Emshochwasser 1946

Hochwasserereignis im Februar 1946 im Einzugsgebiet der Ems
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Im Februar 1946 bildete sich im Einzugsgebiet der Ems ein Hochwasserereignis, das vor allem durch mehrere Perioden mit ergiebigen Regengüssen verursacht war. Insgesamt fiel im Einzugsgebiet der Ems im Februar 1946 das Drei- bis Fünffache des langjährigen mittleren Februar-Niederschlags.[1] Das Ems-Hochwasser der Zeit um den 9. Februar 1946 war eine der schwersten Hochwasserkatastrophen im Binnenland des Ems-Einzugsgebiets.[2]

Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) stellte im Jahr 2005 fest, dass „[i]n den letzten 100 Jahren […] das Hochwasser von 1946 das [einzige] [war], [das] in die Kategorie »extreme Überschwemmungen« einzuordnen war.“[3] In Nordrhein-Westfalen übertrafen im Jahr 2021 die Auswirkungen des Hochwassers im Einzugsgebiet der Ahr, der Erft, der Rur und der Ruhr die des Hochwassers von 1946.

Räumliche Ausdehnung des gesamten Hochwasserereignisses

Von der zugrunde liegenden Wetterlage (siehe #Ursachen der Hochwasserkatastrophe) waren im Februar 1946 neben den Einzugsgebieten der Ems und der Vechte besonders das Fulda-, Eder- und Schwalmgebiet, das Tal der Ober- und der Mittelweser, einige Nebenflüsse der oberen Weser und Diemel, Emmer und Werre, die Allerniederung unterhalb der Okermündung sowie die Täler der Oker, der Leine und Innerste von dem Extremhochwassereignis betroffen.[4]

Als Folge des Februarhochwassers brach auch der Deich der Emscher in Gelsenkirchen im Einzugsgebiet des Rheins. Das Emscherwasser überflutete den Norden der Stadt.[5]

Chronologie

Im Februar 1946 kam es nach einer 14-tägigen Frostperiode mit gefrorenem Boden zu ungewöhnlich starken Regenfällen und Tauwetter. Im Ergebnis meldeten die meisten Pegel an der Ems und ihren Nebenflüssen im Februar 1946 Rekordstände.

Bereits im Oberlauf der Ems kam es zu einem Extremhochwasser. In der Nacht vom 7. auf den 8. Februar 1946 überschwemmte die Dalke, ein rechter Nebenfluss der Ems, einen Großteil der Fläche Güterslohs.[6]

Am 9. Februar 1946 wurde am Pegel Greven ein Stand von 9,17 m gemessen. Der zuvor höchste gemessene Pegelstand betrug (im Jahr 1890) 7,90 m.[7]

Am Pegel Rheine Unterschleuse wurde am 10. Februar 1946 ein Abfluss von 1030 m³/s gemessen. Der mehrjährige mittlere Hochwasserabfluss (MHQ) lag damals bei 228 m³/s.

Eine kritische Stelle bildete der Emsabschnitt bei Hanekenfähr. Dort zweigt der Dortmund-Ems-Kanal von der Ems ab und verläuft über mehrere Kilometer parallel zu dieser nach Lingen. Zugleich mündet hier der Ems-Vechte-Kanal in das Flusssystem. Noch komplexer wurde die Situation im Februar 1946 dadurch, dass die Trümmer der im Jahr 1945 gesprengten Eisenbahnbrücke bei Hanekenfähr im Emswasser liegengeblieben waren. Am Wasserstraßenknotenpunkt Hanekenfähr staute sich am 11. Februar 1946 vor dem großen Emswehr und den Kanalschleusen eine gewaltige Flutwelle, die sich schließlich ihren Weg in den Dortmund-Ems-Kanal bahnte. Dafür waren die Kanaldämme aber nicht ausgelegt. Der Wasserpegel im Kanal stieg rasch an, Kanaldämme brachen. Dennoch erreichte ein Großteil der Wassermassen Lingen, dessen Innenstadt sie binnen kurzer Zeit 1,50 m hoch unter Wasser setzten.[8]

In Meppen, wo die Hochwasserscheitel der Ems und der Hase am 12. Februar 1946 zeitgleich aufeinandertrafen, betrug der Pegelstand 4,79 m. Als zweithöchster Pegelstand war bis dahin (im Jahr 1926) 4,26 m gemessen worden. Oberhalb des Pegels an der Hasehubbrücke in Meppen hatte es kurz zuvor große Überschwemmungen gegeben, die den Wasserdruck am Messpegel verringerten.[9]

Die Hauptflutwelle erreichte am 13. Februar 1946 vormittags Papenburg und nachmittags Leer sowie in der Nacht zum 14. Februar 1946 die Seeschleuse Emden. Insgesamt dauerte das Hochwasser 21 Tage an.

Schäden

Dämme und Deiche brachen, Menschen und Vieh wurden in ihren Häusern sowie Ställen vom Hochwasser überrascht und die ohnehin knappen Nahrungsvorräte in der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden vernichtet. Die Städte Münster, Rheine, Lingen und Meppen waren infolge des Hochwassers wochenlanger Überschwemmung ausgesetzt.

Ursachen der Hochwasserkatastrophe

Wetterlage

Das Hochwasser, das Anfang Februar 1946 Teile von Nordrhein-Westfalen, Hessen, Thüringen und Niedersachsen heimsuchte, war in vielen Gewässern das höchste seit über 100 Jahren. Im Gegensatz zu anderen Winterhochwassern (1841, 1909, 1926), die als Schneeschmelzhochwasser anzusehen sind, wurde dieses Hochwasserereignis fast ausschließlich durch Regen verursacht. Die das Ereignis auslösenden Niederschläge entwickelten sich an der Nordgrenze der subtropischen Warmluft, die von Ende Januar bis zum 8. Februar in mehreren Wellen über Deutschland hinweglief.[10]

Zustand der Hochwasserschutz-Infrastruktur

Der Zweite Weltkrieg zerstörte einen Großteil der Infrastruktur in Deutschland. Der Wettermeldedienst, bis zum Ende des Kriegs von der Luftwaffe betrieben, war von den Alliierten aufgelöst worden. Der Hochwasserwarndienst funktionierte ebenfalls nicht.[11] Von Bedeutung für das Hochwassergebiet im Jahr 1946 war auch der Umstand, dass zahlreiche im Wasser der Ems und ihren Nebenflüssen liegengebliebene zerstörte Brücken (wie die oben erwähnte Eisenbahnbrücke bei Hanekenfähr) und andere Hindernisse in den Flussläufen das Wasser zusätzlich aufstauten. Auch infolge unterlassener Wartungsarbeiten und fehlender Investitionen in die Erneuerung ziviler Anlagen während des Kriegs waren viele Deiche und Wehre in einem maroden Zustand, der Deichbrüche und Überschwemmungen erleichterte.

Lebensverhältnisse und Politik im Februar 1946

Die Katastrophe traf die Bevölkerung im Einzugsgebiet der Ems neun Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs besonders hart.[12] Die Staatsgewalt über das damals noch formaljuristisch zu Preußen (Provinzen Westfalen und Hannover) gehörende Einzugsgebiet der Ems, das vollständig in der britischen Besatzungszone Deutschlands lag, wurde von den Organen der britischen Besatzungsmacht ausgeübt, die für ihre Angehörigen bereits vor Februar 1946 knappen Wohnraum auch nach der Flutkatastrophe für sich beanspruchte. Die allgemeine Wohnungsnot in der Nachkriegszeit und der hochwasserbedingte Wohnraummangel wurden dadurch verschärft, dass die Städte und Gemeinden im Einzugsgebiet der Ems in großer Zahl Flüchtlingen und Evakuierten Wohnraum bereitstellen mussten. Ebenso wurde die im Jahr 1946 ohnehin bestehende Knappheit an Lebensmitteln und Gebrauchsgütern dadurch verstärkt, dass diese als Folge des Hochwassers unbrauchbar geworden waren oder verloren gingen.[13] Die Situation im Februar 1946 verkomplizierte sich im Einzugsgebiet der Ems dadurch, dass die Briten 1945 weite Teile im Westen der preußischen Provinz Hannover zur polnischen Besatzungszone erklärt hatten. Dessen Hauptstadt war das in Maczkow umbenannte Haren (Ems). Die Polen hatten Häuser in ihrer Hauptstadt beschlagnahmt. Deren deutschen Eigentümer stellten bei ihrer Rückkehr nach Haren fest, dass ihre Häuser „unter ihren polnischen Bewohnern schwer gelitten [hatten]. Nicht nur unter den Schäden durch das Hochwasser, die entweder gar nicht oder nur unzureichend beseitigt worden waren.“[14]

Unterschiede zur Gefahrenlage im 21. Jahrhundert

Auch an den Ufern und im Einzugsgebiet der Ems wurden nach der Katastrophe im Jahr 1946 vielfältige Maßnahmen zum Schutz vor künftigen Hochwasserereignissen ergriffen.

Als Standardmaßnahmen des Hochwasserschutzes gelten im 21. Jahrhundert in Deutschland

  • die Vermeidung der Entstehung von Hochwasserschäden durch eine Raum- und Bauleitplanung, die die Ausdehnung möglicher Überschwemmungen bei Hochwasserlagen berücksichtigt, die mit einer Wahrscheinlichkeit von einmal in einhundert Jahren eintritt (das Jahrhunderthochwasser, auch HQ-100 genannt); konkret: Bauverbote in HQ-100-Überschwemmungsgebieten, Verbot des Ackerbaus in ihnen,
  • die Verbesserung des „natürlichen Rückhalts“, d. h. die Senkung des Anteils der Niederschläge, die oberflächlich, also letztlich über Bäche und Flüsse abfließen,
  • der „technische Hochwasserschutz“, d. h.
    • der Bau, die Erhöhung und Modernisierung und der Erhalt von Deichen und Mauern,
    • der dezentrale Rüchkhalt, entweder „flächenhaft, also durch Aufforstung, geänderte Feldbewirtschaftung oder Flächenentsiegelung, linienhaft durch Gewässerrenaturierung und Laufverlängerung oder punktuell, z. B durch ungesteuerte kleine Rückhaltbecken“,
    • Talsperren und staatliche Hochwasserrückhaltebecken,
    • Flutpolder,
    • Staustufen und
    • ein verbessertes Staustufenmanagement;
  • die Vorsorge über den genannten Grundschutz hinaus, d. h. die Verbesserung der Informations- und Warndienste und
  • die Nachsorge nach der Entstehung von Hochwasserschäden in Form der Behebung von Schäden, der Dokumentierung des Hochwasserereignisses und der Überprüfung und Anpassung der den Planungen zugrunde liegenden Annahmen.[15]

Von Bedeutung für den Einzugsbereich der Ems ist es vor allem, dass die Ems ab Herbrum ein Ästuar der Nordsee bildet, so dass bei Hochwasserlagen im Binnenland der Abfluss des Hochwassers zusätzlich zweimal täglich durch die entgegenstömenden Wassermassen der Flut behindert wird. Seit der Fertigstellung des Emssperrwerks bei Gandersum im Jahr 2002 ist durch dessen zeitweilige Schließung ein Abfluss der Wassermassen aus dem Binnenland bis zu dem Sperrwerk auch bei Flut möglich. Bei Ebbe wird das Wasser vom Ebbstrom erfasst und in die Nordsee gesogen. Zugleich wird durch die Schließung der Fluttore die Wirkung von Sturmfluten entschärft.

Hauptgrund dafür, dass das Weihnachtshochwasser 2023 deutlich glimpflicher ausging als das Hochwasser von 1946 war der massive Einsatz von Hilfskräften und Material zur Stabilisierung der Deiche, vor allem durch den Einsatz von Sandsäcken und den Aufbau mobiler Deiche, allerdings um den Preis der Erhöhung der Scheitelwelle des Hochwassers. Der Pegel Herzlake an der Hase, den es bereits 1946 gab (anders als die meisten aktuell existierenden Pegel im niedersächsischen Teil des Emseinzugsgebiets),[16] verzeichnete vor allem deshalb 2023/2024 keine höheren Zahlenwerte als 1946, weil unweit oberhalb des Pegels der Deich gebrochen war, so dass sich Wasser unkontrolliert in die Fläche ergießen konnte,[17] was 1946 an vielen Stellen geschehen war.

Siehe auch

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Hochwasserereignisse im Emsgebiet: Das Februarhochwasser 1946. Bundesanstalt für Gewässerschutz (BAfG), abgerufen am 4. Februar 2024.
  2. Überprüfung der vorläufigen Bewertung des Hochwasserrisikos und der Risikogebiete nach Artikel 4 und Artikel 6 der Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie in der Internationalen Flussgebietseinheit Ems. Flussgebietsgemeinschaft Ems (FGG Ems), März 2019, S. 10 (12), abgerufen am 4. Februar 2024.
  3. Das Hochwasser von 1946. In: Oberirdische Gewässer, Band 23: Hochwasserschutz in Niedersachsen. Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), 2005, S. 31, abgerufen am 6. Februar 2024.
  4. Das Hochwasser von 1946. In: Oberirdische Gewässer, Band 23: Hochwasserschutz in Niedersachsen. Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), 2005, S. 25, abgerufen am 6. Februar 2024.
  5. Fotochronik: Hochwasser an Vechte, Weser, Werre, Dinkel und Ems. wdr.de, 9. Juni 2016, abgerufen am 6. Februar 2024.
  6. Das historische Hochwasser von Gütersloh 1946. carl.media, abgerufen am 5. Februar 2024.
  7. Roland Böckmann: Hochwasser 1946 in Reckenfeld: Als das große Wasser kam. wn.de (Internetseite der „Westfälischen Nachrichten“), 8. März 2012, abgerufen am 4. Februar 2024.
  8. Die große Flut vor 75 Jahren. Das Jahrhunderthochwasser 1946 an der Ems. emslandmuseum.de, 9. Februar 2021, abgerufen am 5. Februar 2024.
  9. Meppen im Februar 1946. Stadt Meppen, abgerufen am 4. Februar 2024.
  10. Das Hochwasser von 1946. In: Oberirdische Gewässer, Band 23: Hochwasserschutz in Niedersachsen. Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), 2005, S. 25, abgerufen am 6. Februar 2024.
  11. Jahrhunderthochwasser überflutet 1946 Hannover. ndr.de, 9. Februar 2021, abgerufen am 5. Februar 2024.
  12. Die große Flut vor 75 Jahren | Das Jahrhunderthochwasser 1946 an der Ems. emslandmuseum.de, 9. Februar 2021, abgerufen am 4. Februar 2024.
  13. Besatzung, Flut und Wohnungsnot. Lingen 1946. Heimatverein Lingen, Oktober 2016, abgerufen am 4. Februar 2024.
  14. Sten Martenson: Vor 70 Jahren: Als das Emsland polnisch war. deutschlandfunk.de, 8. Mai 2015, abgerufen am 5. Februar 2024.
  15. Übersicht. Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, abgerufen am 9. Februar 2024.
  16. Das Hochwasser von 1946. In: Oberirdische Gewässer, Band 23: Hochwasserschutz in Niedersachsen. Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), 2005, S. 28 (29), abgerufen am 9. Februar 2024.
  17. Aktuelles rund ums Hochwasser in der Samtgemeinde Herzlake. Veröffentlicht am 28.12.2023. Gemeinde Dinklage, 5. Januar 2024, abgerufen am 9. Februar 2024.