Proteste in Bangladesch 2024

gewalttätige Unruhen um Stellenzuteilungen im öffentlichen Dienst Bangladeschs
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Die landesweiten Proteste in Bangladesch begannen am 7. Juli 2024 mit einer sogenannten Bangla-Blockade, einer national organisierten Verkehrsblockade, durch Studierende, bei denen es zu zahlreichen Todesopfern kam. Grund war eine geplante Quotenregelung, der zufolge knapp ein Drittel der staatlichen Stellen für sogenannte „Kriegshelden“ und deren Angehörige freigehalten worden wäre, also vor allem für Menschen aus dem Umfeld der Regierungspartei. Obgleich das höchste Gericht von Bangladesch kippte am 21. Juli Teile der umstrittenen Quotenregelung, gingen gewaltsame Demonstrationen weiter und weiteten sich zu allgemeinen Protesten gegen die autoritär regierende Ministerpräsidentin Hasina Wajed aus. Gefordert wurde ein Rücktritt der Regierung und demokratische Wahlen. Bis Anfang August belief sich die Todeszahl auf über 300 Tote, die meisten davon durch Schüsse der Polizei, mehr als 10.000 Menschen wurden festgenommen. Wajed bezeichnete die Aktivisten als „Terroristen“. Am 5. August trat Wajed im Zuge der neuen Protestwelle zurück und verließ das Land.

Bangla-Blockade am 6. Juli in Dhaka

Hintergrund

In der Auseinandersetzung geht es um eine Quotenregelung, der zufolge knapp ein Drittel der staatlichen Stellen für sogenannte „Kriegshelden“ und deren Angehörige freizuhalten sind. Staatliche Stellen sind äußerst beliebt, weil sie finanziell unabhängig machen und meist unkündbar sind.[1][2] Auf jährlich 3000 zu besetzende Stellen kommen 400.000 Bewerbungen.[3] Die hohe Quote für Personen, die sich um die Unabhängigkeit des Landes im Bangladesch-Krieg von 1971 verdient gemacht haben oder deren Nachkommen, wird zunehmend als ungerecht empfunden. Hinzu kommen weitere Quoten für Frauen und für Personen aus unterentwickelten Regionen (je 10 %), ethnische Minderheiten (5 %) und Behinderte (1 %), sodass nur 44 % frei verfügbar sind.[3] Der Meinung von Kritikern nach profitieren Familienangehörige der Regierungsparteien in ungerechtfertigter Weise von diesem System.[1][4] Die Regierung von Bangladesch unter Ministerpräsidentin Hasina Wajed, die seit 1996 (mit Unterrechung von 2001 bis 2009) an der Macht ist, regiert teilweise autoritär; die Situation bezüglich Demokratie und Menschenrechten in Bangladesch blieb unter ihrer Regierung angeschlagen.

Verlauf

Die anfänglichen Verkehrsblockaden geschahen besonders in den Großstädten Dhaka, Chittagong, Kumilla, Jessore, Rangpur und Rajshahi. Die unmittelbaren Auseinandersetzungen richten sich gegen Angehörige der Bangladesh Chhatra League (BCL), d. h. Anhänger der regierenden Awami-Liga, die von Studenten ohne diese Zugehörigkeit mit Ziegelsteinen und Stöcken angegriffen werden. Die gegen die Gewalt und Straßenblockade eingesetzte Polizei wirkte nicht deeskalierend.[1]

Schon 2018 und zuvor 2013 gab es ähnliche Proteste, die endeten, nachdem die Regierung die entsprechenden Gesetze ausgesetzt hatte. Der Oberste Gerichtshof des Landes hatte am 5. Juni diese Gesetze jedoch für rechtmäßig erklärt, was die Proteste wieder neu entfachte. Premierministerin Hasina Wajed heizte die Stimmung weiter deutlich an, indem sie die Protestler als „Verräter“ (bengalisch রাজাকার, razakars) bezeichnete. Die Studenten haben versichert, ihre Proteste fortzusetzen, bis ihre Forderungen erfüllt seien.[3] Nachdem ein Gericht das 2018 suspendierte Gesetz im Juni wieder in Kraft gesetzt hatte, hob das Oberste Gericht dieses erneut auf. Doch dies reicht den Studenten nicht. „Wir werden nicht in die Hörsäle zurückkehren, bis unsere Forderung erfüllt ist“, äußert Protestführer Rasel Ahmed gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Ein anderer Demonstrant sagt der BBC: „Meine Forderung ist nicht, das System abzuschaffen. Meine Forderung ist eine Quotenreform.“[5]

Am 17. Juli wurde die Website von BCL gehackt und mit einem Slogan versehen, der zur Mäßigung aufrief.[6] Das Internet war zeitweise gestört, Soziale Medien wurden von der Regierung gesperrt, „um die Sicherheit für die Bevölkerung sicherzustellen“, betonte der Minister für Telekommunikation, Zunaid Ahmed Palak.[7] Das Auswärtige Amt in Berlin forderte gegenüber dem Magazin Zenith alle beteiligten Akteure zur Mäßigung und sofortigen Beendigung der Gewalt auf. Alle Gewaltakte müssten untersucht und Täter vor Gericht gestellt werden.[8] Die Vorsitzende der deutsch-südasiatischen Parlamentariergruppe, Renate Künast, forderte eine umfassende, unabhängige und transparente Aufklärung der Gewalt.[9] Menschen wurden getötet, Hunderte verletzt.[1] Bis zum 23. Juli waren mindestens 187 Menschen ums Leben gekommen;[10] bis zum 27. Juli starben mindestens 211 Menschen.[11]

Als Folge der blutigen Massenproteste kippte das höchste Gericht in Dhaka Teile der umstrittenen Quotenregelung am 21. Juli 2024. So sollen künftig nur 7 Prozent der Stellen vorwiegend für Nachkommen von Soldaten reserviert sein.[12]

Bis Anfang August gab es bei weiter laufenden Protesten bereits mehr als 300 Tote, die meisten starben durch Schüsse der Polize; allein am 4. August starben 94 Menschen.[13] Unter den Todesopfern sollen 13 Polizisten sein. Die Demonstranten forderten Rechenschaft für die mindestens 150 Todesfälle bei den früheren Kundgebungen, die sie auf exzessive Gewaltanwendung der Polizei zurückführten. Zudem verlangten sie den Rücktritt von Premierministerin Wajed. Die Regierung verhängte daraufhin am 4. August 2024 erneut eine Ausgangssperre auf unbestimmte Zeit und blockierte das Internet.[14] Im Rahmen der Proteste wurden mehr als 10.000 Demonstrierende festgenommen.[15] Am 5. August trat Premierministerin Hasina Wajed im Zuge der neuen Protestwelle zurück und verließ das Land. Demonstranten stürmten ihre Residenz, nachdem sie diese bereits verlassen hatte. Armeechef Waker-Uz-Zaman teilte den Rücktritt der Premierministerin in einer Fernsehansprache mit und kündigte die Bildung einer Übergangsregierung an. Er rief zu einer Beendigung der Proteste auf.[16][17][18]

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Einzelnachweise

  1. a b c d Akbar Hossain, Anbarasan Ethirajan: Deadly unrest over job quotas grips Bangladesh, BBC online, 16. Juli 2024.
  2. Regierung schickt wegen Protesten in Bangladesch Armee auf die Straßen. Abgerufen am 21. Juli 2024 (österreichisches Deutsch).
  3. a b c Anagha Jayakumar: Why are students protesting in Bangladesh? The Indian Express, 18. Juli 2024
  4. Das steckt hinter der Gewalt in Bangladesch. 19. Juli 2024, abgerufen am 21. Juli 2024.
  5. Annabelle Liang: Anger over jobs reserved for war heroes’ children. BBC online, 11. Juli 2024
  6. Bangladesh Chhatra League website hacked amid nationwide unrest. The Financial Express, 18. Juli 2024.
  7. Daryna Antoniuk: https://therecord.media/bangladesh-mobile-internet-social-media-outages-student-protests. The Record, 18. Juli 2024
  8. Das steckt hinter der Gewalt in Bangladesch. 19. Juli 2024, abgerufen am 21. Juli 2024.
  9. »Bangladesch steht am Scheideweg«. 26. Juli 2024, abgerufen am 29. Juli 2024.
  10. „Neben mir habe ich Leute sterben sehen“: Wie ein Augenzeuge die Studentenproteste in Bangladesch mit über 180 Toten erlebte. In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 29. Juli 2024]).
  11. Death toll tops 210 as more protesters die from injuries in Bangladesh. Abgerufen am 30. Juli 2024.
  12. Hoffen auf Ende der blutigen Proteste in Bangladesch. In: tagesschau.de, 21. Juli 2024 (abgerufen am 22. Juli 2024).
  13. zeit.de, abgerufen am 5. August 2024.
  14. Viele Tote bei Ausschreitungen in Bangladesch. tagesschau.de, 4. August 2024.
  15. nytimes.com, abgerufen am 5. August 2024.
  16. Redwan Ahmed und Kaamil Ahmed: Bangladesh PM has resigned and left country, army chief confirms. The Guardian, 5. August 2024, abgerufen am 5. August 2024 (englisch).
  17. Ministerpräsidentin von Bangladesch tritt zurück und verlässt das Land. zeit.de, 5. August 2024, abgerufen am 5. August 2024.
  18. Bangladesch: Regierungschefin Sheikh Hasina tritt zurück. dw.com, 5. August 2024, abgerufen am 5. August 2024.