Die Kirchentonarten sind modale, diatonische, hiatuslose Tonleitern, die im 9. Jahrhundert entstanden und das melodische Feld der mittelalterlichen Responsorien und Antiphonen definierten.
Grundsätzlich besitzen Kirchentonarten, unabhängig von ihrer strukturellen Definition, die Eigenschaft, authentisch oder plagal zu sein und sind damit auch formbildend. Bei authentischen Kirchentonarten fallen tiefster Ton und Schlußton (Finalis) zusammen; bei plagalen Kirchentonarten setzt der Gesang ein Tetrachord unterhalb des Finalis ein.
Alle echten Kirchentonarten sind quintenrein, ihr Confinalis liegt eine Quinte über dem Finalis. Dies gilt für alle Kirchentonarten außer dem lokrischen Modus, der nur aus Vollständigkeitsgründen eingeführt wurde und für die frühe abendländische Kirchenmusik deshalb von geringer Bedeutung ist, weil in ihm der Confinalis durch den Tritonus, das diabolische Intervall ersetzt ist.
Der Rezitations- oder Reperkussionston ist ein weiter besondere Ton, dem in mittelalterlichen Gesängen besonderes Gewicht zukam, entweder dadurch, daß er für längere Strecken als Tonzentrum bevorzugt wurde, um das die Melodie kreiste, oder auf ihm nach Atemzäsuren wieder eingesetzt wurde. Er enspricht bei authentischen Modi dem Confinalis und liegt dagegen bei plagalen Modi tiefer, eine Terz oder Quarte über dem Finalis.
Die Kirchentonarten sind fundamental für die Entwicklung der abendländischen Musik. Zudem bilden sie durch die Quintenreinheit des Confinalis die Grundlage für die spätere Entwicklung der Klauseln und Kadenzen und damit auch der funktionalharmonischen Entwicklung der Stufen.
Darüberhinaus hatten alle Kirchentonarten symbolische Bedeutung im Mittelalter und weite über dieses hinaus. Marienanbetungen etwa wurden meist in lydischen Tonarten verfaßt, aber auch der zweite Satz des Streichquartetts op. 132 von Ludwig van Beethoven trägt die Überschrift "Heiliger Dankgesang eines Gesenenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart". Besonders auch in den Tonarten der klassischen und romantischen Epoche scheint diese Symbolik, wenngleich auch verändert, wiederzuhallen.
Übersicht.
Der Einfachheit halber wird die diatonische C-Dur-Skala mit den Tönen
c - d - e - f - g - a - h
zugrundegelegt. Es erübrigt sich zu sagen, daß eine Kirchentonart auf einem beliebigen Ton beginnen kann, sofern sie nur die intervallische Struktur des jeweiligen Modus beibehält.
Für die folgenden Definitionen gilt: F = Finalis (Hauptton), R = Reperkussionston, T = tiefster Ton.
a) Die 4 alten authentischen Modi
- Dorisch. F = d, R = a, T = d.
- Phrygisch. F = e, R = h, T = e.
- Lydisch. F = f, R = c, T = f.
- Mixolydisch. F = g, R = d, T = g.
b) die 4 alten plagalen Modi
- Hypodorisch. F = d, R = a, T = A.
- Hypohrygisch. F = e, R = h, T = H.
- Hypolydisch. F = f, R = c, T = c.
- Hypomixolydisch. F = g, R = d, T = d.
c) die 4 neuen Modi
Diese wurden erst erst im 12. Jahrhunder eingeführt. Eine bedeutende Abhandlung über diese Modi stammt von Glarean (1547). Bemerkenswert ist, daß die späteren Tongeschlechter Naturmoll (äolisch) und Dur (ionisch) erst aus dieser Zeit stammen.
- Äolisch. F = a, R = e, T = a.
- Hypoäolisch. F = a, R = e, T = e.
- Ionisch. F = c, R = g, T = c.
- Hypoionisch. F = c, R = g, T = G.
d) Vervollständigungsmodus
- Lokrisch: F = h, kein R, T = h.
Siehe auch: