Kafro Tahtayto (auch nur Kafro genannt; türkisch Elebgendi) ist ein Dorf in der Provinz Mardin im Südosten der Türkei im Tur Abdin Gebirgszuges. Der Ort hat ungefähr 70 Einwohnern und wird auch heute immer noch von Assyrer bewohnt.

Geographie
Lage
Das Dorf Kafro Tahtayto liegt 15 km südöstlich von Midyat entfernt. Es wurde auf einer leichten Anhöhe gebaut und befindet sich ungefähr 900 m über den Meeresspiegel. Kafro Tahtayto ist umgeben von den anliegenden Dörfern Anhel, Arkah, Arbo und Kartmir, welche kaum mehr als 9 km entfernt sind. Als kleine Provinzstadt bietet Midyat mit 15 km Entfernung die nächste Einkaufs- und Handelsmöglichkeit. Man erreichte sie früher zu Fuß oder mit Esel. Später pendelten Minibusse. Die Grenze zu Syrien liegt lediglich 20 km von Kafro Tahtayto entfernt. Vielfach wurde in der syrischen Provinz Qamischly Handel betrieben. Man pflegte das grenzüberschreitende nachbarliche Verhältnis aus zwei Gründen. Einerseits bot Qamischly nicht nur einen guten Absatzmarkt für die erwirtschafteten landwirtschaftlichen Erzeugnisse, sondern auch viele Handelsgüter, die in der Türkei nicht erhältlich waren. Andererseits leben in Qamischly auch Aramäer, die in der Nachkriegszeit durch die Grenzziehung voneinander getrennt wurden. Somit beruhte die Beziehung zu Qamischly nicht nur auf den Handel, sie war oft auch verwandtschaftlich bedingt.
Unter dem Begriff „Rayite“ versteht man den Überbegriff der örtlich angrenzenden Dörfer Kafro Tahtayto, Arkah, Harabemischka, Sederi, Beth Debe, Ehwo und Arbo. Sie alle waren ausschließlich von Aramäern bewohnt.
Landschaftsbild
Die rote Erde ist sehr fruchtbar und eignet sich hervorragend zum landwirtschaftlichen Anbau. Sie ist sehr reichhaltig an vulkanischem Lavagestein, das den Landwirten beim Pflügen oft mühsame und harte Arbeit verursacht. Kafro Tahtayto ist für das hohe Vorkommen an weißem Kalkstein berühmt.
Klima
Die Jahreszeiten waren zu den damaligen Zeiten, als das Dorf noch bewohnt war, sehr ausgeprägt. Viele Niederschläge im Frühling und Herbst; heißer und trockener Sommer, kalter und stark verschneiter Winter. Die Temperaturschwankungen beliefen sich zwischen -10°C im Winter bis +52°C im Sommer. Berichten zufolge, sollen jedoch klimatische Änderung im Tur Abdin festgestellt worden sein.
Bevölkerung
Laut mündlicher Überlieferung hat das Dorf Kafro Tahtayto seinen Entstehungsursprung noch vor Christi Geburt. Im Jahre 1900 war Kafro Tahtayto von 30 Familien besetzt. Am Völkermord 1914/15 waren die Aramäer von dessen Folgen zu tiefst betroffen. Alle, die sich retten konnten, flohen in Höhlen und fanden dort ihren Schutz. Kafro Tahtayto war in diesem Zeitraum unbewohnt. Erst um 1916 kehrten die ersten 8 Familien von den Höhlen in ihr Heimatdorf Kafro Tahtayto zurück. Kafro Tahtayto erlebte 1970 mit 46 Familien die Spitze der Bevölkerungszahl. Nach der in den 80er Jahren beginnenden Auswanderungswelle, vorwiegend in Richtung Europa, schrumpfte die Zahl der Bewohner im Jahre 1992 auf nur noch 5 Familien zurück. Mit der Ausreise der drei letzten Familien im Jahre 1995 steht das Dorf seither leer und unbewohnt.
Im Jahre 2004 leben etwa 180 Familien aus dem ursprünglichen Dorf Kafro Tahtayto in Europa, mehrheitlich in Deutschland, Schweden und in der Schweiz. Heute Leben (2007) leben in Kafro 17 Familien.
- 1900: 30 Familien
- 1915 20 Familien
- 1916: 8 Familien
- 1970: 46 Familien
- 1992: 5 Familien
- 1995: 0 Die letzten drei Familien verlassen das Dorf Kafro
- 2007: 17 Rückkehrer- Familien
Geschichte
Ortsnamensforschung
„Kafro“ ist ein aramäisches Wort und bedeutet übersetzt „Dorf“. Um es nicht mit dem gleichnamigen und nahegelegenen Dorf zu verwechseln, das auch Kafro heißt, wurden sie mit einer zusätzlichen Bezeichnung „Tahtayto“ und „Helayto“, was „unten“ und „oben“ bedeutet ergänzt.
Volkermord 1915
Als Bestandteil des Tur Abdins, in Jahre 1914 bis 1918, war das Dorf ebenso vom tragischen Schicksal betroffen. Infolge der Vielzahl von Kriegen, Verfolgungen und Schändungen des Dorfes durch fremde, vor allem muslimischen Völker, blieb über die geschichtliche Entwicklung von Kafro Tahtayto nur noch mündliche Überlieferungen erhalten. Bücher und andere schriftlichen Dokumente wurden entwendet, verbrannt und vernichtet. Die vielfachen gesellschaftlichen Bedrängnisse brachten nicht nur dem Dorf Kafro Tahtayto, sondern auch allen anderen Dörfern aus dem Tur Abdin den Niedergang.
Dort lebten rund 20 aramäische Familien. Es gab welche, die ins Mor Malke-Kloster flüchteten, und solche, die zum Mor Elija-Kloster in Ehwo gingen. Von den tapferen Kämpfern dieses Dorfes sei Cacan Scha´o genannt, der unter den Sippen als ein furchterregender Mann bekannt war. Die Dorfbewohner blieben in den oben genannten Orten, bis die Verfolgungen aufhörten, dann kehrte ein Teil zurück.
Hintergründe für die Auswanderung
Die Verfolgungswellen sind nicht neu. In jedem Jahrhundert gab es neue schwarze Zeiten für das Tur Abdin. Genau betrachtet wurden die Aramäer und Assyrer seit Jahrtausenden von den Persern, Römern, vom Byzanz, von den Arabern, Osmanen und bis heute, infolge der in der Türkei entstandene Konflikte, verfolgt und aus ihrer Heimat vertrieben.
Zusätzlich machte in jüngster Zeit eine Reihe von Bedrängnissen das Leben der Christen noch unsicherer und zwang sie zur Flucht. Eine Kettenreaktion, die dann schlussendlich zur Massenbewegung wurde. Die jüngste Auswanderungswelle erlebte ihren Höhepunkt in den 80er Jahren. Nahezu alle von Aramäer bewohnten Dörfer stehen heute vollständig leer.
Die meisten der ehemals 200.000 Angehörigen dieser Minderheit haben ihr angestammtes Siedlungsgebiet, den Tur Abdin, verlassen. Sie sind hauptsächlich nach Europa ausgewandert. Etwa 5.000 von ihnen wohnen heute in Istanbul, nur noch höchstens 3.000 sind in der Heimat geblieben.
Wirtschaft und Infrastruktur
Landwirtschaft
Die Äcker und Felder sind rund um das Dorf verteilt und von aus Steinen erstellten Mauern begrenzt. Viele davon sind sogar einige Kilometer vom Dorf entfernt. Im Herbst und Frühling bildet sich aus den Regengüssen ein kleiner See. Die Bewohner nutzten ihn einerseits für den Frühling- und Herbstputz andererseits als Tränkestelle für das Vieh.
Das Dorf hat einen relativ großen Eichwald und war zu seiner Bewohnung von Rebbergen umgeben, in denen über 17 Traubensorten angebaut wurden. Früchte wie Feigen, Granatäpfel, Trauben, Süssmelonen und Wassermelonen waren in den entsprechenden Jahreszeiten reichlich vorhanden. Weizen, Gerste, Gurken, Mandeln und vereinzelt Äpfel wurden ebenso angepflanzt.
Handelswaren
Hauptsächlich werden in Kafro Tahtayto landwirtschaftliche Tätigkeiten ausgeübt. Das Bestellen von Acker und Feld gehörte zum Alltag. So auch der Anbau von Weinreben, der einen großen Ertrag an Rosinen einbrachte. Diese wurden dann in den anliegenden Regionen verkauft oder gegen andere teilweise importierte Güter eingetauscht. Viele leisteten sich eine Viehzucht und profitierten von den Milchprodukten wie Milch, Käse und Joghurt.
Die landwirtschaftlichen Tätigkeiten waren stets von den Umweltbedingungen beeinflusst. So kam es nicht selten vor, dass Dürreperioden den Ausfall von Ertrag bewirkten und weitgehend Hungerwellen auslösten.
Infrastruktur
Als Haufendorf umfasst Kafro Tahtayto 46 Häuser, welche relativ dicht zueinander stehen. Bis zum Jahre 1970 wurden Häuser aufgrund der Notwendigkeit gebaut, sie waren damals alle besetzt. Sie haben die typische Form eines Blocks vorwiegend mit zwei Etagen. Der untere dient als Stall für die Haustiere und für das Vieh, der obere als Behausung der Familie. Wände, Decken und Boden bestehen aus größeren Steinen, die herbeigeführt werden mussten und wurden mittels einer Mischung aus selbst gebranntem Kalkstein und Zement zusammengefügt. Jedes Haus verfügt über einen Vorplatz, der von einer hohen Mauer begrenzt ist; für die Sicherheit der Bewohner.
Die Strasse, welche mitten durchs Dorf verläuft, verbindet indirekt die Kreisstadt Midyat mit dem östlich gelegenen Dorf Arkah. Die Klöster Mor Malke (bewohnt) und Mor Augin (ältestes Kloster überhaupt, unbewohnt) sind ausschließlich auf dieser Strasse zu erreichen.
Das Schulhaus, das erst 1964 unter minimalsten Bedingungen erbaut wurde, steht am äußersten westlichen Dorfrand. Verschiedene Klassen wurden dort gleichzeitig durch den gleichen Lehrer ausschließlich in türkisch unterrichtet.
Für die Wasserversorgung dienten ca. 80 selbst erbaute Tiefbrunnen, die sich vom Regenwasser füllen. Sie sind großflächig verstreut. Einige sind sogar in den Vorhöfen der Häuser zu finden. Bis heute verfügt das Dorf nicht über eine externe Wasserzuleitung. Auch ist keine Kanalisation vorzufinden. Strom und Telefonanschluss (eine Nummer fürs ganze Dorf) sind erst in den 80-er Jahren dem Dorf zugeführt worden.
Religion (Christentum)
Friedhof und Kirchen
Der Friedhof ist umgeben von einer großen Mauer und befindet sich im Kirchenareal der Kirche Mor Yahkub und der angebauten großer Kirche Mor Barsaumo. Die Kirchen stehen leicht seitlich des östlichen Dorfrandes. Das noch damals gut erhaltene Gedenkhaus Gottesmutter Maria findet seinen Platz etwa 500 Meter außerhalb des Dorfes. In Kafro Tahtayto wurden folgende Kirchen und kleinere Gedenkhäuser erbaut:
- Kirche Mor Yahkup, Baujahr: 5. Jahrhundert
- Kirche Mor Barsaumo, Baujahr: 5. Jahrhundert
- Gedenkhaus Gottesmutter Maria, Baujahr: unbekannt
- Kirche Mor Bosuss, Baujahr: unbekannt
- Gedenkhaus Kadisto, Baujahr: unbekannt
Religion
Die Bewohner von Kafro Tahtayto anerkennen den christlichen Glauben seit dem 3. Jahrhundert nach Christus. Alle Familien pflegen nach wie vor den christlichen syrisch-orthodoxen Glauben, welcher von der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien abstammt. Die Kirche war die Klammer, die die Bewohner zusammenhielt, ihnen sprachliche und religiöse Identität verlieh. Die Zeit der Christenheit in der Osttürkei scheint aber aufgrund der Missstände des Landes allmählich zu Ende zu gehen, wenn diesbezüglich nichts dagegen unternommen wird.
Dorfzustand und Massenrückkehr
Dorfzustand
Als die Kämpfe zwischen den Kurden und des türkischen Militärs sich im Südosten der Türkei ausweiteten, war auch Kafro Tahtayto von dessen Folgen schwer betroffen. Die damaligen Bewohner mussten die neu aufgesetzten Vorschriften des Militärs strengstens befolgen. Nach 18.00 Uhr durfte beispielsweise niemand mehr das Dorf verlassen, bzw. besuchen.
Minen wurden gegen eine mögliche Invasion in umliegender Nähe eingesetzt. Nachdem ein junger Hirte aus Kafro Tahtayto auf einer Mine trat und dabei sein Bein verlor, wurden alle Bewohner stärker in Angst und Schrecken versetzt, so dass sie letztendlich das Dorf verließen. Vermutungen zufolge wurde selbst das Dorf dann später vermint und für jedermann gesperrt.
Erst im Jahre 2002 wurde es wieder zugänglich gemacht. Der Schaden, welcher das Dorf erlitten hat, ist sehr groß. Bausteine, Fenster und Türen wurden von den Häusern entwendet. Infolgedessen stürzte eine Vielzahl von ihnen ein. Die Kirchen wurde im Innern vollständig verwüstet und unkenntlich gemacht. Der Altar wurde herabgerissen und die Wände wurden mit obszönen Sprüchen und Zeichnungen voll beschrieben. Selbst die Gräber wurden geschändet. Der Boden des Maria-Gedenkhauses Kadisto wurde aufgerissen, um den vermeintlich darunter versteckten Schatz zu entwenden. Bäume holzte man für Brennholz ab. Das Dorf gleicht nun einer Gespensterstadt.
Massenrückkehr in die Heimat?
Die Realität schaut bis zu diesem Zeitpunkt anders aus! Viele haben den Tur Abdin für eine Rückkehr völlig abgeschrieben. Für andere liegen familiäre oder wirtschaftliche Verhältnisse nahe, in der „Fremde“ zu bleiben. Manche haben kein Vertrauen auf eine Zukunft in der Türkei, sie haben zu viele gegenteilige Erfahrungen gemacht. Manche haben Angst. Andere möchten ein beschwerlicheres Leben, das auf sie im Tur Abdin warten würde, nicht auf sich nehmen. So ist es für viele schwer und oft ganz unmöglich, sich für eine Rückkehr zu entscheiden.
Trotzdem wagen sich zurzeit 17 ehemalige Familien aus Kafro Tahtayto, sich mit der Frage über die Rückkehr in das Heimatdorf ernsthaft zu beschäftigen. Ein Zuwachs weiterer Familien ist nicht ausgeschlossen. In diesem Bewusstsein wird ein Konzept ausgearbeitet, das die Rückkehr auf innen- und außenpolitischer und ökonomischer Ebenen sicherstellen kann.