Detlev Claussen (2003): Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie
ISBN 3-10-010813-2
- Warum sind Biographien populär? (Seite 18f)
Im Grunde geht es dabei darum, dass der Begriff des Lebens selber als einer aus sich selbst entfaltenden und sinnvollen Einheit gar keine Realität mehr hat, so wenig wie der des Individuums, und dass die ideologische Funktion der Biographien darin besteht, dass an irgendwelchen Modellen den Menschen demonstriert wird, dass es noch so etwas wie ein Leben gebe, mit all den emphatischen Kategorien von Leben, und zwar gerade in empirischen Zusammenhängen, welche die, die kein Leben mehr haben, mühelos für die ihren reklamieren können. Leben selber, in einer sehr abstrakten Gestalt, ist zur Ideologie geworden, und gerade die Abstraktheit, die es von den älteren, gefüllteren Begriffen von Leben unterscheidet, macht es praktikabel (der vitalistische und existenzphilosophische Lebensbegriff sind schon Etappen auf diesem Weg).
Adorno an Leo Löwenthal, 25.11.1942