissen gezwungen worden seien. Die These von Muammar al-Gaddafi wurde von der internationalen Presse für absurd erklärt.

Verfahren 213/2002 vor dem Strafgericht in Benghazi

(8. Juli 2003 - ... 2004) Libyen zieht die Anklage, dass die Mediziner im Auftrag des CIA und des israelischen Geheimdienstes gehandelt haben, zurück und erhebt eine neue Anklage: Die Angeklagten sollen Kinder mit Mutationen des HI-Virus infiziert und illegal Medikamente ausprobiert haben.

Während des Prozesses wurden als Experten Professor Luc Montagnier, Entdecker des HI-Virus, und Professor Vitorio Colizzi als Gutachter gehört. Die Gutachter geben die hygienischen Zustände im Krankenhaus als die wahrscheinlichste Ursache der HIV-Ansteckung an und datieren die Infektion auf einen Zeitpunkt vor Ankunft der Angeklagten. Nach der Sitzung veröffentlicht der britische Sender BBC eine Reportage über die Entwicklung des Prozesses mit dem Titel „Die bulgarischen Mediziner haben HIV nicht verbreitet.“

Verfahren 607/2003 vor dem Strafgericht in Benghazi

(... - 6. Mai 2004) Die fünf bulgarischen Krankenschwestern und der palästinensische Arzt werden vom Strafgericht der vorsätzlichen Infizierung von 369 Kindern mit HIV schuldig gesprochen und zum Tod durch Erschießen verurteilt. Dr. Zdrawko Georgiew wird zu vier Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe wegen illegalem Devisenhandel verurteilt. Das Gericht verpflichtet Aschraf al-Hajuj, Kristijana Waltschewa und Nasja Nenowa den Eltern der libyschen Kinder Schmerzensgeld zu zahlen. Alle neun libyschen Mitangeklagten werden freigesprochen.

Im Januar 2004 empfiehlt die Europäische Union Libyen in einem Brief, der von den Botschaftern der Niederlande und Großbritanniens in Libyen eingereicht wurde, die Anklagen gegen die Mediziner zurückzuziehen. Amnesty International, das amerikanische Außenministerium und andere internationale Organisationen drückten ihre tiefe Besorgnis über das Gerichtsverfahren aus. Die bulgarische Regierung erklärt dieses Urteil für absurd und setzt sich für eine Befreiung der Mediziner ein.

Verfahren vor dem Obersten Gericht in Tripolis

Unter der Vermittlung der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten haben sich Bulgarien und Libyen im Dezember 2005 darauf geeinigt, einen Fonds für AIDS-infizierte Kinder einzurichten.

Einige Tage später (25. Dezember 2005) wurde das Todesurteil vom Obersten Gerichtshof in Libyen aufgehoben, und das Verfahren wurde neu aufgerollt.

Neuer Prozess 2006 und erneutes Todesurteil

Am 11. Mai 2006 begann in Tripolis ein neues Verfahren. Es endete am 19. Dezember 2006 mit einem erneuten Todesurteil.

Die internationale Presse über den Prozess

Die internationale Presse widmet mit einzelnen Ausnahmen den Prozessen keine große Aufmerksamkeit. Zumeist wird die Meinung vertreten, die Angeklagten trügen die Rolle eines Sündenbocks für die HIV-Epidemie. Die libysche und ein Teil der arabischen Presse gehen von einem fairen Prozess aus. In der gesamten bulgarischen Presse werden die Prozesse ohne Ausnahmen für absurd erklärt.

Bulgarische Initiative

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Solidaritäts- schleife, analog zur AIDS-Schleife

Eine internationale Initiative namens Ne ste sami (Не сте сами) [2] soll zur Rettung der bulgarischen Krankenschwestern sowie des palästinensischen Arztes beitragen. Das Symbol der Intitiative ist eine Schleife in den Farben der bulgarischen Fahne mit der Aufschrift „IHR SEID NICHT ALLEIN“ auf bulgarisch und englisch. Die Intiative wird von fast allen bulgarischen Fernseh-, Radio-, Print- und Internetmedien getragen.

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Web-Banner der Initiative

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