Einleitung
Das 20. Jahrhundert hat eine Kriegsform hervorgebracht wie sie für frühere Generationen absolut unvorstellbar gewesen wäre. Zum erstenmal in der bekannten Geschichte prallten Millionenheere aufeinander und zum ersten mal wurden industrielle Errungenschaften und Technologien eingesetzt, um zu töten. Manche, wie das von Richard Gatling erfundene Maschinengewehr, waren bereits Erfindungen des 19. Jahrhunderts, die lediglich verbessert wurden, viele andere (Flugzeuge, Panzer, Giftgase) entstammten unmittelbar den Entwicklungsschmieden der Rüstungswirtschaft. Wie sehr dieses neue Ausmaß der Kriegsführung die Zeitgenossen und ihre Nachfahren überraschte zeigt sich noch heute an der in Frankreich gebräuchlichen Bezeichnung „Der Große Krieg“ für den Ersten Weltkrieg. Diese neue industrielle Form brachte jedoch auch gewisse Notwendigkeiten mit sich. Wie der Name schon sagt war nunmehr eine Industrie von Nöten, die in bisher unbekanntem Ausmaße aus Rohstoffen (Kohle, Stahl, Kautschuk, Öl etc.) und Arbeitskraft Rüstungsgüter herstellte. Da beides nirgendwo, und ganz besonders nicht in Deutschland, in unbegrenztem Umfang zur Verfügung stand, und da weiterhin nach den jeweiligen Prämissen der Politik produziert werden musste, war eine in verschiedenem Maße zu lenkende „Kriegswirtschaft“ notwendig geworden. Diese Arbeit beschäftigt sich daher mit der Frage, wie sich die deutsche Kriegswirtschaft auf die sich ändernden Rahmenbedingungen einstellte, welche Probleme es zu bewältigen gab und welche Persönlichkeiten hier maßgeblich verantwortlich zeichneten.
Hauptteil
Vorbereitung auf den Krieg
Als Hitler in seiner geheimen Denkschrift 1936 feststellte, dass ein Krieg unausweichlich sei und er kurz darauf am 18. Oktober den Vierjahresplan in Kraft setzte, hatte die Kriegsrüstung in Deutschland endgültig wieder begonnen. Ziel war es, das Dritte Reich in vier Jahren so weit vorzubereiten, dass es den kommenden Auseinandersetzungen gewachsen wäre. Bei der Umsetzung dieses Planes ging man in der für das nationalsozialistische Regime typischen Art und Weise vor. Die neue Aufgabe wurde nicht etwa einer bereits existierenden Behörde übertragen, sondern es wurde eine komplett neue gebildet. An die Spitze der „Vierjahresplanbehörde“ wurde Hermann Göring gesetzt und mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Als unmittelbaren Rivalen hatte er in dieser Position natürlich Hjalmar Schacht, der dem Wirtschaftsministerium vorstand. Er wurde dann auch von ihm wegen seiner dilettantischen Wirtschaftsplanung heftig kritisiert, woraufhin es zum Bruch zwischen Göring und Schacht und zum Rücktritt Schachts kam, der die starke Stellung seines Kontrahenten weitgehend unterschätzt hatte. Einer der Schwerpunkte des Vierjahresplanes war die Herstellung von Ersatzrohstoffen für z. B. Benzin und Gummi, wofür eine aufwendige, kostspielige Industrie errichtet wurde. Allerdings konnte weder auf diesem Gebiet, noch auf dem der Nahrungsmittelproduktion Autarkie erreicht werden. Man war zum Beispiel immer noch trotz der immens teuren Hermann-Göring-Werke, die aus dem wenig wertvollen deutschen Eisenerz Stahl gewinnen sollten, auf 10 Millionen Tonnen dieses Erzes aus Schweden jedes Jahr angewiesen. Absoluten Vorrang innerhalb des Vierjahresplanes hatte die Rüstungsproduktion. Sie nahm solche Ausmaße an, dass es 1938 zu einer drastischen Verknappung der verfügbaren Arbeitskräfte kam und ab dem Sommer 1938 deutsche Staatsbürger in der Industrie dienstverpflichtet wurden. Bereits hier im Jahre 1938 zeigt sich deutlich, womit Todt und nach ihm Speer während des Krieges massive Probleme bekommen sollten. Mangelnde Arbeitskräfte belasteten nach den enormen Verlusten an der Ostfront die Kriegswirtschaft ebenso schwer, wie fehlende Rohstoffe. Da es durch verschiedene Arbeitsbeschaffungsprogramme schon lange vor dem Krieg de facto bereits eine Vollbeschäftigung gab und Frauen gemäß der nationalsozialistischen Weltanschauung zu Hause bleiben mussten, geriet die Industrie sehr schnell in Bedrängnis. Diesem für die deutsche Wirtschaft bezeichnenden Problem, das übrigens weder die USA noch die Sowjetunion in diesem Maße hatten, wurde zu Kriegsbeginn mit dem Konzept der Blitzkriegwirtschaft begegnet.
Die Zeit der Blitzkriege 1939-1941
Als Deutschland am 1. September 1939 Polen überfiel, mussten die Alliierten der Meinung sein, dass ihnen die deutsche Kriegswirtschaft um gut vier Jahre vorraus war. Es war bekannt, dass Hitler seit 1936 aufrüsten lies. Auch seine Außenpolitik, die extrem aggressiv war, schien zu bestätigen, dass sich Deutschland stark fühlte und im Moment nicht zu schlagen war. Man mag sich bei Kriegsausbruch bestätigt gefühlt haben, als es der Wehrmacht in erstaunlich kurzer Zeit gelang, Polen niederzuwerfen. Wahrscheinlich liegt hierin auch die Zurückhaltung Frankreichs und Englands begründet, die es zunächst bei einer formalen Kriegserklärung beließen und ihrerseits kaum militärische Operationen gegen das Dritte Reich starteten. Tatsächlich war Deutschland allen anderen Ländern in absoluten Zahlen ausgedrückt zu diesem Zeitpunkt überlegen, einmal absehen von der britischen Seestreitmacht. So hatte Deutschland im Jahre 1938 1.710.000.000 Pfund Sterling für die Rüstung ausgegeben, Großbritannien jedoch nur 358.000.000. Die deutsche Rüstungsproduktion war also etwa ab 1936 bis in die späteren Monate des Jahres 1939 höher und moderner als die der übrigen Mächte. Man kann jedoch erstaunlicherweise feststellen, dass der relative Anteil der Rüstung an der Gesamtwirtschaft im Vergleich zu den Vorjahren kaum gestiegen war. Natürlich bedeutete das ein Verharren auf einem sehr hohen Niveau, allerdings ging man definitiv nicht zu einer totalen Kriegswirtschaft über. General Georg Thomas; Leiter des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes, beschwerte sich sehr zeitig und sehr deutlich über diesen seiner Meinung nach ungehauren Missstand. Als Befürworter einer "Tiefenrüstung", also einer massiven Ausrichtung der gesamten Wirtschaft auf die Belange der Rüstung, lehnte er das Konzept der Blitzkriegwirtschaft kategorisch ab. Dieses Konzept funktionierte folgendermaßen. Das Level der Rüstung verblieb gemessen an der gesamten Wirtschaft auf seinem relativ niedrigen Niveau. Stattdessen konzentrierte man sich darauf Rüstungsgüter herzustellen, die für den jeweiligen geplanten Blitzkrieg gebraucht wurden. Um genug Ressourcen zur Verfügung zu haben, musste man logischerweise dann die Produktion in gegenwärtig weniger benötigten Bereichen drosseln. Als man sich also auf den Krieg gegen Polen vorbereitete, wurden der Flottenrüstung bedeutend weniger Rohstoffe zugeteilt, als etwa der Heeresrüstung. Genau umgekehrt verhielt es sich bei den Vorbereitungen auf die Auseinandersetzung mit England. Hier wurden die Schwerpunkte auf die Flotte und die Luftwaffe gelegt. Man verfolgte über zwei Jahre lang, etwa bis zum gescheiterten Versuch Moskau einzunehmen, eine äußerst flexible Rüstungsstrategie und versuchte, sich jeweils optimal auf den aktuellen Gegner einzustellen. Der Vorteil dieser „partiellen“ Rüstung ist vor allem, dass die restliche Wirtschaft, die mit der Herstellung von Konsumgütern beschäftigt war, fast ungestört weiterarbeiten konnte. Selbstverständlich gab es kriegsbedingte Produktionsrückgänge, diese vielen aber gemessen an der Gesamtwirtschaft und was ihre Auswirkungen auf das täglich Leben der Bürger anging, wesentlich geringer aus, als etwa in Großbritannien. Man kann annehmen, dass es der nationalsozialistischen Führung wichtig war, die Bevölkerung keinen allzu großen Strapazen auszusetzen, um die zu diesem Zeitpunkt euphorische Kriegsstimmung nicht kippen zu lassen.
Die beginnenden Schwierigkeiten der Wirtschaft
Für die Kriegsproduktion der Jahre 1940 und 1941 war das drängendste Problem der Arbeitskräftemangel. Nachdem eine Landung in England nicht gelungen war und „Seelöwe“, so der interne Deckname dieser Operation, am 17. September zu den Akten gelegt wurde, befasste man sich nun wieder mit dem Feind im Osten. Der Führerbefehl hierzu wurde am 28. September erlassen. Auch hier hielt man die Blitzkriegstrategie für die beste, da man annahm, dass die sowjetische Armee zahlenmäßig auf dem Stand von 1914 und nach den großen Säuberungen, denen vor allem Offiziere zum Opfer fielen, auch qualitativ unterlegen sei. Selbstverständlich mussten im Rahmen der Rüstungsproduktion nun andere Prioritäten gesetzt werden als gegen England. Da die Flotte und die Luftwaffe an der Westfront aber noch gebunden waren, verlegte man sich darauf, sich auf bestimmte Schwerpunkte der Marine- und Luftwaffenproduktion zu konzentrieren und die Ressourcen aus anderen Bereichen dem Heer zu überlassen. Als eine der größten Schwierigkeiten begann sich bereits hier der Arbeitskräftemangel abzuzeichnen. Für einen so enormen Landkrieg mussten natürlich auch viele Soldaten eingezogen werden, was die Lage weiter verschärfte. Man ging nun also dazu über, vermehrt ausländische Arbeitskräfte, also meist Zwangsarbeiter, einzusetzen und ursprünglich als „unabkömmlich“ eingestufte Personen erneut zu überprüfen und gegebenenfalls einzuziehen. Zusätzlich wurden auch Soldaten, die im Sommer auf Urlaubsschein entlassen worden waren, wieder eingezogen. Dennoch gelang es nicht, die Produktionszahlen für alle Rüstungsbereiche auf das geforderte Level zu bringen. So musste etwa der Flugzeugbau eben auf Grund dieser Probleme einen enormen Rückgang hinnehmen.
Typ | Sept. | Okt. | Nov. | Dez. |
Ju 88 (Kampfflugzeug) | 232 | 189 | 146 | 146 |
Ju 88 (Aufklärer) | 83 | 61 | 46 | 32 |
He 111 | 90 | 98 | 41 | 69 |
He 126 | 35 | 23 | 12 | 7 |
Bf 110 | 112 | 100 | 73 | 43 |
Ju 87 | 57 | 62 | 57 | 31 |
Bf 109 | 195 | 144 | 60 | 115 |
Ju 52 | 47 | 41 | 37 | 30 |
Mit dem missglückten Versuch, die Sowjetunion in die Knie zu zwingen, kam auch das gesamte deutsche Konzept einer Blitzkriegswirtschaft in arge Nöte. Niemand hatte bei der Planung des Unternehmens „Barbarossa“ mit derartig hohen Verlusten gerechnet, wie sie nun plötzlich auftraten. Wie sehr man sich im Voraus verschätzte, zeigt folgendes Beispiel: Die Blitzkriegsstrategie war von Keitel am 11. September 1941 dahingehend definiert worden, dass man weder Kapazitäten erhöhen, noch den Rohstoffeinsatz vermehren und auch keine neuen Arbeitskräfte hinzuzuziehen habe. Vielmehr würde sich die überlegene Strategie so auszahlen, dass man die Sowjetunion schnell niederwerfen würde, und dass eine höhere Kriegsproduktion gar nicht notwendig wäre. Eine Folge dieser gesamten Konzeption war auch, dass es in Deutschland immer noch üblich war in nur einer Schicht zu arbeiten. Die Einführung von 2 oder gar 3-Schichtsystemen, wie etwa in England, hätte bedeutet, dass wesentlich mehr gelernte Facharbeiter gebraucht worden wären. Diese standen aber einfach nicht zur Verfügung. Auch der Einsatz von Frauen oder etwaige Bildungsprogramme, um diese mit den Maschinen vertraut zu machen, waren keine Option. Das Regime wurde in dieser Hinsicht ein Opfer seiner eigenen Propaganda, nach der der Platz der Frau zu Hause am Herd sei. Die Anzahl der Frauen schwankte um kaum mehr als 300.000 und verharrte auf einem sehr niedrigen Niveau:
Zelle 1
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Zelle 2 | Zelle 3 |
Gesamt-Arbeiterschaft Anzahl der Frauen
31. Juli 1939 10.405 2.620 31. Mai 1940 9.415 2.565 30. November 1940 9.401 2.615 31. Mai 1941 9.057 2.613 30. November 1941 8.861 2.626 31. Mai 1942 8.378 2.580 30. November 1942 8.011 2.493 31. März 1943 7.893 2.576 31. Juli 1943 8.099 2.808 30. November 1943 7.948 2.787 31. Januar 1944 7.782 2.781 31. März 1944 7.720 2.745 31. Mai 1944 7.715 2.737 31. Juli 1944 7.515 2.678
Albert Speer errechnete 1942, dass die Wehrmacht, dem gesamten deutschen Arbeiterpotential etwa 7,5 Millionen Männer in den ersten zweieinhalb Jahren entzogen hatte. Auf der Seite der Alliierten war anfangs immer angenommen worden, dass Deutschlands schwächster Punkt seine Abhängigkeit von Rohstofflieferungen sei. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch richtig gewesen. Da es allerdings rasch gelang ausländische Vorräte anzuzapfen, verlagerte sich das Hauptproblem sehr schnell auf die mangelnden Arbeitskräfte. Als die russische Armee schließlich am 26. November ihre erste große Gegenoffensive startete, war neben dem offensichtlichen militärischen Fehlschlag auch die Strategie der Blitzkriegswirtschaft gescheitert. In Ihrem damaligen Zustand war sie nicht in der Lage auch nur den täglichen Verlust auszugleichen, geschweige denn weiter aufzurüsten. Alan S. Milward fasst das Ende der Blitzkriege wie folgt zusammen: „Ein Krieg, der auf kurzfristige wirtschaftliche Höchstleistungen ausgerichtet ist, muss strategisch in einzelnen Stößen geführt werden. Entsprechend hatte Hitler seine Außenpolitik von 1939 bis zum Herbst 1941 gestaltet. Jeder militärische Feldzug wurde vom Führer als konzentrierter Einsatz auf ein einziges Ziel hin geplant. Die Produktion musste sich jeweils diesem Ziel anschließen, selbst auf Kosten der Rüstungsproduktion in anderen Gebieten. Dies erwies sich als durchführbar, solange Deutschland nur an einer Front kämpfte. Russlands Fähigkeit, den „Fünfmonatskrieg“ zu überstehen, verwickelte Hitler in einen Zweifrontenkrieg. Die eine Front war vorwiegend eine Front der Heerestruppen, die andere eine Front der Marine und Luftwaffe. Auf diese Weise wurde der Blitzkrieg unmöglich.“