Jesus von Nazaret

aramäischer Wanderprediger
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Jesus von Nazareth war ein Jude aus Galiläa, der in der Zeit zwischen 29-33 n. Chr. im Gebiet des heutigen Israel öffentlich predigte, heilte und lehrte, bis er von der römischen Besatzungsmacht als Messiasanwärter gekreuzigt wurde. Er ist aufgrund der Auferstehungsvisionen von einigen seiner Jünger als Heilsmittler erkannt worden und hat eine neue Religion ausgelöst: das Christentum. Dort heißt er "Jesus Christus", womit seine zentrale Rolle als Erlöser bekannt wird.

Giotto, Jesus vertreibt die Händler aus dem Tempel

Der Name

"Jesus aus Nazareth ist der Christus"

  • "Jesus" ist die latinisierte Form des griechischen Ιησους. Dieses übersetzt seinerseits den hebräischen Vornamen Jeschua, auch Jehoschua oder Josua. So hieß der Nachfolger des Mose.
  • "Jehoschua" verbindet "Je" (Präfix von JHWH, dem Gottesnamen) und "Hoshea" (Rettung, Heil, vgl. Hosea). "Jesus" heißt also auf Hebräisch: "Gott-Retter" oder als Satz: "Gott rettet". Dieser männliche Vorname war zu Lebzeiten Jesu unter Juden weit verbreitet. - Jüdische Jungen wurden in der Regel nach ihrem Vater genannt: Dann hätte Jesus Jehoschua ben Joseph geheißen. Einen sicheren Beleg dafür bietet das Neue Testament (von nun an: NT) nicht. Lk. 4, 22 nennt "Josephs Sohn" ohne Vornamen und betont damit den Kontrast der Umweltmeinung zur Jungfrauengeburt (Lk. 3, 23). Jh. 1, 45 betont mit "Jesus, Josephs Sohn aus Nazareth" seine Abstammung von David. Die früheren Versionen (Mk. 6, 3/Mt. 13, 55) nennen ihn dagegen "Sohn der Maria".
  • "von Nazareth" gibt seine Herkunft an (Mk. 1, 9): den Wohnsitz seiner Familie (Lk. 2, 4), eventuell auch den Geburtsort (Lk. 1, 26). Da der Namenszusatz "Nazarenus" im NT mit "Nazoraios" variiert wird (Jh. 19, 19), sind andere Deutungen möglich (s.u.).
  • "Christus" ist die latinisierte Form des griechischen Χριστος. Dieses übersetzt wiederum das hebräische "maschiach", deutsch "der Gesalbte". Es handelt sich um einen Ehrentitel für Könige und Hohepriester, später reserviert für den zukünftigen König der Heilszeit, den Messias.
  • "Jesus Christus" verbindet also einen jüdischen Vornamen mit einem griechischen Titel. Das ist ein griechischer Nominalsatz: "Jesus ist der Christus". So drückt dieser Name in Kurzform das christliche Glaubensbekenntnis aus: "Dieser Jesus (der aus Nazareth kam) ist der Retter."

Deklination. Der Name "Jesus Christus" wird im traditionell kirchlichen Gebrauch lateinisch dekliniert:

Nominativ: Jesus Christus

Genitiv: Jesu Christi

Dativ: Jesu Christo

Akkusativ: Jesum Christum

Ablativ: Jesu Christo

Die Endsilbenvokale sind zum Teil verschieden, weil "Jesus" auf Latein der u-Deklination, "Christus" der o-Deklination angehört.

Das Christentum entstand, als Griechisch die allgemein anerkannte Verkehrssprache war. Daher übertrugen sich die griechischen Namensformen in andere Sprachen, nicht aber die hebräischen. Nachdem sich Juden- und Christentum getrennt hatten, wurde der Name "Je(ho)shua" im Judentum nur noch selten verwendet.

Nazarener, Nazoräer oder Nasiräer?

Die Bedeutung des Zusatzes "Nazarenus" ist umstritten. Er kann die Herkunft aus Nazareth in Galilea bezeichnen. Er kann aber auch von "Nazoräer" oder "Nasiräer" abgeleitet sein.

"Nazoraios" bezeichnet keinen Ort, sondern eine Lehrtätigkeit. Ein "Rabbi" war auch ein Schriftlehrer. So hießen Talmudlehrer früher "Amoraios", später "Saboraios", Mischnalehrer "Tanojaios". "Nazoraios" nannten sich die Mandäer wohl wegen ihrer Taufriten. Aber auch Christen wurden zuerst so genannt (Apg. 24, 5).

Dass Jesus Nazoräer genannt wird (Jh. 19, 19), könnte daher an seine frühere Zugehörigkeit zu den Jüngern des Täufers Johannes erinnern. Diese sahen Jesus zuerst als einen der ihren, später aber als Lügen-propheten an. Vielleicht haben die Evangelisten den "Nazoräer" daraufhin bewusst oder irrtümlich zum "Nazarener" gemacht (P. Lidzbarski).

So sagt Mt. 2, 23: "(Josef) kam und wohnte in der Stadt, die Nazareth heißt, damit erfüllt würde, was die Propheten gesagt haben: Er soll Nazarener heißen." Eine solche Verheißung ist aber im Alten Testament (von nun an: AT) nicht zu finden.

Ein Nasiräer dagegen ist Jesus wohl nie gewesen: Diese Gruppe schwor einen Eid, keinen Alkohol zu trinken, sich keiner Leiche und keinem Grab zu nähern. Jesus hat all das im Verlauf seines Wirkens getan und jeden Eid abgelehnt (Mt. 5, 33ff).

Der historische Jesus

Zum Charakter der Evangelien

Historische Informationen über Jesus von Nazareth stammen fast alle aus dem NT der Bibel: insbesondere aus den Evangelien, einer besonderen Literaturgattung im antiken Raum.

Die Evangelien sind Glaubenszeugnisse, keine Augenzeugen- oder Tatsachenberichte: Sie wollen Jesus als wiederkommenden Christus verkünden, indem sie seine Geschichte deutend nacherzählen. Dabei legen sie auf exakt nachprüfbare Fakten wenig Wert, sei es, weil diese unbekannt waren (z.B. Jesu Geburtsdatum), sei es wegen übergeordneter Verkündigungs-, Missions- und Lehrabsichten.

Erst die Neuzeit hat einen Begriff von historischer Objektivität entwickelt, dessen Anspruch die Glaubensdokumente des NT kaum genügen können noch wollen. Daraus ergibt sich das methodische Problem, "historische" von "geglaubten" Tatsachen zu unterscheiden.

200 Jahre intensive historische NT-Forschung hat jeden Satz und jedes Wort gedreht und gewendet, jede denkbare Hypothese erwogen, alles bis hin zur Existenz Jesu bezweifelt oder in großartige spekulative Theorien eingeordnet (siehe Teil 3).

Doch inzwischen lautet der Minimalkonsens: Es gab Jesus wirklich, und einige Daten seines Lebens und Sterbens sind relativ gewiss. Dazu gehört auch, wer er selbst sein und was er tun wollte. Um das zu erkennen, muss man nicht an Jesus als den Christus glauben.

Aber man darf es! Denn das ganze NT sieht Jesus von seiner Auferstehung her. Es geht davon aus, dass Gott ihn tatsächlich auferweckt hat (Mk. 16, 6). Das lässt sich nur als glaubwürdig nahe legen, wenn man bereits daran glaubt. Deshalb gehört eine Analyse der Ostertexte nicht zum Artikel über den historischen Jesus, sondern zu seiner theologischen Deutung (siehe Teil 4).

Die Evangelien entstanden zwischen 60 und 120 n. Chr.: Jesu Tod lag also schon mindestens 30 Jahre zurück. Sie enthalten aber ältere schriftliche und mündliche Tradition, etwa aus einer Logienquelle und einem frühen Passionsbericht aus Jerusalem (s.u.). Deren älteste Anteile können aus Jüngerkreisen stammen, die Jesus zu Lebzeiten kannten und folgten.

Zwar wurde fast alles, was wir von Jesus wissen können, von gläubigen Christen überliefert: Doch diese waren zugleich fast alle Juden und darin geübt, ihren Traditionen treu zu sein. Für übertriebene Skepsis besteht daher kein Grund - allerdings ebenso wenig für kritiklose und ahistorische Betrachtungsweisen.

Lebensdauer

Historische Bezüge im NT deuten darauf hin, dass Jesus zwischen 7 und 4 v. Chr. geboren, zwischen 30 bis 33 n. Chr. gekreuzigt wurde. Die Erzählungen der Evangelien erstrecken sich, abgesehen von den Geburts- und Jugendtexten, etwa auf die Zeit vom 30. Lebensjahr Jesu bis zu seinem Tod mit etwa 33 Jahren.

Geburt

Seriöse Historiker beurteilen die Geburtsgeschichten weitgehend als Legenden. Diese wollen bestimmte theologische Aussagen über Jesus machen und stellen ihn dazu in den Rahmen der biblischen Erwartungen. So ist z.B. der Kindermord des Herodes (Mt. 2, 13) historisch nicht belegt. Er setzt Jesus in Beziehung zum Kindermord des ägyptischen Pharao, der Israels Exodus vorausging (Ex. 1, 22): Damit wird die Person Jesus als der Befreier Israels dargestellt.

Das Lukas- und Matthäusevangelium legen nahe, dass Jesu Geburt und frühe Kindheit in Bethlehem stattfand. Damit sollte offenbar Jesu Abstammung von David und seine Messiaswürde belegt werden (Mt. 2, 6/ Mi. 5, 1). Darum halten es viele Historiker für wahrscheinlicher, dass Jesus in Nazareth (Mk. 1, 9), dem Wohnort seiner Familie (Mk. 6, 1), oder in Kapharnaum, dem Ort seines ersten und wiederholten Auftretens (Mk. 1, 21) geboren wurde.

Sprache

Jesus war Jude und sprach im Alltag aramäisch, die Muttersprache eines galiläischen Juden jener Zeit. Als Rabbi konnte er wahrscheinlich auch hebräisch. Es ist umstritten, ob er auch griechisch, die damalige Verkehrssprache (siehe: Koiné) beherrschte. Die hebräische Bibel war bereits ins Griechische übersetzt (LXX). Doch wahrscheinlich wurde sie nur von hellenistisch geprägten vornehmen Juden so gelesen, nicht aber in den Synagogen Galiläas, wo Jesus zuerst auftrat.

Babylonier und Perser übernahmen das Aramäische oder Syrische Jahrhunderte früher von den Assyrern und führten es in ihrem Großreich ein, um alle eroberten Gebiete zu einen. Sie versuchten, deren Völkern mit ihrer Sprache ihre religiösen Traditionen und damit ihre Identität zu rauben.

Bie der Suche nach "echten" Jesusworten ist ein wichtiges Kriterium, dass sich griechische Ausdrücke und Wendungen ins Hebräische und Aramäische zurück übersetzen lassen (J. Jeremias). Einzelworte, die Jesus zugeschrieben werden, können aber nur im Gesamtkontext seines Wirkens als "echt" oder "unecht" beurteilt werden. Hier sind seine Zeichenhandlungen und die damit verbundenen Bezüge auf die hebräische Bibel wichtig.

Jugend, Ausbildung und Beruf

In seiner Jugendzeit kam Jesus wohl mit dem Pharisäismus in Berührung. Er soll sich sehr früh gut in der Bibel ausgekannt haben (Lk. 2, 46f). Jesus verfügte in der Tat über gute Schriftkenntnisse und verwendete in seinen Thorapredigten und Gleichnissen einen rabbinischen Argumentationsstil. Das macht es wahrscheinlich, dass er eine rabbinische Ausbildung genoss. Seine ersten Jünger nannten ihn "Rabbuni" (aramäisch Meister, Lehrer), und seine späteren Lehren weisen einige Ähnlichkeiten zu Pharisäerschulen auf, etwa zu der des Rabbi Hillel (Heilen am Sabbat Mk. 2-3, Betonung der Nächstenliebe als Zentralgebot Mk. 12, 28ff).

Ein Rabbi lebte nicht vom Lehren, sondern übte ein gewöhnliches Handwerk zum Lebensunterhalt aus. Jesus lernte den Beruf des Zimmermanns oder richtiger: Bauhandwerkers, den auch sein Vater Josef ausübte (Mk. 6, 3).

Familie

Die Quellen erwähnen einige Verwandte Jesu, namentlich vier Brüder (Mk. 6, 3): Jakobus, Joses (Josef? Mt 13, 55), Judas, Simon. Der dort verwendete Begriff "Brüder" kann im biblischen Umfeld aber auch - zumindest "vereinzelt bei lockerem Sprachgebrauch" - andere männliche Verwandte bezeichnen. Ähnliches gilt, wenn auch seltener belegt, bei "Schwestern" (W. Bauer). Jesus hatte auch Schwestern, deren Namen jedoch verschollen sind.

Nach den Evangelien war Jesu Verhältnis zu seinen Verwandten anfangs sehr gespannt. Offenbar versuchten sie mehrfach, sich zwischen ihn und seine Aufgabe zu stellen und ihn vom Predigen und Heilen abzuhalten. Sie hielten ihn für verrückt: "Er ist von Sinnen!" (Mk. 3, 20f). In einer solchen Situation fragte er seine Zuhörer (Mk. 3, 31-35):

"Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er schaute auf die, die rings um ihn saßen und sagte: Siehe, ihr seid meine Mutter und meine Brüder! Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter."

Diese Aussage zeigt, dass Jesus eine andere Auffassung des Willens Gottes hatte als das traditionelle Judentum. Dort war gerade die Achtung gegenüber den Eltern (das 4. Gebot) zentral.

Jesus erfuhr darum Ablehnung in Nazareth, wo man ihn kannte (Mk. 6, 1-6):

"Ist das nicht der Bauhandwerker, Marias Sohn...? Und sie waren verärgert über ihn. Jesus aber sagte zu ihnen: Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seiner Heimat, bei seiner Sippe und in seinem Ort."

Zum Ruf in die Nachfolge gehörte das Aufgeben der familiären Bindungen. Andererseits sorgten gerade Frauen aus Jesu näherer Umgebung für ihn und die übrigen Männer (Mk. 1, 31) auf ihrem Weg. Sie blieben bis zum Ende bei ihm (Mk. 15, 41).

Nach Johannes gehörte auch Jesu Mutter dazu. Er soll sich sogar noch am Kreuz hängend um ihre Altersversorgung gekümmert und sie getröstet haben (Jh. 19, 26f):

"Als nun Jesus seine Mutter sah und den Jünger dabei stehen, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Weib, siehe, dein Sohn! Darauf spricht er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich."

Mitglieder seiner Familie gehörten zu den ersten Christen. Sein ältester Bruder Jakobus wurde sogar einer der Leiter der Urgemeinde (Gal. 2, 9). Doch dieses Ansehen erwarb er sich erst nach Ostern, daher sagt das wenig über Jesu Verhältnis zu ihm vor Ostern.

Jordantaufe

Alle Evangelien stimmen darin überein: Jesu Auftreten begann nach seiner Taufe im Jordan durch Johannes den Täufer. Alle gestalten die Taufe Jesu als das Ereignis aus, bei dem Gott ihn zu seinem Sohn erwählt und seinen Geist auf ihn gesandt habe.

Johannes war ein Bußprediger, der als Wüstenasket zurückgezogen lebte. Er trug einen Kamelhaarmantel und aß Heuschrecken und wilden Honig (Mk. 1, 4). Vielleicht stand er der Sekte der Essener nahe. Er predigte die bevorstehende radikale Wende der Endzeit und rief das ganze Volk Israel zur Umkehr: Damit griff er auf die Zukunftserwartung (Eschatologie) der jüdischen Prophetie und Apokalyptik zurück. Das Tauchbad im Jordan sollte die Rettung der Getauften aus dem Endgericht realsymbolisch vorwegnehmen. Darauf geht die spätere christliche Taufe zurück.

Jesu historisches Verhältnis zum Täufer ist ambivalent. Es gab offenbar eine Nähe, aber auch Konkurrenz zwischen Johannes- und Jesusgruppen (Jh. 4, 1). Die Mandäer sahen in Jesus später - wohl nachdem dieser eigene Jünger berief, verschärft nach der Enthauptung des Täufers - einen Lügenpropheten. Die Evangelien dagegen sehen im Täufer den letzten Propheten des Alten Bundes, den Vorläufer der Ankunft des Messias.

Jesus ließ sich taufen, hat aber nach den älteren Evangelien selbst niemand getauft. Ob die Episode Jh. 3, 22-36 echte Erinnerung an seine frühere Tauftätigkeit spiegelt, ist umstritten. Jedenfalls übernahm Jesus den apokalyptischen (endgültigen) Umkehrruf von Johannes, grenzte sich aber deutlich von dessen strenger "Reinheit" ab: Er pflegte die Tischgemeinschaft mit "Unreinen" und lehnte die Askese für seine Jünger ausdrücklich ab (Mk. 2, 16-19).

Reich-Gottes-Verkündigung

Nach dem ältesten Evangelium des Markus begann Jesus nach der Festnahme des Täufers durch die Dörfer Galiläas zu ziehen (Mk. 1, 14). Dabei scharte er eine stetig wachsende Gruppe von Anhängerinnen und Anhängern um sich. Von Beginn an gehörten Frauen dazu (Mk. 1, 31).

Zentrales Thema von Jesu Reden und Wirken war wie für Johannes die endzeitliche Wende, der unmittelbar bevorstehende Anbruch des "Reiches Gottes", das in der Prophetie Israels seit dem Exil eine zentrale Rolle spielt. Aber anders als andere Wanderprediger seiner Zeit war Jesus, soweit bekannt, der einzige, der behauptete, dass dieses Reich schon punktuell angebrochen sei (Lk. 11, 20): und zwar in seinem eigenen heilsamen Handeln (Mt. 11, 2ff/Lk. 7, 18ff).

Jesus bezog sich dabei vor allem auf Heilsansagen der exilisch-nachexilischen Propheten Deuterojesaja (Jes. 40-55) und Tritojesaja (Jes. 56-66, ab etwa 530 v. Chr.). Er bezog diese auf das Volk der Bettelarmen (Lk. 6, 20/ Mt. 5, 1). Deren Befreiung sah Jesus als seine ihm von Gott aufgetragene Mission an (Lk. 4, 17-21).

Die große Bevölkerungsmehrheit war damals sehr arm, täglich von Hunger, römischer Gewalt und sozialem Absturz bedroht. Steuern für Rom, Opferzwang und Tempelsteuer, Arbeitsmangel, Schuldversklavung und Epidemien lasteten auf dem Volk. Jüdische Steuereintreiber ("Zöllner") fanden selbst oft nur ein Auskommen, wenn sie ihre Landsleute betrogen.

Jesus versprach den Armen den Landbesitz (Mt. 5, 5) und das "Gnadenjahr" der gerechten Bodenreform (Lk. 4, 19f, vgl. 3. Mose 25/5. Mose 15). Dem entsprach seine Forderung an einen Großgrundbesitzer, all seinen Besitz aufzugeben, den Armen zu schenken und Jesus nachzufolgen (Mk. 10, 17-27). So erneuerte er die jüdische Zukunftserwartung einer umfassenden revolutionären Veränderung zu Gunsten der Besitz- und Rechtlosen.

Heiltätigkeit

Jesus betonte in seiner Verkündigung das Zentralgebot der Nächstenliebe und realisierte es mit seiner lebensrettenden Heiltätigkeit für Kranke und Randgruppen, die nach geltender Thoraauslegung gemieden wurden und so häufig zum Tod verurteilt waren (A. Holl). Das verband ihn mit reformorientierten Pharisäern.

Aber anders als sie trieb Jesus "Dämonen" aus, d.h. er heilte auch für unheilbar gehaltene Krankheiten. Bezieht man Textmotive auf moderne Krankheitsbilder, dann heilte Jesus u.a. Lepra, grauen Star, Epilepsie, Schizophrenie. Doch hier muss man berücksichtigen: Heilwunder werden in der antiken Umwelt oft berichtet. In Israel aber galten besondere Kräfte schnell als Teufelei. Seine "Vollmacht" brachte Jesus nicht nur Sympathie, sondern auch Neid, Abwehr, Feindschaft ein.

Thoraauslegung

Jesus verstand sein Wirken als Sendung Gottes zu denen, die nach den geltenden religiösen Gesetzen von Gottes Reich ausgeschlossen waren (Mk. 2, 17):

"Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten."

Die "Sünder" waren z.B. Steuereintreiber, die ihre Landsleute übervorteilten, um gut leben zu können. Sie wurden daher gehasst, verachtet und gemieden. Jesu Tischgemeinschaft mit ihnen gab ihnen vorweg Anteil am Reich Gottes, befreite sie vom Unrechttun und veranlasste sie zur Rückgabe des geraubten Gutes (Lk. 19, 1-10).

Jesu erste Adresse waren aber die Armen, nicht den Reichen. So beginnt die Bergrede mit den Makarismen (Heilszusagen) an das verarmte, Unrecht und Not leidende Volk . Sie legen das 1. Gebot (Ex. 20, 2) prophetisch aus. Gott ist der Befreier der Sklaven: Darum gehört sein Reich den Armen schon jetzt, und auch die Erde wird ihnen gehören (Mt. 5, 3-11)!

Darauf folgt die Erinnerung an Israels Auftrag, Licht der Völker zu sein (5, 14-16/ Jes. 42, 6), also die Thora vorbildlich zu erfüllen. Der Evangelist betont demgemäß, dass Jesus die Thora bis ins Kleinste erfüllen, nicht aufheben wollte und Christen die Juden darin übertreffen sollen (Mt. 5, 17-20).

Ob Jesus selbst das so sah, ist umstritten. Wie er die Thora auslegte, zeigen die folgenden "Antithesen" (von Matthäus zusammengestellte Thora-Predigten). Sie beziehen sich auf das 5., 6., 10., indirekt auch auf das 2. und 8. Gebot des Dekalogs (Ex. 20, 2-17) sowie die Talionsformel (Ex. 21, 24).

Jesus verschärft das Gebot "Morde nicht", indem er schon den Hass auf andere als todeswürdig kennzeichnet und unter Gottes Gericht stellt. Ebenso verschärft er das Gebot "Brich die Ehe nicht" für den jüdischen Mann, indem er schon das Begehren einer anderen Frau als Ehebruch kennzeichnet. Er lehnt jeden Eid als Missbrauch des Gottesnamens und Lüge ab. Er bezieht Israels Feinde in die Nächstenliebe ein und stellt Gottes Schöpfungstreue gegen das Vergeltungsrecht (Mt. 5, 21-48). Er sieht das Anhäufen von Besitz als Bruch des 1. Gebots (Mt. 6, 19f.24) und fordert Landeigentümer zur Besitzaufgabe zu Gunsten der Armen auf (Mk. 10, 17-27).

Hinter dieser Thoradeutung stehen die damaligen Verhältnisse: Gerichte waren in römischer und sadduzäischer Hand, Rechtsbeistand konnten Arme dort kaum erwarten, Hass auf Ausbeuter griff um sich. Männer durften fremdgehen, erwarteten aber zugleich unberührte Ehefrauen. Oft entrechteten sie diese dann, indem sie sie verstießen. Die Besatzer benutzten Juden als Lastesel und schlugen die, die sich weigerten. Verschuldung und Enteignung bedrohte die Existenz der Armen.

Jesus nennt diese Lage "das Böse" (Mt. 5, 39), rät aber dazu, auf Gegengewalt zu verzichten und die Feinde mit freiwilligem Entgegenkommen zu demütigen, um sie zu "ent-feinden". Er wollte die Ursachen der Not angreifen und Gottes Reich auch Ausländern verkünden. Er wollte keine Strafen erhöhen, sondern im Gegenteil das Verurteilen und Verdammen anderer zum Tode aufdecken und überwinden, um Gottes Volk als Ganzes vor Krieg und Untergang zu retten (Mt. 7, 1-6): "Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!"

Gerade weil Jesus das 1. Gebot über alles stellte, hob er die Reinheitsgesetze ganz (Mk. 7, 1-22) und die Kultgesetze teilweise auf. Die Versöhnung mit dem Bruder und das Segnen der Feinde (Mt. 5, 23f.44) geht dem Opfern im Tempel voraus, weil die Nächstenliebe gleichrangig mit der Gottesfurcht ist (Mk. 12, 28-34): Das war Jesu Maßstab, und in diesem Sinne hat er Israels Thora tatsächlich erfüllt.

Anhänger

Von Beginn seines Auftretens an gewann Jesus Nachfolger. Die Berufungstexte zeigen, dass der Ruf in die Nachfolge mit dem "Verlassen" von Beruf, Familie, Besitz unlösbar verbunden war (Mk. 10, 28-31).

Was über die damalige ökonomische Lage der Juden in Palästina bekannt ist, legt jedoch nahe, dass da nicht viel war, was man verlassen konnte. Vielmehr spiegeln die Texte umgekehrt die Verhältnisse, unter denen auch Jesu Jünger zu leiden hatten. Ihre Gefahr war nicht das Festhalten von Besitz, sondern vielmehr das Aufgeben ihrer Mission zu Gunsten eines gesicherten Existenzminimums (Mt. 6, 25-33). Insofern war die von Jesus geforderte Besitzlosigkeit seiner Anhänger nur Ausdruck der weit verbreiteten Lebensumstände (G. Theißen).

Frühe Stoffe der Logienquelle zeigen: Die Jesusanhänger zogen mittel- und waffenlos umher (Mt. 10, 5-15). Ihre Aufgabe war, genau wie Jesus selbst das Reich Gottes zu verkünden, Kranke zu heilen, Dämonen auszutreiben, sogar Tote zu erwecken, und vor allem: Gottes Segen weiterzugeben. Beim Betreten eines Hauses grüßten sie mit dem Friedensgruß "Shalom": Damit stand dieses Haus unter Gottes Schutz. Waren sie nicht willkommen, dann verließen sie den Ort, reinigten sich von dessen Staub und überließen ihn Gottes Gericht, ohne zurück zu kehren.

Dass diese Wanderbettler vom Hungertod bedroht waren, zeigt die Episode Mk. 2, 23-27: Jesu Jünger lasen Ähren von abgeernteten Feldern auf, sogar am Sabbat. Jesus vertrat wie Hillel die Auffassung, dass der Bruch der Sabbatruhe bei Lebensgefahr schon in der Thora erlaubt sei (Mk. 3, 4).

Gegner

Jesu Heilwunder am Sabbat sollen eine Verschwörung zwischen Pharisäern und Herodianern gegen ihn ausgelöst haben (Mk. 3, 6). Doch gerade Pharisäer erlaubten Lebensrettung am Sabbat schon vor Jesus. Herodes hingegen, der von Rom eingesetzte Marionettenkönig, war nicht am Befolgen jüdischer Gesetze im Alltag interessiert und wurde deshalb gerade in Galiläa von vielen Pharisäern abgelehnt.

Dass die Evangelien Pharisäer überwiegend als Feinde Jesu darstellen, wird von einigen Interpreten mit ihrer Entstehungssituation nach 70 n. Chr. im gegenseitigen Abgrenzungsprozess von Christen und Juden begründet (Lapide).

Herodes gehörte sicher zu Jesu Feinden. Er ließ Prachtpaläste bauen, während das Volk hungerte. Nachdem er den Täufer Johannes hinrichten ließ (Mk. 6, 14-29), heißt es über die Lage des Volkes: "Sie waren wie Schafe ohne Hirten." (Mk. 6, 34)

Jesu Reich-Gottes-Verkündigung trennte ihn aber vor allem von den Sadduzäern: der vornehmen, vom Hellenismus geprägten Jerusalemer Führungsschicht, die sich auf Zadok, den Priesterkönig aus der Makkabäerzeit zurückführten. Sie waren im Hinterland weniger präsent, wachten aber auch dort über die Einhaltung der Reinheits- und Opfergesetze. Jesus setzte diese für seine Jünger komplett außer Kraft (Mk. 7, 1-23). Damit wurde ein Konflikt mit ihnen unvermeidlich.

Zug nach Jerusalem

Die Hinrichtung des Bußpredigers Johannes könnte Jesu Sendungsbewusstsein und seinen Entschluss, nach Jerusalem zu ziehen, veranlasst haben. Auch die Vorahnung seines eigenen gewaltsamen Todes kann er so gewonnen haben (Mk. 8, 31 par.).

Aber er wollte offenbar ganz Israel von Not, Krankheit und Sünde befreien und zog darum in die "Höhle des Löwen". Unterwegs folgten ihm Juden, die ihn für den wiedergeborenen Täufer, den Endzeitpropheten Elia oder sogar für den Messias hielten (Mk. 8, 27-30).

Manche Historiker meinen, Jesus sei nicht wiederholt, sondern wie die meisten armen Juden aus der Provinz nur einmal in seinem Leben nach Jerusalem gepilgert. Dann hätte er nur etwa ein Jahr öffentlich gewirkt.

Jesus traf in der Tempelstadt auf zwei mächtige, miteinander kooperierende Gruppen: die sadduzäischen Tempelpriester, die den vorfindlichen Tempelbetrieb verteidigten und von den Opfergaben des Volkes lebten, und die römischen Besatzer, die Israel kolonisierten, als Getreide- und Holzlieferanten ausbeuteten und deren Militär jeden Winkel beherrschte.

Jesus und die Zeloten

Seit den Tagen des Judas Makkabäus (ca. 170 v. Chr.) gab es in Israel eine Tradition des Widerstands gegen Fremdmächte, die Israel ihre Religion aufzwangen. Auslöser für Aufstände waren oft Königs- oder Götterstatuen, die ein Fremdherrscher im Jerusalemer Tempel aufstellen ließ. Das widersprach dem biblischen Bilderverbot als Kehrseite des 1. Gebots (Ex. 20, 2ff).

Die Religionspolitik der Römer war zunächst toleranter als die ihrer Vorgänger. Doch um 4 n. Chr. verordneten sie allen Juden eine Volkszählung, um ihre Tributpflicht zu prüfen und zu erzwingen. Der Galiläer Judas versuchte einen Boykott dagegen zu organisieren. In diesen Kontext hat der Evangelist Lukas Jesu Geburt gestellt (Lk. 2, 1).

Judas scheiterte, aber danach verübten seine Anhänger vermehrt Anschläge gegen römische Beamte und Soldaten. Andere waren weniger radikal und beschränkten sich darauf, Steuerforderungen der Römer passiv zu verweigern. Das Zahlen von Steuern an den römischen Kaiser galt als Götzendienst, da dessen Bild auf die Münzen geprägt war und er sich seit Augustus als Gott verehren ließ.

Jesus kam wie viele jüdische Befreiungskämpfer aus dem bergigen Hinterland Galiläa, dem Gebiet des früheren Nordreichs, wo die Exodus- und Widerstandstradition lebendig blieb. Doch nach den Evangelien war sein Anliegen nicht, die Römer mit Gewalt aus Israel zu vertreiben. Er hatte eine andere Grundhaltung als die Zeloten: Er lehrte, dass Israels Aufgabe sei, die Völker zu segnen, nicht zu hassen, also der ohnehin übermächtigen Gewalt nicht mit Gegengewalt zu begegnen, sondern die Feinde durch unerwartetes Entgegenkommen zu überraschen (Mt. 5, 38-48) und so zu "ent-feinden" (P. Lapide).

Am Verhalten zur Kaisersteuer erkannte man einen Zeloten. Mk. 12, 13-17 berichtet, wie Jesu Gegner ihm eine Falle stellten, um ihn als Zeloten zu überführen und an die Römer ausliefern zu können. Darauf soll Jesus gesagt haben:

"Gebt dem Kaiser, was ihm gehört, und Gott, was Gott gehört!"

Das hieß offenbar: Der Kaiser ist nicht Gott. Gebt ihm nicht, was Gott gehört: euch und euer Volk. Jesus lehnte die Steuerverweigerung also nicht ab, ordnete sie aber dem großen Ziel unter: ganz Israel und die Völker zu befreien. Denn auch er war ein "Eiferer" (zelotes) für Gottes Reich.

Darum folgten ihm auch einige Zeloten nach und erhofften sich große Dinge von ihm, als er nach Jerusalem zog: so auch sein Jünger Judas, der ihn dann - enttäuscht? - an den "Feind" verriet.

Einzug in Jerusalem

Zu jedem Passahfest strömten Massen von Festpilgern in die Hauptstadt, unter ihnen auch Jesu Anhänger. Als er den Stadtrand bei Bethfage erreichte, begrüßten sie ihn laut Markus wie einen neuen König: "Gelobt sei, der da kommt im Namen unseres Gottes! Gelobt sei das Reich Davids!" (Mk. 11, 9f) Offenbar hoffte das Volk auf einen Sieg über die Römer und ein neues Großisrael.

Jesus reagierte darauf mit einer Zeichenhandlung: Er ritt auf einem jungen, zuvor unberittenen Esel in die Stadt ein. Das erinnerte das Volk an die Verheißung des nachexilischen Propheten Sacharja (Sa. 9, 9-11):

"Tochter Zion freue Dich, jauchze, Jerusalem! Siehe, Dein König kommt zu Dir! Ein Gerechter und Helfer, arm(ist er) und reitet auf einem Esel, dem Jungen einer Eselin. Denn Ich (Gott) werde die Kriegswagen aus Ephraim (Nordreich) wegtun und die Streitrosse aus Jerusalem (Südreich), und der Kriegsbogen (damalige Hauptangriffswaffe) soll zerbrochen werden. Denn er (der Messias der Armen) wird Frieden gebieten allen Völkern, und seine (gewaltlose) Herrschaft wird von einem Meer bis zum andern und vom Strom (Euphrat) bis an die Enden der Erde (Horizonte) reichen."

Jesus gab der bibelkundigen Menge demnach klar zu verstehen: Ich bin der Messias - aber nicht so, wie ihr euch das vorstellt. Sondern wer die Fremdherrscher entmachten will, muss selbst ohne Waffengewalt handeln. Der Esel als Reittier des Königs ist hier zugleich Zeichen dieses konkreten Gewaltverzichts, der der Verheißung entspricht.

Diese griff auf ältere Friedens- und Abrüstungsvisionen der Exilsprophetie zurück (Jes. 2, 2-4/Mi. 4, 1-3). Jesus nahm sie auf und bezog sie auf sich: Er wollte offenbar der sein, der mit dem Zerbrechen der Waffen in ganz Israel beginnt. So, nicht durch Großmachtpolitik im Gefolge Davids, wollte er Gottes Verheißungen erfüllen. Damit wurde Jesu Predigt vom Reich Gottes politisch konkret und bot zugleich auch anderen Völkern eine Perspektive: Weltweite Abrüstung war sein Ziel, Gewaltlosigkeit sein Weg.

Tempelkritik

Nach seiner Ankunft in Jerusalem ging Jesus offenbar sofort in den Tempelbezirk und "besah alles ringsumher" (Mk. 11, 11). Vielleicht sagte er schon bei dieser Gelegenheit zu einem Jünger, der die großartigen Bauten bewunderte (Mk. 13, 2):

"Nicht ein Stein wird auf dem anderen bleiben, alles wird zerbrochen werden."

In den folgenden Tagen - es waren wohl nur wenige - ging er im Tempel ein und aus und diskutierte dort mit Anhängern und Gegnern verschiedene sie betreffende Themen, z.B. Kaisersteuer, Auferstehung, seine Vollmacht, die wichtigsten Gebote, das Beten, das Kommen des Gottesreichs (Mk. 11-13).

Jesu Verhalten zum Tempelkult ist nicht eindeutig. In Galiläa schickte er geheilte Patienten zu den Priestern, damit diese die Gesundung amtlich feststellten und die Geheilten wieder in die Gesellschaft aufnahmen (Mk. 1, 44). In seiner Thoraauslegung lehnte er das Opfern nicht direkt ab, ordnet es aber der Nächstenliebe unter (Mt. 5, 23f). Indem er im Tempel lehrte, erkannte er diesen als Gotteshaus an. Auch die Tempelsteuer scheint er, anders als die Kaisersteuer, gebilligt zu haben (Mk. 12, 41-44).

Andererseits erwartete er die Zerstörung der Tempelstadt und kündete diese wie der Prophet Jeremia (Jer. 22, 5/ 26, 12) öffentlich an (Mt. 23, 37ff/ Lk. 13, 34f). Das war lebensgefährlich: Jeremia wäre damals dafür fast gelyncht worden. Wer den Tempel angriff, bedrohte nach Auffassung der Priester die Existenz ganz Israels. Sich auf Jeremia zu berufen, war die schärfstmögliche Kritik am Tempelkult überhaupt.

Dann vertrieb Jesus auch noch gezielt die Opferhändler aus dem Tempelvorhof - wahrscheinlich dem für die Ausländer. Diese prophetische Zeichenhandlung zielte auf die Abschaffung des Opferkults und sollte Gottes Haus "reinigen" (Mk. 11, 17):

"Steht nicht in der Schrift (= hat Gott nicht gesagt): Mein Haus soll ein Bethaus für alle Völker heißen?" (zitiert Jes. 56, 7)

Das Opfern war offenbar zu einem riesigen Geschäft mit der Angst, zu einem bedrückenden Zwang für die Armen und einem abstoßenden Hindernis für Ausländer geworden, den Tempel des Gottes Israels zu betreten. Das wollte Jesus nun ändern, dazu wollte er die Tempelbesucher demonstrativ anstiften.

Spätestens jetzt sahen sich die Sadduzäer gezwungen, einzugreifen. Jesu Reden und Handeln war eine echte Gefahr für sie geworden (Mk. 11, 18):

"Sie fürchteten sich vor ihm, denn alles Volk war beeindruckt von seiner Lehre."

So brachte sein Angriff auf den Opferkult Jesus schließlich einen Konflikt mit dem Hohenpriester, dem Religionsführer Israels ein. Wie dieser ausgehen würde, war voraussehbar.

Wie passen Tempelreform und Tempelzerstörung bei Jesus zusammen? Er war offenbar überzeugt: Geben Israels Führer den Römern keine Chance, Gottes Gebote ohne Opferzwang kennen zu lernen, dann wird die Feindschaft zwischen Israel und den Völkern zum Untergang dieses Kultes führen.

62 n. Chr. wurde ein anderer Prophet, Jesus ben Ananias, für dasselbe Vergehen - Ankündigung der Tempelzerstörung - verhaftet und vom Hohen Rat zum Tod verurteilt (Josephus). Acht Jahre später wurde seine Vorhersage wahr.


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Der gekreuzigte Jesus

Der Passionsbericht

Jesu Festnahme, der Prozess gegen ihn, sein Tod und seine Auferstehung nehmen die zentrale Stellung in den Evangelien ein. Diese wurden auf diese Ereignisse hin verfasst und wären sonst wahrscheinlich nicht entstanden. "Die Evangelien sind Passions- und Ostergeschichten mit ausführlicher Einleitung" (M. Kähler).

Dabei folgten Matthäus und Lukas jetzt dem Ereignisablauf ihrer Vorlage. Markus lag seinerseits ein älterer Passionsbericht vor, den er in sein Evangelium einbaute. Dieser Bericht begann wohl mit dem Verrat des Judas (Mk. 14, 10) und wurde allmählich nach vorn erweitert. Er führt die von Paulus überlieferten ältesten Credoformeln erzählend aus und geht daher wohl bis auf die Jerusalemer Urgemeinde zurück (U. Wilckens).

Markus hat diesen Passionsbericht mit deutlich antijüdischer Tendenz überarbeitet, den römischen Statthalter entlastet und den jüdischen Führern die Alleinschuld an Jesu Tod gegeben. Darin spiegelt sich die bedrohte Lage der christlichen Gemeinden im römischen Reich und die verschärfte Konkurrenz mit jüdischen Synagogen nach dem verlorenen jüdischen Befreiungskrieg (70 n. Chr.). Die endgültige Trennung vom Judentum stand bevor oder war bereits vollzogen.

Die Gefangennahme

Wer Jesus festnahm und von wem der Befehl dazu kam, ist unklar. Im Garten Gethsemane hatten Jesu Anhänger ihr Lager. Einer von ihnen, Judas, soll eine bewaffnete Truppe dorthin geführt haben. Nur römische Soldaten durften Schwerter und Lanzen tragen. Sie bewachten auch den Wald von Gethsemane, wo sich Zeloten verstecken konnten. Die Tempelwache des Hohenpriesters war nur für den Tempelbezirk zuständig. Aber hätte ein enttäuschter Zelot die Römer gerufen? Oder war es Kaiphas, der schon jetzt mit Pilatus gegen Jesus kooperierte?

Jesus soll klar gewesen sein, was ihm bevorstand:

"Ihr seid vorgegangen wie gegen einen Mörder...dabei war ich jeden Tag im Tempel, wo ihr mich festnehmen konntet. Aber so soll die Schrift erfüllt werden!" (Mk. 14, 48f).

Die Priester hatten offenbar vor, ihn als Verbrecher an die Römer auszuliefern. Diese nannten Zeloten "Mörder", um Widerstand zu kriminalisieren und ihre Gewalt dagegen zu legalisieren.

Es gab wohl einen kurzen Kampf: Alle Evangelien berichten davon. Aber sie wissen auch, dass Jesus diesen sofort gestoppt habe (Mt. 26, 51f/Lk. 22, 50f). Daraufhin flohen seine Anhänger (Mk. 14, 50).

Der Prozess vor dem Hohen Rat

Das oberste Religionsgericht für ganz Israel mit Sitz in Jerusalem bestand aus den führenden Repräsentanten des Judentums: den Jerusalemer Pharisäern, Schriftlehrern und Tempelpriestern. Markus zählt sie häufig stereotyp auf. Daran kann man die redaktionelle Bearbeitungsschicht seines Evangeliums gut erkennen.

Die Priester stellten nach jüdischem Gesetz die Mehrheit und waren nicht abwählbar. Der Hohepriester hatte die Leitung inne: Er war Chefankläger und Richter in Personalunion. Sein Amt war erblich. Zur Zeit Jesu wurde es von Kaiphas bekleidet.

Der Hohe Rat war nicht für politische, aber für kultische Kapitalvergehen zuständig. Darum bestreiten vor allem jüdische Historiker (z.B. Paul Winter), dass es überhaupt einen religiösen Prozess gegen Jesus gegeben hat .

Doch die Evangelien lassen historisch plausible Gründe für Jesu Festnahme und Auslieferung erkennen. Kaiphas war für das Überleben Israels verantwortlich und sah von seiner Warte aus keine andere Möglichkeit, als Aufruhr im Keim zu ersticken und Rädelsführer rechtzeitig zu verhaften (Mk. 14, 1):

"Bloß nicht am Fest, damit kein Aufruhr im Volk entsteht!"

Er hatte mit Recht Angst vor einem Volksaufstand beim bevorstehenden Passahfest, dem unvermeidlich ein militärischer Eingriff der Römer und der Verlust der relativen religiösen Autonomie Israels gefolgt wäre. Daher ist seine Erwägung im Synhedrium nachvollziehbar (Jh. 18, 14):

"Es ist besser, dass nur ein Mensch anstelle des Volkes stirbt".

Daher wurde Jesus "mit List" (Mk. 14, 1), nämlich nachts (Mk. 14, 17.49) festgenommen. Eine direkte Auslieferung an Roms Statthalter ohne gültiges Rechtsverfahren kam für die Tempelhüter jedoch nicht in Frage. Sie waren gerade wegen fehlender eigener Strafjustiz auf strenge Legalität bedacht, um ihre Autorität zu wahren (vgl. Apg. 7, 57).

Die Anklage

Zeugen wurden vernommen, die behaupteten, Jesus habe Unmögliches, nämlich den Abriss und Neubau des Tempels innerhalb von 3 Tagen geweissagt (Mk. 14, 58). Die Anklage gegen ihn lautete also auf Falschprophetie: eins der schwersten Kapitalvergehen nach der Thora, vor allem nach dem Deuteronomium (5. Buch Mose).

Für Markus waren die Zeugen Lügner, die sich widersprachen und damit kein legales Todesurteil hergaben (Mk. 14, 56/Dtn. 19, 15ff). Doch ihre Aussage traf im Kern zu. Denn Jesus hatte bei seiner Vertreibung der Opferhändler aus dem Tempelvorhof den Abriss des alten Tempels gefordert und seinen Neubau angekündigt (Jh. 2, 19). Eine solche Kultreform aber stand nach jüdischer Tradition (2. Sam. 7, 13) nur dem Nachkommen Davids, also dem Messias zu (O. Betz). Das erklärt die Frage des Kaiphas im Verhör Jesu (Mk. 14, 61):

"Bist Du der Messias, der Sohn des Hochgelobten?"

Das Menschensohn-Bekenntnis

Jesu Antwort lautete: "Ich bin es..." Ein klares Ja also. Doch Jesu Messiasanspruch als solcher war auch für die Sadduzäer keine gotteslästerliche Todsünde: Man konnte ihn zunächst festsetzen und abwarten, was folgen würde (5. Mose 18, 22). Da der Gott Israels Herr der Geschichte ist, wurde ein Messias durch seinen geschichtlichen Erfolg ausgewiesen. Es gab vor und nach Jesus im Judentum Messiasanwärter, die trotz späterer Niederlagen hoch verehrt wurden (z.B. Simon Bar-Kochba).

Doch Jesus ergänzte sein Ja so (Mk. 14, 62):

"...und ihr werdet sehen den Menschensohn sitzend zur Rechten der Kraft und mit den Himmelswolken kommen".

Das war ein deutliches Zitat aus der dem Seher Daniel zugeschriebenen Vision vom Endgericht Gottes. Dort hieß es: "Siehe, es kam einer mit den Himmelswolken, der sah aus wie eines Menschen Sohn..." (Dan. 7, 13f). Ihm werde Gott seine ganze Macht übergeben, so dass ihm alle Menschen dienen würden.

Offenbar identifizierte sich Jesus hier mit diesem "Menschensohn". Er bezog dessen künftiges Handeln auf sein eigenes Vorhaben. Denn er war ja als derjenige angeklagt, der den Abriss und Neubau des Tempels vorhergesagt hatte: Er wollte den Opferkult abschaffen und Ausländern Zugang zum Gott Israels gewähren. Er wollte auch ihnen die Hoffnung auf ein Ende aller Gewaltherrschaft nahe bringen.

Einen solchen Anspruch hat es im gesamten Judentum weder vor noch nach Jesus gegeben.

Gotteslästerung?

Kaiphas hörte aus Jesu Aussage eine "Gotteslästerung" heraus (Mk. 14, 64). Eine direkte Verfluchung des Gottesnamens kann nicht gemeint sein, weil gerade der historische Jesus das 1. Gebot achtete und den Gottesnamen auszusprechen vermied - ebenso wie Kaiphas.

Doch indem Jesus die Messiasfrage bejahte und dann mit der Menschensohn-Ankündigung ergänzte, schien er zu sagen: "Ich bin der Menschensohn." Damit hätte er sich Gott gleich gestellt: Das ist für Juden die Ursünde schlechthin. "Ihr werdet sein wie Gott..." sprach die Schlange im Paradies (Gen. 3, 5).

Doch die umständliche Satzkonstruktion lässt deutlich erkennen, dass der Satzteil "sitzend zur Rechten der Kraft und..." später eingefügt wurde. Hier spricht die Evangelienredaktion, die schon von Jesu Auferstehung herkommt und den bereits inthronisierten Christus verkündet (Apg. 2, 34).

Jesus sprach sonst immer vom kommenden Menschensohn in der 3. Person. Er wollte die Führer Israels an Daniels Vision erinnern und ihnen so sagen: Ihr habt eine Zukunft jenseits des Tempelkults, auch wenn dieser zu Ende geht. Seine Aussage klingt drohend -"ihr werdet sehen!" - und ist doch eine Zusage.

Die falsche Behauptung, dass Jesu Messiasanspruch für die damaligen Juden eine Gotteslästerung gewesen sei, ist bis heute unter Christen verbreitet. Sie ist ein entscheidendes Hindernis im notwendigen Dialog zwischen Juden und Christen. Hier kann das genaue Hinhören auf den Text weiterhelfen.

Dass die Urchristen glaubten, Jesus sei wegen Gotteslästerung und nicht wegen Falschprophetie verurteilt worden, hängt mit seiner Todesart zusammen. Die Kreuzigung galt im jüdischen Gesetz (Dtn. 21, 23) als gerechte Strafe für einen Lästerer des Gottesnamens. So wurde vom Tod auf das Todesurteil gefolgert.

Das Todesurteil

Jesu indirekter Anspruch auf die Menschensohnwürde konnte Kaiphas nur darin bestärken, Jesus zu verurteilen. Denn es schloss seine Entmachtung ein. Obwohl der Angeklagte völlig machtlos vor ihm stand, stellte er sich über ihn, seinen Ankläger und Richter: eine unerhörte Provokation für den Führer Israels, der sein Amt durch die gesamte biblische Tradition legitimiert sah.

Der Evangelist Markus behauptet denn auch ein einstimmiges Todesurteil des Hohen Rates. Er will damit die Beteiligung und Schuld ganz Israels am Tod Jesu ausdrücken (Mk. 14, 63f).

Historisch ist das sicher nicht, da es nach Prozessregeln des Talmud ungültig gewesen wäre. Auch der vornehme Pharisäer Joseph von Arimathia war ein Ratsmitglied: Er war es, der Pilatus bat, Jesus ehrenhaft bestatten zu dürfen (Mk. 15, 43-46). Das hätte er auf keinen Fall getan, wenn er dem Todesurteil zugestimmt hätte. "Lästerer" und Falschpropheten sollten ohne Grab verscharrt werden, nichts sollte an sie erinnern.

Es gab also im Synhedrium durchaus Uneinigkeit, ob Jesus als Falschprophet anzusehen sei oder nicht. Denn die Phariäser glaubten ebenso wie er an das Kommen des Gottesreichs.

Doch der Hohepriester präjudizierte das Urteil durch das Zerreißen seines Gewandes: ein Trauerritus, wenn ein Jude Zeuge eines Kapitalvergehens wurde. Die Ratsmehrheit folgte ihm: Jesus selbst hatte mit seinem Menschensohn-Bekenntnis vor ihren Ohren die Anklage auf Falschprophetie voll und ganz bestätigt.

Rechtsbasis des Urteils war das Deuteronomium mit den strengen Bestimmungen zur Tötung von Falschpropheten, Volksverführern und Götzendienern (Dtn. 13, 6/18, 20) , so auch später bei der Hinrichtung des Stephanus (Apg. 7, 56f).

Die Evangelien folgen Markus und stellen das Vorgehen der Führer Israels als böswillig geplanten und herbeigeführten Justizmord dar (Mk. 14, 11/ 14, 55/ 15, 10f). Doch wenn Jesus sich in seinem Prozess als "Menschensohn" vorstellte, dann blieb dem Synhedrium nichts anderes übrig, als ihn zum Tod zu verurteilen. Dann war das Urteil nach damaligem jüdischen Recht juristisch zwangsläufig und gültig (A. Strobel).

Diese historische Hypothese folgt der inneren Logik des Prozessberichts: natürlich unter dem Vorbehalt, dass dieser bereits den erhöhten Christus verkündigen will. Wie kann man dann historische Details herausfiltern? Wie erfuhren die Urchristen von dem Prozessverlauf? Die Verhandlung geschah ja nachts hinter verschlossener Tür im schwer bewachten Haus des Kaiphas. Die Jünger waren alle geflohen: Auch ihnen drohte Festnahme und Hinrichtung.

Alle? Im Innenhof des Kaiphashauses harrten noch einige aus: vor allem die Frauen und Petrus (14, 66-72). Joseph von Arimathia könnte ihnen Details aus dem Prozess zugetragen haben: Dafür spricht, dass die Urchristen sich noch Jahrzehnte später an seinen Namen erinnerten.

Dennoch kann der Text nicht einfach als historisches Dokument beansprucht werden. Laut Markus offenbart Jesus seine Identität nur an dieser einen Stelle, als es für ihn um Leben und Tod ging. Darin zeigt sich indirekt: Das Bekenntnis zum "Sohn Gottes" war für die Christen, an die sich dieses Evangelium wendet, bereits zur Lebensgefahr geworden. Es will sagen: Während Petrus unten im Hof Jesus verriet, hat dieser sich als der Menschensohn bekannt und so sein Leben für uns gegeben.

Die Auslieferung

Am folgenden Morgen traf der Rat erneut zusammen, um das Todesurteil in den Vorwurf eines politischen Messiasanspruchs umzuformen. So konnte man Jesus dem römischen Statthalter rechtmäßig und rechtzeitig zur Hinrichtung übergeben.

Die Sadduzäer durften Todesurteile damals ja nicht selbst ausführen. Erst im Fall des Stephanus, eines tempelkritischen Urchristen, durften sie kultische Vergehen wieder selbst bestrafen und einen Falschpropheten steinigen, wie es die Thora vorsah (Apg. 7, 56).

Die nach dem Talmud vorgeschriebene Ein-Tages-Frist zwischen Urteil und Vollstreckung wurde in diesem Ausnahmefall missachtet. Die Eile wird verständlich, wenn man bedenkt, dass ein Passahfest im Gange war. Im Falle einer akuten Gefahr für Tempel und Stadt - und Jesus war eine solche Gefahr - durfte eine Hinrichtung auch sofort geschehen. Hinzu kam, dass der Falschprophet vor Beginn des Sabbats tot sein musste, um Israel nicht zu verunreinigen (A. Strobel).

Falsche Propheten oder Gotteslästerer sollten nach jüdischem Gesetz "am Fest" hingerichtet werden. Darum nehmen vor allem christliche Historiker an, dass Jesu Kreuzigung am 14. Nisan (= 7. April) des Jahres 30 stattfand, dem Hauptfesttag des damaligen Passahfestes.

Vor Pilatus

Den römischen Statthalter haben innerjüdische Konflikte um den wahren Glauben nicht interessiert. Er ist aus zuverlässigen römischen Quellen als äußerst skrupelloser Machtpolitiker bekannt, der keine Rücksicht auf jüdische Tradition nahm und Juden häufig ohne jedes Rechtsverfahren hinrichten ließ, bis man ihn deswegen absetzte. Daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass er Jesus gegen Kaiphas in Schutz nahm.

Unglaubhaft ist auch, dass eine Volksmenge Pilatus zur Hinrichtung Jesu gedrängt haben soll ("Kreuzige ihn!", Mk. 15, 13). Der Innenhof des Pilatuspalastes bot nur wenigen Menschen Raum. Jesus war nur Tage zuvor von der Masse der Festpilger begeistert als Messiasanwärter begrüßt worden (Mk. 11, 9). Die Sadduzäer dagegen waren im Volk unbeliebt.

Der Passionsbericht lässt aber erkennen, dass es so etwas wie einen "Deal" zwischen Kaiphas und Pilatus gegeben haben muss. Er bot ihnen den "Mörder" (Zeloten) Barabbas zum Tausch für Jesus an: offenbar als "Trostpflaster" für das Volk (Mk. 15, 6-15). Das zeigt zum einen, dass nicht alle Zeloten auch Feinde der Sadduzäer waren, zum anderen, dass Jesus in ihren Augen die größere Gefahr darstellte.

Auch Pilatus und Herodes sollen darüber Freunde geworden sein, dass sie den Todeskandidaten verhöhnten (Lk. 23, 11f). Beide konnten nichts an Jesus finden und gaben ihn gerade deshalb dem Tod preis. So wird das Zusammenspiel zwischen römischen Besatzern und jüdischen Kollaborateuren sichtbar. Der gewaltlose Messias der Armen, der keine Macht besaß, war ihnen dennoch im Weg: Gemeinsam beseitigten sie ihn.

Pilatus senkte den Daumen und gab Jesus seinen Folterknechten preis. Römer ließen Verurteilte öffentlich geißeln, nicht aber Juden: Markus übertrug die Folter aus dem römischen in den jüdischen Prozess Jesu (Mk. 14, 65).

Danach wurde Jesus gezwungen, sein Kreuz zum Richtplatz vor die Stadtmauer zu tragen. Ein Landarbeiter aus der nordafrikanischen Exilsgemeinde Kyrenaika wurde gezwungen, ihm die Last abzunehmen, als er nicht mehr konnte. Die brutale Willkür der Soldateska zeigte den Juden hautnah, dass Jesu Leiden sie alle betraf und schmerzen sollte. So wurde dem Volk am Fest der Befreiung seine Sklaverei vor Augen geführt. Jeder Augenzeuge erfuhr, was Anstiftung zum und Beteiligung am Aufruhr für ihn bedeuten konnte.

Dass der Passionsbericht den Namen Simons, der Jesu Kreuz trug, nennt, ist aufschlussreich: Juden litten mit und für Jesus und teilten sein Geschick, als seine Anhänger schon geflohen waren. Es gab anfangs keine Feindschaft zwischen Christen und Juden, sondern ein gemeinsames Leiden, Erinnern, Hoffen.

Jesu Hinrichtung am Folterkreuz der römischen Besatzungsmacht gilt als gesichertes Faktum: eins der wenigen, das auch durch außerbiblische Quellen gedeckt ist. Die Tacitusnotiz bestätigt das Gerücht, dass Pilatus einen "Christus" hinrichten ließ, sagt aber nicht, weshalb.

Nur der römische Statthalter hatte die Justizvollmacht, jemand hinrichten zu lassen. Römischem Brauch gemäß wurde der Grund für das Todesurteil auf einer Tafel über dem Kreuz angegeben. Mk. 15, 26 notiert, auf dieser Tafel habe "der König der Juden", auf Latein "Rex Judaios" gestanden. "König" hieß für Römer: möglicher Anführer eines Aufstands aller Juden. Der Ausdruck bestätigt indirekt, dass Jesus einen Messiasanspruch erhoben hat, wenn auch anders, als die Römer es begreifen konnten. Er wurde also nach römischem Recht als politischer "Aufrührer" gekreuzigt, zusammen mit anderen Zeloten. Die Machthaber unterschieden nicht zwischen gewaltlosem und gewaltbereitem Widerstand.

Der Kreuzestitel ist hier nicht einfach eine neutrale Feststellung des Verbrechens, das Jesus begangen haben soll. Sondern er sollte alle Gekreuzigten und den Messiasglauben ihres Volkes verhöhnen. Das bestätigt der Protest der Sadduzäer (Jh. 19, 21): Sie fühlten sich getroffen und wollten nicht mehr wahrhaben, dass sie Jesus ja mit dem Vorwurf, er wolle der Messias sein, an Pilatus überstellt hatten.

Auf der Ebene der Verkündigung sagt der Passionsbericht damit auch sehr subtil: Der römische Staat hat Jesu Messiaswürde anerkannt und sich damit seiner wahren Herrschaft untergeordnet.

Kreuzigen als Hinrichtungsmethode war die übliche Art und Weise, wie das römische Kaiserreich mit Ausländern, entlaufenen Sklaven und Aufständischen umging: eine besonders grausame Klassenstrafe zur Demütigung und Abschreckung aller Augenzeugen. Sie konnte tagelang dauern, bis der Aufgehängte an seinem eigenen Körpergewicht erstickte, wenn er nicht zuvor schon verdurstet war.

Auffälligerweise beschreibt der Passionsbericht keine grausamen Details des Vorgangs, sondern beschränkt sich auf die geradezu monotone Darstellung "in der 3. ... der 6. ... der 9. Stunde..."

Juden galt das Gehängt- oder Gekreuzigtwerden als Gottesfluch für Gotteslästerer (5. Mose 21, 23/ Gal. 3, 13) und damit als endgültiger Ausschluss aus dem erwählten Volk.

Pilatus soll überrascht gewesen sein, dass Jesus relativ schnell, vor Ablauf eines Tages, verstarb. Er ließ den Tod nochmals amtlich feststellen, bevor er den Leichnam zur Bestattung freigab (Mk. 15, 44f). So bekräftigt der Passionsbericht die Glaubensaussage des urchristlichen Credo: "gestorben und begraben".

Die Erforschung der Quellen über Jesus

Außerbiblische Notizen

  • Kirchengeschichtliche Notizen

Hegesippus berichtet laut Eusebius im 2. Jahrhundert, dass Männer vor Domitian (81–96) gebracht worden seien. Diese wurden verdächtigt, von Jesu Bruder Judas abzustammen und somit als Blutsverwandte von Jesus aus einem potentiell gefährlichen königlichen Haus zu stammen. Domitian verhörte sie bezüglich des Messias und seines Königreichs, aber als die Männer erklärten, dieses Königreich sei nicht weltlich, sondern himmlisch, habe Domitian sie als harmlos entlassen und seine Verfolgung der Kirche beendet.

  • Nichtchristliche Notizen

In zeitgenössischen Schriften außerhalb des NT wird Jesus sehr wenig erwähnt. Der jüdische Schriftsteller Justus von Tiberias z.B., ein Zeitgenosse des Josephus Flavius, erwähnt Jesus mit keinem Wort, trotz seiner zeitlichen und räumlichen Nähe und obwohl er eine umfangreiche Chronik von Moses bis in seine Tage verfasste. Einige Historiker folgern daraus, dass es einen historischen Jesus nie gegeben habe. Andererseits ist diese Chronik nur bruchstückhaft überliefert, so dass eine Erwähnung Jesu vielleicht verloren ging.

Es handelt sich um das früheste außerbiblische Zeugnis zu Jesus und steht in den Jüdischen Altertümern des Josephus Flavius. Es besteht aus zwei Abschnitten. Die Authentizität des ersten, berühmteren Abschnitts ist unter Philologen umstritten: Denn Jesus taucht in den frühen Textvarianten nicht auf, sondern erst in der meistzitierten Übersetzung aus dem Jahre 1000 nach Christus.

Der zweite Abschnitt befasst sich mit der Hinrichtung von Jesu Bruder Jakobus. Er wird häufiger als echt angesehen. Die meisten Kirchen und Theologen betrachten diese Stelle jedoch auch als Fälschung und begründen das so:

1. Während es bei Flavius heißt, dass Jakobus bei einem Aufstand gegen die Römer ums Leben kam, heißt es bei allen frühen Kirchenvätern und in der Bibel, dass Jakobus als Märtyrer für den christlichen Glauben von den Juden zu Tode gesteinigt wurde.

2. Auch hier existiert eine - ältere? - Textvariante, in der der Name Jesus nicht erwähnt wird. Dort wird Jakobus als der Bruder von Barabbas bezeichnet. Dann wäre der auch unter Urchristen häufige Name "Jakobus" später irrtümlich auf den Bruder Jesu bezogen worden.

Andere Historiker dagegen glauben genau umgekehrt, dass die ersten Christen Revolutionäre waren und erst später alle Hinweise darauf aus der Bibel und den Kirchengeschichtsbüchern eliminiert wurden. "Bruder von Barabbas" könnte so auf den Zeloten bezogen sein, der im Tausch für Jesus freikam (Mk. 15, 15), und Zugehörigkeit zu seiner Zelotengruppe ausdrücken.

In den Berichten von Sueton und Gaius Cornelius Tacitus aus dem 2. Jahrhundert werden Christen und ihr Namensgeber erstmals von römischen Autoren erwähnt.

  • Sueton erwähnt in seinem Bericht über das Judenedikt des Claudius nur das Gerücht, dass die von Claudius mit den Juden verfolgten Christen sich auf einen "Chrestus" beriefen. Näheres über ihn erfährt man nicht.
  • Tacitus schreibt in seinen 117/118 n. Chr. entstandenen Annalen:

"Der Mann, von dem sich dieser Name herleitet, Christus, war unter der Herrschaft des Tiberius auf Veranlassung des Prokurators Pontius Pilatus hingerichtet worden; und für den Augenblick unterdrückt, brach der unheilvolle Aberglaube wieder hervor, nicht nur in Judäa, dem Ursprungsland dieses Übels, sondern auch in Rom, wo aus der ganzen Welt alle Gräuel und Scheußlichkeiten zusammenströmen und gefeiert werden." (Annales 15, 44, 13, nach Roloff)

Offen bleibt, ob diese Notiz bereits auf christlichen Quellen oder eigener Nachforschung fußt. Immerhin bestätigt sie mit Jesu Kreuzigung durch Pilatus den Fixpunkt seines Lebensendes um 30-33 und die Existenz von Christengemeinden in Rom Anfang des 2. Jahrhunderts (vgl. Paulusbrief an die Römer um 60 n. Chr.).

Die Notiz reflektiert auch eine Ahnung, dass der christliche "Aberglaube" aus dem Judentum stammte und künftig noch eine "unheilvolle" Rolle für das multikulturelle Rom spielen könnte.

(siehe dort)

(siehe dort und unter Turiner Grabtuch)

 
Christus aus S.Apollinare Nuovo, Ravenna - 6. Jahrhundert

Die Bedeutung Jesu im Neuen Testament

Jesus als der von Gott gesandte Erlöser aller Menschen ist Thema des NT. Seine Christologie, also die Aussagen zur Person, und seine Soteriologie, also die Aussagen zu dem Heilswerk dieser Person, sind im NT vielfältig.

Jesu Auferweckung in den Evangelien

  • 1. Korinterbrief 15, 3-8

Paulus, der älteste Autor im NT, übernahm - wohl bei seinem ersten Jerusalembesuch um 36 n. Chr. - ein frühes Credo, verbunden mit einer Zeugenliste, von der Urgemeinde:

"Christus ist gestorben für unsere Sünden nach der Schrift; er wurde begraben; er wurde auferweckt am dritten Tag nach der Schrift; er wurde gesehen von Kephas ("Fels", Ehrenname Petri); danach von den Zwölf."

Ob die Fortsetzung nur von Paulus oder teilweise noch aus der Urgemeinde stammt, ist umstritten:

"Danach wurde er gesehen von mehr als 500 Brüdern auf einmal - von denen die meisten heute noch leben, während einige schon gestorben sind. Danach wurde er gesehen von Jakobus; danach von allen Aposteln. Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer missratenen Geburt gesehen worden..."

Paulus zitiert hier den gemeinsamen Glauben aller Urchristen, der in den ersten Jahren nach Jesu Tod formuliert wurde. Er will seine eigene Berufung zum Völkerapostel mit einer Jesusvision begründen, so wie die ersten Augenzeugen. Was genau aber sahen diese?

  • Markus 16, 1-8

Das älteste Evangelium endete ursprünglich mit der Entdeckung des leeren Grabes Jesu. Dazu gehörte die Engelsbotschaft (Mk. 16, 6-7):

"Fürchtet euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferweckt worden, er ist nicht hier. Seht dort die Stelle, wo man ihn hingelegt hat. Geht aber und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hergehen wird nach Galilea; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat."

Inhalt einer solchen Vision war demnach die Erkenntnis: Dieser zuvor gekreuzigte Jesus von Nazareth wurde von Gott auferweckt, zeigte sich daraufhin selbst und rief seine Jünger erneut in die Nachfolge ("vor euch hergehen" - ihm nachgehen).

Das "Passivum Divinum" drückt den Respekt vor dem Urheber der Auferweckung Jesu aus. Fromme Juden vermieden, Gott beim Namen zu nennen.

Der Text legt nahe, dass die Jesusvisionen schon erfolgt waren, und zwar in Galiläa oder auf dem Weg dorthin (Emmaus, Lk. 24, 13): also einige wenige Tage nach der Flucht der Jünger (Mk. 14, 50) und nach Jesu Tod.

Dabei waren laut Mk. 15, 40f von Jesu Anhängern nur noch Frauen anwesend. Sie wollten den Toten gemäß jüdischer Sitte einbalsamieren und so ehren (Mk. 16, 1). Dabei fanden sie das Grab leer. Sie flohen und fürchteten sich so sehr, dass sie niemand etwas weitersagten (Mk. 16, 8).

Diese Aussage steht nur bei Markus, ist also wahrscheinlich redaktionell. Sie erinnert an die Männerflucht (Mk. 14, 50). Sie macht klar, dass die Frauen die geflohenen Männer zunächst gar nicht antreffen konnten. Sie spielt aber auch versteckt auf Jes. 52, 15 an:

"Denen nichts davon verkündet wurde, die werden es sehen, und die nichts davon hörten, werden es erfahren!" (nämlich von der Erhöhung des für uns getöteten Gottesknechts, den alle verachteten).

Historisch daran ist, dass Frauen damals im patriarchalischen Judentum kein Zeugenrecht hatten. Demgemäß hielten die Männer ihre Nachricht für "Märchen" und glaubten ihr nicht (Lk. 24, 11). So verkündet der Text indirekt, dass nur Jesu eigenes Erscheinen Angst und Trauer überwinden, in Freude verwandeln (Mt. 28, 8) und Glauben an ihn schaffen konnte (Jh. 20, 20).

Da die Visionsliste keine Frauen, die Grabgeschichte keine Männer nennt, gehen viele Forscher davon aus, dass beide Traditionen ursprünglich getrennt entstanden sind. Dann wären die Visionen unabhängig von der Entdeckung des Grabes erfolgt. Die Berichte darüber wurden erst allmählich miteinander verbunden: zum Teil erst von den Evangelisten auf ihre je eigene Weise.

  • Lukas 24, 13-35

Zwei namenlose Jünger begegnen Jesus auf dem Heimweg nach Galiläa. Sie erkennen ihn nicht, teilen ihm aber ihre maßlose Trauer und Enttäuschung mit: "Wir dachten, er sei der (Messias), der Israel befreien werde." Darauf legt Jesus ihnen die Schrift aus: "Musste der Messias nicht so leiden, um in sein Reich einzugehen?" Sie bitten ihn, zu bleiben. Er tut es, feiert ein Abendmahl mit ihnen und bricht dabei das Brot: genauso wie beim Passahmahl vor seinem Tod. "Da gingen ihre Augen auf, und sie erkannten ihn." Jesus verschwand. Darauf tauschen sie ihr Erlebnis aus - "Brannte nicht unser Herz...?" - , kehren sofort nach Jerusalem zurück, treffen dort die versammelten Elf und hören als Bestätigung deren Credo:

"Der Kyrios ist wahrhaftig auferstanden und Simon (Petrus) erschienen!"

Dieser Text wird meist nicht als Bericht von einer echten Jesusvision, sondern als lukanische Theologie aufgefasst. Wäre die Vision echt, hätte die Urgemeinde die Namen der Zeugen genannt und in ihre Liste aufgenommen. "Kleophas" in v. 18 wurde sichtlich später eingefügt.

Der Evangelist will zeigen, wie man auch ohne eigene Vision Christ werden kann: Schriftauslegung, Abendmahl, Austausch der Erfahrungen mit Jesus und gemeinsames Glaubensbekenntnis spiegeln wohl den Ablauf eines urchristlichen Gottesdienstes.

Das Bekenntnis, auf das der Text zielt, war diesem jedoch vorgegeben. Es erinnert daran, dass Petrus den Auferweckten als Erster sah und dies dann anderen Jüngern mitteilte. Es bestätigt also den Beginn der Zeugenliste.

  • Matthäus 28, 1-20

Matthäus hat die Grabgeschichte von Markus übernommen und signifikant verändert: Die Frauen, die sich bei Markus noch fürchteten und ihren Auftrag an die Jünger nicht ausführten, freuen und beeilen sich nun, es weiterzusagen. Sie begegnen Jesus selbst, der die Jünger zu einem Berg bestellt.

Dort erscheint er ihnen, offenbart seine ihm von Gott übergebene Macht, sagt ihnen seine Geistesgegenwart bis zu seiner Wiederkunft zu und gibt ihnen den Auftrag zur Völkermission, der das Taufen auf seinen Namen und das Halten all seiner Gebote (Bergrede!) einschließt.

Dieser Auftrag wird von allen Evangelisten mit der gemeinsamen Vision aller Erstberufenen (11 ohne Judas, den Verräter) begründet, aber ganz verschieden formuliert. Er repräsentiert ihre spezifische Theologie.

  • Lukas 24, 36-53/Johannes 20, 19-23

Diese beiden Versionen der Elfervision teilen gemeinsame und verschiedene Motive:

- Jesus erschien am Abend des ersten "Sonntags" (Sabbatfolgetag), also 2 Tage nach seinem Tod

- er trat unter in die bereits Versammelten (Jh.: durch verschlossene Türen)

- er grüßte sie mit dem Friedensgruß "Shalom"

- er überwand ihre Angst und ihren Unglauben (Lk: durch demonstratives Essen/ Jh: durch Zeigen der Wundmale)

- Lk: er legte ihnen die Schrift aus/ Jh: er gab ihnen den Heiligen Geist

- er sandte sie in die Welt

- Lk: zur Verkündigung der Sündenvergebung und Buße/ Jh: zum Erlassen oder Behalten der Sünden.

Die variable Gestaltung der Vision legt nahe, dass sie bereits festes Dogma war, zugleich aber ganz verschieden ausgelegt werden konnte.

Beide Versionen betonen die Identität des Auferweckten mit dem Gekreuzigten, des neuen mit dem alten "Leib": Das war wohl schon eine Reaktion auf die gnostische These vom "Scheintod" des Erlösers.

Dass der Auferstehungsleib sich ernähren muss, würde aber heißen, dass er nur wiederbelebt, nicht unsterblich war. Das widerspricht 1. Kor. 15, 35-49: Danach kann der alte den neuen Leib nicht "erben", sondern der neue Leib verwandelt den alten völlig. Insofern hat Paulus, der nichts von einem leeren Grab zu wissen scheint, die jüdische Apokalyptik bestätigt.

Lk. und Jh. sagen aber auch, dass der Auferstandene den Naturgesetzen nicht mehr unterworfen war, sondern durch Wände gehen und mehreren Jüngern unabhängig voneinander zugleich erscheinen konnte.

Historisches lässt sich hier nicht mehr herausfiltern. Da Mt. eine Frauenvision ergänzt und Lk. die Elfervision nach Jerusalem verlegt hat, ist fraglich, ob es sie jemals gab. Damit bleibt offen, was die Rückkehr der Jünger nach Jerusalem, ihr Zusammentreffen dort und die Gründung der Urgemeinde motiviert hat.

  • Markus 9, 1-13

Die Geschichte der "Verklärung" Jesu erinnert an eine nachösterliche Jesusvision (v. 9). Sie wurde nur drei der ersten Jünger - Petrus, Jakobus und Johannes - zuteil. Diese Namen tauchen in Gal. 2, 9 als "Säulen" der Urgemeinde auf: Man kann also annehmen, dass sie ihr Führungsamt aufgrund einer solchen Jesusvision erhielten.

Markus deutet diese als Offenbarung des von Gott erwählten Sohnes: des einzigen Heilsmittlers, der Mose (Judentum) und Elia (Mandäismus?) abgelöst habe. Johannes der Täufer wird mit Elia, dem in den Himmel entrückten Propheten der Endzeit, identifiziert.

  • Johannes 20, 1-18

Maria aus Magdala findet Jesu Grab geöffnet, läuft zu Petrus und sagt es ihm. Dieser prüft es nach, findet im Grab nur die Leichentücher, kann es sich nicht erklären und geht heim. Maria bleibt weinend vor dem Grab, sieht hinein und entdeckt zwei Engel. Diese fragen sie nach dem Grund ihrer Trauer. Als sie antwortet, erscheint der Vermisste und fragt sie ebenso. Sie hält ihn für den "Gärtner" und glaubt, er habe die Leiche Jesu verlegt. Darauf redet Jesus sie beim Vornamen an: Da erkennt sie ihn. Er verbietet ihr, ihn zu berühren, da er zum Vater auffahren werde. Er sendet sie zu den Jüngern, um diesen seine Himmelfahrt anzukünden. Sie tut es und bekennt: "Ich habe den Kyrios gesehen!"

Dieser Text widerspricht offenbar bewusst der älteren Tradition: Maria, nicht Petrus sah Jesus zuerst. Dafür betrat Petrus als Erster das leere Grab. Die Endredaktion hat dem nochmals widersprochen und den "Jünger, den Jesus liebte" eingefügt: Sie lässt ihn mit Petrus um die Wette laufen und das leere Grab zuerst betreten, um seine Autorität zu untermauern.

Die von Markus überlieferte Grabentdeckung der Frauen wurde nun mit einer Selbstoffenbarung des Auferweckten vor Maria verbunden. Das bestätigt: Ohne Jesu eigenes Erscheinen konnte das leere Grab nur Furcht und Entsetzen, aber keinen Glauben an Jesu Auferstehung bewirken.

  • Markus 16, 9-20

Dieser Text ist ein späterer Anhang an das ursprüngliche Ende des Evangeliums. Denn er setzt die Vision Marias (Jh. 20) und der beiden Emmausjünger (Lk. 24) schon voraus, die Markus noch nicht kennen konnte.

Er versucht, die verschiedenen Visionsberichte in eine logische Reihenfolge zu bringen, also Widersprüche zu harmonisieren. Dabei widerspricht er jedoch der Zeugenliste: Denn nun bildet die Elfervision aller Erstberufenen den Abschluss, nicht den Anfang der Jesusvisionen.

Der universale Missionsauftrag der Christen enthält nun auch die Vollmacht zum Austreiben von Dämonen, analog zu den bei Markus überlieferten Dämonenaustreibungen Jesu.

  • Johannes 21, 1-14

Jesus erscheint 7 seiner ersten Jünger am Ufer des Sees Genezareth, wo er sie zuerst berief. Er hilft ihnen, eine großen Fischfang zu machen. Der Jünger, "den Jesus liebte", erkennt als Erster: "Es ist der Kyrios!" Dieser lädt sie zum gemeinsamen Mahl ein, bereitet es vor und isst mit ihnen Brot und Fisch.

Auch dieser Text wurde an einen früheren Schluss des Evangeliums angehängt (20, 31) und gehört zu seiner Endredaktion (v. 24). Er setzt die Episode vom wunderbaren Fischzug (Mt. 4, 18-22/Lk. 5, 1-11) voraus und erinnert an die ersten Jüngerberufungen Jesu (Mk. 1, 16-20). Er will die Adressaten zur Mission ermutigen.

Der Fisch wurde für verfolgte Christen in Rom zum geheimen Erkennungszeichen: griechisch "Ichtys" kürzt "Iesus Christus Theos ´Yios Soter" ab (Jesus, der Messias, Gottes Sohn, ist der Retter).

Zusammenfassung

Die Evangelien bestätigen indirekt nur die Erstvision des Petrus und die einiger anderer unbekannter Jünger. Von einer Vision vor "500 Brüdern" und "allen Aposteln" wissen sie nichts.

Die "Himmelfahrt" (Apg. 1) kann nicht gemeint sein, da sie nur dem Elferkreis galt und Jesu Bruder Jakobus dort noch nicht berufen war. Vielleicht meint die Kollektivvision eine Massentaufe wie die nach der ersten Pfingstpredigt (Apg. 2, 41).

Alle Ostertexte sind sich aber einig: Nur Gott selbst konnte Jesus auferwecken. Niemand war dabei. Nur der Auferweckte selbst konnte sich seinen Jüngern offenbaren - von sich aus erkannte ihn niemand. Nur er konnte sich mit ihnen versöhnen und so ihren Unglauben überwinden: Denn sie hatten ihn verlassen, verraten und verleugnet.

Daher die Mahlmotive in den Visionsberichten, die erneut - und diesmal unwiderruflich - Anteil am Heil geben. Darum feierte die Urgemeinde in jedem Gottesdienst das Abendmahl.

Jesus war eine befristete Zeit lang zu sehen. Einige Jünger - mindestens Petrus, Jakobus, später Paulus - hatten unabhängig voneinander ähnliche Erlebnisse, und zwar zeitlich und räumlich gestreut. Diese lassen sich nicht ohne weiteres als Projektion oder Fiktion abtun. Denn sie sahen den Auferweckten, also den Vorschein der neuen verwandelten Schöpfung.

Das ist von ihren jüdischen Denkvoraussetzungen her nicht erklärbar: Ein Einzelner konnte nur mit allen Anderen zusammen beim Ende der Welt auferstehen. Die Auferweckung eines nach jüdischem Recht Verurteilten und von Gott Verfluchten war schon gar nicht zu erwarten. Die Texte zeigen unübersehbar die Freude über die völlig unerwartete Wende!

Doch ein historischer "Beweis" (wie ihn W. Pannenberg seit 1959 versucht hat) ist das nicht. Es bleibt dabei: Wir können nur dem Glauben der ersten Zeugen glauben und ihrem Zeugnis vertrauen.

Jesu Tod im ältesten Passionsbericht

Die Auferweckungserfahrung hat die Jünger zur Bildung der Urgemeinde veranlasst, aus der der älteste Passionsbericht stammt. Das heißt: Weil dieser Gekreuzigte auferweckt wurde, galt die erste Frage der Jünger dem Sinn seines Todes und dem Verstehen seiner Passion mit Hilfe der Schrift (Lk. 24, 14-27).

Das Markusevangelium läuft von Anfang an auf Tod und Auferweckung Jesu zu: Denn auf den Wegbereiter (im NT: Johannes, Mk. 1, 2ff)) folgte in der Prophetie das Endgericht, die kosmische Umwälzung (Jes. 40, 3-5). Jesu ganze Geschichte will als Vorwegnahme dieser "Weltrevolution" und als ultimative Bekräftigung dieser jüdischen Heilserwartung verstanden werden.

So verknüpfen Leidens-, Todes- und Auferstehungsankündigungen, die Jesus gesagt haben soll, die Erzählungen von seinem Wirken in Galiläa mit seiner Passion in Jerusalem (Mk. 8, 31/9, 31/10, 33). Sie entsprechen der Deutung, die Jesus selbst nach dem vormarkinischen Passionsbericht seinem Tod gab.

Im Rahmen eines Passahmahls sagt er dem versammeltem Zwölferkreis - der für ganz Israel stand und Judas einschloss! - zu (Mk. 14, 24): "Das ist mein Leib/Blut, für euch zerbrochen/'vergossen zur Vergebung der Sünden für die Vielen".

Der Ausdruck "für die Vielen" bedeutet im Aramäischen: für ALLE. Das ist eine deutliche Anspielung auf eine im ganzen AT einzigartige Prophetie: den stellvertretend für das ganze Volk und seine Führer leidenden "Knecht Gottes" (Jesaja 52, 13 - 53, 12). Dass hier eine historische Erinnerung an Jesu eigene Deutung vorliegt, hat J. Jeremias recht wahrscheinlich gemacht (siehe Literatur).

Der Passionsbericht deutet die Kreuzigungsszene als vorweggenommenes Endgericht über die ganze Welt: Darauf weisen die Finsternis und das Stundenschema hin (Mk. 15, 33). Er verkündet also: Gott hat seinen Sohn "dahingegeben", um Israel und alle Menschen aus diesem Gericht zu erretten.

Jesus soll am Kreuz für seine jüdischen Ankläger und römischen Mörder gebetet haben, und zwar mit Worten des 22. Psalms (Mk. 15, 34), der seit dem Exil auf das ungerechte Leiden ganz Israels bezogen wurde und den zu Unrecht zum Tod verurteilte Juden bis heute beten (Claus Westermann). Auch in Auschwitz ist so gebetet worden.

Jesu Schwur beim Passahmahl lautete (Mk. 14, 25): "Von nun an werde ich nicht mehr trinken vom Gewächs des Weinstocks, bis ich es neu trinke im Reich Gottes."

Demgemäß lehnte er am Kreuz den Betäubungstrank seiner Henker ab (Mk. 15, 23). Doch nachdem er die Gerichtsklage des Gottverlassenen herausgeschrien hatte (Mk. 15, 34), nahm er den Weinessig seiner Brüder an: der Juden, die in ihm den wiedergeborenen Johannes sahen und hofften, der Prophet Elia werde ihn retten. Das Gericht Gottes trennte ihn nicht, sondern verband ihn unlösbar mit seinem Volk und dessen Hoffnungen.

So sagt der Passionsbericht: Gerade im Sterben Jesu liegt Hoffnung für uns. Gott selbst ist in diesem Sterben präsent, leidet und stirbt mit seinem Sohn. Gottes Reich wird kommen und alle Gewaltherrschaft überwinden. Jesus selber hat diese Zusage Gottes ultimativ bekräftigt. Indem er sein Leben am Fest der Befreiung Israels für alle Völker hingab, gab er mit Israel allen hoffnungslos Versklavten und Gefolterten Anteil an Gottes Zusage.

Das heißt: Es ist angesichts dieser konkreten Geschichte Jesu völlig unmöglich, Christen, Juden und Völker, jenseitige Erlösung und diesseitige Befreiung, Frieden und Gerechtigkeit, Glauben und Politik, Beten um Gottes Reich und Engagement für Weltveränderung gegeneinander auszuspielen und zu trennen.

Nimmt man den ältesten Passionsbericht genau beim Wort, dann ist gerade die Verkündigung des Todes Jesu, die in der europäischen Geschichte immer wieder zu Judenpogromen führte und dazu missbraucht wurde, der durchschlagende Grund für eine unkündbare Solidarität aller Christen mit allen Juden und allen zu Unrecht Verfolgten. Zugleich lassen sich von da aus judenfeindliche Aussagen in den Evangelien als situationsbedingt relativieren und sachlich entkräften.

Urchristliche Hoheitstitel

Der Sohn Davids

Dieser Titel bezeichnet den Messias als Nachfahren des Königs David, der Großisrael gründete, seine Feinde besiegte und den Tempelbau einleitete.

David erhielt die Zusage ewiger Thronfolge (2. Sam. 7, 13f), nachdem er die Bundeslade des alten 12-Stämmebundes nach Jerusalem überführt hatte. Daran knüpfte die Messiaserwartung der Exilsprophetie nach dem Untergang des Königtums an: Der Messias wurde als später "Spross" der Davidsippe erhofft (Jes. 11, 1).

Dieses Messiasbild war im Volk auch mit der gerechten Rechtsprechung für die Armen und Heilung der Kranken verbunden. Wo Jesus so genannt wird, stehen derartige Erwartungen im Vordergrund. Dem hat Jesus nicht widersprochen (Mk. 10, 46-52).

Aber der neue David sollte Israel auch gewaltsam aus der Hand seiner Feinde befreien: Dem hat Jesus zeichenhaft widersprochen und stattdessen an den machtlosen Messias Sacharjas erinnert (Mk. 11, 1-10).

Er soll auch betont haben, dass der Messias keine Nachfahre, sondern Vorfahre Davids und diesem übergeordnet sei (Mk. 12, 35f): Das spielte offenbar auf den präexistenten "Menschensohn" an, der aus Gottes Bereich stammt (Dan. 7, 13f).

"Christus" ist die griechische Übersetzung des hebräischen "maschiach" (der Gesalbte). Dieser Titel bezeichnet im AT zunächst den König Israels. Saul wurde zum ersten König gesalbt (1. Sam. 9-10).

Deuterojesaja, ein namenloser Prophet aus der Zeit des babylonischen Exils (587–539 v. Chr.), wandte den Titel dann sogar auf den persischen König Kyros an (Jes. 45,1).

Bald nach dem Exil konnte auch der jüdische Hohepriester als "Gesalbter" tituliert werden (Sa. 4, 14.

Erst sehr spät wird der Messiastitel auf den erwarteten endzeitlichen Heilskönig angewandt. Damit wurde ausgedrückt, dass nur Gott selbst diesen erwählen könne.

In der hebräischen Bibel bezeichnet dieser Titel zum einen jeden gottesfürchtigen Juden, zum anderen das ganze erwählte Gottesvolk (Hos.).

Texte aus der Ordensgemeinschaft von Qumran belegen aber, dass dieser Titel zur Zeit Jesu auch schon für den Messias verwendet und reserviert wurde. In dieser Form wird er von Kaiphas an Jesus herangetragen (Mk. 14, 61) und dann im hellenistisch beeinflussten Christentum verwendet (Mk. 15, 39/Röm. 1, 3).

Jesus nannte Gott zum einen "Abba" (lieber Vater, Papa), seine Jünger und Mitjuden zum anderen "Kinder Gottes": Er brachte ihnen Gottes liebevolle Fürsorge nahe.

  • 1. Der Menschensohn im AT

Diese rätselhafte Figur taucht in der apokalyptischen Literatur erstmals um 170 v. Chr. auf. In Daniels Vision (Dan. 7, 2-14) wird zuerst Gottes Thronbesteigung zum Endgericht, dann die Vernichtung aller menschlichen Großreiche, die auf Gewalt basieren, dann das Erscheinen eines "Menschenähnlichen" geschildert. Diesem werde Gott all seine Herrschaftsmacht übertragen. Daraufhin würden alle Menschen ihm dienen, und sein Reich werde ewig sein.

Das knüpfte an die älteren prophetischen Messiasweissagungen vom Völkerfrieden an, die bisher unerfüllt geblieben waren (und sind). Es grenzte sich aber auch gegen sie ab: Denn nun wurde die Erlösung nur noch vom Endgericht Gottes, also zugleich mit dem Ende der Welt erhofft. Vom Tempel und vom Messias war in der Vision keine Rede mehr. Die endzeitliche Wende wurde offenbar nun keinem Menschen, auch keinem Davidsspross mehr zugetraut.

Erst nach dem Gericht über alle Gewaltherrschaft sollte "das Allerheiligste gesalbt", also der jüdische Tempel neu eingeweiht werden (Daniel 9, 24.) So widersprach Daniels Apokalyptik denen, die sich mit der Vertreibung der Fremdherrscher, die den Tempel entweiht hatten, zufrieden gaben, und den Tempelkult nur wiederherstellen und gegen Ausländer verteidigen wollten.

Die Schriften Henoch und 4. Esra versuchten dann, beide Heilserwartungen - die des Messias und die des Menschensohns - zu verbinden und auszugleichen. Dabei erhielt der Menschensohn Attribute des Weltrichters: Er würde also nicht nach, sondern zum Endgericht erscheinen und Gott darin vertreten.

Diese besondere jüdische Apokalyptik hat die Zeit "zwischen" den Testamenten und die Endzeiterwartung um die Jahrtausendwende mitgeprägt. Sie wurde von den meisten Pharisäern geteilt.

Für die Sadduzäer dagegen war Daniels Apokalyptik eine Irrlehre, weil vom Menschensohn nichts in der Thora (den 5 Büchern Mose) stand. Diese war für sie allein maßgeblich.

  • 2. Der Menschensohn im NT

Von allen Titeln, die Jesus vor oder nach Ostern beigelegt wurden, könnte er den "Menschensohn" am ehesten selbst beansprucht haben. Denn dieser Titel taucht schon in der Logienquelle auf, und zwar nur in wörtlicher Rede Jesu.

Dort redet Jesus immer vom "kommenden" Menschensohn in der 3. Person. Auch sonst sagt Jesus in den Evangelien nie "Ich bin der Menschensohn". Hat er also einen anderen oder sich selbst gemeint? Diese Frage gehört zu den wichtigsten Streitthemen der NT-Forschung.

Welche Menschensohn-Vorstellung in einem Jesuswort gemeint ist, lässt sich wohl nur von Fall zu Fall entscheiden. Bei Markus nimmt Jesus schon in Galiläa die Vollmacht des Menschensohns in Anspruch, um Sünden zu vergeben (Mk. 2, 10) und am Sabbat zu heilen (Mk. 2, 28). Diese Vollmacht wird dem Menschensohn Daniels erst nach dem Endgericht übertragen.

Später kündigt Jesus die Auslieferung des Menschensohns an seine Feinde an (Mk. 8, 31). Das war in Daniels Vision nicht vorgesehen, weil der Menschensohn dort erst erscheint, nachdem Gott Israels Feinde besiegt hat.

In den Reden über das Endgericht (Mk. 13, Mt. 25, Lk. 21, Jh. 3/ 5, 19- 30) erscheint der Menschensohn als Weltrichter. Er vertritt also Gott selbst in dieser Funktion.

Nach Ostern trat der Menschensohntitel zurück: Nur Stefanus verwendete ihn (Apg. 7, 56), die Petruspredigten und Paulusbriefe dagegen verwenden andere Titel.

Der Kyrios

Dieser Titel ist die griechische Übersetzung des hebräischen Gottesnamens "JHWH". Er bezeichnet dessen Heiligkeit, Machtfülle und Weltherrschaft.

"Jesus Christus ist der Kyrios!" (Phil. 2, 11) ist einer der ältesten christlichen Glaubenssätze überhaupt (vgl. "Maranatha": "Unser Herr, komm!").

Der Messias ist in der Bibel ein von Gott erwählter, aber sterblicher Mensch. Dass er hier - von Juden! - mit Gott selbst identifiziert werden konnte, ist ein starkes Indiz dafür, dass Jesus sich tatsächlich selbst als der kommende gottgleiche "Menschensohn" von Daniel 7 vorgestellt hat.

Dann hätte der Kyriostitel den Menschensohntitel nach Ostern verdrängt und ersetzt, weil man respektierte, dass Jesus selbst sich vor Ostern so nannte und nun zu Gott erhöht worden war.

Dieser Titel ist typisch für die Sühnopfer-Deutung des Todes Jesu im Rahmen eines Passahfestes (Jh. 1, 29), die an die Weissagung vom "Gottesknecht" (Jes. 53, 7) anknüpft.

Die Vielfalt der Titel im NT zeigt bereits die Vielfalt der Möglichkeiten, das "für uns gestorben" in den ältesten Credoformeln auszulegen.

Der Weissagungsbeweis im NT

Die Autoren des NT beziehen viele Passagen des AT auf Jesus. Es wird so auf vielfältige Weise zu einer Vorhersage dieses Messias, z.B. in:

- Gen. 49,10: "aus dem Stamm Juda" - Lk. 3,33

- Mi. 5,1: "Bethlehem" als Geburtsort des Messias - Mt. 2,1

- Jes. 7,14: "von einer Jungfrau geboren" - Mt. 1,18

- Ps. 41,10: "von einem Freund verraten" - Mk. 14,10

- Ps. 22,19: Soldaten werfen das Los um seine Kleider - Mk. 15,24

- Dan. 9,25f: 69 Jahrwochen = 483 Jahre - Jh. 19, 31: Jesu Tod genau am Passahfest 32 n. Chr.

Die "Schrift" war für die Jünger Jesu der Schlüssel, seinen Tod und seine Auferweckung als vorherbestimmten Willen Gottes zu verstehen. Das konnten sie aber nur, weil Jesus selbst es ihnen nahe gelegt hatte.

war der erste christliche "Theologe". Er wurde als Christenverfolger durch eine eigene Jesusvision (Apg. 9) bekehrt und zum Völkerapostel berufen. Er gründete auf Missionsreisen im Mittelmeerraum eine Reihe von Christengemeinden, denen er in Briefen beistand. Er vertrat die Völkermission ohne Beschneidung, d.h. er hob für getaufte Christen die Thora Israels auf. Er bekräftigte aber zugleich die unkündbare Abhängigkeit aller Christen von Israels Erwählung (Römerbrief 9-11).

Markus

Matthäus

Lukas

Johannes

Frühkatholische Briefe

Die Bedeutung Jesu im Christentum

Nur Christen erkennen in Jesus von Nazareth den "Sohn Gottes", den menschgewordenen Gott, und bekennen ihn als den einzigen Erlöser der Menschheit, zu dem man beten kann. Das Bekenntnis zu Jesus Christus ist für alle Christen der einzige Zugang zum Heil.

Doch es gibt schon im NT, um so mehr in der folgenden Kirchengeschichte, verschiedene Auffassungen dieses Glaubens. Der Artikel bietet nur einen ersten groben Überblick.

Lehrentwicklung in der Alten Kirche

Kanon- und Credo-Bildung

381 formulierte das erste Konzil von Nicäa das nicäisch-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis. Damit war die Entwicklung zu einem gemeinsamen christlichen Glauben vorläufig beendet.

Inkarnation

Sie ist untrennbar von der Christologie. Über diese gab es nach der konstantinischen Wende jahrhundertelange Konflikte.

451 n. Chr. fand das 4. ökumenische Konzil von Chalcedon statt, die größte Synode der Alten Kirche. Dort einigte man sich auf das Bekenntnis "Jesus Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott" (Zweinaturenlehre).

Dieses Ergebnis ist bis heute gemeinsame ökumenische Lehrgrundlage der christlichen Kirchen, mit Ausnahme der damals widersprechenden Altorientalischen Kirchen.

Trinitätslehre

Diese Lehre besagt, dass der eine Gott als "Sein-in-Beziehung" von drei "Personen" zu denken ist: als Schöpfer, Erlöser und Heiliger Geist. Dieses Denkmodell ist das logische Pendant zum Inkarnationsdogma: Es soll erklären, wie der ewige Sohn Gottes als sterblicher Mensch wieder zu Gott zurückkehrt und dabei seinen Geist über seine Kirche ausgießt.

Die Trinitätslehre taucht im NT noch nicht auf, ergibt sich aber aus einigen seiner Glaubensaussagen, z.B. der Präexistenz des Logos (Jh. 1, 1ff).

Gott wird in der Kirche als dieser dreieinige Gott angebetet. Das markierte auch den unüberbrückbaren Gegensatz zum Judentum und später zum Islam, die Gott nur als eine unteilbare Person im Gegensatz zu allem Geschaffenen denken und anbeten können.

Ostkirche

Katholizismus

Papsttum

Erbsünde

Dieses Dogma sagt, dass der Mensch von Geburt an Sünder, als solcher von Gott getrennt ist und sich nicht aus eigener Kraft erlösen kann. Das ist die Voraussetzung dafür, dass diese Trennung nur durch Jesus Christus überwunden werden kann. Das Heilsgeschehen, Gottes Inkarnation und Erlösungswerk, ist der logische Gegenpol zur Erbsündentheorie.

Diese gilt in der katholischen Lehre, aber auch in der lutherischen Orthodoxie und in evangelikalen Richtungen als Unterscheidungsmerkmal von anderen Glaubensweisen und Prüfstein für den eigenen rechten Glauben "(Orthodoxie)". Über die genaue Art dieser Erlösung und den Weg dazu sind die verschiedenen christlichen Konfessionen jedoch uneins.

Sakramentenlehre

Reformatorisches Christentum

Der Augustinermönch Martin Luther entdeckte 1917 im Römerbrief (1, 17), dass der Mensch Gottes Gerechtigkeit nicht durch eigene Leistung, sondern nur durch das Geschenk des Glaubens erreichen kann. Er vertrat dies dann gegen den Ablasshandel und gegen Konzilsentscheidungen, so dass er den Bruch mit dem Katholizismus herbeiführte.

Im Luthertum wird Jesus Christus als die Erfüllung und Überwindung des richtenden "Gesetzes", das Gott im AT offenbart hat, verstanden.

Der Genfer Reformator Johannes Calvin hat stärker betont, dass dieses Gesetz Teil des Israelbundes ist, den Jesus Christus erfüllt.

Seit 1980 betonen deutsche evangelische Kirchen immer klarer, dass das Bekenntnis zu Christus zugleich ein Bekenntnis zu Israels unkündbarer Erwählung ist.

Protestantismus des 19. Jahrhunderts

Hier galt Jesus oft als Verkörperung des "absoluten Geistes" (Hegel, spekulativer Idealismus) oder des "Gefühls der schlechthinigen Abhängigkeit" (Schleiermacher, romantische Bewusstseinstheologie), so dass die christliche Religion sich als "Wesen" (Essenz) aller Religionen darstellte.

Die kirchliche Theologie bezog Jesus nun oft nicht mehr auf die Verheißungen an Israel, sondern auf andere, zur Offenbarung aufgewertete Größen wie "Volk", "Staat", "Rasse".

Die Abtrennung der AT-Verheißungen rächte sich im 20. Jahrhundert: Jesus konnte zum "Arier" umgelogen werden (E. Hirsch). Das fand Anhalt bei Luthers Übersetzung des Christustitels mit "Heiland". Dieser Ausdruck geht auf das gotische "heliandos" zurück und veränderte den Sinngehalt des jüdischen "Messias"-Titels.

Die nationalistische und rassistische Selbstaufgabe vieler Christen und die staatliche Gleichschaltung der Kirchen fand ihren Höhepunkt in der Hitlerzeit. Der jahrhundertelange christliche Antijudaismus machte die Kirchen weitgehend wehrlos gegen totalitäre Ideologie und Völkermord.

Gegenwart

Im liberalen Christentum heute wird das Bekenntnis zu Jesus Christus als einzigem Zugang zum Heil inklusiv, nicht exklusiv verstanden, und die Lehre von der Erbsünde wird abgelehnt. Das heißt, dass anderen Glaubenweisen ebenfalls ein möglicher Zugang zur Wahrheit zugestanden wird. Auch in der katholischen Lehre der "verstreuten Lichtfunken" (logoi spermatikoi) wird anerkannt, dass andere Religionen Wahrheiten enthalten und verkünden.

Jesus wird oft als menschlicher Mensch gesehen, der sich ohne eigene Machtansprüche den Schwachen und Ausgestoßenen zugewandt hat und eben darum von Gott "erhöht" wurde (Phil. 2).

Die Bedeutung Jesu in den Religionen

Die Person Jesus von Nazareth spielt in verschiedenen Religionen, aber auch für nichtreligiöse Menschen eine wichtige Rolle: positiv wie negativ. Außerhalb des Christentums kann Jesus durchaus eine positive, sogar eine besonders hervorgehobene Rolle spielen. Doch das christliche Bekenntnis, er sei der Christus, wird nicht geteilt. Viele negative Jesusbilder reflektieren ungute historische Erfahrungen, die die Anhänger verschiedener Religionen und Geistesrichtungen miteinander gemacht haben.

Jesus im Judentum

Das Judentum erkennt Jesus nicht als Messias und göttlichen Erlöser an, da die Erwartungen an den Messias durch Jesus von Nazareth nicht erfüllt wurden. Aber Jesus war ein Jude: Daher ist es richtig, zuerst darzustellen, wie er im Judentum gesehen wird. Denn ohne das Judesein Jesu gäbe es kein Christentum, ohne Erwählung Israels gäbe es keinen Glauben an die Errettung der Welt. Daher ist die besondere Beziehung des Christentums zum Judentum für Christen unauflösbar.

  • Jesus wurde schon zu Lebzeiten in Israel ganz verschieden gesehen, z.B. als:

- ein Prophet (so nannte Jesus sich selbst: Mk. 6, 4)

- der wiedergeborene Täufer Johannes

- der wiedergekommene Elia (im Volk, Mk. 8, 28)

- ein Falschprophet (Sadduzäer, Mk. 14, 58)

- der Messias (Petrus und die Jünger, Mk. 8, 29).

Der historische Jesus wurde also noch von der Glaubensvielfalt seiner jüdischen Religion getragen.

  • Nach dem Tempelverlust 70 n. Chr. war das Judentum gezwungen, sich neu zu konsolidieren. Nun setzte sich die Richtung der Pharisäer durch. Im Abgrenzungsprozess galt das Christentum nun als unvereinbar mit dem Judentum. Es wurde auf der Synode von Jamnia (72 n. Chr.) ausgegrenzt. Der Bruch erfolgte im Zuge der urchristlichen Mission, die die Mehrheitsverhältnisse veränderte, und reagierte auf den christlichen Antijudaismus, der damals schon um sich griff.
  • Der Talmud (2. JH) nennt Jesus daraufhin meist nur "jener Mann", vermeidet also seinen Namen. Jesus galt als Falschprophet und Verführer Israels, der Zauberei trieb, über die Weisen spottete, nur fünf Jünger hatte und uneheliches Kind des römischen Soldaten Panthera war (vgl. Thomasevangelium Logie 105, Celsus, Lüdemann). Er sei am Vorabend des Pessachfestes gehängt worden, nachdem sich trotz vierzigtägiger Suche kein Entlastungszeuge gefunden habe (bSanh43a) (vgl. den Prozessbericht bei Markus).
  • Im Mandäismus - einer Religion, die im Judentum zeitgleich zum Christentum entstand und sich auf den Täufer Johannes bezieht - wird Jesus wie im Talmud als "falscher" oder "Lügen"-Prophet betrachtet.
  • Im gegenwärtigen Judentum wird Jesus immer öfter als echter jüdischer Prophet gesehen. Seit 1945 versuchen jüdische Theologen (u.a. Martin Buber, David Flusser, Pinchas Lapide, Shalom Ben-Chorin), Jesus in positiver Weise ins Judentum "heimzuholen": nicht als Messias, aber als eine herausragende jüdische Figur. Viele Juden erkennen an, dass Jesus den Völkern den Glauben an den einen Gott Israels gebracht hat. Und es gibt die messianischen Juden, die an Jesus als den wiederkommenden Messias glauben.

Jesus im Manichäismus

Diese der Gnosis nahe stehende Religion entstand ebenfalls zeitgleich mit dem Urchristentum. Nach den Lehren Manis wurde Jesus den Menschen gesandt, um sie über die göttliche Vernunft aufzuklären und die Geistfunken der unsterblichen Seele für die Rückkehr in die Lichtwelt zu sammeln. Jesus spielt besonders in der Kosmologie Manis eine ganz wichtige Rolle.

Jesus im Islam

  • Der Koran, die heilige Schrift des Islam, nennt Jesus "Isa" und erzählt sein Leben. Die Darstellung unterscheidet sich in vielem stark von den Evangelien. Jesus wird eingereiht in die Kette der Vorläufer und Propheten, die zum einen Gott führen. Damit wird er Mohammed untergeordnet: dem Propheten, der Gottes letztgültige Offenbarung empfangen hat.
  • Der Islam achtet und verehrt Jesus als besonderen Propheten. Er ist von allen Vorläufern Mohammeds der Wichtigste. Sogar seine Auferstehung wird in der islamischen Theologie diskutiert.

Jesus in östlichen Religionen

In den Religionen Asiens war die Vielfalt der Götter immer schon kein Problem. Jesus wird als Guru oder Weisheitslehrer in das eigene Glaubenssystem eingeordnet. Dabei wird ihm jedoch keine universelle Erlöserrolle zugestanden.

  • Im Hinduismus erkennen viele Hindus ohne Vorbehalte an, dass Jesus eine volle Inkarnation des göttlichen Brahma war und dieses verwirklicht hat.
  • Im Buddhismus wird Jesus als ein echter Bhodisattva, also ein vollkommen barmherziger Mensch anerkannt und damit Bhudda nahezu gleichrangig an die Seite gestellt: so z.B. von Tenzin Gyatso, dem heutigen 14. Dalai Lama.

Jesus für Atheisten

Ungläubige Menschen haben sehr unterschiedliche Ansichten in Bezug auf Jesus.

  • Für "Heiden" (naturreligiöse Nichtchristen) galt Jesus schon in der Antike, aber auch heute als ein außergewöhnlicher Mensch, der über besondere Kräfte verfügte: als Rhetoriker, Heiler oder Magier.
  • Aufgeklärte Skeptiker bestreiten oft die Glaubwürdigkeit der biblischen Quellen, manche bestreiten sogar Jesu Existenz. Sie lehnen Jesus häufig ab, weil sie von Kirche und Christentum abgestoßen sind.
  • Andere sehen in Jesus ein humanes Vorbild, einen Menschenfreund, philosophischen Lehrer, strengen Moralisten oder politischen Widerstandskämpfer.
  • Indifferente Sichtweisen ignorieren Jesus einfach.

Jesus für Religionswissenschaftler

Für distanziert vergleichende Betrachter ist Jesus ein "Religionsstifter", da das Christentum als neue Religion von ihm ausging und sich auf ihn bezieht. Das wird heute jedoch relativiert, weil Jesus als Jude in Israel wirkte und keine neue Religion gründen, sondern das Judentum reformieren wollte. Das Christentum löste sich erst um 70 n. Chr. aus dem Verbund des Judentums.

Jesus in der Kunst

Kunstwerke

Verfilmungen

Literatur

Ältere Standardwerke

Moderne Standardwerke

  • Jürgen Roloff: "Jesus". Beck Verlag, 2000.
  • Gerd Theißen und Annette Merz: "Der historische Jesus". Vandenhoeck & Ruprecht, 3. Auflage 2001, ISBN 352552143X.
  • Gerd Theißen: "Soziologie der Jesusbewegung". 7. Auflage 1977.
  • Gerd Theißen: "Der Schatten des Galiläers". 13. Auflage 1993.
  • Jörg Sieger: Einleitung in das Neue Testament. Die römischen Statthalter in Judäa. in: www.joerg-sieger.de/einleit/nt/01gesch/nt06.htm
  • N. T. Wright: "Jesus and the Victory of God". 1996, ISBN 080062681-8

Jüdische Historiker und Theologen zu Jesus

  • Schalom Ben-Chorin: "Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht". München 1984.
  • David Flusser: "Jesus". rororo Bildmonographien, Reinbek bei Hamburg 1968.
  • Pinchas Lapide: Der Jude Jesus, ISBN 3491694051
  • W. G. Plaut (Hrsg.); "Die Tora in jüdischer Auslegung." Band 1, Genesis; Gütersloh, 1999, ISBN 3579026461
  • W. G. Plaut: "Das Alte Testament mit Kommentar in jüdischer Auslegung". Deutsch - Hebräisch.
  • Susannah Heschel: "Der jüdische Jesus und das Christentum".
  • Abraham Geiger: "Jesus - Herausforderung an die christliche Theologie"; Jvb, Jüdische Verlagsanstalt, Berlin, März 2001, ISBN 3934658040

Systematisch-theologische Werke

Populäre Jesus-Literatur

Siehe auch

Portal Bibel, Leben Jesu Forschung, Jehoschua, Josua, Jesus Ben Joseph, Jesus, Christus, Eingeborener Sohn, Christentum, Messias, Agnus Dei, Messianisches Judentum, Turiner Grabtuch, Auferstehung, Menschenopfer