Riesenresonanzen sind angeregte Zustände von Atomkernen, an denen eine großer Anteil der Nukleonen des Kerns beteiligt sind. Man kann sie interpretieren als kollektive Schwingungen von Nukleonen, ähnlich der Vibration eines Flüssigkeitstropfens, wobei bei in vielen Fällen die Protonen und die Neutronen und/oder die beiden unterschiedlichen Spinrichtungen jeweils als separate Flüssigkeiten aufgefasst werden können.
Von besonderer Bedeutung sind elektrische Dipol-Riesenresonanzen, englisch Giant Dipole Resonance (GDR)[1]
Beschreibung
Riesenresonanzen können z. B. durch Anregung des Kerns mit Photonen,[2] Elektronen oder Schwerionen entstehen und zerfallen durch Nukleonen-/Kernemission (Photon, Neutron, α-Teilchen, …). Die GDR zeigt sich in den Anregungsenergien schwerer Kerne oberhalb der Ablösungsenergie eines Nukleons bei etwa 8 MeV und variiert mit der dritten Wurzel der Massenzahl A, was im Modell von Jensen und Steinwedel auch vorhergesagt wurde. Bei schweren Kernen mit Massenzahlen über 60 ist die Breite der Resonanz typisch einige MeV; bei leichten Kernen spaltet sich die Resonanz typischerweise in mehrere Peaks auf. Bei deformierten Kernen gibt es typischerweise zwei Peaks, je nach Schwingung längs der Symmetrieachse oder senkrecht dazu.
Die elektrische Dipol-Riesenresonanz wurde 1947 von G. C. Baldwin und G. S. Klaiber[3] bei der Untersuchung der Photodesintegration und später bei ( , n)-Reaktionen an Uran-Kernen entdeckt.[4]
Deutung als kollektive Schwingungsmoden
In einem einfachen makroskopischen Bild, das von Maurice Goldhaber und Edward Teller stammt,[5] wird die Riesenresonanz als kollektive Schwingung der Protonen gegen die Neutronen beschrieben. 1950 wurde sie von Helmut Steinwedel und J. Hans D. Jensen durch ein Zweiflüssigkeitsmodell (Protonen- und Neutronen-Flüssigkeit) beschrieben.[6] Die mikroskopische Deutung sieht in Riesenresonanzen eine kohärente Anregung von Einteilchen-Einloch-Übergängen im Schalenmodell.
Die makroskopischen Schwingungen lassen sich unterscheiden nach
- Multipolarität: Man kann die Resonanzen nach Drehimpuls-Eigenzuständen entwickeln und spricht dann von Monopol- (GMR; 1977 entdeckt), Dipol- (GDR), Quadrupol- (GQR; 1972 entdeckt) oder allgemein Multipol-Riesenresonanzen.
- Monopolschwingungen entsprechen einer radialen Oszillation, quasi einem periodischen Aufblähen und Zusammenfallen des Kerns.
- Dipolschwingungen entsprechen einer Hin-und-Her-Bewegung
- Quadrupolschwingungen entsprechen einer periodisch wechselnden „horizontalen“ und „vertikalen“ Verformung
- Isospin: Der Anteil, den Neutronen und Protonen an der Schwingung haben, drückt sich im Isospin-Charakter aus. Die GDR hat Isovektor-Charakter (Protonen schwingen gegen Neutronen), es gibt auch isoskalare Riesenresonanzen (Protonen und Neutronen schwingen in dieselbe Richtung).
- Als „isoskalar“ ( ) bezeichnet man Schwingungen, bei denen die Gesamtheit der Protonen und der Neutronen gleichphasig (parallel) schwingen
- Als „isovektoriell“ ( ) bezeichnet man Schwingungen, bei denen die Gesamtheit der Protonen und der Neutronen gegenphasig (entgegengesetzt) schwingen
- Spin:
- Als „elektrisch“ ( ) bezeichnet man Schwingungen, bei denen Nukleonen beider Spinzustände („Spin up“ und „Spin down“) gleichphasig schwingen
- Als „magnetisch“ ( ) bezeichnet man Schwingungen, bei denen die Nukleonen mit „Spin up“ und die Nukleonen mit „Spin down“und der Neutronen gegenphasig schwingen
Elektrische Dipolresonanzen sind nur als isovektorielle Schwingungen möglich. Im Falle einer isoskalaren Schwingung würden alle Nukleonen gemeinsam hin und her schwingen, aber natürlich muss der Schwerpunkt insgesamt stationär bleiben.
Bei deformierten Kerne kann als weitere Schwingungsform die Scherenmode auftreten, WENN
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Unter englisch Giant Dipole Resonance (GDR) ‚Dipol-Riesenresonanz‘[7] versteht man in der Kernphysik eine Schwingungs-Anregung (Resonanz) von Atomkernen. Der Name stammt von den relativ großen Wirkungsquerschnitten, die in den sie anregenden Streuexperimenten beobachtet wurden.
eben elektrischen gibt es in Kernen auch magnetische Dipolresonanzen, siehe Scherenmode. Typischerweise schöpfen die Riesenresonanzen die Summenregeln für die jeweiligen (elektrischen/magnetischen) Multipolübergänge aus.
Neben der GDR-Riesenresonanz rückte ab den 1990er Jahren auch ein kleinerer Resonanzpeak in neutronenreichen Kernen, die Pygmy-Resonanz (PDR), in die Aufmerksamkeit der Forschung, der sich deutlich vom „Schwanz“ der Riesenresonanz abhob.
Literatur
- Theo Mayer-Kuckuk: Kernphysik. 6. Aufl. Teubner, 1994, ISBN 3-519-03223-6.
Einzelnachweise
- ↑ B. L. Berman, S. C. Fultz: Measurements of the giant dipole resonance with monoenergetic photons. In: Reviews of Modern Physics. Band 47, Nr. 3, 1. Juli 1975, S. 713–761, doi:10.1103/RevModPhys.47.713 (englisch, aps.org [abgerufen am 2. März 2025]).
- ↑ Unterhalb der Neutronenschwelle (Ablöseenergie für Neutronen) wurde die GDR mit Kern-Resonanzfluoreszenz und mit Bremsstrahlung aus Beschleunigern untersucht
- ↑ G. C. Baldwin, G. S. Klaiber: Photo-Fission in Heavy Elements. In: Physical Review. Band 71, Nr. 1, 1. Januar 1947, S. 3–10, doi:10.1103/PhysRev.71.3 (englisch, aps.org [abgerufen am 2. März 2025]).
- ↑ Im Kernphotoeffekt fanden sich Hinweise schon von Walther Bothe und Wolfgang Gentner. In: Zeitschrift für Physik, Band 71, 1936, S. 236. Die genauere Untersuchung durch Baldwin und Klaiber gelang mittels energiereicher Photonen in der Bremsstrahlung aus einem Betatron.
- ↑ M. Goldhaber, E. Teller: On Nuclear Dipole Vibrations. In: Physical Review. Band 74, Nr. 9, 1. November 1948, S. 1046–1049, doi:10.1103/PhysRev.74.1046 (englisch, aps.org [abgerufen am 2. März 2025]).
- ↑ Helmut Steinwedel, J. Hans D. Jensen, Peter Jensen: Nuclear Dipole Vibrations. In: Physical Review. Band 79, Nr. 6, 15. September 1950, ISSN 0031-899X, S. 1019–1019, doi:10.1103/PhysRev.79.1019 (englisch, aps.org [abgerufen am 2. März 2025]).
- ↑ B. L. Berman, S. C. Fultz: Measurements of the giant dipole resonance with monoenergetic photons. In: Reviews of Modern Physics. Band 47, Nr. 3, 1. Juli 1975, S. 713–761, doi:10.1103/RevModPhys.47.713 (englisch, aps.org [abgerufen am 2. März 2025]).