Politische Theorie

Disziplin der Politikwissenschaft
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 3. Dezember 2006 um 22:32 Uhr durch Trolinus (Diskussion | Beiträge) (Politische Ideengeschichte). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Politische Theorie und Ideengeschichte (oder auch einfach Politische Theorie) ist neben den Teilgebieten Politisches System der Bundesrepublik Deutschland, Vergleichende Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen eines der vier Lehrfächer der Politikwissenschaft, nach denen auch die meisten Lehrstühle benannt werden.

Die Politische Theorie selbst kann wiederum in vier Bereiche unterteilt werden:

  1. In der Wissenschaftstheorie wird von einer Metaebene aus über das wissenschaftliche Vorgehen selbst nachgedacht. Neben dem Worüber und Wie des Forschens (Fragestellungen, Methoden) geht es auch um eine Reflexion über die Reichweite der eigenen Theorien.
  2. Die politische Ideengeschichte erforscht die seit der griechischen Antike angestellten politischen Ideen (nicht immer vollständige Theorien). Sie stellt damit quasi die Geschichtsschreibung der Politischen Philosophie dar.
  3. In der politischen Philosophie (das älteste und immer noch gängigste Verständnis von Politischer Theorie) geht es um normative Fragen, wie die nach dem besten Staatswesen oder ob es gerechte Kriege gibt. In der Regel werden auch Handlungsanweisungen gegeben, wie der gewünschte Sollzustand erreicht werden kann.
  4. Die moderne politische Theorie versucht hingegen rein deskriptiv und wertneutral die Realität zu beschreiben und möglichst präzise Vorhersagen über die weitere Entwicklung zu machen (Basis ist die wissenschaftstheoretisch empirisch-analytische Ausrichtung).

Insbesondere auf dem Feld der Politischen Theorie kommt der Charakter der Politikwissenschaft als Integrationswissenschaft vom menschlichen Handeln stark zum Ausdruck. Relevante Beiträge zum Verständnis von Politik kommen insbesondere aus der Philosophie generell, der Geschichte (Rechtsgeschichte), der Rechtswissenschaft (Staats-, Rechtsphilosophie), Soziologie und Psychologie (Anthropologie). Die Grenzen sind dabei manchmal fließend.

Besonders wichtige und vieldiskutierte Konzepte der politischen Theorie sind u. a. Politik, Staat, Recht, Regierung, Eigentum, Gesetz, Macht, Herrschaft und Demokratie.

Wissenschaftstheorie der Politikwissenschaft

Die Wissenschaftstheorie der Politikwissenschaft versucht die in der allgemeinen Wissenschaftstheorie gewonnen Erkenntnisse für die Untersuchung politischer Phänomene fruchtbar zu machen. Sie ist eine Metawissenschaft, d.h. sie möchte über die Wissenschaft selbst Erkenntnisse gewinnen.

Grundlegend für alle Wissenschaften ist dabei das Rationalitätspostulat, welches drei Anforderungen stellt: (1.) Sprachliche und logische Präzision erfordert die mehrdeutige Alltagssprache durch ausdrücklich definierte Begrifflichkeiten (Wissenschaftssprache) zu ersetzen und logisch korrekt, d.h. widerspruchfrei und mittels Deduktion, zu Argumentieren. (2.) Das Intersubjektivitätsprinzip erfordert das im Prinzip alle Menschen beim Einsatz gleicher Methoden zu den gleichen Ergebnissen kommen (Überprüfbarkeit). Daher müssen die verwendeten Begriffe definiert und die Methode des wissenschaftlichen Vorgehens exakt angegeben werden. Das bedeutet nach positivistischem Verständnis aber natürlich noch nicht, dass das Ergebnis wahr ist, denn z.B. kann die Methode dem Gegenstand unangemessen sein. (3.) Die Begründbarkeit erfordert schlicht, dass für die Positionen nachvollziehbare Argumente angegeben werden müssen. Ein Verweis auf die eigene (subjektive) Meinung oder göttliche Erleuchtung sind Glauben und keine wissenschaftlichen Gründe.

Die verschiedenen wissenschaftlichen Vorgehensweisen die von Politikwissenschaftlern eingesetzt werden lassen sich dabei grob in drei Ansätze unterscheiden.

Normativ-ontologischer Ansatz

Auch/ähnlich: ontologisch-normativer, normativer, praktisch-philosophischer oder essentialistischer Ansatz, Freiburger oder Münchner Schule

 
Platon

Der normativ-ontologische Ansatz ist das älteste, auf die klassische griechische Philosophie (Platon, Aristoteles u.a.) zurückgehende Konzept von politischer Wissenschaft.

Kennzeichnend ist, dass Politikwissenschaft sich nicht in empirischen Analysen erschöpfen sollte, sondern stets auch normative, d.h. Wertfragen zu berücksichtigen hat. Gemeinsam ist demnach allen diesen Ansätze die Lehre von einem absoluten Sein, welche davon ausgeht, dass es eine Realität, eine Wahrheit und eine Moral gibt, und dass man diese mit den richtigen Methoden auch finden kann. Politik hat demnach ein Ziel, ein Leitbild oder einen Idealzustand, der ihr inhärent ist. Klassische Paradigmen sind der Begriff des guten Lebens, wie ihn Aristoteles geprägt hat, oder Platons Lehre von der idealen Polis, in der er die Gerechtigkeit verwirklicht sieht. Bei Platon gerät die Normativität in die Nähe der Utopie, was einen wesentlichen Kritikpunkt an dem Ansatz generell darstellt. Der moderne Vertreter Dolf Sternberger bezeichnet den Frieden als Norm aller Politik. In dieser Variante spielt der normative Ansatz auch eine Rolle in der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Beziehungen. Andere Möglichkeiten sind beispielsweise die Orientierung an der freiheitlichen Demokratie.

Die Normen wurzeln in einem analog als vorgegeben betrachteten Wesen des Menschen. Der Mensch wird als Teil einer umfassenden Seinsordnung (daher ontologisch) begriffen und lässt sich insofern nicht auf rein innerweltliche Vorstellungen reduzieren. Bei Eric Voegelin ist dies besonders stark ausgeprägt und erhält dabei Züge einer politischen Theologie.

Es findet eine Abgrenzung statt von der Vorstellung einer wertfreien Sozialwissenschaft, wie sie vor allem Max Weber entwickelt hat. Zwischen empirischen, analytischen und normativen Methoden wird daher in der Regel nicht streng getrennt. Dabei kann durchaus auch empirisch-analytisch gearbeitet werden, allerdings im Unterschied zur rein empirischen Analyse immer unter dem Fokus einer Norm. So ist bereits Aristoteles in seiner "Politik" von einer umfangreichen empirischen Materialsammlung ausgegangen, um die gefundenen Typen von Polisverfassungen daraufhin zu überprüfen, wieweit sie die Verwirklichung seiner Vorstellung vom guten Leben ermöglichen. Bevorzugte Methoden normativ-ontologisch vorgehender Politikwissenschaftler sind: das historisch-genetische Verfahren, die Hermeneutik, die Phänomenologie und die Topik. Typische politikwissenschaftliche Fragestellungen auf Basis dieser Ansätze sind unter anderem die Suche nach der richtigen politischen Ordnung und dem wahren Wesen des Menschen, Ratschläge zur Umsetzung guter Politik zu geben und die Interpretation der Geschichte gemäß einer gefundenen Zielorientierung[1], allerdings ohne dass damit immer eine Geschichtsphilosophie verbunden wäre.

Bekannte Vertreter deutscher Politikwissenschaft sind als Theoretiker Hannah Arendt, Wilhelm Hennis, Leo Strauss, Eric Voegelin und Henning Ottmann sowie aus anderen politikwissenschaftlichen Teildisziplinen Dolf Sternberger, Karl Loewenstein und Ernst-Otto Czempiel.

Kritisch-dialektischer Ansatz

ähnlich: (neo-)marxistischer, historisch-dialektischer Ansatz oder Frankfurter Schule (=Kritische Theorie), Marburger Schule

Datei:Adornohorkhab1.png
Horkheimer (links) mit Theodor W. Adorno (vorne rechts) und Jürgen Habermas (hinten rechts) in Heidelberg, 1965

Ausgehend vom idealistischen Erkenntniskonzept Hegels bzw. der daran anknüpfenden materialistischen Philosophie von Karl Marx und Friedrich Engels des 19. Jahrhunderts entwickelte insbesondere die Frankfurter Schule wichtige Modifikationen. Auch hier gibt es nur eine Wahrheits- und Moralvorstellung, allerdings abhängig von den herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen. Die absolute Wahrheit und Moral kann dabei nur auf der letzten Stufe der geschichtlichen Entwicklung erreicht werden (Geschichtlichkeit). Bei Marx ist dieser Endzustand die klassenlose, kommunistische Gesellschaft, nachdem der Staat überflüssig geworden und verschwunden ist. In der kritischen Theorie ist der emanzipierte Mensch und in der durch Jürgen Habermas veränderten Variante der herrschaftsfreie Diskurs das Endziel.

Der Anspruch der Totalität geht davon aus, dass Phänomene nicht isoliert betrachtet werden können und nur mittels dialektischer Methoden Erkenntnisse über das dynamische Ganze gemacht werden können. Aufgaben einer so verstanden politikwissenschaftlichen Forschung sind die Erfassung der Totalität politischer Phänomene, die Kritik der gesellschaftlichen Bedingungen um zur Emanzipation des Menschen beizutragen. Methodisch werden die empirischen und analytischen Verfahren um normative (marxistische, kritische etc) Aspekte ergänzt.

Wichtige Vertreter für die kritisch-dialektische Theorie sind Herbert Marcuse, Theodor Adorno, Max Horkheimer, Jürgen Habermas, Wolfgang Abendroth und in anderen politischen Teildisziplinen Claus Offe und Hartmut Elsenhans.

Empirisch-analytischer Ansatz

ähnlich: Empirismus, Rationalismus, Positivismus, Neopositivismus, kritischer Rationalismus, Verifikationismus, Induktivismus, Wiener Kreis, Falsifikationismus, Logischer Empirismus

Datei:Max Weber.jpg
Max Weber

Dieser Ansatz entwickelte sich mit der Herausbildung der naturwissenschaftlichen Methode die mit Personen wie Galileo Galilei, Nikolaus Kopernikus, Rene Descartes, John Locke, Francis Bacon und für die Sozialwissenschaften (damals noch Teil der Philosophie) besonders mit Niccolo Machiavelli, Thomas Hobbes, John Locke, Auguste Comte und Max Weber verbunden ist. Erst durch diese neuen empirischen und analytischen Verfahren verselbständigten sich die heute so genannten Sozialwissenschaften von der Philosophie.

Trotz vielfältiger Unterschiede, haben doch alle empirisch-analytischen Wissenschaftszugänge, neben dem hypothetischen Realismus als ontologischer Grundlage, 2 Gemeinsamkeiten: (1.) Eine präzise, weitgehend formalisierte Wissenschaftssprache sollte die Mehrdeutigkeiten der Alltagssprache minimieren um zu wertfreien Beschreibungen der Realität zu gelangen. So explizierte Rudolf Carnap die Unterscheidung der Wissenschaftssprache in empirische Sätze (die Aussagen über die, als existent angenommen, Realität machen) und analytische Sätze, die nur logischen, sprachlichen Konventionen unterworfen ist. (2.) Entsprechend der beiden Wissenschaftssprachen gibt es auch 2 Wahrheitskonzepte. Empirische Sätze können nur mittels Vergleich mit der Realität (Korrespondenztheorie), und analytische Sätze nur über logische Verfahren (Kohärenztheorie) auf ihre Richtigkeit geprüft werden. Einen richtigen analytischen Satz (logisch ableitbar aus anderen analytischen Sätzen) nennt man gültig, sonst kontradiktorisch. Da beliebig analytisch definiert werden kann, enthalten solche Sätze keine Wahrheit - sie machen ja (ohne empirische Unterfütterung) keinerlei Aussage über die Realität.

In einer Erfahrungswissenschaft wie der Politikwissenschaft werden dabei beide Konzepte genutzt. In den so genannten Formalwissenschaften wie der Mathematik, Logik, reinen Linguistik und der Informatik wird nur die analytische Sprache verwendet

Der wissenschaftliche Prozess in den Erfahrungswissenschaften gliedert sich in 2 Schritte. (1.) Mittels Induktion schließt der Forscher aufgrund seiner Beobachtungen (von Einzelfällen) auf allgemeine Zusammenhänge und bringt diese in die Form so genannter Hypothesen ("je..desto ..." oder "wenn..dann.."). Induktive Schlüsse sind nicht logisch korrekt, aber zur Ausformulierung der empirischen Vermutung notwendig. Sie haben daher viel mit der Intuition und Kreativität des Forschers zu tun. (2.) Anhand der Deduktion werden nun die Hypothesen oder daraus logisch abgeleitete Behauptungen, an der Realität, also empirisch, überprüft. So lange die Hypothese nicht widerlegt (Falsifikation) ist, so nennt man sie bewährt oder verifiziert. Bewährte zusammenhängende Hypothesen bezeichnet man auch als Theorie, und wenn sie sich schon länger als richtig erwiesen haben schließlich als Gesetz.

Wie schon am Fehlen normativer Elemente zu sehen, versucht dieser Ansatz den Anspruch Max Webers nach Wertneutralität zu erfüllen und nur Beschreibungen der und Prognosen über die Realität abzugeben. Von Kritikern wird diese Neutralität bezweifelt und die Gefahr betont, dass solch wertfrei verstandene Wissenschaft letztlich nur den derzeit Herrschenden nutze und so bestehende (ungerechte) Herrschaftssysteme stabilisiere. Ganz wie Max Frisch in anderem Zusammenhang schrieb: "Wer sich eine politische Parteinahme sparen will, hat diese bereits vollzogen" (zugunsten der gegenwärtig Herrschenden).

Politische Ideengeschichte

siehe auch: Staatstheorie, Wichtige Denker

Antike

Politische Philosophie beschäftigte sich mit der Natur und den Formen von Macht. Es wird vor allem über die richtige Regierung des Staates nachgedacht. Die politische Philosophie stellt eine der ersten Richtungen der Philosophie an sich dar.

Als akademische Disziplin hat die politische Philosophie ihre Ursprünge in der antiken griechischen Gesellschaft, in der die verschiedenen Stadtstaaten mit unterschiedlichsten Regierungsformen experimentierten. Dazu gehörten Monarchie, Tyrannei, Aristokratie, Oligarchie, Demokratie (allerdings nicht ganz deckungsgleich mit dem modernen Begriff) und Ochlokratie. Wichtige schriftliche Werke in dieser Zeit stammen von Platon (Politeia) und Aristoteles (Politika), wobei beide Werke von ganz unterschiedlichen Fragestellungen ausgehen und zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die Politik des Aristoteles stellt dabei auch die erste empirische Untersuchung von Verfassungen dar. Im Hellenismus setzte sich jedoch das monarchische Herrschaftsprinzip durch.

Auch in Rom wurden staatsphilosophische Überlegungen angestellt (die unter anderem von den Stoikern beeinflusst waren): Cicero verfasste mit seiner de re publica das staatstheoretische Werk der Römer (in republikanischer Zeit) schlechthin. Darauf aufbauend, ließ er de legibus folgen. Die Römische Kaiserzeit baute jedoch auf einem anderen Fundament auf, nämlich auf dem von Augustus begründeten Prinzipat.

Siehe auch: Kreislauf der Verfassungen, Mischverfassung

Mittelalter

In der Spätantike bzw. dem frühen Mittelalter war die politische Philosophie von der Vorstellung eines gottesfürchtigen Staates geprägt. Speziell Augustinus spricht vom Gottesstaat in seinem Werk De civitate Dei. Im Konflikt zwischen Papsttum (Sacerdotium) und Kaisertum (Imperium) wurden ganz unterschiedliche Theorien entwickelt. Dante etwa trat in seinem Werk Monarchia für die Universalmonarchie ein, während beispielsweise Aegidius Romanus für die Vorherrschaft des Papstes argumentierte. Marsilius von Padua wiederum plädierte in seinem Werk Defensor Pacis für die Volkssouveränität.

Neuzeit

In der Renaissance erfolgt die Verweltlichung der politischen Philosophie. Der Mensch rückt mehr und mehr in den Mittelpunkt der Betrachtungen, wodurch auch die Bildung von Nationalstaaten gedanklich vorbereitet wird. Der bedeutendste politische Philosoph dieser Zeit ist der Italiener Niccolò Machiavelli, der in äußerst nüchterner Weise die Gesetzmäßigkeiten von Macht und Politik analysiert. Machiavelli gilt als einer der Vorbereiter der Einigung Italiens.

Der Staat als Denkinhalt
In der anschließenden geistesgeschichtlichen Phase wird der Staat - häufig als Selbstzweck - gedacht. Es erfolgt die Diskussion zwischen den verschiedenen Konzepten eines Staates. Besondere Höhepunkte dieser Diskussion bilden die Überlegungen von Thomas Hobbes mit dem Staat als Leviathan und die politikphilosophischen Werke von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der den Staat als Sittlichkeit darstellt.

Der Staat als Instrument
In neuerer Zeit wird der Staat meist als Instrument angesehen, gelegentlich auch für völlig überflüssig erachtet. Karl Marx lehrte, dass der Staat verfalle, wenn erst die klassenlose Gesellschaft erreicht sei. Vorher sei die Machtübernahme des Proletariats nötig. Anders ist dies im Anarchismus, wo der Staat abgeschafft werden soll. Der Staat wird in vielen Ideologien als Mittel zum Zweck angesehen. Hitler z. B. postulierte, dass der Staat dem Volk zu dienen habe. Anders sah dies Benito Mussolini, der aber den Staat ebenfalls als Instrument, nämlich zur Wiedererrichtung einer antiken Ordnung verstand. Auch der konservative deutsche Jurist und politische Philosoph Carl Schmitt sah den Staat vor allem als Ordnungsfaktor, der Recht schafft.

Pluralismus
In den neueren pluralistischen Konzepten, wie sie vor allem von dem britischen Theoretiker Harold Laski (Labour Party) entwickelt wurden, gilt der Staat als eine von vielen wirkenden Kräften, aber nicht mehr als der Vertreter der Gesamtheit. Diese Betrachtungen haben sich zwischenzeitlich auch auf andere politische Philosophien übertragen. Der Liberalismus, der dem Staat schon immer skeptisch gegenüberstand, konzipierte ein staatsarmes System, das polemisch als Nachtwächterstaat bezeichnet wurde. Diese Gedanken liefen in der neuesten Zeit zusammen mit den Pluralismus-Ideen Laskis und sind heute praktisch zu einer Einheit verschmolzen.

Politische Philosophie

Die Politische Philosophie beschäftigt sich unter normativem Blickwinkel mit einer Vielzahl politischer Probleme. Die Staatsphilosophie sucht Antworten auf die gute und gerechte politische Ordnung, die Sozialphilosophie beschäftigt sich mit der Gesellschaftsstruktur und dem Verhältnis der Bürger untereinander und zum sozialen System, die Rechtsphilosophie mit den Legitimationsmöglichkeiten von Rechten und Rechtsnormen, die politischen Anthropologie erforscht das Wesen des Menschen und in der politischen Ethik geht es darum moralische Normen (Chancengleichheit, Fairness, Gerechtigkeit etc.) für das politische Handeln von Regierten und Regierenden zu finden. Nach dem sich der empirisch-analytische Zugang auch in der Politikwissenschaft durchgesetzt hat findet die politische Philosophie allerdings in den letzten Jahrzehnten immer weniger Aufmerksamkeit.

Viel diskutiert sind vor allem die modernen vertragstheoretischen Werke von John Rawls ('A Theory of Justice', 1972 und 'Political Liberalism', 1992), Robert Nozick ('Anarchy, State, and Utopia', 1974) und James Buchanan ('The limits of Liberty', 1975), den so genannten new contractarians. Der Philosoph William Frankena diskutiert über Gerechtigkeit als Chancengleichheit in 'Some beliefs about justice', 1966. Robert Goodin stellt mit 'Reasons for Welfare', 1988 eine erste moderne wohlfahrtsstaatliche Begründung vor. Eine analytische Variante der Gemeinwohldebatte auf Basis des Utilitarismus stellt die Sozialwahltheorie dar, als deren Vertreter besonders Kenneth Arrow, Amartya Sen und Otfried Höffe zu nennen sind. Alle diese Konzepte haben den Ausgang vom Individuum gemeinsam.

Gegen eine solche individualistische Grundposition, der gesellschaftlich desintegrierende Wirkung attestiert wird, stellt sich die politische Anthropologie des Kommunitarismus. Michael Sandel, Alasdair MacIntyre, Charles Taylor und Michael Walzer sind die bekanntesten Protagonisten dieser heterogenen Strömung, von konservativen bis emanzipatorischen Konzeptionen reichend.

Eine Forschungsfrage, die insbesondere von feministischer Seite gestellt wird, ist inwiefern die von der traditionellen und modernen politischen Theorie entworfenen Kategorien, die zu grundlegenden Kategorien unseres Denkens geworden sind, von Traditionen der geschlechtlichen Ordnung durchtränkt sind. So sei beispielsweise die für die politische Theorie zentrale Unterscheidung zwischen öffentlicher Sphäre und privater Sphäre eng an eine vorgestellte Geschlechterdichotomie der nach Innen gekehrten, die Familie versorgenden Frau und des nach Außen gerichteten, für das Gemeinwohl sorgenden Mannes geknüpft.

Moderne politische Theorie

Das wissenschaftstheoretische Fundament der so genannten modernen politische Theorie bildet der so genannte empirisch-analytische Ansatz der Politikwissenschaft. Nur darauf bezieht sich die Bezeichnung modern, ist also nicht wertend und nicht historisch zu verstehen.

Während unter politischer Philosophie Theorien bezeichnet werden die meistens auf Basis eines normativ-ontologischen oder kritisch-dialektischen Ansatzes auch normative Fragen zu beantworten trachten bzw. auch zur Besserung der Welt beitragen wollen, wollen moderne politische Theorien, gemäß ihrem wissenschaftstheoretischen Ansatz rein deskriptiv und wertneutral zu sein. Ziel ist ein möglichst genaues Verständnis der realen, existierenden Verhältnisse zu erreichen. Die entwickelten Theorien müssen sich sodann durch ihre Erklärungs- und Vorhersagekraft für die Realität beweisen. Dadurch können sie aber nur widerlegt (falsifiziert) und niemals endgültig als wahr bezeichnet werden (Verifizierbarkeit). Eine so genannte gültige Theorie ist also eine noch nicht (grundlegend) falsifizierte Theorie. Zur Methodik der modernen politischen Theorie siehe auch: Kritischer Rationalismus.

Alternativ, obgleich etwas ungenau, wird die Bezeichnung moderne politische Theorie auch dann verwandt, wenn man sich auf Basis des (empirisch-)analytischen Ansatzes mit Ideen der klassischen politischen Ideengeschichte oder der politischen Philosophie beschäftigt. Dabei wird versucht, mithilfe der so genannten rationalen Rekonstruktion alle wertenden Elemente herauszunehmen und eventuell vorhandene logische Sprünge zu schließen.

Wichtige Theoriestränge innerhalb der modernen politischen Theorien sind der Behavioralismus, die Neue politische Ökonomie und die Systemtheorie (Strukturfunktionalismus, Autopoiesis).

Behavioralismus

Hauptartikel: Behavioralismus

Der Behavioralismus in der Politikwissenschaft entstand in den 1940er Jahren in den USA. Die Wegbereiter dieses konsequent individualistischen Ansatzes waren Harold Lasswell und R.E.Merriam (Chicago-Schule). Man kann unterscheiden zwischen einem empirischen (Verhaltenstheorie, Handlungstheorie) und einem theoretisch orientierten Behavioralismus.

Neue Politische Ökonomie

Datei:1schumpeter.jpg
Joseph Schumpeter

In der so genannten Neuen Politischen Ökonomie (NPÖ) werden die Methoden der Ökonomie zur Erforschung rationalen politischen Verhaltens eingesetzt. Wichtige Konzepte sind die Rational Choice Theory und die Spieltheorie. Anthropologische Basis ist das Modell des rationalen, nutzenmaximierenden homo oeconomicus (methodologischer Individualismus).

Auf dieser Grundlage hat der Ökonom Joseph Schumpeter die Ansätze zur Ökonomischen Demokratietheorie entworfen, in welcher Demokratie eine reine Methode darstellt zur Herstellung politischer Entscheidungen, "bei der einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfes um die Stimmen des Volkes erwerben." Ausformuliert und auf die Erklärung rationalen Wahlverhaltens angewendet wurde sie jedoch erst von Anthony Downs. Eine andere Branche der NPÖ befasst sich mit den in pluralistischen Gesellschaften immer entstehenden politischen Organisationen, Mancur Olson und James Wilson haben eine Theorie kollektiven Handelns entworfen die mittels des Kollektivgut-Konzeptes zu erklären vermag weshalb Menschen sich in politischen Organisationen überhaupt organisieren und welche sozialen Gruppen dabei am ehesten ihre Interessen durchsetzen können (kleine Organisationen mit homogenen Interessen: z.B. Piloten, Bauern; dagegen schlecht: Arbeitslose). W. Niskanen beschäftigt sich mit Bürokratien als einer besonderen Form der politischen Organisation und erklärt über das individuelle Profilierungsinteresse der Mitarbeiter die These von der budgetmaximierenden Bürokratie. Die Sozialwahltheorie oder Theorie der kollektiven Entscheidungen beschäftigt sich mit der Aggregation von individuellen Präferenzen zu einer kollektiven Präferenz/Entscheidung, welche durch die Art der Abstimmungen und Wahlen beeinflusst werden. Die in diesem Aggregationsprozess auftretenden Problemen und Paradoxien werden unter dem Blickwinkel der Wahrscheinlichkeit bestimmter Entscheidungsergebnisse betrachtet, um zu ihrer Vermeidung und Lösung beizutragen.

Systemtheorie

Hauptartikel: Soziologische Systemtheorie

Die soziologische Systemtheorie arbeitet auf Basis des methodologischen Kollektivismus. Ab 1945 begann der amerikanische Soziologe Talcott Parsons die Theorie des Strukturfunktionalismus zu entwickeln. Er analysiert dabei Handlungssysteme mittels des so genannten AGIL-Schemas, dessen vier Funktionen jedes Handlungssystem zur Selbststabilisierung mittels funktionaler Differenzierung entwickeln muss. David Easton konkretisierte diese Konzeption dann für die Politikwissenschaft durch sein Systemmodell. Die Gesellschaft (soziales System) liefert dabei dem politischen System einen Input in Form von Unterstützungen, Forderungen und Bedürfnissen. Das politische System kann mittels entsprechendem Output die Akzeptanz desselbigen in der Gesellschaft sichern. Eine andere systemtheoretische Variante stellt das Modell der Autopoiese dar, zurückgehend auf die chilenischen Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela. In der politikwissenschaftlichen Debatte kommt die funktional-strukturelle Systemtheorie von Niklas Luhmann, die er in Abwandlung und Ablehnung zu Parsons Konzept entwarf, kaum vor. Zu unklar sind seine Modellkonstruktionen und damit schwer operationalisierbar für die empirische Anwendung und Erklärungskraft.

Perspektiven

Mit dem sich, nach den Erfolgen in den Naturwissenschaften, im 20. Jahrhundert auch in den Sozialwissenschaften zunehmend durchsetzenden empirisch-analytischen Wissenschaftsverständnis, hat sich der Schwerpunkt innerhalb der Politischen Theorieforschung verschoben. Bis etwa Ende des 19. Jahrhunderts waren die Sozialwissenschaften überwiegend noch nicht eigenständige Lehrfächer, sondern der Philosophie angegliedert. Entsprechend waren ihre Methoden meist philosophisch-spekulativ, häufig ausgehend von einer normativ-ontologischen Auffassung von Wissenschaft.

Seit der Etablierung der Politikwissenschaft im 20. Jahrhundert setzt sich unter den Forschern zunehmend ein empirisch-analytischer Zugang durch. Dies hat zur Folge, dass sich, von einigen Ausnahmen in der politischen Philosophie abgesehen (besonders John Rawls A Theory of Justice und Political Liberalism und sein libertärer 'Gegenpart' Robert Nozick Anarchy, State, and Utopia), der Schwerpunkt neuerer politikwissenschaftlicher Theoriebildung im Rahmen der so genannten modernen politischen Theorie vollzieht (besonders Systemtheorie und Neue Politische Ökonomie).

Gegenwärtig ist offen, ob sich dieser Prozess fortsetzt oder ob die zunehmende gesellschaftliche Abwertung traditioneller Werte und der Anstieg primär eigennutzorientierter Einstellungen (Hedonismus) in den modernen liberal-demokratischen Systemen nicht doch wieder zu einem Revival von normativen Diskursen auch innerhalb der Politikwissenschaft führen wird. Vielleicht fordert auch das Erstarken der Religionen die Politikwissenschaft dazu heraus.

Wichtige Denker der Politischen Theorie

Antike

Drakon, Solon, Kleisthenes, Herodot, Thukydides, Thales von Milet, Anaximander, Heraklit, Parmenides, Protagoras, Gorgias, Archelaos, Lykophron, Alkidamas, Antiphon, Thrasymachos, Platon, Aristoteles, Polybios, Cicero

Mittelalter

Aurelius Augustinus, Smaragd von St. Mihiel, Jonas von Orleans, Wala von Corbie, Atto von Vercelli, Johannes von Salisbury, Thomas von Aquin, Aegidius Romanus, Johannes Quidort von Paris, John Wyclif, Juan de Segovia, Juan de Torquemada, Nikolaus von Kues, Wilhelm von Ockham, Pierre Dubois, Dante, Marsilius von Padua

Neuzeit

Giannozzo Manetti, Pico della Mirandola, Niccolò Machiavelli, Jean Bodin, Lipsius, Jakob I., Althusius, Hugo Grotius, Samuel Pufendorf, Thomas Hobbes, Spinoza, John Locke, Thomas Morus, David Hume, Adam Smith, Montesquieu, Voltaire, Rousseau, Kant, Hegel

19. und 20. Jahrhundert

Konservatismus: Edmund Burke, Novalis, Friedrich Julius Stahl, Joseph de Maistre, Louis de Bonald, Juan Donoso Cortés, Adam Heinrich Müller, Johann Gottlieb Fichte, Clausewitz
Liberalismus und demokratische Bewegung: Emmanuel Joseph Sieyès, Karl von Rotteck, Julius Fröbel, Jeremy Bentham, Alexis de Tocqueville, John Stuart Mill, Alexander Hamilton, James Madison, John Jay, Thomas Paine
Frühsozialismus: Robert Owen, Gracchus Babeuf, Filippo Buonarroti, Louis-Auguste Blanqui, Henri de Saint-Simon, Charles Fourier, Etienne Cabet, Pierre Joseph Proudhon
Wissenschaftlicher Sozialismus: Marx, Lasalle, Karl Kautsky, Eduard Bernstein, Rosa Luxemburg, Lenin, Trotzki
Anarchismus: William Godwin, Max Stirner, Proudhon, Michail Bakunin, Peter Kropotkin, Gustav Landauer
Nationalismus: Herder, Ernst Moritz Arndt, Friedrich Ludwig Jahn, Carl Schmitt, Moses Hess, Leo Pinsker, Theodor Herzl

Nachdenken über Demokratie im 20. Jahrhundert

James Bryce, Max Weber, Robert Michels, Moise Ostrogorski, Maurice Duverger, Joseph Schumpeter, Pareto, Hannah Arendt, Giovanni Sartori, Popper, Hans Kelsen, Gerhard Leibholz, Robert Dahl, William Kelso, Rudolf Smend, John Maynard Keynes, Hayek, Isaiah Berlin, Alfred Müller-Armack, Lujo Brentano, Werner Sombart, Wilhelm Hennis, Franz Oppenheimer, Max Horkheimer, Adorno, Herbert Marcuse, Antonio Gramsci, Jürgen Habermas, Ernst Fraenkel, Dahrendorf, Anthony Downs, Robert Nozick, John Rawls, Michael Walzer, Niklas Luhmann, Claus Offe, Fritz Scharpf, Benjamin Barber, Iris Marion Young

Siehe auch

Staatstheorie, Demokratietheorie, Rechtsphilosophie, Politische Soziologie, Rechtssoziologie, Politische Philosophie, Politische Ideologie,

Literatur

  • Iring Fetscher und Herfried Münkler (Hgg.): Pipers Handbuch der politischen Ideen. 5 Bände, München 1985ff.
    Umfassendes Sammelwerk, welches die Geschichte der politischen Ideen von der Antike bis in die Moderne darstellt.
  • Ulrich Druwe: Politische Theorie. Neuried 1995.
  • Eberhard Braun, Felix Heine, Uwe Opolka: Politische Philosophie. Ein Lesebuch. Texte, Analysen, Kommentare. Reinbek: Rowohlt, 1984, 8. Aufl. 2003.
  • H. Fenske, D. Mertens, W. Reinhard, Klaus Rosen: Geschichte der politischen Ideen. Von Homer bis zur Gegenwart. Aktual. Neuausgabe, Frankfurt a. M. 2003.
    Knapper als Fetscher und Mükler, dennoch ein guter Überblick mit umfassender Bibliographie.
  • Henning Ottmann: Geschichte des politischen Denkens, Bd. 1ff., Stuttgart 2001ff.
    Noch nicht abgeschlossenes, fundiert geschriebenes Werk.
  • André Brodocz; Schaal, Gary S. (Hgg.): Politische Theorien der Gegenwart. 2 Bände, Opladen 2002.
  • Ernst Vollrath: Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen. Würzburg 1987.
  • Gerhard Göhler; Iser, Matthias; Kerner, Ina (Hgg.): Umkämpfte Begriffe. Wiesbaden 2004.
  • Hans-Joachim Lieber (Hg.): Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. Bonn 1993. ISBN 3-89331-167-X
  • Peter Massing / Gotthard Breit (Hrsg.): Demokratie-Theorien. Bonn 2005.

Referenzen

  1. Druwe 1995: S. 25f.