Advanced Protection System

Zugsicherungssystem
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 6. April 2025 um 23:05 Uhr durch E235JREMU (Diskussion | Beiträge) (Erklärung).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Das Advanced Protection System (APS, ehemals ETCS-Stellwerk, teils auch Moving Block System, MBS[1]) ist ein in Entwicklung befindliches europäisches System zur Sicherung von Zugfahrten, das das Fahren im wandernden Raumabstand ermöglicht.

APS ist der Kern der 2017 gegründeten Reference CCS Architecture (RCA), einer Initiative von ERTMS Users Group und Eulynx, in der verschiedene europäische Infrastrukturbetreiber eine Architektur für eine moderne und standardisierte Leit- und Sicherungstechnik konzipieren.[2][3] Es übernimmt dabei bisherige Funktionen des Sicherungskerns in der Innenanlage des Stellwerks und des Radio Block Centres von ETCS.[4][5] APS setzt neben ETCS auch auf standardisierte Eulynx-Schnittstellen zu Außenelementen auf (ähnlich Digitaler Stellwerke).[6]

DB InfraGO, Hitachi Rail Österreich, ÖBB und SBB Infra arbeiten gemeinsam an der Entwicklung des Systems.[1]

Anstatt der bislang verwendeten Blocklogik mit ausschließlich gleisgebundener Gleisfreimeldung (über Achszählpunkte bzw. Gleisstromkreise) verwendet APS eine zugzentrische Sicherungslogik, die rein zugseitig (z. B. mit Position Reports mit Zugvollständigkeitsinformation) erfolgen und durch Elemente gleisgebundener Gleisfreimeldung ergänzt werden kann.[7] Die direkte Nutzung ohnehin aus ETCS vorhandener Positions-, Längen- und Integritätsinformation statt indirekter, blockorientierten Belegungsinformation (aus der Gleisfreimeldeanlage) bedeutet einen Paradigmenwechsel gegenüber der Sicherungslogik bisheriger Stellwerke.

Anstatt des Fahren im festen Raumabstand wird damit Fahren im wandernden Raumabstand (Moving Block) möglich. Anstatt einer festen Projektierung von Fahrstraßen sollen alle topologisch möglichen Fahrwege praktisch genutzt werden können.[7] Jedwede Bewegungen auf dem Gleisnetz sollen nur im Rahmen von „Movement Permissions“, die an die Stelle heutiger Fahrstraßen treten, möglich sein. Sie sollen wesentlich flexibler und basierend auf der aktuellen Gefährdung des zu schützenden Zuges vorgenommen werden können. So soll beispielsweise der Durchrutschweg bei abnehmender Geschwindigkeit des Zuges dynamisch reduziert werden können. Für Fahrten bei denen kein anderer Zug eine Gefährdung für die aktuelle Fahrt darstellt, soll beispielsweise auf Flankenschutz verzichtet und die Einstellung der Fahrstraße eventuell beschleunigt werden.[4][5]

APS soll möglichst kompakt gehalten werden. Alle nicht sicherheitsrelevanten Optimierungsaufgaben sollen in einem übergeordneten Verkehrsmanagementsystem (TMS) erfolgen. APS soll vom TMS empfangene Kommandos sicherheitlich prüfen, bevor es sie an die Außenanlagen der Infrastruktur sowie (als ETCS-Fahrterlaubnis) an Fahrzeuge weiterleitet und überwacht.[6] Dazwischen liegt mit der Plan Execution (PE) ein Element, das den aus dem TMS kommenden Fahrplan in sinnvolle Anfragen für APS übersetzt.[1]

Geschichte

Bearbeiten

APS geht auf das von den Schweizerischen Bundesbahnen im Rahmen des Programms Smartrail 4.0 konzipierte ETCS-Stellwerk mit geometrischer Sicherungslogik zurück.[8][9] Seit etwa 2019 wird dies als Advanced Protection System bezeichnet.[4][10]

Die SBB hielten APS 2019 grundsätzlich für realisierbar.[4] Der Einsatz von APS in der Schweiz wurde geprüft, jedoch zunächst verworfen.[11] Das Programm SmartRail 4.0 wurde mit dem Ende der Konzeptphase Ende 2020 beendet.[12]

Seit Herbst 2022 arbeiten Bahnen und Industrie im Rahmen des Programms Europe's Rail der Europäischen Kommission gemeinsam an RCA, einschließlich APS.[3] Die Entwicklung erfolgt u. a. im Rahmen der Digitalen Schiene Deutschland (DSD).[2] APS ist Teil der „Advanced Digital Infrastructure“ (ADI), die Plan Execution (PE) und die Datenbank Digitales Register (DR) umfasst.[1]

Im Rahmen der DSD soll bis Anfang der 2030er Jahre ein zugelassenes System die Sicherung einer ausgewählten Strecke übernehmen und darauf aufbauend bis zur Erreichung der Serienreife entwickelt werden.[2] APS soll, zusammen mit weiteren Elementen, im Digitalen Knoten Stuttgart (DKS) auf der Remsbahn zwischen Waiblingen und Plüderhausen pilotiert werden.[13][14]

2025 sollen Feldtests im Digitalen Testfeld Bahn mit einer prototypischen Implementierung erfolgen. Dabei sollen APS, PE und DR integriert werden und im Rahmen von Simulationen sowie im Feld getestet werden.[1]

Eine 2023/2024 im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums gefertigte Studie zur „Neuausrichtung der Gesamtstrategie zur Digitalisierung der Schiene“ sah in ADI eine von mehreren „Zukunftstechnologien“, deren Entwicklung und Pilotierung „in separaten Projekten erfolgen“ solle, da sie „kaum Synergien zum aktuellen Rollout aufweisen und einen anderen zeitlichen Horizont“ hätten. Insbesondere ADI verspreche einen hohen Nutzen, da mit ETCS L2 Moving Block „ein deutlicher Kapazitätsgewinn gepaart mit einer Verschlankung der Infrastruktur (Anzahl Feldelemente) erzielt werden“ könne. ADI war nicht Gegenstand einer in diesem Rahmen vorgenommenen Wirtschaftlichkeitsrechnung.[15]

Laut unterschiedlichen Angaben der Deutschen Bahn vom März 2025 werde die ADI zunächst nicht mehr fortgeführt, da die „Realisierungszeiträume (…) so weit in der Zukunft“ lägen, „dass sie die vorhandenen Ressourcen vorerst auf das Herstellen der Serienreife der digitalen Stellwerksplattformen“ konzentrieren wolle.[16] Im gleichen Monat teilte sie hingegen mit, die Fortsetzung von ADI werde „überprüft“, weil sich der Nutzen erst in „weiterer Zukunft ergebe“[17].

Durch Moving Block sollen dichtere Zugfolgen bei gleichzeitiger Minimierung der Technik im Gleis ermöglicht werden.[2]

Laut einer 2023 im Auftrag der DB durchgeführten Studie lässt ein Moving-Block-Betrieb mit APS eine Steigerung der vermarktbaren Trassen um etwa acht Prozent erwarten, mit einem noch wesentlich darüber hinausgehenden Nutzen für die Betriebsqualität. Ausgangspunkt ist dabei bereits eine Ausrüstung mit ETCS Level 2 ohne Signale, eine auf ca. 500 m verdichteten Blockteilung in Verbindung mit hochautomatisiertem Fahren, einem Verkehrsmanagementsystem und der Auflösung bisheriger Restriktionen der Blockteilung.[18] APS gilt ferner als ein Element, um das bisherige Tunnelbegegnungsverbot auf verschiedenen Schnellfahrstrecken weitgehend zu überwinden.[19]

Auf der APS-Pilotstrecke im DKS sollen auf der freien Strecke zwei Drittel der sonst notwendigen Achszählpunkte entfallen können. Dem zu Grunde liegt die erwartete Ausrüstung eines Großteils, aber nicht aller Züge mit Zugvollständigkeitsüberwachung.[20][21]

Durch den Entfall der Stellwerks- und ETCS-Projektierung in der bisherigen Form soll auch die Projektierung wesentlich vereinfacht und beschleunigt werden.[2]

Durch standardisierte Schnittstellen, harmonisierte Technik und einheitliche betriebliche Regeln unterstützt ADI die angestrebte europäische Interoperabilität.[2]

Bearbeiten
  • Advanced Digital Infrastructure. Beschreibung von APS als Teil zukünftiger Leit- und Sicherungstechnik (ADI) auf der Webseite der Digitalen Schiene Deutschland

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. a b c d e Fahren im „Moving Block“ – Digitale Schiene Deutschland beginnt mit Feldtests im Erzgebirge. In: digitale-schiene-deutschland.de. 24. Februar 2025, abgerufen am 20. März 2025.
  2. a b c d e f Advanced Digital Infrastructure. In: digitale-schiene-deutschland.de. Abgerufen am 15. März 2025.
  3. a b Frank Skowron, Roman Treydel: Blöcke waren gestern – Chancen einer zugzentrischen LST. In: Der Eisenbahningenieur. Band 73, Nr. 11, November 2022, ISSN 0013-2810, S. 34–37 (PDF).
  4. a b c d Marco Sommerfeld: Grundkonzept APS (Innenanlage). (PDF) In: voev.ch. 27. November 2019, abgerufen am 17. März 2025.
  5. a b Michael Leining, Bernhard Rytz: Reference CCS Architecture (RCA) Plattform – Status und Herausforderungen. In: Tagungsband Scientific Railway Signalling Symposium 2021. 2021, S. 23–36 (PDF).
  6. a b Bernhard Rytz: Rethinking the heart of railway operations. In: Railway Gazette International. Nr. 3, März 2019, ISSN 0373-5346, S. 29–31.
  7. a b Jens Leuteritz, Frank Schiffmann, Philipp Schneider: Advanced Digital Infrastructure – betriebliche Szenarien für einen robusten Bahnbetrieb der Zukunft. In: Eisenbahntechnische Rundschau. Nr. 7, Juli 2024, ISSN 0013-2845, S. 14–18 (PDF).
  8. Martin Messerli: SmartRail 4.0: Das ETCS-Stellwerk. (PDF) Schweizische Bundesbahnen, 19. April 2017, archiviert vom Original am 23. April 2017; abgerufen am 15. März 2025.
  9. Steffen Schmidt, David Grabowski: Das „ETCS-Stellwerk“. In: Signal + Draht. Nr. 10, Oktober 2018, ISSN 0037-4997.
  10. Steffen Schmidt: APS – Advanced Protection System, die günstige Einführung von ETCS Level 2/3. In: Signal + Draht. Nr. 10, Oktober 2019, ISSN 0037-4997.
  11. Migration von ETCS Level 2 in der Sackgasse? In: Schweizer Eisenbahn-Revue. Nr. 6, Juni 2017, ISSN 1022-7113, S. 282.
  12. Das Modernisierungsprogramm der Bahnen. In: smartrail40.ch. Archiviert vom Original am 22. Juni 2021; abgerufen am 21. März 2025: „Mit dem Abschluss der Konzeptphase von smartrail 4.0 per Ende 2020 wird die Umsetzung in separaten Einzelprojekten innerhalb der Linienorganisation der SBB weitergeführt.“
  13. Digitaler Knoten Stuttgart, Baustein 3: Marktinformation. (PDF) In: bahnprojekt-stuttgart-ulm.de. DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH, 10. Oktober 2024, S. 9, 12, abgerufen am 14. Oktober 2024.
  14. Marktdialog Digitaler Knoten Stuttgart, Baustein 3. (PDF) In: lieferanten.deutschebahn.com. 12. November 2024, S. 13, 17, 76, abgerufen am 15. März 2025.
  15. Neuausrichtung der Gesamtstrategie zur Digitalisierung der Schiene. (PDF) In: bmdv.bund.de. Bundesministerium für Digitales und Verkehr, August 2024, S. 13, 17, 33, abgerufen am 29. März 2025.
  16. Deutscher Bundestag (Hrsg.): Antwort der Bundesregierung der Fraktion der CDU/CSU – Drucksache 20/15038 – Digitalisierung der Schiene. Band 20, Nr. 15102, 11. März 2025, ISSN 0722-8333, S. 17 (BT-Drs. 20/15102).
  17. Artur Lebedew: Die Bahn verabschiedet sich von selbstfahrenden Zügen. In: wiwo.de. 21. März 2025, abgerufen am 23. März 2025 (kostenpflichtig): „Eine Sprecherin der Deutschen Bahn wollte die Pläne so nicht bestätigen, verwies jedoch auf „Anpassungen“ bei Inhalt und Umfang. (…) Die Fortsetzung von ADI werde „überprüft“, weil sich der Nutzen erst in „weiterer Zukunft ergebe“.“
  18. Thorsten Büker, Simon Heller, Eike Hennig, Peter Reinhart, Frédéric Weymann: Zum verkehrlichen Nutzen der Digitalen Schiene Deutschland. In: Der Eisenbahningenieur. Band 75, Nr. 2, Februar 2024, ISSN 0013-2810, S. 47–52 (PDF – Vergleich der Szenarien IV und V, insbesondere in Abbildung 5).
  19. Hannes Lorenz Naumann, Peter Reinhart, Michael Schedel: (Bis zu) 300 km/h auf „alten“ Schnellfahrstrecken. In: Der Eisenbahningenieur. Band 75, Nr. 5, Mai 2024, ISSN 0013-2810, S. 23–28 (PDF).
  20. Yannis Eysel: Methode zur Optimierung einer Blockteilung von ETCS Hybrid Level 3 am Beispiel des Digitalen Knotens Stuttgart. Dresden 3. Februar 2023, S. 25 f. (PDF).
  21. Peter Reinhart: Vorgehen zur nationalen Umrüstung von Fahrzeugflotten (Teil 2). (PDF) DB Netz, 9. November 2023, S. 8, abgerufen am 15. März 2025.