Falsifizierbarkeit einer Aussage ist gegeben, wenn eine Beobachtung denkbar ist (formal: ein empirischer Beobachtungssatz), mit der sie angreifbar ist; die sie also widerlegen würde. Falsifizierbarkeit wurde in der Wissenschaftstheorie von Karl Popper als Kriterium für den empirischen Gehalt und wissenschaftlichen Charakter einer Theorie vorgeschlagen. „Morgen regnet es“ ist falsifizierbar, nicht jedoch „Morgen regnet es oder regnet es nicht“. Falsifizierbarkeit ist eine logische Eigenschaft von Aussagen und sagt nichts darüber aus, ob in der Praxis geeignete Experimente durchführbar sind („Heute in 1.000.000 Jahren wird es regnen“). Man unterscheidet daher zwischen theoretischer und praktischer Falsifizierbarkeit.
Prinzip
In die Diskussion in der Wissenschaftstheorie eingeführt wurde der Begriff der Falsifizierbarkeit von Karl Popper Anfang der 1930er durch privat unter Mitgliedern des Wiener Kreises verteilten Manuskripten, 1934 veröffentlichte er ein Buch darüber.[1] Die Falsifizierbarkeit war für Popper das Kriterium, um eine Theorie der empirischen Wissenschaften (Erfahrungswissenschaften) von nicht-empirisch-wissenschaftlichen Theorien zu unterscheiden. Letztere bezeichnete er als metaphysisch im weitesten Sinn, was Pseudowissenschaft beinhaltet, aber auch Mathematik, Logik, Religion und Philosophie.
Popper entwickelte das Abgrenzungskriterium der Falsifizierbarkeit vor allem als Gegenkonzeption zum Begriff der Verifikation, die von den Vertretern des logischen Empirismus als Kriterium für die Bestimmung der Wissenschaftlichkeit einer Theorie und, anders als Poppers Kriterium, auch als Sinnkriterium vertreten wurde. An die Stelle der Verifikation einer empirischen Theorie setzte Popper, der von einem grundsätzlichen Fallibilismus (Fehlbarkeit des Wissens) ausging, den Begriff der Bewährung, die immer dann gegeben ist, wenn der Versuch der Falsifikation einer Theorie misslungen ist. Eine empirische Theorie kann nach Popper nur dann wissenschaftlich sein, wenn sie geeignet ist, durch Aussagen über mögliche oder tatsächliche Beobachtungen widerlegt zu werden. Eine Theorie mit dieser Eigenschaft ist falsifizierbar. Das Kriterium der Falsifizierbarkeit ist eines der Herzstücke des von Popper begründeten Kritischen Rationalismus.
Karl Popper wurde nach eigener Aussage auf die Frage nach der Forschungslogik durch Einsteins Relativitätstheorie gestoßen. Bis dahin bestand die überwiegende Auffassung, dass eine Theorie wie die Newtons unumstößliche Naturgesetze beschreibt. An der Wahrheit und der Endgültigkeit dieser Theorie bestand über 200 Jahre lang kein Zweifel. Sie war schließlich millionenfach durch Beobachtungen bestätigt und hatte auch nicht triviale Prognosen ermöglicht. Einstein hatte nicht nur eine geniale Theorie entwickelt, sondern auch das traditionelle Wissenschaftsverständnis erheblich verunsichert. Besonders beeindruckt war Popper von Einsteins Vorschlägen, die Theorie mit von Einstein formulierten qualifizierten Experimenten zu überprüfen, also mit Beobachtungen Prognosen zu untersuchen, die zu einer Falsifikation der Theorie hätten führen können.
Die sich ergebende Frage, ob eine Theorie überhaupt wahr sein kann, führte Popper zur Diskussion des Induktionsproblems. Mit Hume und Peirce kam er zu der Auffassung, dass Induktion keinen Beweis für eine Theorie darstellt, weil positive Beobachtungen logisch keine Gewähr bieten, dass nicht auch negative Beobachtungen möglich sind. Theorien können sich nur bewähren. Die Diskussion hierüber führte er mit Vertretern des Wiener Kreises, die zugleich die Frage erörterten, wann eine Aussage als wissenschaftlich anzuerkennen ist. Die von den logischen Empiristen vertretene Lösung der Verifikation lehnte Popper ebenso wie die Induktion ab, weil für ihn empirische Theorien grundsätzlich nicht endgültig verifizierbar waren. Auch für falsche Theorien lassen sich positive Belege finden. So wurde mit Hilfe von Newtons Gravitationstheorie der Planet Neptun entdeckt. In diesem Sinne kann man auch nicht von falschen Theorien, sondern nur von besseren oder schlechteren Theorien sprechen, die einen höheren oder geringeren Erklärungswert haben.
Weil empirische Theorien nicht endgültig entscheidbar sind, kam Popper zur Falsifizierbarkeit als einer alternativen Lösung des Abgrenzungsproblems für empirische Wissenschaften. Ein empirisch-wissenschaftliches System muss an der Erfahrung scheitern können. (LdF, 17). Popper diskutierte diese Gedanken mit Vertretern des Wiener Kreises und wurde von Feigl 1930 angeregt, sie auszuarbeiten und in einem Buch zu veröffentlichen. Das Manuskript („Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie“) diskutierte Popper mit Carnap, der es in der Zeitschrift Erkenntnis positiv rezensierte. Zur Veröffentlichung kam 1934 eine wesentlich gekürzte und überarbeitete Fassung unter dem Titel „Logik der Forschung“, dem Grundlagenwerk Poppers, das er über einen Zeitraum von 60 Jahren immer wieder bei insgesamt 10 Auflagen mit Anhängen und Diskussionsbeiträgen in den Fußnoten ergänzte.
Popper sah im Abgrenzungsproblem, also der Frage, wie sich empirisch-wissenschaftliche und metaphysische Sätze voneinander unterscheiden lassen, im Vergleich zum Induktionsproblem, also der Frage, wie sich Theorien durch besondere Sätze rechtfertigen lassen, das wichtigere Problem. Popper hat in späteren Werken (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, dt. 1958, Kap. 14; Vermutungen und Widerlegungen, 1963, Kap. 8) das Abgrenzungskriterium zum Kriterium der Kritisierbarkeit erweitert. Die Suche nach Falsifikationen, nach den denkbaren Anwendungsfällen, an denen unsere Theorien scheitern, also letztendlich die Suche nach Fehlern, hat Popper als entscheidend für Erkenntnisfortschritt angesehen. Nur die Korrektur dieser Fehler durch bessere Theorien führt demnach zu Fortschritt.
Popper hat stets betont, dass seine Forschungslogik selbst keine wissenschaftliche Theorie ist, sondern eine Methodenlehre, die im Gegensatz zum Naturalismus davon ausgeht, dass es eine Sache der Festlegung ist, was man als Wissenschaft anerkennt. Sein Anspruch ist es, mit dem Abgrenzungskriterium der Falsifizierbarkeit ein rationales, systematisches und objektives, also intersubjektiv nachprüfbares Instrument zu liefern. Aufgrund ihres normativen Charakters ist die Falsifizierbarkeit selbst nicht falsifizierbar. Man kann für diese Methode nur mit Argumenten werben: durch Analyse ihrer logischen Konsequenzen, durch den Hinweis auf ihre Fruchtbarkeit, ihre aufklärende Kraft gegenüber den erkenntnistheoretischen Problemen. (LdF, 14)
Popper unterschied grundsätzlich die „logische Falsifizierbarkeit“ von der „praktischen Falsifizierbarkeit“. Eine Theorie kann dann berechtigt als wissenschaftliche Theorie angesehen werden, wenn man mindestens einen Beobachtungssatz findet, dessen empirische Prüfung logisch zu einem Widerspruch führen kann. Dabei wird nicht ausgeschlossen, dass in der Praxis wegen des Fehlens geeigneter Experimente (zum Beispiel in der Astronomie oder in der Atomphysik) eine Falsifikation gar nicht durchgeführt werden kann.
Definitionen sind nicht falsifizierbar. Daher sind auch Aussagen nicht falsifizierbar, die implizit die Definition des Ausgesagten enthalten. Wenn der Satz „Alle Schwäne sind weiß“ beinhaltet, dass es ein Wesensmerkmal von Schwänen ist, weiß zu sein, kann er durch die Existenz eines schwarzen Vogels, der ansonsten die Merkmale eines Schwans aufweist, nicht widerlegt werden. Wenn hingegen die Farbe nicht Bestandteil der Definition eines Schwans ist, kann der Satz „Alle Schwäne sind weiß“ dadurch überprüft werden, dass man ihm einen Beobachtungssatz gegenüberstellt: „Im Duisburger Zoo gibt es einen schwarzen Schwan.“, unabhängig davon, ob dort auch wirklich ein schwarzer Schwan existiert.
Ebenso sind Axiome der Mathematik als Setzungen nicht falsifizierbar. Man kann diese daraufhin prüfen, ob sie widerspruchsfrei, voneinander unabhängig, vollständig und auch notwendig zur Herleitung (Deduktion) der Aussagen eines Theoriensystems sind. So hat die Veränderung des Parallelenaxioms im 19. Jahrhundert dazu geführt, dass neben der euklidischen auch anderen Geometrien entwickelt wurden. Hierdurch wurde aber die euklidische Geometrie nicht falsifiziert. Allerdings wäre ohne diese nichtlinearen Geometrien die Entwicklung der Relativitätstheorie nicht möglich gewesen.
Falsifizierbar können auch nur Aussagen sein, die nicht von vornherein eine Falsifikation ausschließen. Demnach ist der folgende Satz nicht falsifizierbar: „Alle menschlichen Handlungen werden ausschließlich in egoistischem Interesse unternommen und die, die scheinbar nicht egoistisch sind, werden in der egoistischen Absicht unternommen, nicht egoistisch zu erscheinen.“ Die Verknüpfung der beiden Halbsätze schließt die Beschreibung einer menschlichen Handlung, die dieser Theorie widerspricht, logisch aus. Ebenso können universelle Existenzsätze nicht falsifiziert werden. Nachdem man den schwarzen Schwan im Duisburger Zoo gesehen hat: „Es gibt mindestens einen schwarzen Schwan“, oder „Es gibt keinen Stein, der sich nach oben bewegt, wenn man ihn loslässt.“ Dagegen ist die Theorie: „Alle Gegenstände fallen mit der Beschleunigung auf die Erde“ falsifizierbar, weil man den Wert für a überprüfen kann. Eine Theorie ist falsifizierbar, wenn die Klasse ihrer Falsifikationsmöglichkeiten nicht leer ist. (LdF 62).
Begriff
Um die Falsifizierbarkeit einer Aussage oder Theorie aufweisen zu können, schuf Popper einen Begriffsapparat, mit dem er methodisch vorgehen konnte. Hiermit wollte er das Kriterium der Falsifizierbarkeit gegen immunisierende Einwände schützen wie zum Beispiel (LdF, 57):
- Einführung von Ad-hoc-Hypothesen
- Abänderung der Definitionen der Theorie
- Kritik des Versuchsaufbaus der Experimente
- Vorbehalte gegen den Scharfsinn des Theoretikers
Um das Kriterium der Falsifizierbarkeit anwenden zu können, bedarf es zunächst der Klassifizierung von Sätzen:
Erklärung eines Vorgangs
In der Erklärung eines Vorganges treten nach Popper zwei Arten von Sätzen als Prämissen auf: Allgemeine Sätze (Theorien, Gesetze, Hypothesen) und besondere Sätze (von Popper auch „Randbedingungen“ genannt), die sich auf die besonderen Umstände beziehen. Aus geeigneten Prämissen dieser Art lässt sich auf die Wahrheit weiterer besonderer Sätze (auch „Prognosen“ genannt) als Konklusionen schließen. Die Prognosen beschreiben den zu erklärenden Vorgang. Andersherum kann – aufgrund der deduktiven Schlussregel des modus tollens – von der Falschheit einer gültig abgeleiteten Prognose auf die Falschheit mindestens einer der verwendeten Prämissen geschlossen werden. Als Beispiel können die folgenden Sätze dienen: „Alle Raben sind weiß“ als allgemeiner Satz oder Theorie, „Auf meinem Schreibtisch befindet sich ein Rabe“ als Randbedingung und als Prognose „Dieser Rabe ist weiß“ Die Prognose ist dann logisch deduzierbar aus der Theorie zusammen mit der Randbedingung.
Spezifische und numerische Allgemeinheit
Sätze spezifischer und numerischer Allgemeinheit unterscheiden sich bei Popper dadurch, dass sich nur Sätze spezifischer Allgemeinheit auf Mengen mit unendlich vielen Elementen beziehen. Sätze numerischer Allgemeinheit können, da sie sich auf endliche Mengen beziehen, durch Konjunktionen endlich vieler besonderer Sätze ersetzt werden. Sätze spezifischer Allgemeinheit beziehen sich nach Popper auf alle Raum-Zeit-Gebiete. Den allgemeinen Sätzen der Erklärungen weist er spezifische Allgemeinheit zu. Sätze dieser Form nennt er auch „Allsätze“. Der Ausdruck „die europäischen Raben“ entspricht numerischer Allgemeinheit, wenn „europäisch“ meint „die jetzt in Europa lebenden Raben“. Durch Konvention kann der Ausdruck „alle Raben“ für spezifische Allgemeinheit verwendet werden. Die Menge der Raben hat dann theoretisch unendlich viele Elemente.
Individual- und Universalbegriffe
Die Unterscheidung zwischen Individual- und Universalbegriffen hält Popper für unentbehrlich und grundlegend, um die logischen Verhältnisse allgemeiner und besonderer Sätze aufzuklären. Individualien sind - Poppers Terminologie nach - nur durch die Verwendung von Eigennamen definierbar. Universalien kommen hingegen ohne diese aus. Individualien beziehen sich demnach auf ausgezeichnete Raum-Zeit-Gebiete, Universalien nicht. Sätze, in denen nur Universalien auftreten, nennt Popper „universelle Sätze“. Neben Allsätzen, die Popper als universelle Sätze identifiziert, hält er noch universelle Es-gibt-Sätze für bedeutsam. Sie behaupten die Existenz eines Vorganges in völlig unbestimmter Art, nicht auf ein bestimmtes Raum-Zeit-Gebiet bezogen. Dies entspricht dem „irgendwann“ beziehungsweise „irgendwo“ der Umgangssprache. Die Negation eines Allsatzes hat die Form eines universellen Es-gibt-Satzes. Im oben verwendeten Beispiel ist „Europa“ ein Individualbegriff. Wenn „Rabe“ nur mit Universalien erklärt wird, ist es ein Universalbegriff. Die Negation von „Alle Raben sind weiß“ ist dann „Es gibt nichtweiße Raben.“
Basissätze
In der Definition der Falsifizierbarkeit verwendet Popper noch eine weitere Art von Sätzen: Basissätze. Er charakterisiert sie als singuläre Es-gibt-Sätze. Diese beziehen sich durch die Verwendung von Individualien auf ein speziell ausgewiesenes Raum-Zeit-Gebiet und behaupten, dass sich dort ein bestimmter Vorgang ereigne. Für Basissätze muss dieser Vorgang beobachtbar sein. Beobachtbarkeit kann laut Popper zwanglos als Bewegung an makroskopischen Objekten definiert werden. Die Negationen der singulären Es-gibt-Sätze nennt Popper „singuläre Es-gibt-nicht-Sätze“. Im obigen Beispiel ist „Auf meinem Schreibtisch befindet sich ein Rabe.“ ein Basissatz. Die in ihm verwendeten Individualien sind „meinem“ und das implizit erhaltene „jetzt“, das durch das Präsens ausgedrückt wird. Raben sind außerdem beobachtbar.
Logischer Zusammenhang
Aus diesen Festsetzungen ergeben sich Popper zufolge die folgenden logischen Verhältnisse zwischen den genannten Satztypen: Aus Theorien, die sich allein aus Allsätzen zusammensetzen, folgen keine Basissätze. Jedoch können aus Theorien und Basissätzen weitere Basissätze abgeleitet werden. Da Theorien äquivalent zu negierten universellen Es-gibt-Sätzen sind, sind sie logisch unvereinbar mit den entsprechenden Es-gibt-Sätzen. Aus Basissätzen, die ja die logische Form von singulären Es-gibt-Sätzen haben, folgen logisch universelle Es-gibt-Sätze. Somit können Basissätze Theorien widersprechen. Der Satz „Alle Raben sind weiß.“ ist logisch äquivalent zu „Es gibt keine nichtweißen Raben.“. Aus „Hier befindet sich heute ein schwarzer Rabe“ folgt „Es gibt schwarze Raben“ und somit „Es gibt nichtweiße Raben“. Dieser Satz widerspricht dem Allsatz „Alle Raben sind weiß“, der ja äquivalent ist zu „Es gibt keine nichtweißen Raben“. Die Asymmetrie zwischen Falsifizierbarkeit und Verifizierbarkeit bei Theorien liegt für Popper darin, dass in Bezug auf Basissätze Theorien nur falsifizierbar und niemals verifizierbar sind. Eine Theorie als Allsatz kann einem Basissatz widersprechen aber niemals aus ihm abgeleitet werden.
Popper behauptet, dass die Unterscheidung zwischen Allsätzen und singulären Es-gibt-Sätzen nicht durch die Einteilung der klassischen Logik in generelle, partikuläre und singuläre Sätze erfassbar ist, da sich zum Beispiel generelle Sätze auf alle Elemente einer gewissen Klasse beziehen und nicht notwendigerweise einen räumlich-zeitlich universellen Charakter haben. Auch die generelle Implikation des Systems der Principia Mathematica sei dazu nicht geeignet, da zum Beispiel Basissätze auch als generelle Implikationen ausgedrückt werden können. Vom Standpunkt der klassischen Logik sind die Sätze „Alle Raben sind weiß“ und „Alle heute lebenden Raben sind weiß“ generelle Sätze. Die von Popper eingeführte Unterscheidung zwischen Allsätzen und singulären Es-gibt-Sätzen kann sie also nicht erfassen. In der Symbolik der Principia Mathematica lautet eine generelle Implikation: . (Gelesen: Für jedes impliziert der Satz den Satz .) Der singuläre Satz „Sokrates war ein weiser Mann.“ kann also als generelle Implikation geschrieben werden, indem „ “ mit „ ist Sokrates“ und „ “ mit „ war ein weiser Mann“ identifiziert wird. (Für alle Dinge : wenn Sokrates ist, dann war weise.) Die generelle Implikation entspricht also nicht den Allsätzen, wie Popper sie auffasst.
Die Falsifizierbarkeit einer Theorie charakterisiert Popper nun durch die Eigenschaft, die Menge aller logisch möglichen Basissätze in zwei nicht leere Teilmengen zu zerlegen: Die Menge der Basissätze, mit denen die Theorie unvereinbar ist (von ihm auch „empirischer Gehalt“ genannt), und die Menge, mit denen die Theorie vereinbar ist. Um also nachzuweisen, dass eine Theorie falsifizierbar ist, reicht es nach Popper aus, einen logisch möglichen Basissatz anzugeben, der der Theorie widerspricht. Dieser Basissatz müsse weder wahr noch geprüft noch anerkannt sein.
Beispiel
Wird der Ausdruck „Rabe“ als Universalbegriff verwendet, kann der Satz „Alle Raben sind weiß“ als Theorie aufgefasst werden. Aus ihr allein folgen keine Basissätze, denn Basissätze behaupten, dass sich etwas Beobachtbares in einem bestimmten Raum-Zeit-Gebiet ereignet. Allsätze hingegen sind äquivalent zu negierten Es-gibt-Sätzen; sie behaupten also, dass etwas nicht existiert. „Alle Raben sind weiß“ und „Alle Raben sind schwarz“ widersprechen sich deshalb auch nicht notwendig. Beide Sätze behaupten lediglich, dass etwas nicht existiert (einmal nichtweiße Raben und einmal nichtschwarze Raben) und sind für den Fall, dass nichts existiert, richtig. Wird aber ein Basissatz hinzugenommen, zum Beispiel „Auf meinem Schreibtisch befand sich heute ein Rabe“, so folgt der Satz „Auf meinem Schreibtisch befand sich heute ein weißer Rabe“. Aus der Theorie allein folgt der Satz „Es gibt keine nichtweißen Raben“. Dies ist ein negierter universeller Es-gibt-Satz. Er widerspricht zum Beispiel dem universellen Es-gibt-Satz „Es gibt grüne Raben“ Dieser folgt wiederum aus dem singulären Es-gibt-Satz (Basissatz) „Auf meinem Schreibtisch stand heute ein grüner Rabe“. Der Vorgang, den dieser Satz beschreibt, ist beobachtbar. Darüber hinaus ist der Satz logisch möglich. Die beiden Sätze „Alle Raben sind weiß“ und „Auf meinem Schreibtisch stand heute ein grüner Rabe“ widersprechen sich. Die Theorie ist also falsifizierbar.
Falsifikation
Widersprechen anerkannte Basissätze einer Theorie, so sind sie nur dann deren Falsifikation, wenn sie gleichzeitig eine falsifizierende Hypothese bewähren. (LdF, 63)
Für die Falsifikation einer Theorie ist es nach Popper notwendig, dass aus zusammen mit einer Randbedingung eine Prognose ableitbar ist und dass ein anerkannter Basissatz festgesetzt worden ist, der der Prognose widerspricht. Es kann dann ein Argument gebildet werden, dass als Prämisse verwendet und die Negation der Konjunktion von und als Konklusion enthält. Dieses Argument ist dann eine Falsifikation. Die Falsifikation kann nur dann auf die Theorie eingeschränkt werden, wenn weitere Festsetzungen gemacht werden. Sind z.B. die Randbedingungen weniger problematisch als die Theorie und werden sie ebenfalls als wahr festgesetzt, so folgt die Falschheit der Theorie . Werden mehrere Theorien zur Ableitung der Prognose verwendet, so betrifft die Falsifikation nach Popper das gesamte System der verwendeten Theorien. Eine Einschränkung auf eine Theorie kann ebenfalls nur aufgrund von Festsetzungen erfolgen.
Beispiel
Sei = „Alle Raben sind weiß“ und die Randbedingung = „Auf meinem Tisch stand heute morgen ein Rabe“. Es folgt dann die Prognose = „Der Rabe auf meinem Tisch war weiß“. Wird nun der Basissatz = „Auf meinem Tisch stand heute morgen ein grüner Rabe“ als wahr festgesetzt, so folgt die Falschheit der Prognose . Eine der Prämissen oder muss also falsch sein. Popper nennt dies die Rückübertragung der Falschheit von der Konklusion auf mindestens eine der Prämissen. Wird nun auch als wahr festgesetzt, so ergibt sich die Falschheit von . wäre falsifiziert. (Ein Beispiel für die Falsifikation einer Wahrscheinlichkeitshypothese findet sich im Abschnitt Wahrscheinlichkeitshypothesen .)
Falsifikationen sind Aussagen über empirische Sachverhalte und damit nach Popper wie auch Theorien nicht endgültig entscheidbar. In der Wissenschaftsgeschichte sieht Popper Versuche, Theorien gegen Falsifikationen durch Ad-hoc-Hypothesen oder Veränderung der Randbedingungen zu immunisieren. Demgemäß werden Falsifikationen in der Wissenschaft manchmal sehr schnell, manchmal auch langsam und widerstrebend angenommen. Erfolgreiche Immunisierungsversuche können aber auch dazu führen, dass Falsifikationen als unzutreffend erwiesen werden oder durch geringfügige Modifikationen der kritisierten Theorie ihre Grundlage verlieren (Vgl. LdF XIV, 506-509).
Falsifizierbarkeitsgrade
Für den Fall konkurrierender Theorien kann man nach Popper Falsifizierbarkeitsgrade ermitteln, um deren Qualität zu vergleichen. Dabei ist die Qualität einer Theorie umso höher, je höher ihr empirischer Gehalt ist. Popper entwickelt zwei Methoden, um einen Falsifizierbarkeitsvergleich für Theorien durchzuführen: Den Vergleich aufgrund eines Teilklassenverhältnisses und den Dimensionsvergleich. Beide Methoden ergänzen einander.
Teilklassenverhältnis
Ein Vergleich aufgrund des Teilklassenverhältnisses ist nur möglich, wenn die empirischen Gehalte von Theorien ineinander geschachtelt sind. Eine Theorie ist dann in höherem Grade falsifizierbar, wenn ihr empirischer Gehalt den empirischen Gehalt einer anderen Theorie als echte Teilklasse enthält. Popper untersucht hierzu das Verhältnis von empirischem und logischem Gehalt sowie von empirischem Gehalt und absoluter logischer Wahrscheinlichkeit von Theorien. Der logische Gehalt eines Satzes ist die Menge aller logischen Folgerungen dieses Satzes. Popper kommt zu dem Ergebnis, dass für empirische Sätze der empirische Gehalt mit dem logischen Gehalt steigt, so dass für sie der Falsifizierbarkeitsvergleich mit der Ableitbarkeitsrelation erfasst werden kann, und dass ein steigender empirischer Gehalt eine abnehmende absolute logische Wahrscheinlichkeit zur Folge hat. Der logisch allgemeinere empirische Satz hat also nach Popper den höheren Grad der Falsifizierbarkeit und ist logisch unwahrscheinlicher.
Popper erläutert diese Zusammenhänge anhand der folgenden vier Beispielsätze:
- (p) Alle Weltkörperbahnen sind Kreise,
- (q) Alle Planetenbahnen sind Kreise,
- (r) Alle Weltkörperbahnen sind Ellipsen,
- (s) Alle Planetenbahnen sind Ellipsen.
Da alle Planeten auch Weltkörper sind, folgt (q) aus (p) und (s) aus (r). Da alle Kreise auch Ellipsen sind, folgt (r) aus (p) und (s) aus (q). Von (p) zu (q) nimmt die Allgemeinheit ab; (p) ist somit leichter falsifizierbar und logisch unwahrscheinlicher als (q). Von (p) zu (r) nimmt die Bestimmtheit ab. Von (p) zu (s) sowohl Allgemeinheit als auch Bestimmtheit. Es gelten die entsprechenden Verhältnisse für Falsifizierbarkeitsgrad und absolute logische Wahrscheinlichkeit.
Popper betont, dass der Falsifizierbarkeitsvergleich mit Hilfe des Teilklassenverhältnisses empirischer Gehalte nicht in jedem Fall möglich ist. Deshalb stützt er den Falsifizierbarkeitsvergleich noch auf den Dimensionsbegriff.
Dimension
Theorien erfordern laut Popper unterschiedlich komplexe Basissätze für eine Falsifikation. Diese Komplexität macht Popper an der Anzahl der Basissätze fest, die durch Konjunktion miteinander verbunden sind. Die Dimension einer Theorie nennt er die größte Zahl , für die die Theorie mit einem beliebigen Basissatz vereinbar ist. Hat eine Theorie die Dimension , kann sie erst durch eine Konjunktion aus mindestens Basissätzen widerlegt werden. Popper hält es nicht für zweckmäßig, „Elementarsätze“ oder „Atomsätze“ auszuzeichnen, so dass Theorien Dimensionen absolut zugeordnet werden können. Er führt deshalb „relativ atomare“ Basissätze ein. Der Falsifizierbarkeitsgrad wird also auf den Kehrwert der Dimension gestützt, so dass eine höhere Dimension einen geringeren Grad an Falsifizierbarkeit bedeutet. Anschaulich ausgedrückt besagt dies: Je weniger Basissätze ausreichen, um eine Theorie zu widerlegen, desto leichter falsifizierbar ist sie. Ein Beispiel soll den Dimensionsvergleich verdeutlichen.
Beispiel
Angenommen, man ist am gesetzmäßigen Zusammenhang zweier physikalischer Größen interessiert. Man kann z.B. die Theorie aufstellen, dass ein linearer Zusammenhang besteht. Die relativ atomaren Basissätze haben dann die Form: Das Messgerät an der Stelle zeigt … und das Messgerät an der Stelle zeigt …. Die lineare Theorie ist mit jedem relativ atomaren Basissatz vereinbar. Sie ist auch mit jeder Konjunktion zweier relativ atomarer Basissätze vereinbar. Erst Konjunktionen mit mindestens drei relativ atomaren Basissätzen können mit der linearen Theorie in Widerspruch stehen. Die linearen Theorie hat die Dimension . Geometrisch ausgedrückt bedeutet dies, dass zwei Punkte eine Gerade bestimmen und dass für drei Punkte entschieden werden kann, ob sie auf einer Gerade liegen oder nicht. Wenn man den Anfangspunkt des Systems vorgibt, z.B. weil die Versuchsanordnung es verlangt, dann verändert sich die Dimension. Jede Vorgabe eines Punktes reduziert die Dimension um . Wenn zwei Punkte vorgegeben sind, kann schon ein relativ atomarer Satz die Theorie falsifizieren. Man kann eine lineare Theorie wie folgt als Funktion darstellen: . Als alternative Theorie kann man eine Parabel annehmen: . Wenn man den Punkt vorgibt, schränkt man die Lage der grafischen Darstellung der Theorien ein: und . (Beide gehen durch den Nullpunkt des Koordinatensystems.) Die erste Theorie hat dann die Dimension und die zweite die Dimension . Beide erfüllen die Bedingung . Man kann einen weiteren Punkt vorgeben. Für die linearen Theorie ergibt sich dann: ; für die quadratische z.B. . Die Dimensionen haben sich um reduziert. Ein weiterer Messpunkt führt zur Falsifikation der linearen Theorie, denn für lässt sich die Bedingung nicht erfüllen. Anders verhält es sich bei der quadratischen Theorie. Sie kann auf diese Bedingung eingestellt werden. Z.B. erfüllt die Bedingung . Die Vorgabe eines vierten Punktes würde auch bei der quadratischen Theorie eine Falsifikation möglich machen. Die Dimension einer Theorie kann noch auf eine andere Art in ihrer Dimension eingeschränkt werden als durch die Angabe eines Punktes. Für die lineare Theorie kann z.B. die Steigung vorgegeben werden. Geometrisch ausgedrückt wird dadurch nicht die Lage der Geraden im Koordinatensystem festgelegt, sondern anschaulich ausgedrückt die Neigung zur -Achse. (Popper nennt die Einschränkung der Dimension durch Vorgabe eines Punktes „material“, die durch Vorgabe z.B. der Steigung oder anderer Eigenschaften, die die Form der Kurve und nicht ihre Lage verändert, „formal“.) Die Vorgabe eines Punktes der grafischen Darstellung einer Theorie erhöht also den Falsifizierbarkeitsgrad dieser Theorie. Dasselbe gilt für eine formale Einschränkung durch Angabe der Steigung.
Wahrscheinlichkeitshypothesen
Die logischen Verhältnisse sind bei der Anwendung der Definition von Falsifizierbarkeit auf Wahrscheinlichkeitshypothesen Popper zufolge nicht so eindeutig wie bei Theorien mit der logischen Form von Allsätzen. Popper weist daraufhin, dass Wahrscheinlichkeitshypothesen nicht unmittelbar in logischem Widerspruch zu Basissätzen stehen können und somit auch streng genommen nicht falsifizierbar sind. Dies liegt in der logischen Form von Wahrscheinlichkeitshypothesen begründet, die Popper wie folgt charakterisiert: Wahrscheinlichkeitshypothesen sind logisch äquivalent zu einer unendlichen Menge von Es-gibt-Sätzen; aus jeder Wahrscheinlichkeitshypothese seien Es-gibt-Sätze ableitbar. Darüberhinaus seien auch logisch stärkere verallgemeinerte Es-gibt-Sätze aus ihnen ableitbar. Diese haben die Form: Für jede Gliednummer gibt es eine Gliednummer mit dem Merkmal . So kann z.B. aus der Hypothese „Die Wahrscheinlichkeit eines Kopfwurfes beträgt unter den Bedingungen “ (kurz „ “) der Satz „Für jede Gliednummer gibt es eine Gliednummer , so dass der entsprechende Wurf Kopf zeigt“ gefolgert werden. Es folgen aber auch Sätze wie „Es gibt sowohl Kopf- als auch Zahlwürfe in der Folge“, etc. Beide Satztypen seien jedoch nicht falsifizierbar, da sie beliebigen endlichen Konjunktionen von Basissätzen nicht widersprechen können. Dennoch modifiziert Popper die methodologische Forderung nach Falsifizierbarkeit für empirische Theoriensysteme nicht und analysiert die methodologischen Beschlüsse, die Wahrscheinlichkeitshypothesen falsifizierbar machen.
Ein Beschluss, wie ihn Popper entwickelt, besteht aus der Forderung, dass endliche empirische Folgen, die von Konjunktionen endlich vieler Basissätze beschrieben werden, von Anfang an einen hohen Grad der Annäherung an kürzeste ideal zufallsartige mathematische Folgen, für die Popper eine Konstruktionsmethode angibt, besitzen müssen. Die Falsifizierbarkeit wird durch die Forderung erreicht, dass endliche Folgen, die sich nicht von Anfang an ideal zufallsartigen Folgen annähern, als logisch ausgeschlossen gewertet werden.
Popper führt das Problem der Falsifizierbarkeit von Wahrscheinlichkeitshypothesen noch unter Verwendung des so genannten Gesetzes der großen Zahlen und der logischen Interpretation des Kalküls der relativen Wahrscheinlichkeit einer weitergehenden Aufklärung zu. Die logische Interpretation des Kalküls der Wahrscheinlichkeit sieht Popper als eine Verallgemeinerung des Begriffs der Ableitbarkeit an. Gibt ein Satz einem Satz die Wahrscheinlichkeit (abgekürzt: , gelesen: „Die Wahrscheinlichkeit von in Bezug auf ist .“), so folgt logisch aus (Tautologie). Die Wahrscheinlichkeit entspricht dem logischen Widerspruch (Kontradiktion). Unter Verwendung dieser logischen Interpretation deutet Popper das Gesetz der großen Zahlen wie folgt: Aus einer Wahrscheinlichkeitshypothese ist eine Aussage über relative Häufigkeit fast logisch ableitbar für sehr großes (die Anzahl der voneinander unabhängigen Wiederholungen). „fast logisch ableitbar“ bedeutet hier eine Wahrscheinlichkeit sehr nahe an . Popper weist darauf hin, dass für Aussagen über relative Häufigkeiten, die außerhalb eines vorgegebenen kleinen Intervalls liegen, diese Wahrscheinlichkeit fast ist. Demnach sind Wahrscheinlichkeitshypothesen in dem Sinne falsifizierbar, dass sie Aussagen über relative Häufigkeiten mit abweichenden numerischen Werten fast logisch widersprechen. Der notwendige methodologische Beschluss, um Wahrscheinlichkeitshypothesen falsifizierbar zu machen, ist also, diesen fast logischen Widerspruch als logischen Widerspruch zu werten. Der Begriff „fast logisch ableitbar“ wird von Popper mathematisch präzisiert, indem er die Binomialverteilung als Metrik der relativen logischen Wahrscheinlichkeit verwendet. Durch die Größe der gewählten Stichprobe und die zulässige Abweichung der relativen Häufigkeit in der Stichprobe kann dann berechnet werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Prüfsatz über relative Häufigkeit aus einer Wahrscheinlichkeitshypothese folgt (siehe Beispiel).
Wahrscheinlichkeitshypothesen können Popper zufolge also zwar nicht unmittelbar zu Basissätzen und Konjunktionen endlich vieler Basissätze in logischem Widerspruch stehen, sie können jedoch ihren logisch schwächeren Folgerungen, den Sätzen über relative Häufigkeiten in endlichen empirischen Folgen, widersprechen. Dadurch teilen sie die Menge aller logisch möglichen Basissätze in zwei Teilmengen ein: die, mit denen sie in Widerspruch stehen, und die, mit denen sie logisch vereinbar sind. Nach Popper sind Wahrscheinlichkeitshypothesen also falsifizierbar.
Beispiel
Angenommen man will die Hypothese = „Die Wahrscheinlichkeit unter den Bedingungen einen Kopfwurf zu erhalten beträgt “ empirisch prüfen. Unter kann man die üblichen Bedingungen annehmen: Glatter Tisch, unabhängige Würfe, etc. Man kann dann den Prüfsatz = „Die relative Häufigkeit der Kopfwürfe in einer Würfe umfassenden Versuchsreihe unter den Bedingungen liegt bei “ bilden . Es kann dann berechnet werden: Die logische Wahrscheinlichkeit des Prüfsatzes in Bezug auf die Hypothese . Sie beträgt unter Verwendung der Standardabweichung . Dabei wurde eine -Umgebung zu Grunde gelegt, um eine hohe Wahrscheinlichkeit zu erhalten. Daraus ergibt sich ein Intervall zwischen und um den exakten Wert von . Der Prüfsatz kann nun mit dem Ergebnis eines Versuchs konfrontiert werden. Dabei zieht man nicht die Konjunktion von 10.000 Basissätzen heran („der erste Wurf war Kopf und der zweite Wurf war Kopf … und der 10.000. Wurf war Zahl“), sondern man vergleicht ihn mit seiner logisch schwächeren statistischen Folgerung. Also z.B. mit „Die relative Häufigkeit von Kopfwürfen unter 10.000 Münzwürfen betrug heute unter den Bedingungen “ Diese statistische Aussage widerspricht dem Prüfsatz . Die Wahrscheinlichkeitshypothese wäre also falsifiziert. Auch eine Folge, die bei den ersten 100 Würfen abwechselnd Kopf und Zahl zeigt, falsifiziert die Hypothese, da sie sich nicht zufallsartig verhält.
Aussagenlogik
Für eine aussagenlogische Formel ist es meist möglich, die Allgemeingültigkeit, Erfüllbarkeit, Falsifizierbarkeit oder Unerfüllbarkeit nachzuweisen. Es kann aber auch Sätze geben, die nicht entscheidbar sind.
Auf Grund der Komplementarität in einer zweiwertigen Logik gibt es in einem Deduktionssystem die duale Leseweise als Erfüllbarkeitsklassen und Falsifizierbarkeitsklassen.
In einer mehrwertigen Logik nimmt mit zunehmender Vagheit die Falsifizierbarkeit und die Aussagekraft von Aussagen ab.
Kritik
Positivismusstreit
Hauptartikel: Positivismusstreit
Das Kriterium der Falsifizierbarkeit wurde während des so genannten Positivismusstreits in den 1960er Jahren von Vertretern der Frankfurter Schule kritisiert: Nicht alle Theorien haben prognostischen Charakter und nicht alle treffen Voraussagen. Sie vertraten den Standpunkt, dass man die Wissenschaftlichkeit solcher Theorien durchaus formal fassen könnte, ohne dass die dafür anzuwendenden Kriterien auf Falsifizierbarkeit beruhen müssten.
Paradigmenwechsel nach Thomas S. Kuhn
Hauptartikel: Paradigmenwechsel
Thomas S. Kuhn vertrat die Auffassung, dass Wissenschaftler im normalen Wissenschaftsbetrieb nicht nach Falsifikationen suchen, sondern innerhalb eines akzeptierten Paradigmas – einer grundlegenden Theorie – an der Lösung von Rätseln und der Klärung von Anomalien arbeiten. „Kein bisher durch das historische Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozess hat irgendwelche Ähnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Natur.“ [2]. Wissenschaftlicher Wandel entsteht nach Kuhn erst, wenn die Anomalien so groß sind, dass es zu einer wissenschaftlichen Krise kommt. Erst dann wird nach neuen grundlegenden Theorien – neuen Paradigmen – gesucht. Dies ist die Zeit der außerordentlichen Wissenschaft. Wenn überhaupt, dann werde nur diese von Poppers Falsifikationismus beschrieben. Solche neuen Paradigmen sind mit den alten oft inkommensurabel, stellen also Strukturbrüche dar und keinen Erkenntnisfortschritt im Sinne der Kumulation von Wissen.
Einen grundlegenden Fehler Poppers sah Kuhn außerdem in der Konzeption der empirischen Beobachtungssätze. Um als wissenschaftliches Instrument wirksam zu sein, müsse die Falsifizierbarkeit einen endgültigen Nachweis erbringen, dass die geprüfte Theorie widerlegbar sei. Da Falsifikationshypothesen aber empirisch sind, können sie selbst wiederum widerlegt werden. Daraus folgte für Kuhn, dass die kritische Diskussion konkurrierender Theorien nicht sinnvoll ist. Der Wechsel zu einem neuen Paradigma ist daher eher mit einer politischen Entscheidung oder einer religiösen Bekehrung zu vergleichen.
Raffinierte Falsifikation nach Lakatos
Die Arbeiten von Imre Lakatos sind im Grundsatz eine Verfeinerung des Kritischen Rationalismus gegen Thomas Kuhn [3]. Einen Falsifikationismus, bei dem Theorien bei erfolgter Falsifikation grundsätzlich aufgegeben werden, nannte er „naiven Falsifikationismus“, ein Begriff, den Kuhn in seiner Kritik an Popper in diesem Zusammenhang verwendet hatte. Er stimmte Kuhn zu, dass es in der Wissenschaftsgeschichte eine Vielzahl von Falsifikationen gegeben habe, die nicht zu einem Theoriewechsel geführt hatten. Allerdings sei Kuhns Position relativistisch und religionsähnlich: „Nach Kuhn ist der Wandel der Wissenschaft – von einem ‚Paradigma’ zum anderen – ein Akt mystischer Bekehrung, der von Vernunftfragen weder gelenkt wird noch gelenkt werden kann und der völlig dem Bereich der ‚(Sozial-)Psychologie der Forschung’ angehört.“ (ebd., S.90).
An Popper kritisierte Lakatos, dass durch die konventionelle Festlegung, welche Basissätze annehmbar seien, eine Art Immunisierung der Falsifikation entsteht. Die Wissenschaftsgeschichte zeige, dass angenommene Falsifikationen durchaus einen irrationalen Ursprung haben können. Aufgrund dieser Probleme sei im Rahmen eines „raffinierten Falsifikationismus“ eine Methodik zu entwickeln, mit der es möglich ist, für Forschungsprogramme eine Heuristik aufzustellen, mit der auch der Entdeckungszusammenhang von Theorien rational begründet werden kann. Insbesondere forderte er, dass die jeweils neue Theorie, um als wissenschaftlich anerkannt werden zu können, einen Überschuss an empirischen Gehalt haben, die alte Theorie erklären können und bereits bestätigt sein müsse.
Diese Art Methodik sei speziell auch wirksam für die Falsifikation von komplexen Systemen von Theorien mit mehreren Hypothesen und Randbedingungen. Da in einem solchen Fall nicht klar ist, welche Komponente des Systems Grund der Falsifikation ist, kann man einzelne Aussagen nach den genannten Prinzipien austauschen, um die Theorie erneut zu prüfen. Damit man noch von einem einheitlichen Forschungsprogramm sprechen kann, sollte dabei der „harte Kern“ der Hypothesen erhalten bleiben, während die weniger wichtigen Hypothesen und Nebenbedingungen variiert werden.
Erkenntnistheoretischer Anarchismus nach Feyerabend
Paul Feyerabend bestritt grundsätzlich, dass es möglich sei, innerhalb von Forschungsprogrammen mit rationalen Kriterien zu arbeiten [4]. Forschungseinrichtungen arbeiten nach dem Prinzip der Beharrlichkeit. Andererseits herrscht auch im laufenden Wissenschaftsprozess ein Ideenpluralismus. Eine Begründung für Krisen und Revolutionen ergebe sich hieraus nicht, wohl aber gebe es Inkommensurabilitäten.
Insbesondere neue Forschungsprogramme seien erheblichen Widerständen ausgesetzt und es sei eher eine Frage des Zufalls, ob und in welchem Zeitraum sie sich etablieren können. Es gebe keine Gründe, warum man nicht neuen Theorien mit irrationalen Methoden zur Geltung verhelfen solle. Der hierin zum Ausdruck kommende wissenschaftstheoretische Relativismus führte Feyerabend zu der nihilistischen Parole „Anything Goes“.
Holismus nach Quine
Die von Willard Van Orman Quine formulierte Kritik an der Methode der Falsifizierbarkeit greift die auch von Lakatos diskutierte Problematik komplexer Theoriensysteme auf [5]. Die Hypothesen eines solchen Systems sind nicht unabhängig, so dass bei einer widersprechenden empirischen Beobachtung kein logischer Rückschluss darauf möglich ist, welche Teilhypothese oder Randbedingung der Grund für eine mögliche Falsifikation ist. Auf diesen Zusammenhang hatte bereits Pierre Duhem aufmerksam gemacht [6], so dass diese Auffassung als Duhem-Quine-These bekannt ist. Quine hatte daraus geschlossen, dass die Prüfung eines solchen Systems nur durch die Prüfung aller zusammenhängenden Sätze erfolgen könne und dann das System als Ganzes zu verwerfen sei (Holismus).
Theorien als Handlungsanweisung nach Stegmüller
Für Wolfgang Stegmüller war in der Forderung nach der Bewährung der Prüfsätze das Problem der Induktion nicht gelöst, da die Prüfsätze aufgrund einer Festlegung, wenn auch intersubjektiv anerkannt, zustande kommen [7]. Stegmüller sah hier den Abbruch eines infinites Regresses analog dem Fries’schen Trilemma. Wenn auch anders begründet, sah er damit das Problem ähnlich wie Kuhn, dem er allerdings mangelnde wissenschaftstheoretische Begründung vorhielt, im empirischen Charakter der Basissätze und kam zu dem Schluss, dass es zwischen dem Deduktivismus Poppers (Bewährung) und dem Induktivismus Carnaps (Bestätigung) nur geringe formale Unterschiede gibt.
Ausgehend von seiner Kritik des Falsifikationismus versuchte Stegmüller im Rückgriff auf Moritz Schlick wissenschaftliche Theorien und Naturgesetze als Scheinsätze, das heißt ohne unmittelbaren empirischen Gehalt, aufzufassen, die Handlungsanweisungen für den Wissenschaftler darstellen, wie er zu konkreten Forschungsergebnissen kommen kann. Theorien müssen als formale Strukturen mit intendierten Anwendungen verstanden werden. Hieraus ergeben sich auch verbesserte Erklärungen für die Theoriendynamik im Vergleich zum logischen Empirismus.
Antworten kritischer Rationalisten
Die Befürworter der Methode der Falsifizierbarkeit [8] halten ihren Kritikern entgegen, dass diese sich vor allem mit dem Entdeckungszusammenhang von Theorien befassen und nicht mit der Begründung der Wissenschaftlichkeit. Dies ist aber allein das Ziel des Konzepts der Falsifizierbarkeit. Insbesondere die historischen, gestaltpsychologischen und soziologischen Argumente verkennen, dass solche Betrachtungen und Aspekte von der Forschungslogik nicht ausgeschlossen werden. Andererseits sind wissenschaftshistorische Untersuchungen nicht so durchzuführen, als ob in dem jeweiligen historischen Fall die Methode der Falsifizierbarkeit schon bekannt gewesen sei.
Für die Entdeckung von neuen wissenschaftlichen Theorien gibt es keine Regeln. Hier wirken Versuch und Irrtum. Insofern besteht selbst zu Feyerabend kein Gegensatz. Bei der Begründung einmal gefundener Theorien muss hingegen mit wissenschaftlicher Methodik vorgegangen werden. Und dies geschieht durch das Konzept der Falsifizierbarkeit. In einer ausführlichen Analyse hat Andersson gezeigt, dass die wissenschaftshistorischen Beispiele von Kuhn, Lakatos und Feyerabend so formuliert werden können, dass sie in der Struktur der Methode der Falsifizierbarkeit entsprechen.
Popper hat selbst die Frage nach komplexen Systemen von Theorien thematisiert und darauf hingewiesen, dass eine Falsifikation logisch nicht einzelne Komponenten widerlegt (vgl. LdF, Kap. 19-22). Für Popper ist aber das globale holistische Dogma [9] nicht haltbar, da Teilhypothesen eines Systems aufgrund von Analysen sehr wohl als Grund einer Falsifikation erkennbar sind. Andererseits kann es durchaus sinnvoll sein, von der Falsifikation der gesamten Theorie auszugehen und die modifizierte Theorie als neue Theorie aufzufassen, die sich noch bewähren muss, weil es nicht sicher ist, ob die Modifikation nicht falsifizierende Wirkung auf Bewährungen der Vergangenheit hat.
Auch dass das Konzept der Bewährung keine logisch geschlossene Lösung darstellt, wurde von Popper von vornherein als Problem der empirischen Basis diskutiert. Durch die Forderung der Rationalität und der intersubjektiven Nachprüfbarkeit (Objektivität) führt er Kriterien ein, die im Gegensatz zur Bestätigung (Verifikation) des Induktivismus zu einem nachvollziehbaren Anerkennungsverfahren für Theorien führt. Das normative Konzept der Falsifizierbarkeit hilft insbesondere bei der kritisch rationalen Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnis, indem es die Aussagen und Theorien ausscheidet, die sich einer empirischen Überprüfung entziehen.
Quellen
- ↑ Karl R. Popper (1934): Logik der Forschung.
- ↑ Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Suhrkamp, Frankfurt M 1976 (2. Aufl.), S.90. ISBN 3518276255
- ↑ Vgl. Imre Lakatos: Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme. in: Imre Lakatos, Alan Musgrave (Hrsg.): Kritik und Erkenntnisfortschritt. Viehweg, Braunschweig 1974, S.89–189. ISBN 3-528-08333-6
- ↑ Vgl. Paul Feyerabend: Wider den Methodenzwang. Suhrkamp, Frankfurt 1983 (2. Aufl.). ISBN 3-518-57629-1
- ↑ Vgl. Willard Van Orman Quine: Zwei Dogmen des Empirismus. in: W. Van Orman Quine: Von einem logischen Standpunkt. Ullstein, Frankfurt 1979, S. 27-50. ISBN 3-548-35010-0
- ↑ Pierre Duhem: Ziel und Struktur physikalischer Theorien. Hrsg. v. Lothar Schäfer. Übers. v. Friedrich Adler. Meiner Felix, Hamburg 1978, 1998 (Orig. Paris 1906). ISBN 3787314571
- ↑ Vgl. Wolfgang Stegmüller: Das Problem der Induktion. Humes Herausforderung und moderne Antworten. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 1974, insb. S.8-50. ISBN 3-534-07011-9
- ↑ Vgl. die Darstell. bei Andersson und Keuth (Lit.: Gunnar Andersson, Herbert Keuth)
- ↑ Karl Popper: Vermutungen und Widerlegungen, S.348-250.
Literatur
- Karl Popper: Logik der Forschung. Springer, Wien 1935, Hrsg. von Herbert Keuth, Mohr Siebeck, Tübingen 2005 (11. Aufl., online 2.Aufl.1966 m. Anm.). ISBN 3-16-146234-3
- Karl Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Aufgrund von Manuskripten aus den Jahren 1930-1933 hrsg. von Troels Eggers Hansen mit einem Vorwort von Karl Popper aus dem Jahr 1978. Mohr Siebeck, Tübingen 1994 (2. Aufl.). ISBN 3168382124
- Karl Popper: Vermutungen und Widerlegungen. Ausgabe in einem Band. Mohr Siebeck, Tübingen 2000. ISBN 3-16-147311-6
- Handlexikon zur Wissenschaftstheorie. dtv, München 1992 (mit Beiträgen von Karl Popper selbst). ISBN 3-423-04586-8
- Gunnar Andersson: Kritik und Wissenschaftsgeschichte. Mohr Siebeck, Tübingen 1988. ISBN 3-16-945308-4
- Hans-Joachim Niemann: Lexikon des Kritischen Rationalismus. Mohr Siebeck, Tübingen 2004. ISBN 3-16-148395-2
- Herbert Keuth: Die Philosophie Karl Poppers. Mohr Siebeck, Tübingen 2000. ISBN 3-16-147084-2
- K. H. Bläsius, H.-J. Bürckert: Automatisierung des logischen Denkens. Oldenbourg, München 1992 (2. Kapitel online Grundlagen und Beispiele.). ISBN 3-486-22033-0