Die Theorie der komparativen Kostenvorteile (v. lat.: comparare = vergleichen) wurde im Jahre 1806 von David Ricardo als Weiterentwicklung der Theorie der absoluten Kostenvorteile Adam Smiths vorgestellt und ist ein Kernpunkt der Außenwirtschaftstheorie, wobei einige Ideen Ricardos bereits bei David Hume auftauchten.
Kerngedanke
Die Theorie des komparativen Kostenvorteils besagt, dass die Vorteilhaftigkeit des Handels zwischen zwei Ländern nicht von den absoluten Produktionskosten abhängt, sondern von den relativen Kosten der produzierten Güter zueinander. Grundsätzlich ist demnach der Handel zwischen zwei Ländern immer vorteilhaft, wenn bei beiden Handelspartnern unterschiedliche Produktionskostenstrukturen existieren, d. h. wenn ein Land für ein produziertes Gut auf weniger Einheiten eines anderen Gutes verzichten muss als das andere Land (niedrigere Opportunitätskosten). In diesem Fall sollte jedes Land sich auf das Gut spezialisieren, das es relativ (komparativ) günstiger herstellen kann. Somit sind nach der Theorie internationaler Handel und internationale Arbeitsteilung selbst für solche Länder von Vorteil, die alle Güter nur zu höheren Kosten erzeugen können als das Ausland. In der Realität lässt sich dies vor allem auf Handelsbeziehungen zwischen hoch und niedrig industrialisierten Ländern anwenden. Die Theorie Ricardos beinhaltet generell eine Forderung nach einem weltweit freien Handel, der bei Spezialisierung der Staaten auf ihre komparativen Kostenvorteile zum Vorteil aller ist.
Dabei ist zu beachten, dass nichts über die Verteilung des Handelsgewinnes oder die Effekte der Spezialisierung ausgesagt wird.
Vorbedingung
Bei der Diskussion komparativer Kostenvorteile wird oft vernachlässigt, dass dafür als Vorbedingung gelten muss, dass der Produktionsfaktor Kapital nicht beweglich ist. Ansonsten würden die Kapitaleigentümer lediglich ihr Kapital in das Land mit den niedrigsten Arbeitskosten verschieben, um den absoluten Kostenvorteil auszunutzen. Diese Vorbedingung gilt in unserer heutigen Zeit der Globalisierung nicht mehr, Kapital ist mobil geworden.
Diese Bedingung wurde bereits vom Begründer der Theorie, David Ricardo formuliert:
- „It would undoubtedly be advantageous to the capitalists of England, and to the consumers in both countries, that under such circumstances, the wine and the cloth should both be made in Portugal, and therefore that the capital and labour of England employed in making cloth, should be removed to Portugal for that purpose. [...]
- Experience, however, shows, that the fancied or real insecurity of capital, when not under the immediate control of its owner, together with the natural disinclination which every man has to quit the country of his birth and connexions, and intrust himself, with all his habits fixed, to a strange government and new laws, check the emigration of capital. These feelings, which I should be sorry to see weakened, induce most men of property to be satisfied with a low rate of profits in their own country, rather than seek a more advantageous employment for their wealth in foreign nations.“ (Ricardo, David: On the Principles of Political Economy and Taxation (Nachdruck 1977). Hildesheim/New York: Georg Olms Verlag (1817), S. 161f.)
Auf Deutsch etwa:
- „Es wäre zweifellos vorteilhaft für die englischen Kapitalisten und die Konsumenten beider Länder, wenn unter diesen Voraussetzungen sowohl Wein als auch Stoff in Portugal hergestellt würden und dass Kapital und Arbeit, die in England zur Stoffherstellung verwendet werden, zu diesem Zweck nach Portugal geschafft würden. [...]
- Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die wahrgenommene oder reale Unsicherheit von Kapital, wenn es nicht unter der direkten Kontrolle des Eigentümers ist, kombiniert mit der natürlichen Abneigung aller, das Geburtsland und alle dortigen Beziehungen zu verlassen, und sich mit schon gefestigten Gewohnheiten an eine neue Regierung und neue Gesetze anzupassen, die Kapitalflucht im Zaum halten. Diese Gefühle, die ich nur ungern geschwächt sähe, animieren die meisten besitzenden Menschen, mit einer niedrigeren Profitrate im eigenen Land zufrieden zu sein, anstatt den vorteilhafteren Einsatz ihres Reichtums in fremden Ländern zu suchen.“ (Eigene Übersetzung)
Beispiele
„Tuch/Weizen“
Tabelle 1: Produktionsmöglichkeit pro Stunde | ||
---|---|---|
Land | Tuch | Weizen |
A-Land | 10 | 100 |
B-Land | 1 | 50 |
Es existieren zwei Länder, A-Land und B-Land, in beiden werden Tuch und Weizen produziert. A-Land verfügt über hoch entwickelte Produktionstechnologie und kann 10 Tücher oder 100 Weizen pro Stunde produzieren, B-Land verfügt über eine niedriger entwickelte Produktionstechnologie und kann nur 1 Tuch oder 50 Weizen pro Stunde produzieren (siehe Tabelle 1).
Tabelle 2: absolute Kosten pro Gütereinheit | ||
---|---|---|
Land | Tuch | Weizen |
A-Land | 0,1 (=1/10) | 0,01 (=1/100) |
B-Land | 1 (=1/1) | 0,02 (=1/50) |
Umgerechnet ergibt sich für beide Länder ein unterschiedlicher benötigter Zeitaufwand zur Herstellung der Güter. Den Zeitaufwand bezeichnet man hier als absolute Kosten. Man sieht: Das Verhältnis der absoluten Kosten im A-Land ist im Verhältnis 0,1 : 0,01 bzw. 10 : 1. Im B-Land ist das Verhältnis 1 : 0,02 bzw. 100 : 2. Relativ gesehen kann also das A-Land kostengünstiger Tuch und das B-Land kostengünstiger Weizen produzieren. Dies nennt man auch die komparativen Vorteile (siehe Tabelle 2).
Tabelle 3: komparative Kosten pro Gütereinheit | ||
---|---|---|
Land | Tuch | Weizen |
A-Land | 10 Weizen | 0,1 Tuch |
B-Land | 50 Weizen | 0,02 Tuch |
Bei beiden Produkten hat B-Land höhere absolute Kosten. Werden aber die Opportunitätskosten betrachtet, d. h. die Menge Tuch, auf die verzichtet werden muss, um eine Einheit Weizen produzieren zu können (und umgekehrt), ergibt sich folgendes Bild (siehe Tabelle 3): B-Land muss nur auf 0,02 Tuch verzichten, um ein Weizen mehr zu produzieren, während A-Land für eine Einheit Weizen auf 0,1 Tuch verzichten muss. Dieser geringere notwendige Verzicht ist der komparative Vorteil von B-Land in der Weizenproduktion.
Tabelle 4: Produktion ohne Außenhandel (Bsp.) | ||
---|---|---|
Land | Tuch | Weizen |
A-Land | 80 | 200 |
B-Land | 8 | 100 |
Summe: | 88 | 300 |
Wenn nun A-Land und B-Land nicht miteinander handeln und sich beide entscheiden, 8 Stunden Tuch und 2 Stunden Weizen zu produzieren, ergibt dies die in Tabelle 4 gezeigte Gesamtproduktion.
Tabelle 5: Produktion bei Außenhandel | ||
---|---|---|
Land | Tuch | Weizen |
A-Land | 100 | 0 |
B-Land | 0 | 500 |
Summe: | 100 | 500 |
Entscheiden sich die beiden Länder nun, miteinander zu handeln und sich auf ihren komparativen Vorteil zu konzentrieren, d. h. A-Land produziert 10 Stunden nur Tuch, B-Land 10 Stunden nur Weizen, so ergibt sich das in Tabelle 5 dargestellte Bild. Durch den Handel und den dadurch effizienteren Arbeitseinsatz wird es also möglich, bei insgesamt unveränderter Arbeitszeit 12 Tuch und 200 Weizen mehr zu produzieren.
Beispiel „Rechtsanwalt“
Es existiert ein Rechtsanwalt, der zudem noch der beste Schreibmaschinenschreiber im ganzen Ort ist. Weil er als Rechtsanwalt mehr Geld verdient, hat er einen komparativen Kostenvorteil gegenüber der Tätigkeit als Sekretär. Obwohl er einen absoluten Kostenvorteil in beiden Berufen gegenüber einer Sekretärin hat, lohnt es sich für ihn eine Sekretärin einzustellen, die weniger begabt ist als er. Betrachtet man den Standpunkt der Sekretärin: Sie hat als Sekretärin einen komparativen Kostenvorteil gegenüber der Tätigkeit als Rechtsanwältin. Sie ist ihrem Chef also am geringsten als Sekretärin unterlegen. Nun spezialisieren sich beide auf ihre monetär gesehen lukrativsten Fähigkeiten und ziehen so den meisten Profit daraus.
Im Beispiel werden die Vorüberlegungen deutlich: da der Rechtsanwalt keine Möglichkeit hat, sein "Kapital" - seine Ausbildung als Schreibmaschinenschreiber- auf die Sekretärin zu verschieben, wirken komparative Kostenvorteile. In der jetzigen Weltwirtschaft ist die Bewegung von Kapital jedoch so einfach und verbreitet, dass komparative Kostenvorteile kaum wirken können, es setzen sich vielmehr fast ausschließlich absolute Kostenvorteile durch, was in der Kapitalbewegung in Niedriglohnländer deutlich wird.
Man könnte jedoch einwenden, dass der Rechtsanwalt nicht unbegrenzt Zeit hat. Er kann nicht beide Tätigkeiten zugleich ausführen. Wenn man diesen Gedanken auf zwei Länder überträgt: Länder haben eingeschränkte Produktionsmöglichkeiten und wenn sie ihre knappen Ressourcen benutzen, um die Ware zu produzieren, in der sie jeweils einen komparativen Kostenvorteil haben, können sie den Ertrag und somit auch den Konsum steigern. Wenn man davon ausgeht, dass Länder eingeschränkte Produktionsmöglichkeiten haben, setzen sich komparative Kostenvorteile durch.
Eine Lösung dieses Paradoxons fand man, indem man unterschiedliche Qualitäten von Arbeit und Kapital unterschied. Die USA exportierten nämlich Güter, für deren Produktion man gut qualifizierte Arbeitskräfte benötigt, während die importierten Güter einen zwar großen, aber technisch nicht sehr anspruchsvollen Kapitalstock erforderten. Dies führte zur Formulierung der Neo-Faktorproportionentheorie.
Diskussion
Der komparative Kostenvorteil ist in der Wissenschaft weitgehend anerkannt und wird selten grundlegend kritisiert. Nachfolgend folgen dennoch einige Aspekte, die sich kritisch mit den Annahmen des Konzeptes befassen.
Kritiker äußern Bedenken gegen die Verwendung der Theorie zur Begründung von Vorteilen des Freihandels. Vor allem wird kritisiert, dass die Theorie der komparativen Kostenvorteile ein simples mathematisches Modell sei, mit dem Vorgänge in der realen Welt beschrieben werden sollen. Als Modell enthalte es jedoch bestimmte Grundannahmen, die in der realen Welt möglicherweise so nicht vorkommen bzw. in der heutigen Welt nicht mehr so vorkommen wie zu Zeiten Ricardos vor 200 Jahren.
In Anbetracht der nachfolgenden Kritikpunkte, kommen gelegentlich Kritiker zum Schluss, dass die Theorie der komparativen Kostenvorteile im Zeitalter der Globalisierung stets hinterfragt werden muss. Eine grundlegende Ablehnung des Konzeptes hingegen ist unter Berücksichtigung der Annahmen jedoch selten.
Aussagekraft komparativer Vorteile
Von manchen Kritikern wird die Grundaussage des Modells (jedes Land spezialisiert sich auf seinen komparativen Vorteil) in Frage gestellt. Würde man statt Ländern Unternehmen betrachten, so könnte man mit demselben Modell auch begründen, dass zwei Unternehmen (und nicht Staaten) nebeneinander am Markt existieren könnten, obwohl das eine Unternehmen in allen Bereichen unproduktiver arbeitet. Letzteres sei offensichtlich unzutreffend. Dem wird entgegnet, dass Unternehmen nicht in allen Bereichen tätig seien, sondern sich gerade wegen ihrer komparativen Kostenvorteile auf die Produktion einzelner Güter spezialisierten, auch wenn sie mit ihrer vorhandenen Belegschaft weitere Güter absolut kostengünstiger herstellen könnten als andere Unternehmen. Insofern sei es offensichtlich zutreffend, dass zwei Unternehmen nebeneinander existieren können, auch wenn eins von ihnen in allen Bereichen produktiver arbeiten kann. Eine andere Situation ergäbe sich erst, wenn der Faktor Arbeit völlig mobil sei. Das aber wäre gerade zwischen verschiedenen Ländern nicht der Fall, so dass der Vergleich hinke.
Das Faktorproportionentheorem bzw. Heckscher-Ohlin-Theorem (nach Eli Heckscher und Bertil Ohlin) ist ein Theorem zur Erklärung der Spezialisierungsmuster im internationalen Handel.
Geht man von einer unterschiedlichen relativen Ausstattung der Volkswirtschaften mit Kapital und Arbeit aus, so werden sich Volkswirtschaften mit relativ viel Kapital auf kapitalintensive Produkte spezialisieren, während Staaten mit relativ vielen Arbeitskräften sich auf arbeitsintensive Produkte spezialisieren werden. Ein Land exportiert daher jene Güter, in deren Produktion der relativ reichlich vorhandene Faktor vergleichsweise intensiv eingesetzt wird. Selbst wenn alle Volkswirtschaften mit denselben technischen Voraussetzungen ausgestattet wären, wäre somit eine Spezialisierung auf bestimmte Produkte sinnvoll.
Annahme der Wirtschaftsbestimmung durch Staaten
Im Zeitalter der Globalisierung wird das wirtschaftliche Geschehen zunehmend von transnationalen Konzernen (TNKs) statt wie zu Zeiten Ricardos von souveränen Staaten bestimmt, womit Kritiker der Theorie veraltete Annahmen unterstellen. Staaten sind im Gegensatz zu Unternehmen nicht stark profitorientiert, sie sind nicht verantwortlich für die Erwirtschaftung größerer Gewinne, die in Form von Dividenden an Aktionäre ausgeschüttet werden, sondern ein Staat ist verantwortlich für die Sicherstellung der Grundbedürfnisse seiner Bürger. Da Kapital nunmehr mobil ist und somit die Vorbedingung der Theorie nicht mehr existiert, verlagern die profitorientieren TNKs ihr Kapital in das Land, in dem sie absolute Kostenvorteile vorfinden, da dies nunmehr weitaus profitabler für die wirtschaftsbestimmenden TNKs ist als die Spezialisierung auf komparative Kostenvorteile.
Annahme eines weltweit freien Handels
Ricardo forderte einen weltweit freien Handel, da dieser durch Spezialisierung der Länder auf ihre komparativen Kostenvorteile zum Vorteil aller sei. Diesen freien Handel, so wird kritisiert, hätte es nie und auch nicht heute gegeben. Das Wirtschaftsgeschehen sei geprägt von Protektionismus, den jeder Staat mehr oder weniger und gegen die Bestimmungen der Welthandelsorganisation WTO betreibe. Durch die Handelshemmnisse wie z. B. Zölle entstünden weitere Kosten, die nicht mit einberechnet werden würden und somit komparative Kostenvorteile unprofitabler gestalten, da die Gewinnspanne kleiner ausfallen würde.
Annahme unbeschränkter Nachfrage
Das Modell des komparativen Kostenvorteils gehe zudem davon aus, dass die Nachfrage nach den zu produzierenden Gütern unbegrenzt sei. Daher könne es eine Situation nicht erfassen, in der das produktivere Land alle auf dem Markt nachgefragten Güter selbst herstellen kann. (Im unproduktiveren Land würde dann Arbeitslosigkeit entstehen.) Ein weiteres und grundlegenderes Problem wäre, dass auf langfristige Sicht die Nachfrage bezüglich eines spezialisierten Gutes aus diversen Gründen nachlassen oder gar zusammenbrechen kann. Dem Say'schen Theorem zu Folge, welches besagt, dass sich jedes Angebot seine Nachfrage verschafft, würden somit die Preise zwangsweise so tief sinken bis genug Nachfrage vorhanden ist. Dadurch wird die Gewinnspanne so gering, dass das Kapital für die Beschaffung anderer (notwendiger) Güter zu knapp wird und somit insgesamt die Handelsbilanz (stark) defizitär werden würde. Dies lässt sich heutzutage an Entwicklungsländern beobachten, deren Terms of Trade sich immer weiter verschlechtern, da diese sich auf unverarbeitete Agrarprodukte spezialisiert haben, die einem stetigen Preisverfall unterliegen. Die Einnahmen durch den Export der Agrargüter liegt (weit) unter den Ausgaben für die Importe von weiterverarbeiteten technischen Gütern. Hier sei allerdings angemerkt, dass weitere Faktoren eine Rolle für die schlechte wirtschaftliche Lage von Entwicklungsländern spielen.
Als Gegenargument wird angeführt, dass bei einem freien Warenaustausch ohne staatliche Einflussnahme zwischen zwei marktwirtschaftlich organisierten Ländern das produktivere Land bei begrenzter Nachfrage zwar alle nachgefragten Gütermengen möglicherweise selbst herstellen könne, dies aber gerade wegen des komparativen Kostenvorteils des anderen Landes bei einem der beiden betrachteten Güter nicht geschehen würde.
Berücksichtigung von entstehenden Transportkosten und Umweltschäden
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Theorie die notwendigen Transporte zwischen den Ländern ignoriere, die sowohl Kosten verursachen, die in die Preise eingerechnet werden müssen, als auch externe Effekte in Form von Umweltschäden. Die Realisierung des komparativen Kostenvorteils führt zu einer erheblichen Steigerung der weltweiten Transporte und der davon verursachten Umweltschäden.
Dem kann entgegnet werden, dass die Transportkosten zwar den komparativen Kostenvorteil des exportierenden Landes verringern, damit aber nicht Gültigkeit des Modells an sich aufheben. Zudem wird entgegnet, dass die Transportkosten durch Globalisierungseffekte relativ niedrig lägen, da zum einen durch moderne Technik große Massen transportiert werden, was die Transportkosten senkt und zudem die Transportunternehmen niedrige Preise anbieten können, da ihre Lohnkostenausgaben gering sind. Darüber hinaus ist die Externalisierung der Umweltbelastungen ein weiterer Grund für die relativ niedrigen Transportkosten.
Was die Umweltschäden genauer angeht, so liegt hier ein von dem Ricardinischen Modell losgelöstes Problem vor, nämlich dass externe Effekte des Verbrauchs bestimmter Rohstoffe (z. B. Erdöl für Treibstoff der Transportvehikel) im Preis nicht berücksichtigt werden und somit eine Ausbeutung der Natur entsteht, die im Widerspruch zum allseits angestrebten Prinzip der Nachhaltigkeit steht. Die Umweltschäden schaden der gesamten Welt, obwohl bei weitem nicht die ganze Weltbevölkerung diese Umweltbelastungen verursacht hat. Eine Integration dieser negativen Effekte würde die Transportkosten tendenziell erhöhen und somit sowohl dem Prinzip der Nachhaltigkeit nachkommen als auch zu einer weiteren Einschränkung der komparativen Kostenvorteile führen, da die Transportkosten dann nicht mehr unerheblich wären, wie einige Befürworter der Theorie behaupten. Aber dieser Aspekt widerspricht generell nicht dem Modell an sich.
Berücksichtigung der Lohnhöhe als Teil der Produktionskosten
Die Produktionskosten verschiedener Länder würden in Form einfacher Variablen betrachtet. Es werde daher nicht die Struktur der Produktionskosten erfasst. Löhne sind Teil der Produktionskosten. Das Modell könne nichts darüber aussagen, wie sich die Lohnhöhe (und damit die Kosten) in freier Konkurrenz zwischen den Staaten entwickelt und welche Auswirkungen dies auf die Nachfrage nach den produzierten Gütern habe.
Als Gegenargument wird angeführt, dass es nicht das Ziel des Modells sei, Aussagen über die Entwicklung von Produktionskosten, Lohnhöhen und nachgefragten Mengen zu machen. Diese könnten zwar zu Veränderungen der komparativen Kostenvorteile führen, dies widerlege aber die Schlußfolgerungen aus dem einfachen Modell nicht.
Annahme der Homogenität des Faktors Arbeit
Die Theorie geht von einem homogenen Faktor "Arbeit" aus, der austauschbar für die Produktion unterschiedlicher Güter eingesetzt werden kann. In der Realität besitzt ein Land Menschen unterschiedlicher Fähigkeiten und Kenntnisse. Nur ein Teil dieser Menschen wird die Fähigkeiten besitzen, Produkte, die eine hohe Fähigkeit verlangen, zu produzieren. Bei Spezialisierung eines Landes auf ein Produkt, welches zu seiner Herstellung hohe Fähigkeiten verlangt, bleibe der unfähigere Teil der Bevölkerung arbeitslos. Daher wird ausgesagt, dass die Theorie eine Flexibilität der Arbeit bzw. der Qualifikation erwarte.
Beispiel: Bei genereller Gültigkeit des Arguments würden im einen Land alle Menschen Rechtsanwalt bzw. Rechtsanwältin und im anderen Land alle Menschen Sekretär bzw. Sekretärin.
Gegenargumentation: Aus der fehlenden Homogenität des Faktors Arbeit folge nur, dass eine vollständige Spezialisierung nicht möglich sei, nicht aber, dass Arbeitslosigkeit entstehe, da sich die Preise für Arbeit auf den Arbeitsmärkten bilden. Auf einem nicht-regulierten Arbeitsmarkt würden sich die Löhne so einstellen, dass Angebot und Nachfrage ausgeglichen wären.
Annahme von Vollbeschäftigung
Das Modell des komparativen Kostenvorteils gehe davon aus, dass in beiden Ländern Vollbeschäftigung herrsche. Der komparative Kostenvorteil eines Landes bezüglich eines Produkts werde dazu verwendet, zu begründen, dass durch den Handel eine insgesamt höhere Produktion möglich sei. Dies sei jedoch dann nicht relevant, wenn die Produktionskapazitäten in den betreffenden Ländern nicht vollständig ausgelastet sind. Notiz:: Im Rahmen des Modells (wie ganz Allgemein in der Volkswirtschaftslehre), ist Vollbeschäftigung nicht Synonym mit der Abwesenheit von Arbeitslosigkeit, sondern bedeutet die Vollauslastung aller Produktionsfaktoren bei als extern angenommenen Faktorpreisen (Löhnen, Zinsen, Wechselkursen, etc.)
Annahme konstanter Skalenerträge
Ein zentraler Kritikpunkt hinsichtlich der volkswirtschaftlichen Gewinne für alle beteiligten Länder, betrifft die Annahme konstanter Skalenerträge, das heißt, dass im Modell die Produktivität nicht von der produzierten Menge abhängt. Falls im 2-Länder-2-Güter Szenario ein Gut steigende Skalenerträge (z. B. ein Industrieprodukt wie Computer), das andere hingegen sinkende Skalenerträge (z. B. ein landwirtschaftliches Produkt wie Getreide) aufweist, hat jenes Land mit sinkenden Skalenerträgen das Nachsehen. Denn jenes Land, welches einen komparativen Vorteil in der Industrieproduktion mit steigenden Skalenerträgen vorweist, kann seine Produktivität bei zunehmender Produktionsmenge verbessern. Demgegenüber steht jenes Land, das bei der Getreideproduktion mit sinkenden Skalenerträgen einen komparativen Vorteil hat, schwindenden Gewinnen gegenüber. Dieses Szenario ist auch unter dem Namen "Graham Paradoxon" bekannt.
Dies lässt sich auch bei vielen Entwicklungsländern beobeachten, die sich aufgrund ihres komparativen Kostenvorteils auf den Export von Rohstoffen spezialisiert haben, diese aber einem ständigen Preisverfall unterliegen und sich somit die Terms of Trade der Entwicklungsländer zunehmend verschlechtern, sofern sie nicht beginnen weiterverarbeitete Güter herzustellen, in denen sie über keinen komparativen Kostenvorteil verfügen.
Annahme von Interessenkongruenz
Es wird in populären Publikationen zu diesem Thema meist nicht berücksichtigt, dass die Nutzung Komparativer Kostenvorteile nicht allen Beteiligten Einkommenszuwächse ermöglichen. So wird ein abhängig Beschäftigter in einem Hochkapitalisierten Land (entwickeltes Industrieland) eine Verringerung des Einkommens erleiden, wenn Kapital in niedrig kapitalisierte Länder (Entwicklungs- und Schwellenländer) abfließt, da dort aufgrund der relativen Kapitalknappheit höhere Renditen möglich sind. Kapitalbesitzer in unterentwickelten Ländern werden durch den Zufluss ausländischen Kapitals eine Renditeverringerung erleiden. Somit ist unter der Beachtung der Interessenlage durchaus zwar ein in der Summe größerer Reichtum nachweisbar, logisch und nachvollziehbar jedoch nur durch die Überkompensation der Verluste durch die Gewinne auf der jeweils anderen Seite. Beteiligte Wirtschaftssubjektgruppen (extrem vereinfacht): a) Kapitalbesitzer in entwickelten Ländern: Kapitalexport lässt Rendite steigen, da Kapital in unterentwickelten Ländern knapper b) Abhängig beschäftigte in entwickelten Ländern: Kapitalexport lässt Kapitaleinsatz pro Arbeitsplatz sinken sodass die Produktivität pro Arbeitsplatz relativ sinkt und somit der Arbeitslohn sinkt c) Kapitalbesitzer in unterentwickelten Ländern: Kapitalimport lässt Rendite sinken, da Kapital im Inlandern weniger knapp d) Abhängig beschäftigte in unterentwickelten Ländern: Kapitalimport lässt Kapitaleinsatz pro Arbeitsplatz steigen sodass die Produktivität pro Arbeitsplatz relativ steigt und somit der Arbeitslohn steigt
Literatur
- Xenia Matschke, Gautam Tripathi: Das Ricardianische Außenhandels-Modell bei einem Kontinuum von Gütern. In: Das Wirtschaftsstudium (WISU), 28. Jg., Heft 6 (Juni 1999), S. 871-878.
- Claus Peter Ortlieb: Markt-Märchen - Zur Kritik der neoklassischen akademischen Volkswirtschaftslehre und ihres Gebrauches mathematischer Modelle. In: Exit! Krise und Kritik der Warengesellschaft, 1/2004, S. 166 (174 ff.).
- David Ricardo (1817): The Principles of Political Economy and Taxation, London.