Diktatur des Proletariats
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Die Diktatur des Proletariats war ursprünglich ein Begriff der französischen Sozialisten um Louis-Auguste Blanqui: „Frankreich voller bewaffneter Arbeiter, das ist der Sozialismus.“
1852 verwandte ihn Karl Marx in einem Brief [1], um die Herrschaft der Arbeiterklasse zu bezeichnen, mit der der Übergang von einer bürgerlichen Gesellschaft zur klassenlosen, daher herrschafts- und staatslosen Gesellschaft vollzogen wird. Der Begriff beinhaltete zunächst keine konkreten Vorstellungen von Organisation, sondern bezog sich auf die politische Herrschaft der Arbeiterklasse, die bislang nicht im Staat repräsentiert war. Engels bezeichnete 1891 die „Pariser Kommune“ von 1871, die aus einer Wahl hervorgegangene und basisdemokratisch agierende Stadtverwaltung, als realisierte Diktatur des Proletariats. [2] In selben Jahr erschien, durch Engels publiziert, posthum Marxens Schrift „Kritik des Gothaer Programms“ von 1875, die den Begriff ebenfalls beinhaltete.
Besonders im Programm der Kommunistischen Partei Russlands spielte dieser Begriff nach den Aprilthesen eine bedeutende Rolle, im Zeitraum zwischen der Oktoberrevolution und dem Bürgerkrieg in der Russischen Sozialistischen Förderativen Sowjetrepublik wurde die theoretische Vorstellung der Diktatur des Proletariats prinzipiell zu verwirklichen versucht. Nach 1925 in seiner Bedeutung immer mehr uminterpretiert, wurde der Begriff in den stalinistisch geprägten Ostblockstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg neben der wohl ansprechenderen Bezeichnung sozialistische Demokratie verwendet.
Bedeutung im Marxismus
Marx und Engels | |
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Pariser Kommune |
Karl Marx und Friedrich Engels entwickelten während ihrer Schaffenszeit ihre Vorstellung von der Aufhebung der herrschenden Klassengesellschaft in eine herrschaftsfreie klassenlose Gesellschaft weiter. Während im Kommunistischen Manifest von 1848 noch die Rede davon ist, dass „das Proletariat (...) seine politische Herrschaft dazu nutzen wird“, „alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren“ [3], und andere „revolutionäre Maßregeln“ [4] ausgerufen werden, äussern Marx und Engels 25 Jahre später in einem Vorwort zur deutschen Wiederveröffentlichung des Manifests, dass dieser Abschnitt „heute in vieler Beziehung anders lauten“ [4] würde, auch Aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Realität. Dabei formulieren sie, dass „die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen kann“ [5]. Für die Neubewertung spielte neben den fehlgeschlagenen Revolutionen von 1848 vor allem die Pariser Kommune von 1871 eine entscheidende Rolle.
1852 erwähnte Marx in einem privaten Brief an Joseph Weydemeyer erstmals den Bergiff der Diktatur des Proletariats. [6] Dort hält er ausschliesslich fest, „dass diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zur klassenlosen Gesellschaft bildet“ [1], und beschreibt diese nicht konkreter. In veröffentlichten Schriften trat der Begriff erstmals 1891 auf, in der posthum von Engels herausgegebenen Schrift Marxens, der „Kritik des Gothaer Programms“ von 1875, sowie in einer Einleitung Engels zu „Der Bürgerkrieg in Frankreich“, ebenfalls von Karl Marx. Dort orientierte sich der Begriff der Diktatur des Proletariats dann stark an der Pariser Kommune.
In der marxistischen Theorie gelten alle bisherigen Gesellschaftsformen seit der Auflösung der urkommunistischen Gemeinwesen als Diktaturen einer wohlhabenden Minderheit über eine unterdrückte Mehrheit. Der Staat mit seinem bürokratischen Apparat wird hierbei als Machtinstrument der wirtschaftlich herrschenden Klasse angesehen, der die niederen Klassenschichten durch seine Armee und Justiz unterdrückt und so die Ausbeutung zu erhalten versucht. „[Der] Staat ist nichts als eine Maschine zur Unterdrückung einer Klasse durch eine andere“. [2] „Die politische Gewalt im eigentlichen Sinn ist [daher] die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer anderen.“ [7]. Die bürgerliche Gesellschaft wird somit als Diktatur der Bourgeoisie mit abhängig von ihren Organisationsformen variierenden Proportionen der politischen und ökonomischen Repression charakterisiert. Die Aufhebung dieser Form der Diktatur und den Übergang zur klassenlosen Gesellschaft, in der Herrschaftsvehältnisse abwesend sind, bildet die sogenannte Diktatur des Proletariats. „Dieser Sozialismus ist die Permanenzerklärung der Revolution, die Klassendiktatur des Proletariats als notwendiger Durchgangspunkt zur Abschaffung der Klassenunterschiede überhaupt, zur Abschaffung sämtlicher Produktionsverhältnisse, worauf sie beruhen, zur Abschaffung sämtlicher gesellschaftlicher Beziehungen, die diesen Produktionsverhältnissen entsprechen, zur Umwälzung sämtlicher Ideen, die aus diesen gesellschaftlichen Beziehungen hervorgehen.“ [8] In der Diktatur des Proletariats wird der Staat, Instrument einer Klassenherrschaft, daher aufgehoben: „Die [Pariser] Kommune war eine Revolution gegen den Staat selbst (...). Sie war nicht eine Revolution, um die Staatsmacht von einer Fraktion der herrschenden Klassen an die andere zu übertragen, sondern eine Revolution, um diese abscheuliche Maschine der Klassenherrschaft selbst zu zerbrechen.“ [9]
Begriffsauslegungen und Umsetzungen
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Luxemburg | Novemberrevolution |
Der Begriff wurde sehr unterschiedlich interpretiert. Lenin charakteriiserte die Diktatur des Proletariats als direkte Machtausübung der Massen „millionenfach demokratischer als die demokratischste bürgerliche Demokratie“. Sie würde in einer proletarischen Revolution errungen werden und als Stützpfeiler für die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft dienen. Noch unmittelbar vor der Revolution von 1917 definierte Lenin in „Staat und Revolution“ die Diktatur des Proletariats als eine kurze Übergangsphase bis zum „Absterben des Staates“ nach der Weltrevolution. In der russischen Revolution waren die Räte (Sowjets) der Arbeiter, Bauern und Soldaten auch für kurze Zeit in einer solchen Situation. Allerdings wurde durch den Bürgerkrieg und Missernten eine zunehmende Zentralisierung vorgenommen, welche schließlich ab 1923 als Sprungbrett für die erstarkende bürokratische Kaste unter Josef Stalin diente.
Rosa Luxemburg kritisierte das leninsche Verständnis der Dikatur des Proletariats ebenso wie das Karl Kautskys. Während Lenin eine Diktatur nach bürgerlichen Muster propagiere, will Kautsky die Diktatur in der bürgerlichen Demokratie verwirklichen. Beide Sichtweisen bilden für sie gleichweit entfernte Pole von der Dikatur des Proletariats, nach Luxemburg bedarf es einer "sozialistischen Demokratie" (Demokratischer Sozialismus). "Jawohl: Diktatur! Aber diese Diktatur besteht in der ART DER VERWENDUNG DER DEMOKRATIE, nicht in ihrer ABSCHAFFUNG, in energischen, entschlossenen Eingriffen in die wohlerworbenen Rechte und wirtschaftlichen Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft, ohne welche sich die sozialistische Umwälzung nicht verwirklichen läßt." Sie verstand die Diktatur des Proletariats, seinen Wortursprung entsprechend, als "Diktatur der KLASSE, nicht einer Partei oder Clique, (...) d.h. in breitester Öffentlichkeit, unter tätigster ungehemmter Teilnahme der Volksmassen, in unbeschränkter Demokratie."
Bedeutung im Sowjetsozialismus
Sowjetunion |
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In der Sowjetunion (1922-91) und vergleichbaren politischen Systemen wurde der Begriff der Diktatur des Proletariats dahingehend verwendet, um zu beschreiben, dass das Proletariat, geführt durch die Kommunistische Partei, durch den Staatsapparat die Verhältnisse beseitigt, die die Herrschaft der Minderheit über die Mehrheit bedingt. Also zum Beispiel die Verhältnisse zur Produktion von Gütern (Vgl. Produktionsweise). In diesem Sinne wurde dieses Herrschaftsverhältnis als ein demokratisches, und als ein Übergangsstadium verstanden. Einzig die Sowjetunion zu Zeiten Breschnews [10] beanspruchte für sich, die Diktatur des Proletariats überwunden und den Sozialismus erreicht zu haben.
Bedeutung im Eurokommunismus
In den 1970er Jahren entfernten die eurokommunistischen Parteien Italiens, Spaniens und Frankreichs den Begriff der Diktatur des Proletariats aus ihren Parteiprogrammen. Die Eurokommunisten verneinten den internationalen Führungsanspruch der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) über die anderen kommunistischen Parteien und proklamierten unter Verzicht auf die Parole der "Diktatur des Proletariats" einen demokratischen Weg zum Sozialismus innerhalb der pluralistischen parlamentarischen Systeme Westeuropas.
Zitate
Marx und Engels
„Was ich neu tat, war 1. nachzuweisen, dass die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist; 2. dass der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führt; 3. dass diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zur klassenlosen Gesellschaft bildet.“
„Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“
„Der deutsche Philister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten bei dem Wort: Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats.“
„Und was tat die Kommune (...) ? (...) Gerade die unterdrückende Macht der bisherigen zentralisierten Regierung, Armee, politische Polizei, Bürokratie (...) sollte überall fallen, wie sie in Paris bereits gefallen war.“
Lenin
„Die Diktatur des Proletariats aber, d.h. die Organisierung der Avantgarde der Unterdrückten zur herrschenden Klasse, um die Unterdrücker niederzuhalten, kann nicht einfach nur eine Erweiterung der Demokratie ergeben. Zugleich mit der gewaltigen Erweiterung des Demokratismus, der zum erstenmal ein Demokratismus für die Armen, für das Volk wird und nicht ein Demokratismus für die Reichen, bringt die Diktatur des Proletariats eine Reihe von Freiheitsbeschränkungen für die Unterdrücker, die Ausbeuter, die Kapitalisten. Diese müssen wir niederhalten, um die Menschheit von der Lohnsklaverei zu befreien, ihr Widerstand muß mit Gewalt gebrochen werden, und es ist klar, daß es dort, wo es Unterdrückung, wo es Gewalt gibt, keine Freiheit, keine Demokratie gibt.“
Luxemburg
„Es ist die historische Aufgabe des Proletariats, wenn es zur Macht gelangt, an Stelle der bürgerlichen Demokratie sozialistische Demokratie zu schaffen, nicht jegliche Demokratie abzuschaffen. Sozialistische Demokratie beginnt aber nicht erst im gelobten Lande, wenn der Unterbau der sozialistischen Wirtschaft geschaffen ist, als fertiges Weihnachtsgeschenk für das brave Volk, das inzwischen treu die Handvoll sozialistischer Diktatoren unterstützt hat. Sozialistische Demokratie beginnt zugleich mit dem Abbau der Klassenherrschaft und dem Aufbau des Sozialismus. Sie beginnt mit dem Moment der Machteroberung durch die sozialistische Partei. Sie ist nichts anderes als die Diktatur des Proletariats. (...) [Diese] Diktatur muß das Werk der KLASSE, und nicht einer kleinen, führenden Minderheit im Namen der Klasse sein, d.h. sie muß auf Schritt und Tritt aus der aktiven Teilnahme der Massen hervorgehen, unter ihrer unmittelbaren Beeinflussung stehen, der Kontrolle der gesamten Öffentlichkeit unterstehen, aus der wachsenden politischen Schulung der Volksmassen hervorgehen.“
Siehe auch
Weblinks
Literatur
- Dieter Nohlen, Rainer-Olaf Schultze (Hrsg.), Lexikon der Politikwissenschaft. Theorien, Methoden, Begriffe. Band 1, 2005, Seite 161.
Einzelnachweise und Anmerkungen
- ↑ a b c K. Marx, Brief an Weydemeyer (1852), erstmals publiziert 1930 in Jungsozialistische Blätter. MEW 28, 507f. Quelle (Lesen (englisch))
- ↑ a b F. Engels, Einleitung zu Der Bürgerkrieg in Frankreich von Karl Marx , 18. März 1891, am zwanzigsten Jahrestag der Pariser Kommune, MEW 22, 188-199. (Lesen)
- ↑ K. Marx, F. Engels, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 481 (Lesen)
- ↑ a b K. Marx, F. Engels, Vorwort zu dem Kommunistisches Manifest, deutsche Ausgabe 1872. MEW 18, 95f. (Lesen)
- ↑ K. Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 336 (Lesen) ; Im Vorwort wird diese Schrift zitiert.
- ↑ Weydemeyer veröffentlichte kurze Zeit zuvor einen Artikel mit dem Titel „Diktatur des Proletariats“, ob Marx in diesen Zusammenhang den Begriff nutze ist unklar.
- ↑ K. Marx, F. Engels, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 482. (Lesen)
- ↑ K. Marx, Klassenkämpfe in Frankreich, MEW 7, 89. (Lesen)
- ↑ K. Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 541f. (Lesen)
- ↑ Implizit in der Verfassung festgehalten