Der Vertrag von Weingarten wurde während des deutschen Bauernkrieges am 17. April 1525[1] in Weingarten (Oberschwaben) geschlossen und am 22. April formal beurkundet. Vertragspartner waren der Heerführer des Schwäbischen Bundes, Georg Truchsess von Waldburg-Zeil (später "Bauernjörg" genannt), und die Hauptleute der aufständischen Bauern des Seehaufens aus den Gebieten am nördlichen Bodenseeufer.[2] Er beendete die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Heeren ohne größere Gefechte und legte zugleich die Rückkehr zur alten Ordnung fest.

Zustandekommen
Beide Heere standen sich an Ostern 1525 bei Weingarten gegenüber, wobei das Heer des Schwäbischen Bundes den gut gerüsteten Bauern des Seehaufens an Truppenstärke deutlich unterlegen war und zudem in ungünstiger Stellung lag. Weitere Unterstützung durch die Allgäuer und Hegauer Bauern war bereits unterwegs. Das erkannte der Heerführer des Schwäbischen Bundes und versuchte, eine militärische Eskalation zu vermeiden.[3]
Georg Truchsess von Waldburg-Zeil legte den Anführern der Aufständischen den Entwurf für einen aus 15 Punkten bestehenden Vertrag vor. Die Vertragsverhandlungen, bei denen unter anderem Vertreter der Grafen von Montfort und der freien Reichsstadt Ravensburg vermittelten, zogen sich in die Länge. Am 17. April nahmen die Bauernführer des Seehaufens die Bedingungen des Truchsess schließlich an. Anders als mit dem Truchsess vereinbart, weigerten sich die Bauern allerdings, ihre Waffen abzugeben. Die verbündeten Bauern des Allgäuer Haufens nahmen den Vertrag nicht an.[4]
Warum die Bauern trotz ihrer militärischen Überlegenheit einen derart ungünstigen "Diktatfrieden" akteptierten, ist Gegenstand der Forschung. Der Historiker Elmar L. Kuhn sieht die Gründe in der Schwäche ihrer Führungsriege. Diese bestand überwiegend aus Vertretern des Kleinadels und dem Patriziat und fürchtete um den Verlust ihrer sozialen Stellung durch allzu militantes Vorgehen. Sie war daher gegenüber einer "gütlichen Einigung" auch auf Kosten der ländlichen Unterschichten prinzipiell aufgeschlossen.[5] Dem Truchsess verschaffte der Vertrag die nötige Atempause, um sein Heer personell aufzustocken und damit weiter gegen andere Bauernheere zu ziehen.[6]
Inhalt
Zu Beginn des Vertrags wird den Bauern vorgeworfen, mit ihrer "Verschwörung" einen Aufruhr verursacht zu haben, der gegen die Goldene Bulle und den Landfrieden des Reichs verstoßen hat. Den Bauern wird die Absetzung ihrer "Herren, Junker und Obrigkeiten" und die Einnahme und Plünderung der "Schlösser, Märkte, Dörfer und Häuser ihrer Herren" vorgeworfen. Danach folgen 15 Vertragsartikel, die unter anderem beinhalten:
- Die Bauernhaufen (Heere) werden aufgelöst und erhalten freien Abzug.
- Die Haufen müssen ihre Bündnisse beenden, sich wieder ihren Herren unterordnen und geloben, keine neuen Aufstände zu organisieren.
- Alle gegenseitigen politischen und finanziellen Verpflichtungen der Bauern sind annuliert.
- Die Bauern müssen wieder Abgaben leisten und eroberte Klöster, Schlösser, Ortschaften und Güter an die Besitzer zurückgeben.
- Unabhängige Schiedsgerichte sollen künftig bei Streitigkeiten zwischen Bauern und Feudalherren entscheiden, wobei die Schiedsgerichtsvertreter Bürger aus der Stadt sein müssen.
- Die Bauern müssen in ihren Gemeinden für die Einhaltung des Vertrags sorgen. Wenn eine Obrigkeit gegen den Vertrag verstößt, dürfen sie sich beim Schwäbischen Bund beschweren.
Die Vereinbarung wurde schließlich am 22. April 1525 in Ravensburg durch neun Siegel beurkundet, darunter die Siegel der Stadt Meersburg, der Stadt Tettnang, des Klosters Weingarten und des Hauptmannes des Platzes Altdorf.[7][8]
Folgen
Nach dem Abschluss des Vertrags dauerte es mehrere Wochen, bis sich die Bauern wieder ihren Herren unterordneten. Der Seehaufen bestand noch bis Herbst 1525 formell fort. In Versammlungen wurde den Bauern von seinen Führern jetzt eingeschärft, den Vertrag zu beachten. Einige der Haufenführer machten in der Folge Karriere. Sowohl Hurlewanger als auch Ziegelmüller erhielten Zahlungen von der Obrigkeit für ihre Zusammenarbeit bei der Abwicklung der Revolte.
Im Verlauf des Jahres kam es immer wieder zu einzelnen Aufständen und Meutereien, die niedergeschlagen wurden. Im benachbarten Weißenau wurde der Hof des lokalen Bauernführers Stefan Rahl angezündet.[9] In Überlingen kam es zur Hinrichtung mehrerer Bauernführer, die sich weigerten, gegen ihre Bundesgenossen im Hegau zu kämpfen. Ende Juni beschwerten sich die Ausschüsse des Seehaufens in einem gemeinsamen Brief an den Schwäbischen Bund über die Repressalien einzelner Herrscher, die sie als Vertragsverletzung betrachteten.[10]
Wenige Wochen nach Abschluss des Vertrags, im Mai 1525, zirkulierte die in Nürnberg gedruckte anonyme Flugschrift "An die Versammlung gemeiner Bauernschaft", deren Autor vermutlich der von Zwingli geprägte reformierte Theologe Christoph Schappeler ist. Sie betont in Auseinandersetzung mit der lutherischen Lehre, dass die Obrigkeit nicht über dem Gesetz oder dem Evangelium stehen dürfe. Schappeler rechtfertigt den "gerechten" Kampf der Bauern unter Bezugnahme auf die Forderungen der Zwölf Artikel und übt scharfe Kritik an Adel und Klerus, die von der eigentlichen Lehre des Evangeliums abgekommen seien und zur Tyrannei wurden. Die Bauern ruft er zur Einigkeit und Fortsetzung ihres Widerstands auf:
„Wenn jedoch eure Herren weiterhin Herren sein wollen und großen Unfug mit euch Armen treiben, entgegen der oben beschriebenen göttlichen Rechtslehre, dann folgt dem Beispiel Salomons: Schart euch mutig zusammen, bewaffnet euch mit dem Mut kühner Ochsen und Stiere, die sich treu in einem Kreis zusammenschließen und ihre Hörner hervorstrecken. Nicht um sich zu empören, sondern allein, um sich vor den einfallenden Wölfen zu schützen.“[11]
Rezeption
Der Historiker Max Steinmetz sieht in Weingarten „die bisher schwerste Niederlage der Bauern, entstanden aus dem Verzicht auf den sicheren Sieg“, in dessen Folge der Schwäbische Bund weitgehend freie Hand zur anschließenden Niederschlagung der Revolte der württembergischen und fränkischen Bauern erhielt. Er markiert damit einen Wendepunkt im Verlauf des Bauernkriegs: Mit dem Weingartener Vertrags sah sich das feudale Lager wieder die Oberhand gewinnen und vernetzte sich auch andernorts besser, teils konfessionsübergreifend – wogegen in der Folge auch Thomas Müntzer nichts mehr auszurichten vermochte.[12]
Dennoch führte der Vertrag zu örtlichen Verbesserungen. Die Obrigkeit zeigte sich aus Angst vor neuen Erhebungen kompromissbereiter. Die Forderungen der Zwölf Artikel wurden jedoch nicht verwirklicht, die Leibeigenschaft blieb bestehen und auch die im Vertrag vorgesehenen Schiedsgerichte wurden nie eingeführt. Ihren Anführern warfen die Bauern vor, sie mit dem Weingartener Vertrag betrogen zu haben.[13] Martin Luther lobte den Vertrag als Modell für eine friedliche Konfliktlösung und "besondere Gnade Gottes, empfangen in dieser wüsten, greulichen Zeit" und ließ ihn zügig mit einer eigenen Vorrede in Wittemberg nachdrucken. Im digitalen Landesarchiv Bavarikon kann eine Faksimileausgabe des Vertrags mit dessen Kommentierung eingesehen werden.[14]
Gedenken
Im 9. Mai 2025 wurde in Weingarten ein Denkmal zum Weingartener Vertrag eingeweiht. Hierbei handelt es sich um einen kreisrund auf dem Boden des Münsterplatz aufgebrachten Schriftzug, der „Damit Frieden, Ruhe und Einigkeit dauerhaft bewahrt werden, sollen wir…“ lautet (Auszug aus dem Text des Weingartener Vertrags). Er beruht auf einem Entwurf des österreichischen Künstlers Marbod Fritsch.[15][16] Der Bauernkriegshistoriker Elmar L. Kuhn kritisierte das Denkmal als Monument für ein „Siegerdiktat“, das fatal an die preußische Aufforderung „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ erinnere. Bauern, die „eben nicht ruhig geblieben sind“ und für eine menschenwürdige Existenz gekämpft hätten, würden damit ins Unrecht gerückt und diffamiert.[17][18] Bei der Einweihung des Denkmals kam es zu Protesten, unter anderem von Vertretern der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft mit Schildern auf denen „Vertrag Weingarten - Ein (be)trügerischer Friede!“ oder „Power to the Bauer“ stand.[19]
Literatur
- Bernt Engelmann: Wir Untertanen. Ein deutsches Anti-Geschichtsbuch. Verlag Fischer, Frankfurt a. M. 1980.
- Bernt Engelmann, Günter Wallraff: Ihr da oben – wir da unten. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1980.
- Kreisarchiv Bodenseekreis (Hrsg.): Leben am See 11-2, Materialien zur Regionalgeschichte: Der Seehaufen im Bauernkrieg, Band 2. Friedrichshafen 1981.
- Elmar L. Kuhn: Bauernkrieg im Linzgau. In: Dillmann, Erika (Hrsg.): Bermatingen. Heimatbuch zur 1200-Jahr-Feier. Bermatingen 1979, S. 81–104.
- Oberschulamt Tübingen (Hrsg.): Materialien zur Landeskunde und Landesgeschichte. Heft 4: Der Bauernkrieg im südlichen Oberschwaben.
- Peter Blickle: Der Bauernkrieg. Die Revolution des Gemeinen Mannes (= Beck’sche Reihe – C. H. Beck Wissen Bd. 2103). 6., durchgesehene Auflage, C. H. Beck, München 2024, ISBN 978-3-406-43313-9.
- Elmar L. Kuhn / Peter Blickle (Hg.): Der Bauernkrieg in Oberschwaben. Bibliotheca-Academica-Verlag, Tübingen 2000, ISBN 3-928471-28-7.
- Michael Zuber: Zur Einordnung von Martin Luthers Nachdruck des Weingartener Vertrages innerhalb seiner übrigen Bauernkriegsschriften, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, 108. Jg. 1990, S. 81–88 (Digitalisat)
- Kreisarchiv Bodenseekreis (HRSG): Leben am See 11-2, Materialien zur Regionalgeschichte: Der Seehaufen im Bauernkrieg, Band 2. Friedrichshafen 1981.
- Elmar L. Kuhn: Bauernkrieg im Linzgau. In: Dillmann, Erika (HRSG) Bermatingen. Heimatbuch zur 1200-Jahr-Feier (S. 81–104). Bermatingen 1979.
- Martin Luther: Vertrag zwischen dem löblichen Bund zu Schwaben, und den zweyen hauffen und versamlung der Bauren am Bodensee und Algeu", Klug (Verlag), 1525 (Digitalisat).
Johann Ernst von Pflummern: Originaler Volltext des Weingartener Vertrags vom 22. April 1525. In: Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Hrsg.): Annales Biberacenses. Nachträge zu den „Annales Biberacenses“ 1519 – 1531. Band 3, 2017, S. 243–250, 247 (biberach-riss.de [PDF]). </ref>
Einzelnachweise
- ↑ Jos. Edmund Jörg: Deutschland in der Revolutionsperiode von 1522 bis 1526. Freiburg im Breisgau 1851
- ↑ Johannes Gießler: Der Bauernkrieg in Oberschwaben im Spiegel der Weißenauer Chronik, Quellen für den Unterricht Nr. 53; in Archivnachrichten Nr. 5/2017, S. 1–7, https://www.landesarchiv-bw.de/media/full/61864
- ↑ Bernd Rill, Der Bodensee; Casimir Katz Verlag Gernsbach, 2014, S. 266f.
- ↑ Elmar L. Kuhn: Der Seehaufen. In: Oberschwaben Portal. S. 9, abgerufen am 11. Mai 2025.
- ↑ Elmar L. Kuhn: Der Seehaufen. In: Oberschwaben Portal. S. 9–10., abgerufen am 10. Mai 2025.
- ↑ Thomas S. Sea: Schwäbischer Bund und Bauernkrieg: Bestrafung und Pazifikation, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.): Der deutsche Bauernkrieg 1524–1526 (=Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft; Sonderheft 1). Göttingen 1975, S. 129–167. S. 133f.
- ↑ Der Bauernkrieg erreicht auch Meersburg In: Museumsverein Meersburg (Hrsg.): Meersburger Spuren. Verlag Robert Gessler, Friedrichshafen, 2007. ISBN 978-3-86136-124-4, S. 170–174.
- ↑ Christian Greiner: Die Politik des Schwäbischen Bundes während des Bauernkrieges 1524/1525 bis zum Vertrag von Weingarten, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben Bd. 68. Augsburg 1974, S. 7–94.
- ↑ Kloster Weißenau: Gehorsam & Gnade: Die alte Ordnung ist wiederhergestellt. In: Website des Klosters Weißenau. Abgerufen am 10. Mai 2025.
- ↑ Elmar L. Kuhn: Der Seehaufen. In: Oberschwaben Portal. S. 9–11, abgerufen am 11. Mai 2025.
- ↑ Anonym (vermutlich Christoph Schappeler): An die Versammlung gemeiner Bauernschaft. In: Bavarikon. Abgerufen am 11. Mai 2025.
- ↑ Max Steinmetz: Deutschland von 1476 bis 1535. In: Hans-Joachim Bartmuss, Stefan Dornberg et al (Hrsg.): Deutsche Geschichte. 2. unveränderte Auflage. Band 1. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1967, S. 457–550, 527f..
- ↑ Elmar L. Kuhn: Der Seehaufen. In: Oberschwaben Portal. S. 11, abgerufen am 11. Mai 2025.
- ↑ Vertrag von Weingarten mit Stellungnahme Martin Luthers, Wittenberg 1525 (Landesbibliothek Coburg, Lu Ia 1525,12), auf bavarikon.de
- ↑ Nach langem Zoff: Arbeiten an umstrittenem Denkmal beginnen, Schwäbische Zeitung, 9. Februar 2025
- ↑ Weingartener Vertrag: Denkmal auf dem Münsterplatz, Stadt Weingarten
- ↑ Historiker kritisiert geplantes Denkmal in Weingarten scharf, Schwäbische Zeitung, 6. Juli 2024
- ↑ „Es bedarf bisweilen der Unruhe“, Blix, Mai 2024
- ↑ Protest begleitet die Enthüllung des umstrittenen Denkmals, Schwäbische Zeitung, 10. Mai 2025