Lesben- und Schwulenbewegung

soziale Bewegung
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Die Lesben- und Schwulenbewegung ist eine soziale Bewegung, deren Entstehung durch den Stonewall-Aufstand vom 28. Juni 1969 in New York City katalysiert wurde. Ihr unmittelbarer Vorläufer war die Homphilenbewegung der 50er und 60er Jahre.

Bei der Lesben- und Schwulenbewegung handelt es sich um eine Identitätsbewegung, die durch ihr öffentliches Auftreten die symbolische Repräsentation von Homosexualität zu verändern versucht. In den USA geschah dies vor allem durch die Aneignung von nicht negativ konnotierten Begriffe wie Gay und Lesbian, die im Gegensatz zu Schimpfwörtern wie Queer standen, aber auch defensive Selbstbezeichnungen wie "Homophile" ersetzten.

In Deutschland eignete sich die vorwiegend studentisch geprägte Schwulenbewegung der frühen 70er Jahre den Begriff "schwul" an, um dieser Bezeichnung den Schimpfwortcharakter zu nehmen, aber auch um die Öffentlichkeit zu einer Auseinandersetzung mit ihren Vorurteilen zu provozieren. Eine ähnliche Strategie wird in den USA seit den 90er Jahren durch die Aneignung des Begriffes Queer verfolgt.

1970er Jahre

Die Schwulenbewegung der 70er Jahre orientierte sich international sehr stark an anderen Neuen Sozialen Bewegungen, insbesondere aber an der Neuen Linken. Die Lesbenbewegung verschmolz zu einem großen Teil mit der Frauenbewegung und prägte dort das Paradigma des Lesbischen Feminismus.

Neben einzelnen Demonstrationen und verschiedenen politischen Aktivitäten, die sich gegen eine Diskriminierung von Homosexuellen richteten, entstand eine alternative Infrastruktur, die sich neben der kommerziellen Subkultur etablierte. Buchläden, Verlage, Zentren und Vereine aus der damaligen Zeit existieren meist auch heute noch.

Ein zentrales Konzept war das Coming-out, das Homosexuellen ermöglichen sollte, eine selbstbewusste Identität als Lesbe oder Schwuler herauszubilden.

Bundesrepublik Deutschland

In Deutschland gilt die Fernseh-Ausstrahlung des Films "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" (Deutschland 1970, Regie: Rosa von Praunheim, Text: Martin Dannecker) im Jahr 1973 als Inititalzünder der Schwulenbewegung. Noch im selben Jahr gründete sich die Homosexuelle Aktion Westberlin (HAW) und die "Rote Zelle Schwul" (ROTZSCHWUL) in Frankfurt.

1980er Jahre

Bundesrepublik Deutschland

Die 80er Jahre waren in der Bundesrepublik vor allem durch eine Institutionalisierung der Lesben- und Schwulenbewegung geprägt:

Ein zweites Novum war die Organisierung eines jährlich stattfindenden Christopher Street Day, um an den Stonewall-Aufstand zu erinnern. Die erste solche Veranstaltung fand 1983 in Berlin statt.

In der zweiten Hälfte der 80er Jahre warf die Immunschwächekrankheit AIDS ihren Schatten über die Schwulenbewegung. Zum einen starben in den folgenden Jahren zahlreiche prominente Aktivisten; zum anderen ging es nun darum, eine repressive Gesundheitspolitik abzuwehren, wie sie vor allem der bayerische Innenpolitiker Peter Gauweiler voranzutreiben versuchte – etwa indem er 1986 die Einrichtung von Internierungslagern für Aids-Kranke forderte.

Trotz ihrer Erfolge in der Abwehr dieser Politik geriet die Lesben- und Schwulenbewegung gegen Ende der 80er Jahre in eine tiefe Sinnkrise, die sie mit fast allen anderen sozialen Bewegungen teilte. Viele AktivistInnen zogen sich enttäuscht aus der Bewegung zurück. Die Ursachen hierfür sind vielschichtig. Eine der zentralen Gründe war jedoch gerade die Verallgemeinerung einer lesbischen und schwulen Bewegungsidentität, was sich z.B. darin manifestierte, dass sich die homosexuelle Subkultur nun als "lesbisch-schwule Szene" bezeichnete. Zahlreiche Zeitschriften begannen, sich zu kommerzialisieren und ihre Bindung an die Lesben- und Schwulenbewegung zu lösen. Der Begriff Politschwester wurde zu einem sozialen Stigma, während der Niedergang der Neuen Linken zahlreiche Bewegungsschlagworte wie "Emanzipation" und "Patriarchat" auf einmal obsolet erscheinen ließ. Viele Angehörige der Szene sahen die Mission der Lesben- und Schwulenbewegung bereits als erfüllt an. Frustriert erklärten 1989 mehrere ehemalige AktivistInnen die Lesben- und Schwulenbewegung für tot. [1]

1990er Jahre

Deutschland

Verbände: Streit um Lebensformenpolitik

Die Entwicklung der Schwulenbewegung in Deutschland war während der 90er durch eine staatlich orientierte Lobbypolitik geprägt. Charakteristisch war hierfür besonders die Entstehung des Schwulenverbands in Deutschland (SVD) im Jahr 1990. Im Februar als "Lesben- und Schwulenverband in der DDR" gegründet, wurde er in den folgenden Monaten von Volker Beck, Günter Dworek und Manfred Bruns zu einem Konkurrenzverband gegen den BVH aufgebaut. Im Juni erfolgte seine Umbenennung. Zentraler Streitpunkt zwischen den beiden Verbänden war die Forderung nach der Homo-Ehe, deren Aufstellung vom Bundesverband Homosexualität bis zuletzt mit großer Vehemenz abgelehnt wurde. Stattdessen forcierte dieser aus einer ehe- und patriarchatskritischen Haltung heraus die Schaffung eine staatsfernen Alternative.

Das vom BVH entworfene Konzept der "Notariell beglaubigten Partnerschaft" wollte Verwandtschaftsrechte nicht mehr an eine bestimmte Lebensform binden. So sah das Konzept weder eine Beschränkung der Zahl noch des Geschlechts der PartnerInnen vor. Dem SVD wurde vorgeworfen, die bürgerliche Ehe kopieren zu wollen und die emanzipatorischen Prinzipien der Lesben- und Schwulenbewegung zu verraten. Demgegenüber sah es der SVD nicht als Aufgabe der "homosexuellen Minderheit" an, die Gesellschaft zu verändern. Anzustreben sei vielmehr eine Gleichstellungspolitik, welche der Diskriminierung von lesbischen Bürgerinnen und schwulen Bürgerm ein Ende bereite.

Durch öffentlichkeitswirksame Kampagnen wie der "Aktion Standesamt" gelang es dem SVD, die Berichterstattung der Medien auf seine Forderungen zu lenken, während der Bundesverband Homosexualität zunehmend ins Abseits geriet. 1997 löste sich der BVH schließlich auf.

1999 wurde der SVD zum "Lesben- und Schwulenverband in Deutschland" (LSVD) erweitert. Damit stellte sich der Verband in Konkurrenz zum Lesbenring, der die Homo-Ehe aus feministischen Gründen ablehnte. Im selben Jahr organisierten sich einige der schärfsten KritikerInnen des SVD im neugegründeten wissenschaftlich-humanitären komitee (whk), das sich selbst nicht als Lesben- und Schwulenorganisation, sondern als eine linke sexualemanzipatorische Initiative versteht. Aufgrund seiner konfrontativen Politik – ein Beispiel ist die Kampagne "Wir scheißen auf euer JA-Wort! (Homo)Ehe nein danke" (1999) – gilt das whk als "Schmuddelkind" der Bewegung.

Zwar hat es der LSVD nicht geschafft, die Forderung nach Ausweitung der Ehe auf Homosexuelle zu realisieren. Allerdings richtete der Bundestag mit Wirkung zum 1. August 2001 für Lesben und Schwule ein Parallelinstitut ein: die Eingetragene Lebenspartnerschaft. Weil es für gleichgeschlechtliche Partnerschaften einen rechtlichen Sonderstatus festschreibt, der zahlreiche diskriminierende Elemente enthält, ist das Gesetz anfangs auch im LSVD nicht ganz unumstritten gewesen. Letztlich wurde es aber von der Mehrheit des Verbands als Schritt in die richtige Richtung begrüßt.

Gegenwart

Literatur

  • Eric Marcus: Making History : The Struggle for Gay and Lesbian Equal Rights, 1945 - 1990 ; An Oral History. New York 1993. ISBN 0060167084.
  • Andreas Salmen; Albert Eckert; Bundesverband Homosexualität (Hrsg.): 20 Jahre bundesdeutsche Schwulenbewegung : 1969-1989. Köln 1989.
  • Eike Stedefeldt: Schwule Macht. Berlin 2001. ISBN 3885206919.
  • Donn Teal: The Gay Militants : How Gay Liberation Began in America, 1969-1971. New York 1971. ISBN 0312112793.