Benutzer:Anthoney72/Integral-ABS

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Das Integral-ABS (I-ABS) ist eine Motorrad-Bremsanlage von BMW Motorrad mit mehreren Fahrerassistenz- und aktiven Sicherheitssystemen. Der Grundgedanke der Assistenzfunktion Verbundbremse ist, dass eine optimale Bremswirkung nur dann erzielt wird, wenn Vorder- und Hinterrad gleichzeitig verzögert werden. Integralbremssysteme gibt es in zwei Ausführungen: Beim Vollintegral-Motorrad-Bremssystem wirken sowohl der Handbremshebel, als auch der Fußbremshebel gleichzeitig auf Vorder- und Hinterradbremse. Beim Teilintegral-System wirkt der Handbremshebel auf Vorder- und Hinterradbremse und der Fußbremshebel nur auf die Hinterradbremse. Das Integral-ABS verfügt außerdem über eine ABS-Funktionalität, eine adaptive Bremskraftverteilung auf beide Räder, unter Berücksichtigung des Beladungszustands, sowie die Funktionalität, ein Abheben des Hinterrades bei einer Vollbremsung zu erkennen und dem entgegenzuwirken. Nur des erste Integral-ABS wurde zusätzlich mit einer Bremskraftverstärkung (BKV) für die Funktionalität Bremsassistent ausgestattet.

Das erste Integral-ABS (FTE automotive)

Geschichte

Zielsetzung

Das erste Integral-ABS (Herbst 2000 bis Mitte August 2006), gemeinsam entwickelt von BMW Motorrad mit dem Zulieferer FTE automotive, wies ein für Motorrad-Bremsen bis dahin nicht gekanntes Maß an elektronisch vernetzten Funktionen auf. Mit insgesamt vier Fahrerassistenz- und aktiven Sicherheitssystemen sollte das Bremsen komfortabler und sicherer werden: Ein Antiblockiersystem (ABS), eine Bremskraftverstärkung (BKV) für die Funktionalität Bremsassistent, eine Bremsen-Verbundfunktion (Integral) und ein Hinterrad-Abhebeschutz sollten auch dem unerfahrenen Fahrer eine Bremsanlage bieten, die es ihm ermöglichte, die volle Leistungsfähigkeit seiner Bremse bei Geradeausfahrten[1] auszunutzen.[2] Durch den BKV stellte sich ein „entkoppeltes“ Bremsgefühl ein,[3] die Dosierbarkeit der Bremse war bei Anpassungsbremsungen und geringen Geschwindigkeiten erschwert,[4][5] und vor allem die Zielgruppe der unerfahrenen Fahrer war mit der Restbremse überfordert;[6] eine Umgewöhnung beim Umstieg von „Motorrädern ohne ABS“[3] war aufgrund des BKV erforderlich.[5][6][7] Das Öffnen der Bremse bei welliger Fahrbahn bzw. Bergabfahrten und hartem Herunterschalten, wegen eines Phänomens des Hinterrad-Abhebeschutzes, irritiert heute noch.[4][8][9][10] BMW Motorrad erkannte „Akzeptanzprobleme“[2] bei den Kunden:[11]

„Die Gewöhnung an einige Systemeigenheiten gelingt offenbar nicht allen Kunden.“

Dipl.-Ing. Jürgen Stoffregen, Leiter BMW Motorrad Produktkommunikation

Der Nutzen des technischen Aufwandes beim Integral-ABS gegenüber einfacher aufgebauten ABS-Systemen ist weder durch eine vergleichende Unfallstatistik, noch wissenschaftliche Untersuchungen belegt.[12] 27% der Teilnehmer einer Umfrage der Zeitschrift MOTORRAD gaben an, schon mal Probleme mit Ihrem Integral-ABS gehabt zu haben.[13] Ende 2004 bezeichnete die US-Fachzeitschrift Motorcyclist Magazine das Integral-ABS als „fehlgeleitete Technologie“,[14] im März 2005 schrieb die deutsche Motorradzeitschrift MO von „zweifelhafter Innovation“,[6] und im September 2006 schrieb Europas größte Fachpublikation MOTORRAD von einem „Irrtum“.[15]

Sonderzubehör

Bei Markteinführung des in der Serie zwischenzeitlich modifizierten[14] Sonderzubehörs Integral-ABS (damaliger Aufpreis 1.040 Euro) an der BMW R 1200 GS war diese nicht mit einer Motorrad-Bremsanlage ohne Fahrerassistenz- und aktive Sicherheitssysteme erhältlich. Denn obwohl BMW die R 1200 GS in der Basis-Version anbot, und Kaufverträge entsprechend zum Abschluss gebracht wurden, wurden Bestellungen nicht ausgeführt.[16][17] Wollte der der Kunde eine R 1200 GS haben, musste er das Extra Integral-ABS mitbestellen und bezahlen. Nach ungefähr einem Jahr waren R 1200 GS Motorräder ohne das Sonderzubehör Integral-ABS käuflich und lieferbar. Bei der Markteinführung der BMW K 1200 S wurde dieses Sonderzubehör erstmalig serienmäßig verbaut.[18] Auf Kundennachfrage war gegen einen Abschlag von 700 Euro die Ausstattung mit einer Motorrad-Bremsanlage ohne Fahrerassistenz- und aktive Sicherheitssysteme möglich.

Medien-Berichterstattung

Die Anfälligkeit des Systems war BMW Motorrad spätestens seit August 2004 bekannt.[19] Eine erste Stellungnahme durch BMW erfolgte am 10. September 2004.[20] Am 13. September 2004 beschwerte sich der Leiter der Qualitätssicherung bei BMW Motorrad in einer internen E-Mail über den „unbefriedigenden Zustand der Komplexität unseres Bremssystems“, und weiter:[11][21][19]

„Das System ist in seinen Auswirkungen und Rückfallebenen ungenügend konzipiert.“

Dr. Robert Kahlenberg, Leiter der Qualitätssicherung bei BMW Motorrad

Im November 2004 wurde bekannt, dass ab März 2004 alle neuen Modelle mit „um bis zu einem Viertel“[22] in der Leistung verbesserter Restbremskraft ausgeliefert wurden.[14] Diese Modifikation in der Serie wurde aufgrund der Auseinandersetzungen „beim Rückfall in die Restbremsfunktion“[2] durchgeführt. Die „gesteigerte Restbremswirkung“[7] sollte praxisgerechter und sicherer sein.[23] Die Welt berichtete im Dezember 2004 erstmals in Zahlen über „nicht regelgerecht funktionierende ABS-Bremsen“ sowie „mehrere hundert Fälle“ von Kundenbeschwerden.[12][24] Im März 2005 erschien das MO-Sonderheft "BMW-MOTORRÄDER" Nr. 13 mit der bis heute umfassendsten Darstellung des Themas:[7]

„... ein Festhalten an bewährter Bremsentechnik, hätte BMW den ganzen Ärger mit unzufriedenen Kunden erspart.“

Jo Soppa, Chefredakteur Motorrad Magazin MO

Anfang Juni 2005 wurde im Verbrauchermagazin M€X des Hessischen Fernsehens in Zusammenarbeit mit dem ADAC über den ersten Verletzten mit einer BMW K 1200 S wegen des Ausfalls des ABS berichtet.[25] In der Folge informierten auch das Nachrichten-Magazin Der Spiegel und die ARD-Sendungen Plusminus und Tagesschau die breite Öffentlichkeit. Im März 2005 wurde noch behauptet, der Ausfall des BKV habe nicht zu Unfällen geführt:[11]

„Uns ist bis heute kein ... Unfall [bekannt], für den als unmittelbare Ursache der Ausfall der Bremskraftverstärkung verantwortlich wäre.“

Dipl.-Ing. Jürgen Stoffregen, Leiter BMW Motorrad Produktkommunikation

Zwischenzeitlich war BMW „tausend weiteren Beschwerden“[26] nachgegangen, und bestätigte Unfälle, nämlich dass es wegen des Ausfalls des Bremskraftverstärkers „keine ernsten Unfälle“[2] oder „Unfälle schwerer Art“[27] gegeben habe. BMW klärte im September 2005 mit einem Zusatz zur Bedienungsanleitung „über den korrekten Umgang mit dem Integral-ABS“[28] und „über die Risiken bzw. Grenzen des Systems“[28] auf.[29]

TV-Dokumentation

In der TV-Dokumentation Long Way Round ist das Systemverhalten der Restbremse an einem Modell dokumentiert, an dem der „sichere Zustand“[30] dieser „Grundfunktion“[30] noch nicht in der Serie verbessert wurde.[14] Ewan McGregor hält dabei fest, dass die Bremsen dann gar nicht funktionieren, oder blockieren, dass also eine Handhabung für „Normalfahrer“[30] gar nicht möglich ist.[31]

„you don't have any brakes at all“

Ewan McGregor, Britischer Schauspieler und Teilnehmer an Long Way Round

Daher mussten sie ein neues Motorrad kaufen. Der Vorfall ereignete sich bereits im Juni 2004, seitdem hätte bekannt sein können, dass die Restbremse zur „Instabilität des Gesamtsystems Fahrer-Fahrzeug“[30] führt.

ADAC

Innerhalb eines Monats nach Beginn einer ADAC-Umfrage Anfang Juli 2005 waren bereits 80 Fälle über den Ausfall der Bremskraftverstärkung unter den Bedingungen des öffentlichen Straßenverkehrs bekannt geworden.[22] Seitdem sind über die Presse keine neuen Zahlen mehr veröffentlicht worden. Und entgegen der Zusicherung des ADAC, „Man werde die Ergebnisse aber zu gegebenem Zeitpunkt veröffentlichen“,[32] fand seitdem zu keiner Zeit eine Bekanntgabe statt. Dies wurde nach Angaben des ADAC wegen der letztendlich geringen Häufigkeit der Meldung von Betroffenen - auch in Relation zu vergleichbaren Störungen bei anderen Fahrzeugen - nicht weiter verfolgt. Der ADAC wies darauf hin, dass Besitzer im Zweifel ihr Motorrad nur verkaufen könnten, und sich „unter Umständen besser nach einer anderen Maschine umschauen könnten.“[33]

Kraftfahrtbundesamt (KBA)

Die erste Untersuchung des Integral-ABS leitete das Kraftfahrtbundesamt (KBA) Mitte August 2004 ein. Diese Untersuchung wurde Anfang November 2004 geschlossen:

„Bei der Beurteilung eines gemeldeten Mangels hat das KBA nach § 1 Abs. 3 GPSG zu prüfen, ob das Produkt den Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen anwendbarer Rechtsverordnung entspricht. Da Ihr Fahrzeug auf der Grundlage einer EG-Typgenehmigung erstmals in den Verkehr gebracht wurde und innerhalb des Typgenehmigungsverfahrens die Bremsanlage mit ABV nach der Einzelrichtlinie 93/14/EWG Anh. Anl. 2. geprüft worden ist, erfüllt Ihr Kraftrad die spezialgesetzlichen Mindestanforderungen.

Vom Fahrzeughersteller wurde mir bestätigt, dass der Ausfall des ABV einschließlich der Bremskraftunterstützung durch Warnleuchten angezeigt wird. Dies entspricht sinngemäß den Bestimmungen des Punktes 3.2 der Einzelrichtlinie 93/14/EWG Anh. Anl. 2. Auch wurde mir bestätigt, dass in diesem Fall die gesetzlichen Mindestanforderungen der Bremsanlage erhalten bleiben. Somit stellt der Mangel keine unabwendbare und unmittelbare Gefährdung i. S. des GPSG dar, da das Auftreten des Mangels für den Fahrzeugführer erkennbar ist und das Fahrzeug mit einer höheren Betätigungskraft noch abgebremst werden kann.“

Abschlussbescheid Kraftfahrtbundesamt, AZ 414-771/0964/04, November 2004

Ende Februar 2005 wurde diese Untersuchung wieder aufgenommen, und nach einem Monat, im März 2005, wieder mit den gleichen Begründungen geschlossen. Im Mai 2005 wurde diese Untersuchung erneut geöffnet, und erst nach einem Jahr, im April 2006, dann geschlossen.[34] Vorschriftenseitige Mängel wurden nun eingeräumt:

„Deshalb wird das KBA hierzu beim Verordnungsgeber anregen, über eine Konkretisierung diesbezüglicher gesetzlicher Anforderungen für die Zukunft zu diskutieren. Schwerpunktmäßig sollte die Eignung verschiedener Warnsignale bei Ausfall einer vorhandenen Bremskraftunterstützung und ggf. das notwendige Restbremsniveau untersucht werden.“

Abschlussbescheid Kraftfahrtbundesamt, AZ 414-771/0964/04, April 2006

Das KBA hatte keine Möglichkeit oder Notwendigkeit gesehen, mit Maßnahmen (z.B. einen Rückruf) nach dem Geräte- und Produktsicherheitsgesetz in der Sache BMW Motorrad Integral-ABS einzugreifen, und forderte die Benutzer auf, ihr Verhalten der Technik anzupassen:

„Auf die möglichen Systemausfälle, deren Anzeige und ihre Folgen weist die Bedienungsanleitung deutlich hin. Sofern Personen nicht alle vom Hersteller empfohlenen Handhebelstellungen benutzen können, müssen sie ihr Verhalten auf diesen Umstand einstellen. Primär ist, dass die Verhaltensnormen eingehalten werden. Hierzu zählt neben dem Verhalten im Straßenverkehr die Kenntnis der Bedienungsanleitung.“

Abschlussbescheid Kraftfahrtbundesamt, AZ 414-771/0964/04, April 2006

Mitte Juli 2005 leitete auch die französische Behörde DGCCRF eine Untersuchung ein.[35] Über deren Ausgang liegen bislang keine recherchierbaren Ergebnisse vor.

Rückruf

Im Sommer 2005 wurde eine als Rückruf bezeichnete Maßnahme eingeleitet, und im Frühjahr 2006 die Teilnahme an einer technischen Aktion empfohlen.

Erhebliche Mängel für die Verkehrssicherheit

Im März 2005 erschien das MO-Sonderheft BMW-MOTORRÄDER Nr. 13. Eine gezielte Aufklärung der Kunden durch eine Aktualisierung der Bedienungsanleitung wurde darin in einem Interview vom Pressesprecher BMW Motorrad abgelehnt:[11]

„Die Bedienungsanleitung enthält nach unserer Meinung alle notwendigen Hinweise, mehr halten wir auch aus heutiger Sicht wirklich nicht für notwendig.“

Dipl.-Ing. Jürgen Stoffregen, Leiter BMW Motorrad Produktkommunikation

Am 19. Juli 2005 schloss BMW Motorrad Chef Dr. Herbert Diess eine Gefährdung des Straßenverkehrs durch das Integral-ABS aus.[2] Am 10. August 2005 wurden Fahrschüler von BMW Motorrad sensibilisiert, „die Kontrollleuchten immer mit im Blickfeld zu behalten“.[36] Für eine Anfang September 2005 eingeleitete Rückrufaktion zur Beseitigung erheblicher Mängel für die Verkehrssicherheit (§ 35 Abs. 2 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz) übermittelte das KBA, auf Antrag von BMW Motorrad,[37] die Halterdaten aus dem Fahrzeugregister. 3 ½ Jahre nach Einführung des Integral-ABS lag nach Ansicht der Zulassungsbehörde KBA ein erheblicher Mangel für die Verkehrssicherheit vor, da die Bedienungsanleitung wichtige Hinweise zur Fahrsicherheit nicht enthielt.[38]

Vereinfacht wurden – als Rückrufmaßnahme – vier Seiten Zusatz zur Bedienungsanleitung mit ergänzenden Hinweisen an die Halter versendet.[29]. Der Rückruf betraf weltweit 260.000 Betriebsanleitungen. Mit der Maßnahme, im Rückrufschreiben zu einem (bis zum 30. April 2006 befristeten) Systemcheck einzuladen, sollte der Verunsicherung wegen Störungen am BKV entgegengewirkt werden.[39][28] Das versendete Rückrufschreiben enthielt nicht den erforderlichen Inhalt gemäß Anlage 7 des Kodex zur Ausführung des Geräte- und Produktsicherheitsgesetzes (GPSG) bei Straßenfahrzeugen. Im Anschreiben wurde nicht auf die Folge des erheblichen Mangels hingewiesen, und dieses Element musste im Halteranschreiben genannt sein.[37][29] Ferner ist nicht aufgeführt, dass ein erheblicher Mangel für die Verkehrssicherheit vorliegt. Stattdessen ist abgedruckt, dass der erhebliche Mangel nicht im Straßenverkehr auftreten kann. Die Übermittlung von Halterdaten nach § 35 Abs. 2 Nr. 1 ist nur zulässig bei Mängeln für die Verkehrssicherheit.

Aufrüstung auf neuesten Serienstand

Darstellungen von BMW Motorrad zufolge wurde nach dem Rückruf der Bedienungsanleitungen mit der Entwicklung einer technischen Lösung begonnen, die aufgrund zeitintensiver Entwicklung und Erprobung erst im Frühjahr 2006 präsentiert werden konnte.[34][28] Der Hersteller vertrat bis zu diesem Zeitpunkt öffentlich die Auffassung, technische Änderungen wären nicht notwendig:[40]

„Wir sind nach wie vor überzeugt von unserem System und sehen keinen Anlass, daran was zu ändern.“

Dipl.-Ing. Horst Reichl, Leiter BMW Motorrad Fahrwerksentwicklung

Weltweit 90.000 BMW-Motorräder mit Integral-ABS des Typs K 1200 S, K 1200 R, R 1200 GS, R 1200 RT und R 1200 ST, waren ab März 2006 Gegenstand einer den Kunden angebotenen technischen Aktion, in deren Rahmen die Verschraubung der Bremsleitung an der Handarmatur getauscht wurde.[28] Seit Ende 2005 wurde diese Änderungsmaßnahme in die Serie eingeführt. Dabei ging es um die konstruktive Beseitigung der Möglichkeit von Ausfällen der ABS-Funktion, die nach Angaben von BMW ausschließlich auf Fahrtrainings, aber nicht im Straßenverkehr, auftreten können.[29] Mit dieser, in den Medien ebenfalls als Rückruf bezeichneten, technischen Aktion, bei der nicht auf die Adressdaten des KBA-Fahrzeugregisters zurückgegriffen wurde, sondern auf die Adressdaten des Händlernetzes, sollten nach Angaben von BMW die ausgelieferten Kundenmotorräder auf den neuesten Serienstand umgerüstet werden.[28] Nach Hochrechnungen der Presse betrug der Gesamtaufwand für BMW für diese technische Aktion „über zehn Millionen Euro“.[41]

Ursprünglich wurde von BMW Motorrad dargestellt, dass der BKV den maximalen Bremsdruck so schnell aufbauen würde, wie es nur „wenige, sehr trainierte Fahrer“[11] mit „der notwendigen Schnelligkeit“[11] schaffen würden, und begründete damit die Funktion des BKV als Bremsassistenten für weniger geübte Fahrer.[11][29] Nach dem Umbau findet nun der Druckaufbau aufgrund einer Drosselung verzögerter statt, besonders dann, wenn der Bremshebel sehr schnell gezogen wird. Nach Prüfungen einer Fachzeitschrift ergaben sich durch die technische Maßnahme im Mittel Bremswegverlängerungen von fast einem halben Meter bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 100 km/h an einer BMW R 1200 GS.[28] Bereits in dem Zusatz zur Betriebsanleitung war zu lesen, dass für den kürzesten Bremsweg speziell bei BMW Motorrädern mit Integral-ABS die Vorderradbremse zügig und immer stärker werdend betätigt werden muss.[29] Andernfalls öffnet die Bremse, mit dem Effekt nicht reproduzierbarer, variierender Bremswegverlängerungen:[42]

„... die BMW aber manövriert sich unmittelbar in den Regelbereich und nimmt den Bremsdruck direkt wieder zurück, das Motorrad schießt mit gelöster Bremse nach vorne.“

Guido Kupper, Redakteur Motorrad Magazin MO

Technisch wird das durch die spezifische Trägheit der im System zum Einsatz kommenden Technologie beim Wiederaufbau des Systemdrucks erklärt.[29] Im Druckmodulator laufen langsame mechanische Prozesse ab.[43] Das neue Integral-ABS von Continental-Teves hat diese Form der Bremsassistenz gar nicht mehr.

Andere Mängel, wegen denen es im öffentlichen Straßenverkehr zu Unfällen kam,[2][27] und die ebenfalls in der Ergänzung zur Bedienungsanleitung enthalten waren,[29] wurden nicht konstruktiv beseitigt. Beispielsweise erfolgte kein Rückruf aufgrund der von „Normalfahrern“[30][40] und Profis[21] gleichermaßen wahrgenommenen „Instabilität des Gesamtsystems Fahrer-Fahrzeug“[30], die von der Aktivierung der Restbremse ausgeheht,[28] oder aufgrund des von Motor-Journalisten als „kritisch“[44] bezeichneten Phänomens sporadisch außergewöhnlich langen Öffnens der Bremse zwischen 60 und 70 Km/h.[44] Ein Vibrationsalarm [45] oder eine akustische Warnung[12] wurden nicht realisiert.

Staatsanwaltschaft

Im Frühjahr 2005 leitete die Staatsanwaltschaft München I auf die Strafanzeige eines Käufers gegen drei BMW Manager sowie zwei Manager einer Zubehör-Firma hin,[46] in der kein Delikt benannt war, selbstständig Ermittlungen zunächst wegen Betrugs[46] und später auch Straßenverkehrsgefährdung[47] ein: „Er hat geschildert, daß nach seinem Wissen das Bremssystem nicht richtig funktioniert.“[48] Der Motorradfahrer sei nach eigenen Angaben mit dem bemängelten Bremssystem verunglückt, und habe von ähnlichen Fällen bei anderen BMW-Fahrern berichtet.[47] Nach Angaben von BMW habe der Kunde „einige Dutzend Fälle“ zusammengetragen, bei denen es zu Ausfällen mit dem Integral-ABS kam, und diese zur Anzeige gebracht.[49] Mitte Juni 2005 ließ BMW verlauten, man sähe den Ermittlungen „gelassen entgegen“.[46] Diese Ermittlungen – sie richteten sich auch gegen den damaligen Vorstandsvorsitzenden der BMW AG, Helmut Panke,[46][41] – wurden Ende Januar 2006 eingestellt. Die unmittelbar darauf eingeleiteten Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen Unbekannt Anfang Februar 2006 sind noch nicht abgeschlossen;[50] Mehrere BMW Motorräder wurden Anfang August 2006 von einem Abschleppunternehmen im Auftrag der Staatsanwaltschaft bei Besitzern abgeholt, und zu einem Sachverständigen überstellt.

Fachpresse

Die Berichterstattung der Fachpresse war, von Ausnahmen wie z.B. der Fachzeitschrift Motorrad-Magazin MO abgesehen,[6][7] von Zurückhaltung und Loyalität geprägt.[24][51] Am 12.09.2006 wurde ein Hinweis vom Deutschen Presserat gegenüber der Redaktion der Zeitschrift MOTORRAD ausgesprochen, da diese mit der Veröffentlichung des Artikels BMW-ABS-Rückruf - Blend-Wirkung.[52] am 28.04.06 gegen das Gebot der wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit nach Ziffer 1 des Pressekodex verstoßen hatte. "Nach Ansicht des Gremiums wäre es notwendig gewesen, nach der Mitteilung über die Einstellung des Verfahrens gegen drei BMW-Manager die Leser darüber zu informieren, dass danach Ermittlungen gegen Unbekannt aufgenommen wurden. Dadurch wäre dem Leser klar geworden, dass lediglich die Ermittlungen gegen drei konkrete Personen eingestellt wurden."[53] Am 14.09.2006 erfolgte ein weiterer Hinweis, da die Redaktion mit der Veröffentlichung des Artikels Komplexe Systeme in MOTORRAD 17/2005 gegen Ziffer 2 des Pressekodex verstoßen hatte.[54]

Produkt-Demonstrationen (BMW)

BMW Motorrad verfogte zwei Ziele bei den Produkt-Demonstrationen. Als erstes sollte dargestellt werden, dass ABS-Ausfälle nur auf Sicherheitstrainings vorkommen können. Als zweites sollte dargestellt werden, dass die Aktivierung der Restbremse keinen Einfluss auf die Bremsleistung hat:[22]

„Unsere Grundbremse bietet dem Fahrer die gleichen Bremsleistungen wie eine andere normale Motorradbremse“

Dipl.-Ing. Peter Müller, Leiter BMW Motorrad Entwicklung und Baureihen
Info-Veranstaltung am FTZ

In der letzten Juli-Woche 2005 fand eine 2-tägige Info-Veranstaltung von BMW Motorrad am Flughafen München (Fahrer-Trainings-Zentrum, FTZ) statt. Teilnehmer waren Pressevertreter, Behördenrepräsentanten, Anbieter von Fahrsicherheitstrainings sowie Fahrschulverbände. Eine grafische Information (Balkendiagramm) sollte die Leistung der Restbremskraft bei 50 km/h erläutern.[22] Dabei wurden technische Referenzwerte empirisch ermittelten Werten aus einer wissenschaftlichen Studie (Kuratorium für Verkehrssicherheit, Wien)[55] gegenübergestellt. Erst eine Korrektur dieses Fehlers und eine Anpassung auf in Bremsentests übliche 100 km/h hätte den Vergleich von funktionierendem Integral-ABS und Restbremse ermöglicht:

(A) gesetzlich geforderte Mindestverzögerung: 2,5 m/s² bei 200 Nm Handkraft, Bremsweg 154,32 m
(B) Restbremse: 5 m/s² bei ca. 170.000 alten Modellen bei 200 Nm (= doppelter)[32] Handkraft, Bremsweg 77,16 m
(C) Restbremse: 7 m/s² bei ca. 130.000 neuen Modellen (mit CAN-BUS) bei 200 Nm (= doppelter)[32] Handkraft, Bremsweg 55,11 m
(D) Integral-ABS: 9,93 m/s² bei normaler Handkraft, Bremsweg 38,90 m (BMW K 1200 GT, '06)[56]
(E) Motorrad-Bremse: 10,10 m/s² bei normaler Handkraft, Bremsweg 38,19 m (YAMAHA XJR 1300, '04)[57]

Restbremse bedeutet also eine mindestens 50prozentige Minderung der Bremsleistung bei den Modellen mit herkömmlicher Restbremskraft (z.B. R 1150 GS). Bei den Modellen mit verbesserter Restbremskraft handelt es sich um eine mindestens 30prozentige Minderung der Bremsleistung (z.B. R 1200 GS). Eine etwa 75prozentige Minderung der Bremsleistung tritt ein, wenn der Bremshebel in den beiden unteren Positionen betrieben wird.

Bremswege (m) 100 km/h 150 km/h 200 km/h 250 km/h 280 km/h
2,5 m/s² 154,32 347,22 617,28 964,5 1209,87
5 m/s² 77,16 173,61 308,64 482,25 604,93
7 m/s² 55,11 124,00 220,45 344,64 432,09
9,93 m/s² 38,85 87,41 155,40 242,82 304,60
10,10 m/s² 38,19 85,94 152,79 238,73 299,47

Die Demonstrationen der Leistungsfähigkeit des Integral-ABS wurden mit neuen, in der Restbremskraft verbesserten Modellen durchgeführt. Drei routinierte Fahrer (zwei vom TÜV-Süd, ein BMW Projekt-Ingenieur des Entwickler-Teams der Bremse)[22] zeigten den Teilnehmern, dass mit Restbremskraft unter Laborbedingungen bei der Ausgangsgeschwindigkeit von 80 km/h Verzögerungen von bis zu 9,87 m/s² möglich sind.[32] Welche Bremsleistungen Normalfahrern[30], insbesondere aber der Zielgruppe der "weniger geübten Fahrer"[2], bei plötzlich verändertem Ansprechverhalten der Bremse in der Praxis möglich sind, könnte nur eine wissenschaftliche, empirische Untersuchung aufzeigen. Die gibt es bislang nur für ABS-Bremsungen: Durchschnittlich 7,81 m/s² Verzögerung werden von Normalfahrern[30] erzielt, nach ausgiebigem Training, und bei einem Referenzwert von 9,5 m/s².[55] BMW selbst bediente sich aus dieser Studie für die Balkengrafik: Die durchschnittliche Verzögerung von Normalfahrern[30] ohne ABS beträgt demnach 6,6 m/s² bei normaler Handkraft.[22][55]

Motobike (Motorvision)

In der Sendung Motobike, Folge 132, gab es im August 2005 einen Beitrag ABS-Problem bei BMW.[58] Der Entwicklungschef von BMW Motorrad erläuterte darin die Ursache der Unfälle auf Sicherheitstrainings damit, dass sich die Restbremse aktiviert habe. Er stellte dar, die Restbremse liefere dieselben Verzögerungswerte wie das Integral-ABS mit deaktivierter ABS-Funktion, obwohl bei der Restbremse auch noch die Bremskraftverstärkung deaktiviert wäre. Tatsächlich sind dannn aber insgesamt vier Fahrerassistenz- und aktive Sicherheitssysteme abgeschaltet, neben dem Antiblockiersystem (ABS) und der Bremskraftverstärkung (BKV) nämlich auch die Bremsen-Verbundfunktion (Integral) und der Hinterrad-Abhebeschutz. Motobike "überprüfte" seine Aussage und bat drei Motorradfahrer, Motorräder mit Integral-ABS aus einer Ausgangsgeschwindigkeit von 80 km/h abzubremsen. Einmal mit Integral-ABS mit voller Funktionalität, einmal mit deaktivierter ABS-Funktion und einmal mit Restbremse. Die Fahrer beurteilten, für normal geübte Fahrer sei der Bremsweg mit Integral-ABS mit voller Funktionalität am kürzesten. Sie bestätigten, dass die Bremswege mit deaktivierter ABS-Funktion und mit Restbremse identisch seien. Lediglich die aufzuwendende Handkraft wäre bei der Restbremse höher. Damit wurde die Darstellung der Restbremse der Info-Veranstaltung am FTZ angeblich bestätigt.

Der Pressesprecher von BMW-Motorrad hingegen stellte dar, bei den Unfällen auf den Sicherheitstrainings sei nur die Funktionalität ABS ausfallen, die Restbremse habe sich nicht aktiviert, und widersprach damit dem Entwicklungschef.[28] Für diesen Ausfall des ABS sei es notwendig, dass die Bedingungen extreme Betätigung der Bremse und niedrige Spannung zusammentreffen.[28] Ebenfalls widersprach er dem Entwicklungschef, als er betonte, es gäbe keine Systemausfälle des Integral-ABS im direkten ursächlichen Zusammenhang mit zu geringer Bordspannung.[36]

Die Darstellungen des Entwicklungschefs wurden in Wiederholungen der Sendung Motobike, Folge 132, sechsmal wieder ausgestrahlt.

Sicherheit

Pro

Zum Thema Sicherheit des Integral-ABS gibt es zwei Meinungen. Die erste Meinung wird vom Hersteller BMW, dem Kraftfahrtbundesamt und dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vertreten, nämlich dass das Integral-ABS den gesetzlichen Bestimmungen weltweit nicht nur genügt, sondern darüberhinaus noch weitere, gesetzlich nicht geforderte, Sicherheit bietet. So wird in den günstigeren Bremshebelpositionen die gesetzlich geforderte Bremsleistung von 2,5 m/s² um den Faktor 2 übertroffen, bei neuen Modellen ab März 2004 um den Faktor 2,8. Außerdem wird der Ausfall des ABS und der Bremskraftverstärkung vom System in regelmäßigen Intervallen überwacht und durch Warnlampen angezeigt. Diese Meinung besagt weiter, dass eine eingehende Lektüre der Bedienungsanleitung ebenso zur Einhaltung der Verhaltensnormen gehört, wie eine dem Integral-ABS angepasste Fahrweise. Es wird ferner darauf hingewiesen, dass es absolut sichere Systeme nicht geben könne,[11] und dass die Anzahl der betroffenen Fahrer "immer in Relation"[32] zu sehen sei. Man könne dazu aber keine offiziellen Angaben machen, "mit Rücksicht auf BMW".[27]

Contra

Die andere Meinung, vertreten von Motor-Journalisten und betroffenen Kunden, vertritt die Ansicht, dass sich die Entwicklung von Motorrad-ABS-Bremssystemen nicht nur an der Erfüllung von gesetzlichen Mindest-Vorgaben orientieren sollte.[32] Sie sollte sich vielmehr an der Praxis und den Bedürfnissen der Motorradfahrer orientieren.[59] Das Lesen einer mehrseitigen Bedienungsanleitung sei nicht praxisgerecht.[14][7] Und eine Rückfallebene, die nicht die Sicherheit von Autos aufweise (kein "Druckspeicher"), wäre bereits bei der Zulassung nicht Stand der Technik gewesen. Schlagartige Bremswegverlängerungen bei 100 km/h um 16 Meter (7 m/s²) bzw. 38 Meter (5 m/s²) und bei 150 km/h um 37 Meter (7 m/s²) bzw. 86 Meter (5 m/s²) bei Ausfall der Bremskraftverstärkung sind dieser Meinung nach lebensgefährlich, zumal diese nur unter idealen Bedingungen so gering ausfallen. Von dieser Meinung wird ferner auf die spezifische Defekt-Anfälligkeit des Integral-ABS aufgrund der unnötigen Komplexität hingewiesen.[6] Die Fehlerroutinen des Systems verschärfen nach dieser Ansicht das Problem erheblich. Die spezifischen Bremseigenschaften des Systems bei welliger Fahrbahn oder bei Bergabfahrten mit hartem Herunterschalten werden wegen der Irritation des Fahrers und der nicht kalkulierbaren Bremswegverlängerung durch vollständiges Öffnen der Bremse als inakzeptabel bezeichnet. Als größtes Sicherheitsproblem wird das sich dramatisch ändernde Ansprechverhalten der Restbremse gesehen, vor allem bei den Modellen vor der Modifikation in der Serie.

Technik

Das System basiert auf dem Staudruck-Verfahren.

Restbremse

Bei Störungen des Systems steht Restbremskraft zur Verfügung. Dabei handelt es sich um die in Abhängigkeit der Einstellung des Bremshebels verfügbare Bremskraft, wenn weder der BKV noch das ABS aktiv sind und auch die Verbundbremsen-Funktion nicht zur Verfügung steht.[12]

Eine Warnung erfolgt durch eine Warnlampe, sofern diese im Cockpit bemerkt wird,[12][45], die Restbremskraft setzt unmittelbar ein, da kein Hochdruck vorrätig gehalten wird („Druckreservoir“). Die psychologische Auswirkung auf den Fahrer wegen des Überraschungseffektes bedingt das Empfinden, keine Bremse mehr zur Verfügung zu haben.[43] Aufgrund der Komplexität des Systems gibt es zahlreiche mögliche Ursachen für diesen Zustand.[12]

„Sobald die Elektronik irgendeine, auch kleine Unregelmäßigkeit registriert, geht sie auf Nummer Sicher und schaltet zurück...“

Dr. Herbert Diess, Leiter BMW Motorrad

Ursachen können z.B. externe Störungen sein, an der Sensorik, den Bremslichtschaltern (z.B. auch verschobener Handschutz), Kabelbrüche, lose Steckverbindungen etc. und Fehler an der Elektronik (defekte Steuergeräte) oder den elektrischen Pumpen.[11][43] Der Bremshebel muss dann „über einen größeren Weg und mit mehr Kraft“ betätigt werden „als bei einer konventionellen Anlage“,[60] und das Ansprechverhalten der Bremse ändert sich signifikant.[21] Die dazu nötige Handkraft und der entsprechende Hebelweg werden bisweilen als „beinahe unzumutbar hoch“ beschrieben.[5] Modellspezifisch liegt die maximale Bremsleistung, nur bei günstiger Einstellung des Bremshebels, zwischen maximal 5 und 7 m/s².[22] Bei anderen Bremshebeleinstellungen, z.b. aus ergonomischen Gründen, wird die gesetzlich geforderte Mindestleistung von 2,5 m/s² erreicht. Die aufzubringende Handkraft hierzu verdoppelt sich auf 200 Newton.[32] Fast 10 m/s² sind bei funktionierendem Integral-ABS und sehr geringen Bedienkräften möglich.[15] Die Erfahrung von Wissenschaftlern zeigt jedoch, dass für effizientes Bremsen mit einem Motorrad-ABS eine ausführliche Erklärung der Funktionsweise und die richtigen Handhabung des ABS notwendig ist, dann lassen sich in der Praxis durchschnittlich 7,81 m/s² Bremsverzögerung erreichen.[61] Entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen zu Bremsverzögerungen mit Restbremskraft in der Praxis liegen bis heute nicht vor. Allerdings verhält es sich so, dass die Abweichung von gewohnter Handkraft zu notwendiger Handkraft bei Restbremsfunktion so überwältigend ist, dass zahlreiche Fahrer den Ausfall des BKV als vollständigen Defekt der Bremsanlage wahrnehmen „und entweder gar nicht, zu spät oder nur schwach die Restbremsfunktion aktivieren können.“[5]

Hinterrad-Abhebeschutz

Der Hinterrad-Abhebeschutz senkt immer dann kurzzeitig den Druck im Vorderrad-Bremskreis, wenn die Auswertung der Sensorsignale signalisiert, dass das Hinterrad den Bodenkontakt verloren hat. Dies wird durch ein indirektes Verfahren anhand der Raddrehzahlen und durch Plausibilitätsvergleiche berechnet. Bei spezifischen Fahrbahnunebenheiten kann es kurzzeitig ebenfalls zu einem Lösen der Vorderrad-Bremsen kommen. Dieser Effekt tritt typischerweise beim Abbremsen zwischen Geschwindigkeiten um 60 und 70 km/h auf welliger Straße auf und wird durch die Regelungstechnik verursacht. Zudem wurden bei einer BMW R 1200 GS bei einer Messreihe aufgrund starker Verzögerungseinbrüche Bremswegdifferenzen von 12 Metern gemessen.[44] Bei dieser „unangenehmen Überraschung“ löst das Integral-ABS „die Bremse ungewöhnlich lang, das Motorrad legt einige Meter ungebremst zurück. Passiert das vor einer Kurve, kann es ganz schön kritisch werden.“[44] Dieser Mangel des Integral-ABS konnte auf der Testtrecke von FTE automotive, und zwar speziell auf der Sägezahnstrecke, einwandfrei reproduziert werden. Auch bei der letzten Evolution des Systems an der BMW R 1200 GS Adventure und an der BMW K 1200 GT wurde das Regelverhalten beim „Anbremsen bergab über Löcher und Wellen“ wegen grober Regelung und langen Öffnungszeiten bemängelt.[9] Das System irritiert „durch überraschende Regelfunktion“, kritisiert wird das „unangenehm lange“ Aussetzen der Bremse „besonders bergab“ im Zusammenhang mit Bodenwellen.[10] Bereits in einer Antwort von BMW an den ADAC am 24.11.2004 wurde diese Kritik und die damit verbundenen Probleme auf Akzeptanzschwierigkeiten der Kunden mit dem „spezifischen Systemverhalten“ zurückgeführt.[2]

ABS

Im Vergleich zu anderen ABS-Systemen weist das Integral-ABS von BMW grobe Regelintervalle auf, was mit deutlichen Vertikalbewegungen, gelegentlich als „Bocksprünge“ bezeichnet, einhergeht, die den Fahrer beim Ausbalancieren des Motorrads beeinträchtigen können.[44][62]

Wartung

Die ordnungsgemäße Wartung der Bremsanlage wie Bremsflüssigkeitswechsel Steuerkreis / Radkreis bzw. Entlüftung kann nur in Werkstätten durchgeführt werden, die über die speziellen Diagnose- und Wartungsgeräte des Herstellers BMW verfügen. Die Besorgnis über nicht ordnungsgemäße Wartung besteht aus dem Grund,[11] weil ein nicht ordnungsgemäß entlüftetes Integral-ABS zwar aufgrund von Kompensationseffekten der Pumpe einwandfrei funktioniert, aber bei Störungen des Systems zum Ausfall der Restbremskraft führen kann.[60] Die Wartungsvorschrift lautet, dass der Wechsel der Bremsflüssigkeit im Radkreis jedes Jahr und im Steuerkreis alle zwei Jahre vorzunehmen ist (z.B. R 1150 GS). Nur bei BMW Motorrädern, die bereits werkseitig mit stahlummantelten Bremsschläuchen ausgeliefert wurden (z.B. R 1200 GS), sind die Intervalle zum Austausch der Bremsflüssigkeit verlängert worden. Der Wechsel der Bremsflüssigkeit im vorderen und hinteren Radkreis ist nur noch alle zwei Jahre vorzunehmen, im Steuerkreis ist der Wechsel nur noch alle vier Jahre erforderlich. In den Formularen für den BMW Motorrad Bremsencheck ist am Ende aufgeführt, dass eine Systemüberprüfung mindestens einmal jährlich, im Rahmen der Inspektions- und Wartungsarbeiten, erfolgen sollte. Insgesamt sind die Wartungskosten gegenüber dem Vorgängersystem (ABS II) und dem Nachfolgesystem (Integral-ABS von Continental-Teves) aufgrund der systembedingten Komplexität erhöht.

Das zweite Integral-ABS (Continental Teves)

Die Entwicklung eines neuen Integral-ABS ohne BKV begann bereits Anfang 2003 gemeinsam von BMW mit dem Zulieferer Continental Teves.[63] Die Ausgabe 02/2005 der Zeitschrift TOURENFAHRER klärte die Leser im Januar 2005 technisch im Detail über das neue Integral-ABS auf. Die Schwächen des bisherigen Systems sollten damit behoben werden.[64][11] Dieses System kommt seit August 2006 in allen K- und R-Modellen (Ausnahme: R 1200 S und K 1200 LT) zum Einsatz; die Notwendigkeit für eine zusätzliche Bremskraftverstärkung wird allerdings noch bei der schwergewichtigen K 1200 LT gesehen, die das Vorgängersystem von FTE autmotive behält.[65] Der Bremsdruck für die Vorderradbremse wird nun rein hydraulisch und allein über die Betätigungskräfte am Handhebel aufgebracht, der Bremsdruck für die Hinterradbremse wird über eine Hydraulikpumpe geregelt. Laut Tests sind so maximale Verzögerungswerte und damit sehr kurze Bremswege auch ohne elektrische Bremskraftverstärkung realisierbar.[15] Das System beinhaltet die Plattform für zukünftige, weiter gehende Fahrer-Assistenzfunktionen. Ab 2007 soll eine Antriebsschlupfregelung (BMW nennt sie Automatic Stability Control/ ASC) als Option verfügbar sein, ein Fahrdynamik-Regelungssystem, das ein unkontrolliertes Durchdrehen der Räder (z.B. bei Nässe) verhindern soll.

Technik

Das System wird jetzt durch Ventile gesteuert, und wiegt nur noch 2,3 Kg.

Hinterrad-Abhebeschutz

Der wie beim Vorgängersystem integrierte Hinterrad-Abhebeschutz weist weiterhin Besonderheiten wie sporadisches Öffnen der Vorderradbremse auf, beispielsweise beim hartem Herunterschalten, bei Bergabfahrten oder welliger Fahrbahn.[66]

Störungen

Beim Betätigen des Handbremshebels wirkt die elektrische Hydraulikpumpe auf die Hinterradbremse. Die Vorderradbremse wird hingegen per Handkraft betätigt, die Hinterradbremse beim Betätigen des Fussbremshebels per Fusskraft. Bei eventuellen Systemstörungen fällt bei diesem System, jedenfalls nach Herstellerangaben, die Teilintegralfunktion und/oder die Antiblockierfunktion aus. Dann soll eine Motorrad-Bremsanlage ohne Fahrerassistenz- und aktive Sicherheitssysteme zur Verfügung stehen, die sich jedenfalls nach Aussagen des Herstellers in Medieninformationen weder in Wirkung, noch Dosierbarkeit unterscheiden soll.[67] Damit könnten die wesentliche Kritikpunkte, die beim Vorgängersystem vom Hersteller im März 2005 eingeräumt wurden,[11] beseitigt sein.

Siehe auch

Einzelbelege

  1. Clemens Gleich: Besser Bremsen II – Keine ABSolution. In: MO. 09/06.
  2. a b c d e f g h Frank Mertens: BMW-Motorradchef Diess garantiert für die Sicherheit des Bremssystems: In: NETZEITUNG. 19.07.05.
  3. a b Intermot 2006. BMW stellt Einzylinder-Baureihe und neues ABS vor. In: Handelsblatt.com. 10.10.06.
  4. a b Waldemar Schwarz, Jörn Thomas: ABSolute Beginner. In: MOTORRAD. 26/02.
  5. a b c d Wolfgang Zeyen: Attacke auf BMW-Integral-ABS. In: TOURENFAHRER. 02/05. 72-76.
  6. a b c d e Maik Schwarz: Riesen Wirbel. Integral-ABS in der Kritik.. In: BMW Motorräder Nr. 13. MO Sonderheft. 23.03.05.
  7. a b c d e Jo Soppa: Dynamische Prozesse. In: BMW Motorräder Nr. 13. MO Sonderheft. 23.03.05.
  8. Thomas Schmieder: Endstation Sehnsucht. In: MOTORRAD 19/06.
  9. a b Norbert Kappes u.a.: Alpen-Masters 2006. 1. Teil. In: MOTORRAD. 17/06. 20-39.
  10. a b Norbert Kappes u.a.: MOTORRAD sucht den Alpenkönig, Teil 2. In: MOTORRAD. 18/06. 20-41.
  11. a b c d e f g h i j k l Interview mit BMW Motorrad Pressesprecher Jürgen Stoffregen. In: BMW Motorräder Nr. 13. MO Sonderheft. 23.03.05.
  12. a b c d e f Thomas Delekat: Für den Fall der Fälle. In: DIE WELT. 16.07.05.
  13. Hatten Sie schon mal Probleme mit Ihrem BMW-Integral ABS? Umfrage der Zeitschrift MOTORRAD
  14. a b c d e Nicholas Rufford: CURIOUS CASE OF THE BMW SUPER-BRAKES THAT DIDN’T STOP THE BIKE. In: THE SUNDAY TIMES. 07.11.2004.
  15. a b c Stefan Kaschel: ABS - Der Stand der Dinge. In: MOTORRAD 19/06.
  16. Wilhelm Hahne: Motorräder bauen und Motorradfahrer verstehen ist offenbar zweierlei. In: Motor-Kritik. 10.02.2004.
  17. Wilhelm Hahne: Arrogant - überheblich - kundenverachtend. In: Motor-Kritik. 27.05.2004.
  18. Frank Mertens: BMW-Motorradchef Diess: Wir wollen mit der K 1200 S den Wettbewerb gewinnen. In: NETZEITUNG. 02.08.2004.
  19. a b Jörg Reichle: Gefahr - Gebremstes Vertrauen. In: SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. 04.07.05.
  20. Thomas Schmieder: Bremslichtschalter der BMW R 1200 GS.Problem gelöst. In: MOTORRADONLINE. 10.09.04.
  21. a b c Christian Wüst: BMW-Motorräder haben Probleme im Bremssystem. In: DER SPIEGEL 27/2005. 02.07.05.
  22. a b c d e f g Frank Mertens: BMW kämpft um Vertrauen der Kunden. In: NETZEITUNG. 29.07.05.
  23. Gertrud Mansfeld: BMW R 1200 ST. In: BMW Motorräder Nr. 13. MO Sonderheft. 23.03.05.
  24. a b Wilhelm Hahne: DIE WELT schafft das Problem nicht tatsächlich aus der Welt. In: MOTOR-KRITIK. 20.12.04.
  25. Sven Herold: Sicherheitsrisiko BMW - Wenn Premium-Motorräder von der Straße abkommen. In: M€X. 09.06.05.
  26. Thomas Delekat: BMW, die Hydraulik und die Lawine. In: DIE WELT, 09.07.05.
  27. a b c Thomas Magenheim: Staatsanwalt ermittelt gegen BMW. ... Konzern plant keine Rückrufaktion. In: FRANKFURTER RUNDSCHAU. 06.07.05.
  28. a b c d e f g h i j Till Kohlmey: BMW-ABS-RÜCKRUFAKTION. Gut gedrosselt. In: TOURENFAHRER. 06/06. 16-18.
  29. a b c d e f g h Wilhelm Hahne: Mit erweiterter Bedienungsanleitung aus der Verantwortung?: In: MOTOR-KRITIK. 12.09.05.
  30. a b c d e f g h i Stefan Ullmann: Der Normalfahrer als Messgröße für die Optimierung und Absicherung aktiver fahrdynamischer Regelsysteme. In: Tagung Aktive Sicherheit durch Fahrerassistenzsysteme. 4. - 5. April 2006. (PDF 556 KB)
  31. Long Way Round (Special Edition, 3 DVDs). Ewan McGregor, Charley Boorman. ASIN: B000F5GOIW. DVD Nr. 2, Episode 5, Kapitel 2, Position 2.14 - 3.56.
  32. a b c d e f g Marion Englert: Kommt Zeit. Kommt Rat. In: Bikers-Journal. (PDF, 264 KB).
  33. dpa: Motorrad-ABS. Kein Recht auf Rückgabe. In: Süddeutsche Zeitung. 11.07.05.
  34. a b Jürgen Pander: BMW-Motorrad-ABS / Drosseln der Druckspitzen. In: SPIEGEL ONLINE. 07.04.06.
  35. Eric Michel: BMW vérifie l'ABS Intégral sur 260 000 modèles dans le monde In: Moto-Net.Com. 10.07.2005
  36. a b Jürgen Stoffregen: BMW Motorrad Integral-ABS - Antworten auf Ihre Fragen. In: Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände. Fragen im Nachgang zur Infoveranstaltung. 10.08.05. (PDF, 84,4 KB).
  37. a b Kraftfahrtbundesamt (KBA): Kodex zur Ausführung des Geräte- und Produktsicherheitsgesetzes (GPSG) bei Straßenfahrzeugen. Flensburg: Kraftfahrtbundesamt. November 2005. 34 S. (PDF, 573 KB)
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  39. Frank Mertens: BMW überprüft kostenlos ABS-Motorräder. In: Netzeitung. 08.07.05.
  40. a b Marion Englert: ABS-Ärger: BMW bietet kostenlosen Brems-Check. In: Münchner Merkur. 29.07.05.
  41. a b Gerd Stegmaier: BMW-Motorrad-ABS. Jetzt mit Gürtel und Hosenträger. In: Focus Online. 06.04.06.
  42. Guido Kupper: Gut gebremst mit ABS. In: MO. 10/2005. S.34.
  43. a b c Markus Biebricher: BMW-ABS. Kommunikations-Frage. In: TOURENFAHRER. 9/06. 80-82.
  44. a b c d e Waldemar Schwarz: Zweiklassen-Gesellschaft. In: MOTORRAD. 10/04.
  45. a b Gerd Gregor Feth: Die 'sicherste Bremse der Welt' soll künftig besser informieren. In: FAZ. 29.07.05.
  46. a b c d Eberhard Unfried: Bremsprobleme bei neuem Motorrad. Staatsanwalt ermittelt gegen BMW Bosse. In: tz München. 18.06.2006. S. 6.
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  48. dpa: Staatsanwaltschaft untersucht BMW-Motorräder. In: Berliner Morgenpost. 03.07.05.
  49. Staatsanwalt ermittelt bei BMW. Probleme mit Bremssystem. In: Berliner Zeitung. 06.07.05.
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  51. Wilhelm Hahne: BMW unter Artenschutz? In: Motor-Kritik, 15.08.05
  52. Gert Thöle: BMW-ABS-Rückruf. Blend-Wirkung. In: MOTORRAD. 28.04.2006.
  53. Deutscher Presserat: Entscheidung des Beschwerdeausschusses 2 in der Beschwerdesache BK2-95106. 12.09.06.
  54. Deutscher Presserat: Entscheidung des Beschwerdeausschusses 1 in der Beschwerdesache BK1-79/06. 14.09.06.
  55. a b c Kurt Vavryn u.a.: Bremsverzögerungsmessung bei Motorradfahrern mit und ohne ABS. Wien: Kuratorium für Schutz u. Sicherheit. 2002. 52 S. . (PDF, 1 MB)
  56. Till Kohlmey: ABSolut zuverlässig. In: TOURENFAHRER. 07/06. 80-88.
  57. Matthias Schröter: Top-Test Yamaha XJR 1300. Das Original. In: MOTORRAD. 01/04.
  58. ABS Problem bei BMW. In: Motobike Folge 132. Sa 13.08.2005 09:45 Uhr. Mi 17.08.2005 21:45 Uhr.
  59. Wilhelm Hahne: Umsetzen der bisherigen Praxis-Erfahrungen in ein einfacher strukturiertes System .... In: MOTOR-KRITIK. 20.01.2005.
  60. a b Markus Braunsperger u.a.: Das neue Integral ABS von BMW Motorrad. In: ATZ Automobiltechnische Zeitschrift 103 (2001) 3.
  61. Bremsverzögerungsmessung bei Motorradfahrern mit und ohne ABS. Kuratorium für Verkehrssicherheit.
  62. Ralf Schneider: ABStinenz beendet. In: MOTORRAD. 12/05.]
  63. Frank Mertens: Besserer Regelungskomfort beim BMW-ABS. In: AUTOGAZETTE. 27.07.06.
  64. Thomas Delekat: BMW räumt Probleme bei Motorrad-Bremse ein. In: WELT AM SONNTAG. 17.07.05.
  65. Interview mit BMW Motorrad Pressesprecher Jürgen Stoffregen. In: MOTORRAD. 16/2006.
  66. Thomas Delekat: Wie wildgeworden. Der neue Roadster von BMW ... - und hat ein nagelneues ABS-System. In: DIE WELT. 15.07.06.
  67. BMW Motorrad-Neuheiten zur INTERMOT 2006. In: BMW Medieninformation. 10/2006. 1-46.

Verweise

Literatur

Fernsehberichte

DVD

  • Long Way Round (Special Edition, 3 DVDs). Ewan McGregor, Charley Boorman. ASIN: B000F5GOIW.


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